Tatsache: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine '''Tatsache''' ('''factum''', '''res facti'''; {{grcS|πράγματα}}) ist je nach Auffassung ein wirklicher, nachweisbarer, bestehender, wahrer oder anerkannter [[Sachverhalt]].
Eine '''Tatsache''', ein '''Faktum''' ([[Latein|lat.]] ''factum'' „Tat, Handlung“ bzw. ''res facti'', wörtlich "Tat-Sache", entsprechend {{EnS|''matter of fact''}}; von [[Latein|lat.]] ''facere'' „machen, tun“) ist im ursprünglich [[juristisch]]en Sinn ein durch eine [[Tat]] bewirkter '''Tatbestand''' (auch '''Tatsächlichkeit''', '''Gegebenheit''' oder '''Faktizität'''). Darüber hinaus im weitesten Sinn alles, was durch [[sinnlich]]e oder [[übersinnlich]]e [[Beobachtung]] als gegeben festgestellt wird, wobei aber erst durch das [[Denken]] entschieden werden kann, ob dem als [[Wahrnehmung]] [[Gegeben]]en eine [[Wirklichkeit]] entspricht oder ob es sich um einen bloßen [[Schein]], d.h. nur um das für sich genommen unwirkliche [[Bild]] einer Wirklichkeit handelt. Im engeren Sinn die durch Denken und Beobachtung zu einem bestimmten Zeitpunkt bestätigte [[Existenz]] eines [[Wirklich]]en. Tatsachen kann man nicht [[beweis]]en, sondern nur [[erleben]].


== Rechtswissenschaft ==
So ist es etwa eine ''Tatsache'', dass mir mein Spiegelbild erscheint, wenn ich mich in einem ebenen Spiegel betrachte; durch denkende Erfassung der [[Wikipedia:Reflexionsgesetz|Reflexionsgesetz]]e lässt sich gleichwohl [[erkennen]], dass es sich dabei nur um ein [[Wikipedia:virtuelles Bild|virtuelles Bild]] handelt, dem keine eigenständige Wirklichkeit zukommt. Hingegen kann ein [[Wikipedia:Hohlspiegel|Hohlspiegel]] unter geeigneten Umständen ein [[Wikipedia:reelles Bild|reelles Bild]] erzeugen, das, im Gegensatz zum bloß virtuellen Bild, mit einem Schirm aufgefangen und sogar mit einem Fotopapier festgehalten werden kann und sich somit in bestimmtem Sinn als Wirklichkeit erweist.
Tatsache ist ein [[unbestimmter Rechtsbegriff]], der in Gesetzen zwar vorkommt, aber dort nicht [[Legaldefinition|definiert]] ist. Tatsachen sind [[Sinneswahrnehmung|sinnlich wahrnehmbare]] Vorgänge oder Zustände aus Gegenwart oder Vergangenheit.<ref>Oliver Stegmann, ''Tatsachenbehauptung und Werturteil in der deutschen und französischen Presse'', 2004, S. 286 {{Google Buch|BuchID=Kyo5s6Dda9kC|Seite=286}}</ref> Tatsachen im Sinne von {{§|263|stgb|juris}} StGB (Betrug durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen) sind konkrete Zustände oder Vorgänge aus Gegenwart und Vergangenheit, die dem [[Beweis (Rechtswesen)|Beweis]] zugänglich sind.<ref>[[RGSt]] 55, 129, 131.</ref>


Die Tatsache bildet die Grundlage der [[Subsumtion (Recht)|Subsumtion]] und damit der Rechtsanwendung. Der Tatsachenbegriff umfasst sowohl innere als auch als äußere Tatsachen.
== Geistige Tatsachen ==
* ''Äußere Tatsachen'' beziehen sich auf etwas äußerlich, wahrnehmbares Reales; dazu zählen insbesondere Eigenschaften von körperlichen Gegenständen oder Personen. Hierzu gehören etwa die Echtheit eines Kunstwerks, die Beschaffenheit oder Verkehrsfähigkeit einer Sache, Alter, Einkünfte, [[physiologisch]]er Gesundheitszustand, Fähigkeiten und Qualifikationen einer Person.
* ''Innere Tatsachen'' betreffen psychische Zustände wie etwa den [[Wille]]n, eine Leistung des vorleistungspflichtigen Vertragspartners zu erfüllen. Zu beachten ist dabei, dass auch gegenwärtige Absichten, Motive, Vorstellungen oder Überzeugungen hinsichtlich künftiger Ereignisse umfasst sind.<ref>Münchner Kommentar/Hefendehl, § 263 Rn. 53, 63</ref> Hierüber werden künftige Ereignisse teilweise wieder in den Tatsachenbegriff (mit-) einbezogen. Nach der Rechtsprechung genügt es für die Beweisbarkeit, wenn der Täter dem Opfer den Eindruck der Existenz des fraglichen Sachverhalts vermittelt.<ref>[[BGHSt]]. 8, 237, 239.</ref>


