Thomas von Aquin

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Thomas von Aquin (postumes Gemälde von Carlo Crivelli, 1476)

Thomas von Aquin (auch Thomas Aquinas oder Tommaso d'Aquino, * um 1225 auf Schloss Roccasecca bei Neapel in Italien; † 7. März 1274 in Fossanova) war Dominikaner und einer der einflussreichsten Philosophen und Theologen der Geschichte. Er gehört zu den bedeutendsten der 35 katholischen Kirchenlehrer und ist als solcher unter verschiedenen Beinamen wie etwa Doctor Angelicus[1] bekannt. Seiner Wirkungsgeschichte in der Philosophie des hohen Mittelalters nach zählt er zu den Hauptvertretern der Scholastik. Er hinterließ ein sehr umfangreiches Werk, das die Grundlage des Thomismus bildete und das etwa im Neuthomismus als geistiger Kern der Neuscholastik bis in die heutige Zeit nachwirkt. In der römisch-katholischen Kirche wird er als Heiliger verehrt.

Bedeutung für die Geisteswissenschaften

Thomas hat die naturwissenschaftliche Herangehensweise der Antike, vor allem von Aristoteles, mit dem Christentum vereint. Er musste die wissenschaftliche Herangehensweise, das systematische Fragen und Beantworten, Kategorisieren und Katalogisieren, in der gläubigen Welt der mittelalterlichen Klöster und der ersten Universitäten einbürgern. Die moderne geisteswissenschaftliche Tradition, die dadurch entstand, gilt es heute für Rudolf Steiner und die, die ihm folgen, andersherum im Banne eines echten Interesses für die tiefsten Tatsachen zu halten.

„Derjenige, der heute nach dem Muster der landläufigen Begriffe Philosoph ist, Wissenschafter überhaupt ist, der sagt: Nun ja, der Aristoteles ist ein alter abgetaner Mensch; die Thomistik, die Philosophie des Thomas von Aquino, die gehört dem Mittelalter an. - Anthroposophie weiß, daß aus den Bedingungen und Impulsen des heutigen Zeitgeistes etwas Besonderes hervorgehen muß; sie will nicht, was für eine frühere Epoche das Richtige war, in die heutige Epoche hereinsetzen. Aber sie versteht aus den Bedingungen jener Epochen heraus dasjenige, was nur jene Epochen gewähren konnten. Und sie versteht das nicht bloß äußerlich, sie versteht es innerlich wesenhaft; sie versteht es so wesenhaft, daß sie sich sagt: In der thomistischen Philosophie, die im wesentlichen eine Dienerin, eine Gefährtin des damaligen Christentums war, liegt etwas vor, was nur aus dem Geiste jener Zeit hervorgehen konnte. Man muß, wenn man tüchtig werden will, hineinfinden in das, was nur aus dem Geiste jener Zeit, nicht aus dem Geiste unserer Zeit hervorgehen kann. Anthroposophie betrachtet es daher nicht als ein bloß historisches Studium, sich einzulassen auf den Thomismus, sondern sie betrachtet das, was man durch den Thomismus bekommt, als etwas, das man nur durch ihn bekommen kann. Das ist sehr wichtig. Denn das bringt nicht jene verwaschene, nebulose Toleranz hervor, von der man heute so vielfach spricht, sondern es bringt jene innere, verständnisvolle Toleranz hervor, welche zwar ganz auf dem Boden der Entwickelung steht, aber dasjenige, was sich einmal entwickelt hat, nicht als etwas Abgetanes betrachtet, sondern es gelten läßt an seiner Stelle, es auch in seiner sich fortentwickelnden Wirklichkeit gelten läßt. Manche Dinge müssen in der Natur, manche Dinge müssen im geistigen Leben sich so entwickeln wie Pflanzen, die nur ein einjähriges Dasein haben: Sie entwickeln dieses einjährige Dasein, entwickeln dann ein anderes einjähriges Dasein. Andere Pflanzen aber entwickeln fort von einem Jahr in das andere hinein, was als Holz da ist; sie sind Dauerpflanzen. So auch ist es in der geistigen Kultur. Manches muß in der geistigen Kultur weiterlaufen, muß in der späteren Zeit aufgegriffen werden von denen, die sich wirklich solidarisch fühlen wollen mit der Gesamtentwickelung der Menschheit.“ (Lit.:GA 72, S. 87ff)

