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Erleben

Aus AnthroWiki

Das Erleben des Menschen ist ein seelischer Vorgang mit hohem Gefühls- und Willensanteil, durch den sich das individuelle Ich mit einem erlebten Seeleninhalt so innig verbindet, dass im Erlebnis die in der bloßen Beobachtung gegebene Subjekt-Objekt-Spaltung weitgehend überwunden wird. Kinder gehen noch ganz in diesem Erleben auf. Das Ich taucht unmittelbar in die Wirklichkeit ein und fühlt sich nicht abgetrennt von der Welt. Ein wirklich bewusstes Erleben entsteht aber erst, wenn es mit dem klaren intuitiven Denken erfasst wird. Dazu muss das Ich-Bewusstsein voll erwacht sein. Wird das Erlebnis nur gefühlsmäßig empfunden, hat es nur traumartigen Charakter und wenn es nur den Willen ergreift, bleibt es zunächst unterbewusst.

Das Erlebnis kommt uns daher nicht notwendigerweise direkt im Moment des Erlebens zu Bewusstsein (oft sind geistige Erfahrungen dabei), sondern oft erst sehr viel später. Es prägt sich dem Ätherleib ein. Wir er-leben es im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade dadurch wirkt es aber viel stärker in unserem ganzen Wesen als das, was wir bloß nüchtern distanziert beobachten. Vieles, was wir als kleines Kind erleben und was uns tief beeindruckt und unser späteres Erdenleben wesentlich mitbestimmt, wird uns erst im hohen Alter aus der Erinnerung heraus - d.h. aber als bloßes Bild - bewusst. All die vielen geistigen Erlebnisse, die jeder Mensch jede Nacht im Schlaf durchlebt, kommen heute den meisten Menschen während des irdischen Lebens überhaupt nicht oder wenigstens nicht klar zu Bewusstsein, sondern zeigen sich in ihrer wahren Bedeutung erst nach dem Tod. Auch das Todeserlebnis selbst, das unmittelbar im Moment des Todes auftritt, wird dem Menschen erst später im Leben zwischen Tod und neuer Geburt bewusst. Das geistige Licht, das im Moment des Todes in Überfülle aufleuchtet, blendet zunächst das Bewusstsein völlig. Erst nachdem es gelungen ist, das strahlende Weisheitslicht genügend herabzudämpfen, tritt das Todeserlebnis ins Bewusstsein.

Erleben und Gefühl

Wahrnehmung und Denken sind im Erleben immer auch vom Gefühl begleitet und werden dadurch auf die konkrete Individualität bezogen. "Das Gefühl ist das Mittel, wodurch die Begriffe zunächst konkretes Leben gewinnen." (Lit.: GA 4, S. 110)

"Das Denken ist das Element, durch das wir das allgemeine Geschehen des Kosmos mitmachen; das Fühlen das, wodurch wir uns in die Enge des eigenen Wesens zurückziehen können. Unser Denken verbindet uns mit der Welt; unser Fühlen führt uns in uns selbst zurück, macht uns erst zum Individuum. Wären wir bloß denkende und wahrnehmende Wesen, so müßte unser ganzes Leben in unterschiedloser Gleichgültigkeit dahinfließen. Wenn wir uns bloß als Selbst erkennen könnten, so wären wir uns vollständig gleichgültig. Erst dadurch, daß wir mit der Selbsterkenntnis das Selbstgefühl, mit der Wahrnehmung der Dinge Lust und Schmerz empfinden, leben wir als individuelle Wesen, deren Dasein nicht mit dem Begriffsverhältnis erschöpft ist, in dem sie zu der übrigen Welt stehen, sondern die noch einen besonderen Wert für sich haben." (Lit.: GA 4, S. 108)

"Eine wahrhafte Individualität wird derjenige sein, der am weitesten hinaufreicht mit seinen Gefühlen in die Region des Ideellen. Es gibt Menschen, bei denen auch die allgemeinsten Ideen, die in ihrem Kopfe sich festsetzen, noch jene besondere Färbung tragen, die sie unverkennbar als mit ihrem Träger im Zusammenhange zeigt. Andere existieren, deren Begriffe so ohne jede Spur einer Eigentümlichkeit an uns herankommen, als wären sie gar nicht aus einem Menschen entsprungen, der Fleisch und Blut hat." (Lit.: GA 4, S. 110)

Ein Erlebnis im engeren Sinn hebt sich aus den alltäglichen Erfahrungen und insbesondere aus bloß abstrakten Erkenntnissen durch seine größere Intensität, seinen Gefühls- und Willensgehalt, seinen reichen Inhalt und seine hemmende oder fördernde Wirkung für die individuelle Entwicklung heraus. Derartige Erlebnisse wirken verwandelnd bis in den Ätherleib. Von besonderer Bedeutung für den Menschen ist heute das Denk-Erlebnis und das damit verbundene Ich-Erlebnis.