''Tatsachenbehauptungen'' sind Aussagen über Tatsachen, wobei es an der Verifizierung noch fehlt. Auch im [[Zivilprozess (Recht)|Zivilprozess]] sind Tatsachen die wesentlichen Grundlagen, auf denen ein Urteil aufbaut. So bestimmt § 291 ZPO, dass ''gerichtsbekannte offenkundige Tatsachen'' keines Beweises bedürfen. Offenkundig sind dabei allgemeinkundige Tatsachen, also Wissen, das praktisch jeder haben kann. Allgemeinkundig sind Tatsachen, die jeder aus allgemein zugänglichen Informationsquellen zuverlässig in Erfahrung bringen kann (Lexika, Bücher, Karten, das Internet usw.) ''Gerichtskundige Tatsachen'' hat das Gericht selbst amtlich wahrgenommen. ''Verkehrsauffassung'' ist Erfahrungswissen, {{§|291|zpo|juris}} ZPO betrifft jedoch nur Tatsachen und nicht Erfahrungssätze. Gerichtskundig sind Tatsachen, die das Gericht in amtlicher Eigenschaft wahrgenommen hat (die Angaben der Partei in einem anderen Verfahren vor demselben Gericht, der Inhalt beigezogener Akten oder besondere Fachkenntnisse des Richters). Private Kenntnisse des Richters darf er nicht verwerten; er ist insoweit Zeuge und scheidet aus dem Verfahren aus ({{§|41|zpo|juris}} Nr. 5 ZPO). Die einer richterlichen Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen ergeben sich aus dem Parteivortrag. Tatsachen müssen deshalb von den Parteien vorgetragen werden.<ref>BGH NJW 1990, 3151</ref> Zwischen den Parteien unstrittige Tatsachen gelten als wahr. Im bundesdeutschen [[Handelsrecht (Deutschland)|Handelsrecht]] ist der Begriff der Tatsache weit zu fassen, denn alles, was [[Eintragung|eintragungspflichtig]] im [[Handelsregister]] ist, gehört zu den Tatsachen.<ref>Hartmut Oetker: ''Handelsrecht'', 2006, S. 51 {{Google Buch|BuchID=uhAxIWdl4o4C|Seite=51}}</ref>
Für die [[Geistesforschung]] ist die Unterscheidung von wirklichen Tatsachen und bloßen [[Illusion]]en, [[Vision]]en und [[Halluzination]]en von besonderer Bedeutung:


Die bloße [[Meinungsäußerung]] oder ein reines [[Werturteil]] stellt als Mitteilung subjektiver Wertungen den Gegenbegriff zum Tatsachenbegriff dar. Die Abgrenzungsprobleme zeigen sich exemplarisch bei Werbeaussagen. Die [[Auslegung (Recht)|Verkehrsauffassung]] der jeweiligen Verkehrskreise entscheidet darüber, ob in werbenden Anpreisungen noch ein greifbarer Tatsachenkern liegt. In der Aussage: „besser geht es nicht“ liegt keine Behauptung eines Tatsachenkerns, da es am Charakter einer ernsthaft aufgestellten Behauptung fehlt.<ref>Wessesl/Hillenkamp Rn. 496.</ref> Die Äußerung von bloßen Rechtsauffassungen (z.&nbsp;B. man habe einen  Kaufpreiszahlungsanspruch) ist eine „Sollens- und keine Seinsaussage“<ref>Nomos Kommentar/Urs Kindhäuser, § 263 Rn. 89.</ref> und damit als Werturteil zu behandeln. Hier wird lediglich die rechtliche Bewertung eines (unstreitigen) Lebenssachverhalts vorgenommen.
{{GZ|Der
[[Verstand]] kann gar nichts tun, als Tatsachen kombinieren und systematisieren.
Tatsachen kann man erfahren, aber nicht «mit dem Verstande beweisen». Mit
dem Verstande kann man auch einen Walfisch nicht beweisen. Den muß man
entweder selbst sehen, oder sich von denen beschreiben lassen, die einen gesehen
haben. So ist es auch mit übersinnlichen Tatsachen. Ist man noch nicht
so weit, sie selbst zu sehen, so muß man sie sich beschreiben lassen.|34|107}}


=== Schweiz ===
{{GZ|Gesagt ist, daß ein gewöhnlicher und wiederum berechtigter
In der Schweiz versteht man unter Tatsachen feststellbare Geschehnisse, die sich in der Vergangenheit verwirklicht haben. Tatsachen, die in der Zukunft stattfinden, können plausibel gemacht werden, indem der Schluss aus vergangenen Tatsachen gezogen wird. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum deutschen Recht, das Tatsachen nur als vergangenheits- und gegenwartsbezogenen Begriff kennt.
Einwand gegen eine solche Behauptung der Geistesforschung
der ist: Da kann man durch eine solche Seelenentwickelung
zum Beispiel zu inneren Vorstellungswelten
kommen, die man als einen Ausdruck einer übersinnlichen
Welt ansieht. Man kann auch durch die Art, wie sich diese
Vorstellungsarten ergeben, die Meinung haben, sie wiesen
auf etwas Reales hin. Aber man wisse doch-so kann gesagt
werden - , daß der, welcher Halluzinationen, Wahn-Ideen,
Visionen hat, auch mit aller Kraft an diese Halluzinationen
und so weiter glaubt, und es sei daher ganz unmöglich, in
Wahrheit eine Unterscheidung zu finden zwischen den
Halluzinationen, Wahn-Ideen und so weiter und dem, was
sich so beim Geistesforscher einstellt. - Warum sollte man
das, wozu der Geistesforscher auf diese Weise kommt, nicht
auch, zwar als eine raffiniertere, aber doch als eine bloße
Halluzination ansehen? Abgesehen davon, daß man sagen
kann: Was so im Innern erlebt werde, sei nur subjektiv und
könne nicht von einem anderen zu jeder Zeit kontrolliert
werden, wie dies zum Beispiel beim physikalischen Experiment
der Fall ist.