Leben

Thomas von Aquin, auch „Thomas Aquinas“ oder kurz der „Aquinat“ bzw. nur „Thomas“ genannt, wurde kurz vor oder kurz nach Neujahr 1225 im Schloss Roccasecca, von Aquino 9 km entfernt, als siebter Sohn des Herzogs Landulf aus dem feudalen Hochadel von Aquino geboren. Als Thomas noch ein Kind war, schlug in seiner unmittelbaren Nähe ein Blitz ein und tötete sein Schwesterchen. Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass durch dieses Elementarereignis Thomas ein Abbild des Astralleibs des Christus einverwoben wurde.

"Nehmen wir jetzt den andern großen Vertreter des Christentums: Thomas von Aquino. Vergleichen wir ihn mit Augustinus, so sehen wir, daß er nicht wie dieser in Irrtümern befangen war, und daß er seit den Kinderjahren weder Zweifel noch Unglauben gekannt hat, weil Urteil und Überzeugung ihren Sitz im Astralleib haben, und er in seinen eigenen Astralleib denjenigen des Christus einverwoben bekommen hatte. Eine Einpflanzung irgendeines Prinzips in einen Menschenleib kann nur stattfinden, wenn eine äußere Tatsache den natürlichen Lauf der Dinge ändert. Als Thomas nämlich noch ein Kind war, schlug der Blitz in seiner Nähe ein und tötete sein Schwesterchen. Dieses physische, nur scheinbar physische Ereignis machte ihn geeignet, in seinen Astralleib denjenigen des Christus zu empfangen." (Lit.: GA 109, S. 73)

"Manchmal müssen bei diesem Einverweben auch äußere Geschehnisse, es müssen zum Beispiel Naturkatastrophen oder ähnliches mithelfen. So wird von Thomas von Aquino erzählt, daß der Blitz einschlägt in den Raum, in dem er sich befindet, und das Schwesterchen in der Wiege neben ihm tötet, ihn aber verschont. Für ihn bedeutet dieses Einschlagen des Blitzes neben ihm, daß die Kraft, die aus den Elementen stammt, mithilft, um ihn aufnehmen zu lassen die Kopie des Astralleibes des Jesus von Nazareth." (Lit.: GA 109, S. 156)

Monte Cassino

Mit fünf Jahren wurde Thomas in das benediktinische Kloster Monte Cassino geschickt, wo der Bruder seines Vaters, Sinibald, als Abt wirkte. Thomas' Familie folgte damit der Tradition, den jüngsten Sohn der Familie in ein geistliches Amt zu geben. Es lag im Interesse der Familie, dass Thomas seinem Onkel nachfolgte. 1244 trat er jedoch gegen den Willen seiner Verwandten bei den erst jüngst als Bettelorden gegründeten Dominikanern ein. Der Orden entsandte ihn zunächst nach Rom und später, um ihn dem politischen Einfluss seiner Eltern zu entziehen, nach Paris. Auf dem Weg dorthin wurde er jedoch von seinen im Auftrag der Mutter handelnden Brüdern überfallen und auf die Burg Monte San Giovanni Campano gebracht und dort zwei Jahre lang im Schlossturm gefangen gehalten. Die Familie versuchte ihn mit allen Mitteln umzustimmen, doch das vermochte nicht einmal ein Mädchen, das sie ihm brachten: der Gefangene nahm ein glühendes Holzscheit und fuchtelte damit so lange vor ihr herum, bis sie schreiend die Flucht ergriff. Da Thomas unerschütterlich fest bei seinem Entschluss blieb, Mitglied der Dominikaner zu bleiben, gab die Familie schlussendlich nach. Um ihr Gesicht zu wahren, wurde ein Überfall vorgetäuscht und Thomas konnte in seinen Orden zurückkehren.