Auch Tiere sind des Erlebens fähig, doch sitzen ihre Erlebnisse stets unmittelbar im Astralleib, da sie kein individuelles Ich, sondern nur ein Gruppen-Ich haben. Daher kann auch kein Selbstbewusstsein das Erleben begleitet. Insofern der Mensch auch noch rudimentär diesen tierischen Bewusstseinzustand in sich trägt, kann er im Erleben auch sein Selbstbewusstsein verlieren bzw. herabdämpfen. Dieses Bewusstsein steht aber tiefer als das normale Tagesbewusstsein und ähnelt dem Traumzustand. Es gibt also Erlebnisse höherer und solche niederer Art.

Die Pflanzen, die weder ein individuelles Ich, noch einen eigenen Astralleib besitzen, verfügen zwar, da sie einen eigenen Ätherleib haben, über ein reiches, wucherndes Leben, aber über kein bewusstes Erleben.

"Wenn wir die Pflanzen betrachten, müssen wir ihnen einen Ätherleib zuschreiben. Steigen wir hinauf von den Pflanzen zu den empfindenden Wesen, den Tieren, so ist es das Element des Empfindens, des inneren Erlebens, welches das Tier von der Pflanze unterscheidet. Wenn wir uns nun fragen, was muß sich eingliedern dem tierischen Organismus, damit er hinaufgehoben werden kann von den bloßen Lebensvorgängen zu Empfindungen, die die Pflanzen noch nicht haben, so ist die Antwort: Soll die bloße Lebenstätigkeit, die sich noch nicht verinnerlichen kann, noch nicht zur Empfindung entzünden kann, sich zur Empfindung, zum innerlichen Erleben entzünden können, so muß sich in den tierischen Organismus eingliedern der Astralleib. Und in dem Nervensystem, das die Pflanzen noch nicht haben, müssen wir den äußeren Ausdruck, das Werkzeug des Astralleibes sehen. Der Astralleib ist das geistige Urbild des Nervensystems. Wie das Urbild zu seiner Offenbarung, zu seinem Abbild, so verhält sich der Astralleib zu dem Nervensystem.

Wenn wir nun mit unserer Betrachtung beim Menschen einsetzen - und ich habe schon gestern gesagt, daß wir es im Okkultismus nicht so gut haben wie die äußere wissenschaftliche Betrachtungsweise, daß wir nicht sozusagen alles durcheinanderwerfen können -, dann müssen wir, wenn wir die menschlichen Organe betrachten, uns immer bewußt sein, daß diese Organe oder Organsysteme zu etwas gebraucht werden können, wozu die analogen Organsysteme im tierischen Organismus, wenn sie auch ähnlich ausschauen, nicht gebraucht werden können. Beim Menschen müssen wir das Blut als äußeres Werkzeug für das Ich ansehen, für alles, was wir als unser innerstes Seelenzentrum, das Ich, bezeichnen. So haben wir im Nervensystem ein äußeres Werkzeug des Astralleibes und in unserem Blut ein äußeres Werkzeug des Ich. Geradeso wie das Nervensystem im Organismus in gewisse Beziehungen tritt zum Blut, so treten diejenigen inneren Seelengebilde, die wir als unsere Vorstellungen, Wahrnehmungen, Empfindungen und so weiter erleben, in eine Beziehung zu unserem Ich. Das Nervensystem ist in der mannigfaltigsten Weise im menschlichen Organismus differenziert. Es zeigt sich uns als die inneren Nervenstränge, da, wo es sich aufschließt zum Beispiel zu Gehörnerven, Gesichtsnerven und so weiter. Das Nervensystem ist also etwas, was sich durch den Organismus so hinerstreckt, daß es in der mannigfaltigsten Weise differenziert ist, innere Mannigfaltigkeiten enthält. Wenn wir das Blut, durch den Organismus durchströmend, betrachten, so zeigt es sich uns - wenn wir absehen wollen von der Veränderung von rotem in blaues Blut — im ganzen Organismus doch als einheitliches Blut. Als ein solches Einheitliches tritt es dem differenzierten Nervensystem entgegen, wie das Ich dem Seelenleben entgegentritt, das sich gliedert in Vorstellungen, Empfindungen, Willensimpulse, Gefühle und dergleichen. Je weiter Sie diesen Vergleich verfolgen werden — und das soll ja zunächst auch nur vergleichsweise gesagt sein - , desto mehr wird sich Ihnen zeigen, daß eine weitgehende Ähnlichkeit besteht in der Beziehung der beiden Urbilder Ich und Astralleib zu ihren Abbildern, ihren Werkzeugen: Blutsystem und Nervensystem." (Lit.: GA 128, S. 38ff)