Es wird zwischen Haupt- und Hilfstatsachen unterschieden.
Nun muß aber darauf hingewiesen werden, daß es durchaus
* ''Haupttatsachen'' sind Umstände, die den abstrakt formulierten Tatbestand einer Norm unmittelbar ausfüllen, aus der eine Partei eine Rechtsfolge für sich herzuleiten sucht. Die für den konkreten Fall nötigen Tatbestandsmerkmale werden direkt festgestellt. Beispielsweise ist eine Postquittung oder ein Empfangsschein der direkte Beweis dafür, dass eine Eingabe ans Gericht am letzten Tag der Frist beim Gericht eingegangen ist oder jedenfalls der schweizerischen Post übergeben worden ist.<ref>VerwG Basel-Land, Urteil vom 27. November 1991, in: BLVGE 1991, 124, 125.</ref> Die [[Aussteller (Urkunde)|Ausstellung]] der Postquittung ist eine Haupttatsache für den Beweis der rechtzeitigen Eingabe. Häufig enthalten Normen unbestimmte Rechtsbegriffe wie etwa „sittenwidrig“ oder „fahrlässig“. In diesem Fall sind Tatsachen zu beweisen, die den Schluss auf die Erfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs im konkreten Fall zulassen.
nicht im Charakter aller Wahrheiten liegt, daß sie durch
äußere Veranstaltungen gefunden oder auch nur bekräftigt
werden können. Man kann sagen, es könnten für jeden,
der nur denken will, die Vorstellungen der Mathematik
im äußersten Sinne dafür überzeugend sein, denn sie werden
im Innern gewonnen. Wir brauchen, um das einzusehen,
nicht auf höhere, sondern nur auf die gewöhnliche
Vorstellung, dreimal drei ist neun, hinzuweisen. Um das
einzusehen, bedarf es nur eines inneren Vorstellens der
Seele, und es ist nichts weiter als eine Versinnlichung, wenn
sich jemand zum Beispiel durch dreimal drei Erbsen veranschaulicht,
daß dreimal drei neun ist. Es hängt von der
inneren Seelenentwickelung ab, wenn jemand die Erkenntnis
hat, daß dreimal drei neun ist, und er braucht sie sich
durch einen äußeren Vorgang nicht erst zu bekräftigen. Er
weiß, was er erlebt hat, er weiß es ohne jede äußere Kontrolle.
Es gibt also ein inneres Seelenarbeiten, für welches
äußere Kontrolle nichts weiter als Veranschaulichung ist,
die sich in dem Veranschaulichten erschöpft, und dem man
es ansieht, daß dieses innerlich Durchzumachende wahr ist.
In einer ganz ähnlichen Weise, nur auf höherer Stufe,
wird der Unterschied erlebt zwischen Irrtum und Wahrheit
der übersinnlichen Welt. Der Geistesforscher muß alle die
Dinge durchmachen wollen, die ihn zur Erkenntnis führen
können: wo hören Halluzinationen, Visionen und Illusionen
auf, und wo beginnt die übersinnliche Realität? Wo das
eine aufhört und das andere beginnt, das kann nur auf
eine ähnliche Weise eingesehen werden, wie die mathematischen
Wahrheiten eingesehen werden können. Aber es
kann eingesehen werden. Wer ein wirklicher Geistesforscher
ist und die Natur, die wirklich zur Geistesforschung hinführt,
kennt, der wird ohnedies nicht die Welt mit seinen
Visionen unterhalten, und wenn Sie jemanden finden, der
die Menschen über die übersinnliche Welt dadurch unterhält,
daß er von seinen Visionen mitteilt, so können Sie
immer voraussetzen, daß er von einem wahren Geistesforscher
sehr weit entfernt ist. Denn der wahre Geistesforscher
weiß, daß alles imaginäre, visionäre Leben, das
man in der äußeren Welt kennt, nichts als eine Vorstellung
des eigenen Seelenlebens ist, daß es nichts anderes darstellt
als ein Hinausprojizieren der eigenen Seele in den eigenen
Raum. Und nicht in diesem Raum, nicht in dem, was man
eigentlich meint, wenn man von dem Vorstellen des Geistesforschers
als ein Nichtkenner spricht, liegt das, was seine
Wissenschaft begründet, sondern in demjenigen, was erst
hinter diesem Vermeintlichen liegt, nachdem er ganz den
Vorgang durchgemacht hat, wie sich das Seelenleben verobjektiviert
und wie dann die Wand durchbrochen wird,
welche sich zuerst als eine Widerspiegelung unserer inneren
Seelenvorgänge aufrichtet.