An der Universität Paris studierte er von 1245 bis 1248 bei Albertus Magnus, dem er dann nach Köln folgte. Von 1248 bis 1252 war er dort Student und Assistent des Albertus. Ab 1252 war er wieder in Paris, wo er von 1252 bis 1256 als Sentenzenbakkalareus erste eigene Lehrveranstaltungen über die Sentenzen des Petrus Lombardus hielt. Von 1256 bis 1259 lehrte er in Paris als Magister der Theologie. 1259 kehrte er nach Italien zurück und lehrte zunächst in Neapel (was allerdings nicht gesichert ist) und dann 1261 bis 1265 als Konventslektor des Dominikanerkonvents in Orvieto.

Seit etwa 1260 war Reginald von Piperno sein lebenslanger Hauptsekretär und Begleiter (Socius continuus). Der schier unglaublichen Menge seiner Schriften nach zu urteilen liegt es nahe, dem Zeugnis seines Hauptsekretärs zu glauben: Demnach habe der Aquinat immer drei oder vier Sekretären gleichzeitig diktiert.

Von 1265 bis 1268 war Thomas Magister in Rom, wo er mit der Abfassung der Summa Theologiae begann. Im November 1268 beendete er seine Tätigkeit im Santa Sabina studium provinciale, dem Vorläufer des studium generale im Konvent Santa Maria sopra Minerva, das im 16. Jahrhundert in das Kollegium St. Thomas (lat. Collegium Divi Thomæ) und dann im 20. Jahrhundert in die Päpstliche Universität Heiliger Thomas von Aquin umgewandelt wurde.

In Viterbo, wo von 1257 bis 1281 insgesamt acht Päpste fast ohne Unterbrechung residierten, fand nach dem Tod von Papst Clemens IV. vom 30. November 1268 bis zum 1. September 1271 das bislang längste Konklave der Kirchengeschichte statt. Von hier brach Thomas Ende 1268 gemeinsam mit seinem Schüler Nicholas Brunacci (1240-1322) und Reginald von Piperno nach Paris auf, wo er bis 1272 zum zweiten Mal als Magister lehrte. In dieser Zeit entstanden besonders viele seiner Schriften, unter anderem der größte Teil der Summa Theologiae und die meisten seiner Aristoteles-Kommentare. Im Frühjahr 1272 verließ er Paris. Von Mitte 1272 bis Ende 1273 unterrichtete er als Magister in Neapel und baute hier eine Dominikanerschule auf.

Am Nikolaustag 1273 soll Thomas laut Reginald von Piperno während der Heiligen Messe eine mystische Erfahrung gemacht haben, die ihm alles bisher Geschriebene wie trockenes Stroh erscheinen ließ; er soll draufhin keine weiteren Schriften verfasst haben[2].

Das Kloster Fossanova, wo Thomas von Aquin am 7. März 1274 starb.

Thomas starb am 7. März 1274 auf der Reise zum Zweiten Konzil von Lyon im Kloster Fossanova. Dante (Purg. XX. 69) deutet an, dass Karl I. von Anjou, seit 1266 König von Sizilien, für seinen Tod verantwortlich gewesen sei[3]. Giovanni Villani (IX 218) teilt ein Gerücht mit („si dice“: „man sagt“), demzufolge Thomas von einem Arzt des Königs mit vergiftetem Konfekt ermordet wurde. Nach dieser Darstellung handelte der Arzt zwar nicht im Auftrag des Königs, aber in der Absicht, ihm einen Gefallen zu erweisen, weil er befürchtete, dass ein Mitglied aus dem Geschlecht der gegen Karl rebellierenden Grafen von Aquino in den Kardinalsrang erhoben werden sollte. In unterschiedlichen Versionen, die meist Karl die Verantwortung zuschreiben, wurde das Gerücht vom Giftmord auch in den frühen lateinischen und volkssprachlichen Dantekommentaren kolportiert, die in der Zeit nach Dantes Tod entstanden. Tolomeo da Lucca, ein ehemaliger Schüler und Beichtvater des Aquinaten, spricht in seiner Historia ecclesiastica (L. A. Muratori, Rerum Italicarum Scriptores, Bd. XI, S. 1168-69) nur von einer schweren Erkrankung auf der Reise bei der Ankunft in Kampanien, bietet jedoch keinen Hinweis auf eine unnatürliche Todesursache.