Leibfreies Erleben

Ein leibfreies Erleben, das sich weder der Sinne noch des an das Gehirn gebundenen Verstandes bedient, ist die unabdingbare Voraussetzung für jede rein geistige Erfahrung und eine auf diese aufbauende, auf erster Stufe schon durch das reine Denken zu gewinnende geistige Erkenntnis, die durch den geistigen Schulungsweg zur Imagination, Inspiration und Intuition gesteigert werden kann.

Übersinnliche Erlebnisse

"Die geistigen Ereignisse und Wesenheiten dringen an den Menschen heran, wenn er seine Seele dazu bereitet hat, sie wahrzunehmen. Die Art, wie sie herandringen, ist durchaus verschieden von dem Auftreten physischer Tatsachen und Wesenheiten. Man kann aber eine Vorstellung von diesem ganz andersartigen Auftreten gewinnen, wenn man den Vorgang der Erinnerung sich vor die Seele stellt. - Man hat vor mehr oder weniger langer Zeit etwas erlebt. Es taucht in einem bestimmten Augenblicke - durch diesen oder jenen Anlaß - aus dem Untergrunde des Seelen- Erlebens herauf. Man weiß, daß das so Aufgetauchte einem Erlebnis entspricht; und man bezieht es auf dieses Erlebnis. In dem Augenblick der Erinnerung hat man abti gegenwärtig von dem Erlebnis nichts anderes als das Erinnerungsbild. - Man denke sich nun in der Seele auftauchend ein Bild in solcher Art, wie ein Erinnerungsbild ist, doch so, daß dies Bild nicht etwas vorher Erlebtes, sondern etwas der Seele Fremdes ausdrückt. Man hat sich damit eine VorStellung davon gebildet, wie in der Seele die geistige Welt zunächst auftritt, wenn diese Seele genügend dazu vorbereitet ist." (Lit.: GA 017, S. 15f)

"Die übersinnliche Welt ist zunächst als etwas ganz außer dem gewöhnlichen Bewußtsein Liegendes vorzustellen. Dieses Bewußtsein hat gar nichts, wodurch es an diese Welt herandringen kann. Durch die in der Meditation verstärkten Kräfte des Seelenlebens wird zuerst eine Berührung der Seele mit der übersinnlichen Welt geschaffen. Dadurch tauchen aus den Fluten des Seelenlebens die gekennzeichneten Bilder herauf. Diese sind als solche ein Tableau, das eigentlich ganz von der Seele selbst gewoben wird. Und zwar wird es gewoben aus den Kräften, welche sich die Seele in der sinnlichen Welt erworben hat. Es enthält als Bildgewebe wirklich nichts anderes, als was sich mit Erinnerung vergleichen läßt. - Je mehr man sich für das Verständnis des hellsichtigen Bewußtseins dieses klar macht, desto besser ist es. Man wird sich dann über die Bildnatur keiner Illusion hingeben. Und man wird dadurch auch ein rechtes Gefühl dafür ausbilden, in welcher Art man die Bilder auf die übersinnliche Welt zu beziehen hat. Man wird durch die Bilder in der übersinnlichen Welt lesen lernen." (Lit.: GA 017, S. 18)