* Aus ''Hilfstatsachen (Indizien)'' kann auf das Vorliegen einer Haupttatsache geschlossen werden. Beispielsweise ist das Erwähnen einer Eingabe an das Gericht (ohne von späteren Beweisschwierigkeiten Kenntnis zu haben) ein starkes Indiz dafür, dass eine solche Eingabe gemacht wurde.<ref>BLVGE 1991, 126.</ref> Bei diesem verzichtet der Richter auf den direkten Beweis einer Tatsache, indem er ihr Vorhandensein – gestützt auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge – aus anderen Tatsachen, den so genannten Indizien, ableitet. Der Richter vermutet, dass die Tatsache gegeben ist, weil sich ihm dieser Schluss angesichts der erstellten übrigen Umstände auf Grund seiner Lebenserfahrung aufdrängt. Indizienbeweise beruhen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes auf tatsächlichen Vermutungen, die der Beweiserleichterung dienen. Tatsächliche Vermutungen sind nicht Beweislastregeln, sondern gehören grundsätzlich zur Beweiswürdigung, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüfen kann.
Gerade das ist für den Geistesforscher wichtig, daß er
das Wesen der Halluzinationen, der Visionen und Illusionen
in ihrem Zusammenhange mit dem inneren seelischen Leben
erkannt hat und sich lange genug sagen kann: Was so erscheint,
ist nicht als das objektiv Maßgebende, sondern rein
als innere Seelenvorgänge aufzufassen. Und es gehört nicht
so sehr zu den Anforderungen einer wirklichen geisteswissenschaftlichen
Schulung, durch gewisse Verrichtungen,
die man in dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der
höheren Welten?» nachlesen kann, die Seele dazu zu bringen,
daß sie frei vom Leibe Erlebnisse hat, daß sie aus dem
Leibe heraustritt; sondern wichtiger ist es, daß die Seele
über diese Erlebnisse außerhalb des physischen Leibes, im
rein Geistigen, ein richtiges Urteil gewinnt.
Von einem gewissen Punkt ab weiß die Seele durch das,
was sie erlebt, daß sie nicht mehr subjektive Vorgänge
erlebt, sondern daß sie ihre Subjektivität abgestreift hat
und in ein Objektives hineinkommt, das für jeden objektiv
ist, wie das Mathematische objektiv ist, trotzdem man seine
Beweiskraft nur im Innern erleben kann. Der Fehler, den
die Menschen machen, die an ihre Illusionen glauben, besteht
darin, daß sie nicht lange genug die Widerstandskraft
gegen die illusionäre Welt aufrechterhalten können, daß zu
früh der Glaube eintritt an das, was sie erleben, daß sie
sich von ihren Erlebnissen nicht lange genug sagen: Das
erscheint zunächst nur als eine Widerspiegelung von dir
selbst, und erst wenn du alles Subjektive von dir abgestreift
hast, wie du es bei der Mathematik machen mußt,
trittst du in die Sphäre der objektiven Wirklichkeit ein.
So entfällt auch der Einwand, daß man es bei den geistesforscherischen
Erlebnissen mit etwas Subjektivem zu tun
hat. Man hat es ebensowenig mit etwas Subjektivem zu
tun, wie man es bei mathematischen Wahrheiten damit zu
tun hat. Wenn Geisteswissenschaft mitgeteilt wird, so handelt
es sich nicht eigentlich darum, Beweise zu liefern.
Wenn es sich darum handelt, so muß man vor allem das
Wesen des Beweises verstehen. Wenn es niemals in der
Welt vorgekommen wäre, daß jemand einen Walfisch gesehen
hätte, so würde niemand beweisen können, daß es
einen Walfisch gibt. Aus allen Kenntnissen, die er hat,
würde er nie das Dasein eines Walfisches beweisen können,
denn ein Walfisch ist eine Tatsache, und Tatsachen kann
man nicht beweisen, sondern man kann sie nur erleben.
Damit ist etwas außerordentlich Gewichtiges über die Logik
gesagt, aber man muß sich erst von diesem Gewichtigen
überzeugen.


=== Österreich ===
Von diesem Gesichtspunkte aus handelt es sich bei den
Auch im österreichischen Strafrecht kommt der Begriff Tatsache häufig vor, so etwa in den §§ 193 (Ehetäuschung), 229 (Urkundenunterdrückung), 230 Abs. 1 (Versetzung von Grenzzeichen) oder 255 (Staatsgeheimnis) ÖStGB. Er entspricht inhaltlich dem Begriff einer Tatsache im deutschen Strafrecht.
Mitteilungen der Geistesforschung auch nicht darum, daß
man Beweise für die übersinnliche Welt oder zum Beispiel
für die Unsterblichkeit der Seele liefert, sondern um etwas
ganz anderes. Davon werden sich diejenigen überzeugen,
die eine längere Zeit den wahren Betrieb der Geistesforschung
mitmachen. Nicht um ein logisches Spintisieren handelt
es sich, sondern um ein Kennenlernen, um ein Mitteilen
der übersinnlichen Tatsachen. Wenn der Geistesforscher
durch die schon geschilderte Entwicklung der Seele in
die Lage gekommen ist, daß er das Leben zwischen dem
Tode und der neuen Geburt überblickt, so handelt es sich
darum, daß er dann die Tatsachen, welche er für das Leben
der Seele in der Zeit zwischen dem Tode und der nächsten
Geburt anzuführen hat, mitteilt, daß er mitteilt, was er in
der übersinnlichen Welt erlebt. Um Mitteilung von Erlebnissen,
von Tatsachen, die er in seiner Seele durchwandert,
handelt es sich.|62|61ff}}


== Theologie und Philosophie ==
== Physikalische Tatsachen ==
Einen ersten Überblick über das im 18. Jahrhundert im Deutschen auftretende Wort ''Tatsache'' liefert [[Gotthold Ephraim Lessing]] 1778 in der Schrift ''Über das Wörtlein Tatsache''. Es wurde zunächst in der theologischen Fragestellung verwendet, ob das Christentum sich auf wirkliche Begebenheiten, eben Tatsachen, berufen könne.<ref>[[Gottfried Gabriel]]: ''Tatsache'' in Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hrsg.: Jürgen Mittelstraß Band 4, Metzler 1996 S. 209f.</ref> Dabei wurde es von [[Johann Joachim Spalding]] als Übersetzung des englischen Ausdrucks ''matter of fact'' eingebracht, es findet sich in seiner Übersetzung von [[Joseph Butler]]s ''The analogy of religion, natural and revealed, to the constitution and course of nature'' von 1756. Butler wie Spalding beziehen den Ausdruck auf Gott: Tatsachen sind Geschehnisse, die als Handlungen Gottes aufgefasst werden.<ref>W. Halbfass:  Eintrag ''Tatsache. I'' in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 10, S. 913.</ref>