Erst allmählich kommt man vom bloßen Bildcharakter an die Wirklichkeit des Erlebten heran. Dazu müssen die Erkenntnisstufen von Imagination, Inspiration (das „okkulte Lesen“) und Intuition durchschritten werden. Im wirklichen vollen Erleben taucht das Ich intuitiv in das lebendige Weben des Erlebten ein und verbindet sich damit, ohne aber deshalb sein Selbstbewusstsein zu verlieren, das als stets gegenwärtige Erinnerung das Erleben begleitet. Der Bewusstseinsinhalt bleibt dadurch nicht bloßes Bild, sondern erweist sich als wirksame Wirklichkeit. Das Eigendenken, das Denken über das Erlebte, tritt dabei völlig in den Hintergrund, indem sich nun das Seelenleben ganz nach der inneren Ordung des Erlebten gestaltet. Diese kann später im Nachdenken bewusst erfasst werden. Der Mensch tritt in einen höheren und wacheren Bewusstseinszustand ein, als er durch das bloße Gegenstandsbewusstsein gegeben ist. Der erlebte Seeleninhalt, das Erlebnis, kann dabei mannigfaltiger Natur und mannigfaltigsten Ursprungs sein. Dazu gehören alle sinnlichen und übersinnlichen Wahrnehmungen, Gedanken, Ideen und Erkenntnisse, Vorstellungen, Erinnerungen, Gefühle, Emotionen, Triebe und Begierden, und Willensimpulse. Sie leben als Bewusstseinsinhalte vorwiegend in den seelischen Wesensgliedern, die in den Astralleib eingebettet sind, teilweise aber auch im Astralleib selbst.

"Nun ist gut, wenn man die ersten Schritte der Initiation in die höheren Welten hinaufrückt, daß man unterscheiden lernt zwischen einem ersten Schritt und einem folgenden Schritt. Es ist nicht gut, wenn man diese Unterscheidung nicht machen lernt. Sie besteht im wesentlichen darin, daß man sich am besten orientieren lernt in den höheren Welten, wenn man zu den ersten Erinnerungsvorstellungen, die man da hinüberträgt und die einen an das Sinnensein erinnern, nicht die Vorstellung des eigenen physischen Leibes und seiner Gestalt hat. Es ist eben eine Erfahrung, daß es besser ist. Und jeder, der Rat geben soll für diejenigen Übungen, die gemacht werden sollen, um die ersten Schritte der Initiation herbeizuführen, sieht darauf, daß zu den ersten Erinnerungsvorstellungen nach Überschreiten der Grenze, nach dem Vorbeigelangen an dem Hüter der Schwelle nicht eine Anschauung der physischen Leibesform gehört, sondern daß die ersten Erinnerungsvorstellungen im wesentlichen solche sind, die man zusammenfassen könnte mit der Bezeichnung: moralisch- intellektuelle Empfindung seiner selbst. Das sollte man zuerst empfinden, wie man sich moralisch zu taxieren hat, sollte empfinden, welche moralischen oder unmoralischen Neigungen man hat, welches Wahrheitsgefühl oder Oberflächlichkeitsgefühl man hat, empfinden also, wie man sich zu bewerten hat als Seelenmensch. Das ist es, was als erste Empfindung auftritt. Es tritt nicht so auf, daß man den Ausdruck dafür am besten wählt mit Worten, die dem Sinnensein entnommen sind, denn es ist das Erleben viel intensiver mit uns verbunden, als im Sinnensein etwas Ähnliches ist, wenn man eben hineintritt in die geistige Welt. Nachdem man etwas getan hat, womit man moralisch nicht einverstanden sein kann, erfüllt sich das ganze Innensein, das man da hat, wie mit einer Bitternis, wie mit etwas, was sich in die Welt, in welche man sich da hineingelebt hat, ausbreitet, was diese Welt erfüllt mit einem Aroma von Bitternis, wobei ich nicht zu denken bitte an ein sinnliches Aroma, aber man fühlt herankommen ein Durchdrungensein mit einem Aroma von Bitternis. Was man moralisch rechtfertigen kann, ist mit einem sympathischen Aroma erfüllt. Man könnte auch sagen: dunkel, finster ist die Sphäre, in die man hineinkommt, wenn man mit etwas nicht einverstanden war, licht und hell ist die Sphäre der Welt, in die man hineinkommt, wenn man mit sich zufrieden sein kann. So also sollen sein, damit man sich gut orientieren kann, die Bewertungen moralischer oder intellektueller Art, die man sich angedeihen lassen kann und die einem wie der Luftkreis die Welt erfüllen, in die man eintritt. So ist es am besten, wenn man eben seelisch diese Welt empfindet, und wenn erst, nachdem man sich vertraut und bekannt gemacht hat mit diesem seelischen Erfühlen - sagen wir des geistigen Raumes - , die Erinnerung auftritt, die ganz die Form und Gestalt haben kann auch dessen, was physische Leibesform im Sinnensein ist, so daß sich einem diese gleichsam hineinstellt in die neu gewonnene moralische Atmosphäre." (Lit.: GA 138, S. 85f)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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