Bei [[Gottfried Wilhelm Leibniz]] werden Tatsachenwahrheiten (vérités de fait) den Vernunftwahrheiten (vérités de raison) gegenübergestellt. Tatsachen stellen hier also wie auch bei [[David Hume]] [[Wirklichkeit|wirkliche]] [[Erfahrung]]sergebnisse dar. Mathematische Wahrheiten gehören nicht dazu.
Die [[klassische Physik]] beschreibt die Welt als streng [[determiniert]]e, also lückenlos [[kausal]] bestimmte Folge von Tatsachen - oder wie es [[Ludwig Wittgenstein]] in seinem berühmten «[[Tractatus logico-philosophicus]]» ausgedrückt hat: „''Die Welt ist alles, was der Fall ist.''“<ref>[[Ludwig Wittgenstein]]: ''Tractatus logico-philosophicus'' 1</ref>. Die moderne [[Quantenphysik]] zeigt demgegenüber auf, dass dem Weltgeschehen ein zwar streng gesetzmäßig bestimmtes, aber letztlich unendliches Feld von [[Möglichkeit]]en zugrundeliegt, aus dem sich erst durch den [[Messung|Messvorgang]] bzw. durch [[Wechselwirkung]] einzelne, nicht kausal vorherbestimmte - und in diesem Sinn „[[Zufall|zufällige]]“ - [[Realität|reale]] Tatsachen herauskristallisieren. Die Welt ist daher ursprünglich reine [[Potentialität]], die erst durch entsprechende [[schöpferisch]]e [[Akt]]e nach und nach [[Wirklichkeit|verwirklicht]] wird, wie es in etwa der von [[Aristoteles]] begründeten und in der [[Scholastik]] namentlich von [[Thomas von Aquin]] weiterentwickelten Lehre von [[Akt und Potenz]] entspricht.  


[[Immanuel Kant]] unterscheidet in der ''Kritik der Urteilskraft'' {{"|Sachen der Meinung (opinabile), Thatsachen (scibile) und Glaubenssachen (mere credibile)|{{Kant|5|467}}}} als Gattungen der [[Erkenntnisobjekte]]. Diese Einteilung entspricht im Wesentlichen seiner Unterscheidung aus ''Vom Glauben, Wissen, Meinen'' in der ''Kritik der reinen Vernunft'' ({{Kant|3|531}}), Tatsachen sind demnach die dem epistemischen Zustand des [[Wissen]]s entsprechenden Objekte. Dort sind für Kant Glauben, Wissen und Meinung Einstellungen zu Vorstellungsverbindungen oder Urteilen, die sich darin unterschieden, ob die Gründe, aus denen sie für wahr gehalten werden, objektiv-allgemein sind (in der Sache liegend, für alle vernünftigen Wesen gleichermaßen überzeugend), subjektiv-allgemein (überzeugend aus einem Interesse, das notwendig alle vernünftigen Wesen teilen), Glauben oder subjektiv-partikular (aufgrund persönlicher Erfahrungen und Interessen überredend und überzeugend), und ob diese Gründe jeweils [[hinreichende Bedingung|hinreichend]] für die Wahrheit des in Frage stehenden Urteils sind. Dabei erwartet Kant, dass das Erkenntnissubjekt auch darüber reflektiert, was die Gründe seines Fürwahrhaltens sind, so dass der Bereich des Meinens (des Fürwahrhaltens aus objektiv und subjektiv unzureichenden Gründen) auf den Bereich der möglichen Erfahrung beschränkt wird. Tatsachen hingegen schließen auch und vor allem Erkenntnisse [[a priori]] ein: {{"|Gegenstände für Begriffe, deren objective Realität (es sei durch reine Vernunft, oder durch Erfahrung und im ersteren Falle aus theoretischen oder praktischen Datis derselben, in allen Fällen aber vermittelst einer ihnen correspondirenden Anschauung) bewiesen werden kann, sind (res facti) Thatsachen.|{{Kant|5|468}}}} in einer daran anschließenden Fußnote weist Kant darauf hin, dass diese Definition den seinerzeit üblichen Begriff der Tatsache auf Nichterfahrbares erweitert.
== Kontrafaktizität ==


[[Gottlob Frege]] unterscheidet Tatsachen oder Sachverhalte in der Welt von dem Gedanken,<ref>Gottlob Frege: [[Über Sinn und Bedeutung]], Seite&nbsp;34.</ref> durch den sie gegeben sind. Gedanken sind für Frege [[Extension und Intension|die Intension]] von bestimmten sprachlich-logischen [[Zeichen]], die er Sätze nennt. Diese entsprechen den [[Aussage (Logik)|Aussagen im logischen Sinne]], die Träger von [[Wahrheitswert]]en sind. Er macht, im Gegensatz etwa zu [[Bertrand Russell]] und anderen Vertretern der Cambridge-Schule der [[Analytische Philosophie|analytischen Philosophie]], jedoch nicht Tatsachen zur Extension von Sätzen, sondern die Wahrheitswerte selbst. Das liegt daran, dass Frege Sätze als logisch komplexe Ausdrücke auffasst, die aus Eigennamen und Begriffs- oder Relationswörtern bestehen. Ein Satz ist wahr, wenn die im Satz vorkommenden Eigennamen Objekte bezeichnen, die in die Klasse derjenigen Objekte fallen, die die aus den Bedeutungen Begriffswörtern, logischen Konstanten und Quantoren bestehenden [[Satzfunktion]] erfüllen. Dabei unterscheidet Frege Extension und Intension auch an Eigennamen und Begriffswörtern. Für Frege ist die Intension eines Ausdrucks die {{"|Art des Gegebenseins}} des Bezeichneten für ein Erkenntnissubjekt, d. h., sie entspricht einer epistemischen Perspektive oder einem Zugang des Subjekts zur Extension des Ausdrucks. Die individuellen Tatsachen werden also in Freges Theorie der Bedeutung eliminiert, sie können nicht von den wahren Sätzen, die sie zum Ausdruck bringen, unterschieden werden.
[[Behauptung]]en die den Tatsachen widersprechen sind '''kontrafaktisch''' ([[lat.]] ''gegen die Fakten''). '''Kontrafaktizität''' ist ein in der [[Philosophie]] und [[Wissenschaft]] oft bewusst gebrauchtes Mittel um [[Hypothese]]n und [[Theorie]]n [[Gedanke|gedanklich]] zu entwickeln bzw. auf ihren [[Realität]]sgehalt zu überprüfen.


Im wissenschaftstheoretischen [[Positivismus]] wird eine [[Hypothese]] zu einer Tatsache, in dem sie durch [[Beobachtung]] [[Verifizierung|verifiziert]] oder zumindest [[Bestätigung (Wissenschaftstheorie)|bestätigt]] wird. Seit der [[Linguistische Wende|linguistischen Wende]] betonen verschiedene Vertreter sprachphilosophischer und wissenschaftstheoretischer Ansätze, dass die verwendete Sprache Vorentscheidungen darüber trifft, was als Tatsachen in Frage kommt (siehe auch [[Holismus]]). Die vor allem für den [[logischer Positivismus|logischen Positivismus]] entscheidende Trennung von Theorie- und Beobachtungssprache wird damit unscharf. Seinem wissenschaftstheoretischen Modell, in dem allgemeine Hypothesen durch Voraussagen von individuellen beobachtbaren Tatsachen bestätigt werden, stellt daher der [[kritischer Rationalismus|kritische Rationalismus]] das Modell des [[Fallibilismus]] entgegen, nach dem allgemeine wie Beobachtungshypothesen nur vorläufig als Tatsachen gelten können, bis sie durch neue Beobachtung widerlegt werden.
== Siehe auch ==


Laut [[David Kellogg Lewis]] wird ein Sachverhalt durch einen [[Wahrmacher]] zu einer positiven [[Aussage (Logik)|Proposition]].
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Tatsache}}
* {{WikipediaDE|Tatsache}}
* {{WikipediaDE|Kontrafaktizität}}
* {{WikipediaDE|Kontrafaktizität}}
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== Literatur ==
== Literatur ==
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/facts/|Facts|Kevin Mulligan, Fabrice Correia}}
* ''Fact'', in Ted Honderich (Hrsg.): The Oxford Companion to Philosophy. Oxford: Oxford University Press 2005.
* Ludwig Wittgenstein: ''Logisch-philosophische Abhandlung, Tractatus logico-philosophicus''. Kritische Edition. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998. ISBN 3-518-28959-4
* Ludwig Wittgenstein: ''Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003. ISBN 3-518-10012-2
* Ludwig Wittgenstein: ''Logisch-philosophische Abhandlung'', W. Ostwald (Hrsg.), ''Annalen der Naturphilosophie'', Band 14, 1921, S. 185–262 [http://digital.slub-dresden.de/sammlungen/titeldaten/15325484L/]
* Gerd Graßhoff und Timm Lampert: ''Ludwig Wittgensteins Logisch-Philosophische Abhandlung. Entstehungsgeschichte und Herausgabe der Typoskripte und Korrekturexemplare''. Springer, Wien 2004. ISBN 978-3-211-83782-5 [http://www.springer.com/philosophy/book/978-3-211-83782-5]


== Weblinks ==
* [[Ludwig Wittgenstein]]: ''Logisch-philosophische Abhandlung, Tractatus logico-philosophicus''. Kritische Edition. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998. ISBN 3-518-28959-4
{{Wiktionary|Faktum}}
* [[Ludwig Wittgenstein]]: ''Tractatus logico-philosophicus, Logisch-philosophische Abhandlung''. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003. ISBN 3-518-10012-2
{{Wiktionary|Tatsache}}
* [[Ludwig Wittgenstein]]: ''Logisch-philosophische Abhandlung'', W. Ostwald (Hrsg.), ''Annalen der Naturphilosophie'', Band 14, 1921, S. 185–262 [http://digital.slub-dresden.de/sammlungen/titeldaten/15325484L/]
* [http://www.textlog.de/5224.html Rudolf Eisler - Wörterbuch der philosophischen Begriffe (1904)] Tatsache
* Gerd Graßhoff, Timm Lampert: ''Ludwig Wittgensteins Logisch-Philosophische Abhandlung. Entstehungsgeschichte und Herausgabe der Typoskripte und Korrekturexemplare''. Springer, Wien 2004. ISBN 978-3-211-83782-5 [http://www.springer.com/philosophy/book/978-3-211-83782-5]
* Jan C. Schuhr: {{YouTube|ndLBI37ts-o|„Taten, Tatsachen und ihre Abhängigkeit von Zurechnung“}}, 17. Juni 2019 (Video, Universität Heidelberg, 14:05 Min.)
* [[Rudolf Steiner]]: ''Lucifer – Gnosis'', [[GA 34]] (1987), ISBN 3-7274-0340-3 {{Vorträge|034}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Ergebnisse der Geistesforschung'', [[GA 62]] (1988), ISBN 3-7274-0620-8 {{Vorträge|062}}
 
{{GA}}


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


{{Normdaten|TYP=s|GND=4184506-7}}
[[Kategorie:Ontologie nach Wittgenstein]]
[[Kategorie:Tatsachenontologie]]
[[Kategorie:Tatsachenontologie]]
[[Kategorie:Sprachphilosophie]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]
[[Kategorie:Philosophie]]  
[[Kategorie:Philosophie]]  
[[Kategorie:Ontologie]]
[[Kategorie:Ontologie]]
{{Wikipedia}}

Aktuelle Version vom 23. November 2024, 17:13 Uhr

Eine Tatsache, ein Faktum (lat. factum „Tat, Handlung“ bzw. res facti, wörtlich "Tat-Sache", entsprechend eng. matter of fact; von lat. facere „machen, tun“) ist im ursprünglich juristischen Sinn ein durch eine Tat bewirkter Tatbestand (auch Tatsächlichkeit, Gegebenheit oder Faktizität). Darüber hinaus im weitesten Sinn alles, was durch sinnliche oder übersinnliche Beobachtung als gegeben festgestellt wird, wobei aber erst durch das Denken entschieden werden kann, ob dem als Wahrnehmung Gegebenen eine Wirklichkeit entspricht oder ob es sich um einen bloßen Schein, d.h. nur um das für sich genommen unwirkliche Bild einer Wirklichkeit handelt. Im engeren Sinn die durch Denken und Beobachtung zu einem bestimmten Zeitpunkt bestätigte Existenz eines Wirklichen. Tatsachen kann man nicht beweisen, sondern nur erleben.

So ist es etwa eine Tatsache, dass mir mein Spiegelbild erscheint, wenn ich mich in einem ebenen Spiegel betrachte; durch denkende Erfassung der Reflexionsgesetze lässt sich gleichwohl erkennen, dass es sich dabei nur um ein virtuelles Bild handelt, dem keine eigenständige Wirklichkeit zukommt. Hingegen kann ein Hohlspiegel unter geeigneten Umständen ein reelles Bild erzeugen, das, im Gegensatz zum bloß virtuellen Bild, mit einem Schirm aufgefangen und sogar mit einem Fotopapier festgehalten werden kann und sich somit in bestimmtem Sinn als Wirklichkeit erweist.

Geistige Tatsachen

Für die Geistesforschung ist die Unterscheidung von wirklichen Tatsachen und bloßen Illusionen, Visionen und Halluzinationen von besonderer Bedeutung:

„Der Verstand kann gar nichts tun, als Tatsachen kombinieren und systematisieren. Tatsachen kann man erfahren, aber nicht «mit dem Verstande beweisen». Mit dem Verstande kann man auch einen Walfisch nicht beweisen. Den muß man entweder selbst sehen, oder sich von denen beschreiben lassen, die einen gesehen haben. So ist es auch mit übersinnlichen Tatsachen. Ist man noch nicht so weit, sie selbst zu sehen, so muß man sie sich beschreiben lassen.“ (Lit.: GA 34, S. 107)

„Gesagt ist, daß ein gewöhnlicher und wiederum berechtigter Einwand gegen eine solche Behauptung der Geistesforschung der ist: Da kann man durch eine solche Seelenentwickelung zum Beispiel zu inneren Vorstellungswelten kommen, die man als einen Ausdruck einer übersinnlichen Welt ansieht. Man kann auch durch die Art, wie sich diese Vorstellungsarten ergeben, die Meinung haben, sie wiesen auf etwas Reales hin. Aber man wisse doch-so kann gesagt werden - , daß der, welcher Halluzinationen, Wahn-Ideen, Visionen hat, auch mit aller Kraft an diese Halluzinationen und so weiter glaubt, und es sei daher ganz unmöglich, in Wahrheit eine Unterscheidung zu finden zwischen den Halluzinationen, Wahn-Ideen und so weiter und dem, was sich so beim Geistesforscher einstellt. - Warum sollte man das, wozu der Geistesforscher auf diese Weise kommt, nicht auch, zwar als eine raffiniertere, aber doch als eine bloße Halluzination ansehen? Abgesehen davon, daß man sagen kann: Was so im Innern erlebt werde, sei nur subjektiv und könne nicht von einem anderen zu jeder Zeit kontrolliert werden, wie dies zum Beispiel beim physikalischen Experiment der Fall ist.

Nun muß aber darauf hingewiesen werden, daß es durchaus nicht im Charakter aller Wahrheiten liegt, daß sie durch äußere Veranstaltungen gefunden oder auch nur bekräftigt werden können. Man kann sagen, es könnten für jeden, der nur denken will, die Vorstellungen der Mathematik im äußersten Sinne dafür überzeugend sein, denn sie werden im Innern gewonnen. Wir brauchen, um das einzusehen, nicht auf höhere, sondern nur auf die gewöhnliche Vorstellung, dreimal drei ist neun, hinzuweisen. Um das einzusehen, bedarf es nur eines inneren Vorstellens der Seele, und es ist nichts weiter als eine Versinnlichung, wenn sich jemand zum Beispiel durch dreimal drei Erbsen veranschaulicht, daß dreimal drei neun ist. Es hängt von der inneren Seelenentwickelung ab, wenn jemand die Erkenntnis hat, daß dreimal drei neun ist, und er braucht sie sich durch einen äußeren Vorgang nicht erst zu bekräftigen. Er weiß, was er erlebt hat, er weiß es ohne jede äußere Kontrolle. Es gibt also ein inneres Seelenarbeiten, für welches äußere Kontrolle nichts weiter als Veranschaulichung ist, die sich in dem Veranschaulichten erschöpft, und dem man es ansieht, daß dieses innerlich Durchzumachende wahr ist. In einer ganz ähnlichen Weise, nur auf höherer Stufe, wird der Unterschied erlebt zwischen Irrtum und Wahrheit der übersinnlichen Welt. Der Geistesforscher muß alle die Dinge durchmachen wollen, die ihn zur Erkenntnis führen können: wo hören Halluzinationen, Visionen und Illusionen auf, und wo beginnt die übersinnliche Realität? Wo das eine aufhört und das andere beginnt, das kann nur auf eine ähnliche Weise eingesehen werden, wie die mathematischen Wahrheiten eingesehen werden können. Aber es kann eingesehen werden. Wer ein wirklicher Geistesforscher ist und die Natur, die wirklich zur Geistesforschung hinführt, kennt, der wird ohnedies nicht die Welt mit seinen Visionen unterhalten, und wenn Sie jemanden finden, der die Menschen über die übersinnliche Welt dadurch unterhält, daß er von seinen Visionen mitteilt, so können Sie immer voraussetzen, daß er von einem wahren Geistesforscher sehr weit entfernt ist. Denn der wahre Geistesforscher weiß, daß alles imaginäre, visionäre Leben, das man in der äußeren Welt kennt, nichts als eine Vorstellung des eigenen Seelenlebens ist, daß es nichts anderes darstellt als ein Hinausprojizieren der eigenen Seele in den eigenen Raum. Und nicht in diesem Raum, nicht in dem, was man eigentlich meint, wenn man von dem Vorstellen des Geistesforschers als ein Nichtkenner spricht, liegt das, was seine Wissenschaft begründet, sondern in demjenigen, was erst hinter diesem Vermeintlichen liegt, nachdem er ganz den Vorgang durchgemacht hat, wie sich das Seelenleben verobjektiviert und wie dann die Wand durchbrochen wird, welche sich zuerst als eine Widerspiegelung unserer inneren Seelenvorgänge aufrichtet.

Gerade das ist für den Geistesforscher wichtig, daß er das Wesen der Halluzinationen, der Visionen und Illusionen in ihrem Zusammenhange mit dem inneren seelischen Leben erkannt hat und sich lange genug sagen kann: Was so erscheint, ist nicht als das objektiv Maßgebende, sondern rein als innere Seelenvorgänge aufzufassen. Und es gehört nicht so sehr zu den Anforderungen einer wirklichen geisteswissenschaftlichen Schulung, durch gewisse Verrichtungen, die man in dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» nachlesen kann, die Seele dazu zu bringen, daß sie frei vom Leibe Erlebnisse hat, daß sie aus dem Leibe heraustritt; sondern wichtiger ist es, daß die Seele über diese Erlebnisse außerhalb des physischen Leibes, im rein Geistigen, ein richtiges Urteil gewinnt. Von einem gewissen Punkt ab weiß die Seele durch das, was sie erlebt, daß sie nicht mehr subjektive Vorgänge erlebt, sondern daß sie ihre Subjektivität abgestreift hat und in ein Objektives hineinkommt, das für jeden objektiv ist, wie das Mathematische objektiv ist, trotzdem man seine Beweiskraft nur im Innern erleben kann. Der Fehler, den die Menschen machen, die an ihre Illusionen glauben, besteht darin, daß sie nicht lange genug die Widerstandskraft gegen die illusionäre Welt aufrechterhalten können, daß zu früh der Glaube eintritt an das, was sie erleben, daß sie sich von ihren Erlebnissen nicht lange genug sagen: Das erscheint zunächst nur als eine Widerspiegelung von dir selbst, und erst wenn du alles Subjektive von dir abgestreift hast, wie du es bei der Mathematik machen mußt, trittst du in die Sphäre der objektiven Wirklichkeit ein. So entfällt auch der Einwand, daß man es bei den geistesforscherischen Erlebnissen mit etwas Subjektivem zu tun hat. Man hat es ebensowenig mit etwas Subjektivem zu tun, wie man es bei mathematischen Wahrheiten damit zu tun hat. Wenn Geisteswissenschaft mitgeteilt wird, so handelt es sich nicht eigentlich darum, Beweise zu liefern. Wenn es sich darum handelt, so muß man vor allem das Wesen des Beweises verstehen. Wenn es niemals in der Welt vorgekommen wäre, daß jemand einen Walfisch gesehen hätte, so würde niemand beweisen können, daß es einen Walfisch gibt. Aus allen Kenntnissen, die er hat, würde er nie das Dasein eines Walfisches beweisen können, denn ein Walfisch ist eine Tatsache, und Tatsachen kann man nicht beweisen, sondern man kann sie nur erleben. Damit ist etwas außerordentlich Gewichtiges über die Logik gesagt, aber man muß sich erst von diesem Gewichtigen überzeugen.

Von diesem Gesichtspunkte aus handelt es sich bei den Mitteilungen der Geistesforschung auch nicht darum, daß man Beweise für die übersinnliche Welt oder zum Beispiel für die Unsterblichkeit der Seele liefert, sondern um etwas ganz anderes. Davon werden sich diejenigen überzeugen, die eine längere Zeit den wahren Betrieb der Geistesforschung mitmachen. Nicht um ein logisches Spintisieren handelt es sich, sondern um ein Kennenlernen, um ein Mitteilen der übersinnlichen Tatsachen. Wenn der Geistesforscher durch die schon geschilderte Entwicklung der Seele in die Lage gekommen ist, daß er das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt überblickt, so handelt es sich darum, daß er dann die Tatsachen, welche er für das Leben der Seele in der Zeit zwischen dem Tode und der nächsten Geburt anzuführen hat, mitteilt, daß er mitteilt, was er in der übersinnlichen Welt erlebt. Um Mitteilung von Erlebnissen, von Tatsachen, die er in seiner Seele durchwandert, handelt es sich.“ (Lit.: GA 62, S. 61ff)

Physikalische Tatsachen

Die klassische Physik beschreibt die Welt als streng determinierte, also lückenlos kausal bestimmte Folge von Tatsachen - oder wie es Ludwig Wittgenstein in seinem berühmten «Tractatus logico-philosophicus» ausgedrückt hat: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.[1]. Die moderne Quantenphysik zeigt demgegenüber auf, dass dem Weltgeschehen ein zwar streng gesetzmäßig bestimmtes, aber letztlich unendliches Feld von Möglichkeiten zugrundeliegt, aus dem sich erst durch den Messvorgang bzw. durch Wechselwirkung einzelne, nicht kausal vorherbestimmte - und in diesem Sinn „zufällige“ - reale Tatsachen herauskristallisieren. Die Welt ist daher ursprünglich reine Potentialität, die erst durch entsprechende schöpferische Akte nach und nach verwirklicht wird, wie es in etwa der von Aristoteles begründeten und in der Scholastik namentlich von Thomas von Aquin weiterentwickelten Lehre von Akt und Potenz entspricht.

Kontrafaktizität

Behauptungen die den Tatsachen widersprechen sind kontrafaktisch (lat. gegen die Fakten). Kontrafaktizität ist ein in der Philosophie und Wissenschaft oft bewusst gebrauchtes Mittel um Hypothesen und Theorien gedanklich zu entwickeln bzw. auf ihren Realitätsgehalt zu überprüfen.

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus 1