Papst Johannes XXII. sprach Thomas 1323 heilig. 1567 wurde er in den Rang eines Kirchenlehrers erhoben. Seine Gebeine wurden am 28. Januar 1369 nach Toulouse überführt, wo sie seit 1974 wieder in der Kirche des Dominikanerklosters Les Jacobins ruhen. (Von 1792 bis 1974 waren sie in der Basilika Saint-Sernin bestattet.)

Philosophie

Grundsätzliches

Die Argumentationen des Aquinaten stützen sich zu einem großen Teil auf die Lehre von Aristoteles, die er – nicht zuletzt mit Hinsicht auf die der Antike unbekannten theologischen Lehren bzw. Einsichten – ausgebaut hat. In der Philosophie werden seine Kommentare zu Aristoteles noch heute als bedeutsam angesehen:

„Seine Kommentare sind durchweg klarsichtig, intelligent und von großer Einfühlungsgabe. Allein schon der Metaphysik-Kommentar, der eine halbe Million Wörter umfasst, verdient es, als philosophischer Klassiker betrachtet zu werden.“ (Anthony Kenny, Thomas von Aquin)

„Der Thomismus fällt zusammen mit der Zeit, in der der menschliche Verstand, wie wir ihn kennen, sich bildete. Der stärkste Impuls zu dieser Bildung kam vom Arabismus, der eine wirkliche intellektuelle Wissenschaft war, während dagegen die alten Weisen wußten, wodurch es kam, daß sie direkt schauen konnten. Für die Verarbeitung der neuen Philosophie war Aristoteles gut zu gebrauchen, da er schon die Verstandesarbeit der Mysterienweisheit vorgezogen hatte. Letztere verschwand dann vollkommen mit dem Arabismus, der nur eine reine Verstandesspekulation war; die bringt einen höchstens zum Pantheismus der Begriffe (rationalistisch), kommt aber nicht weiter als bis zu diesem Gedanken eines einheitlichen Ganzen. Thomas nun nahm die intellektuelle Wissenschaft auf, die ihm zugänglich war, ließ aber unverändert das Offenbarungswissen und bediente sich der Dialektik, um es zu begreifen. - Im Neuen Testament ist alles enthalten, so daß Thomas demjenigen, was da auseinandergesetzt wird, nur die feingeschliffene Wissenschaft hinzuzufügen brauchte. Die Scholastik, die heutzutage so wenig geschätzt wird, machte diese intellektuelle Wissenschaft möglich, ebenso das sich wieder bis zum göttlichen Gedanken Erheben durch eine fortschreitende Dialektik. Scholastik kommt aus dem Griechischen «scole», bedeutet also «Aufmerkung», was irrtümlich übersetzt wurde in «scuola», Schule. Das scholastische System ist das vollkommenste logische Gewebe. Auf diese Weise finden wir in Thomas aufs neue gedacht die vorschöpflichen göttlichen Gedanken, frei von Irrtum und Täuschung, wie sie nur gedacht werden konnten in einer Klosterzelle, weit entfernt von dem Lärm der Welt. - Der Mensch der Welt beeilt sich zu verstehen, sich schnell eine Auffassung zu eigen zu machen und alles zu vereinfachen. Aber die Gottheit ist nicht so einfach! Mit Thomas von Aquino erhebt sich der menschliche Gedanke. Er ist nicht weniger Mystiker als Scholastiker. Er konnte nämlich solche Beschreibungen geben, weil er die geistigen Hierarchien sah, so wie sie der Seher Dionysius der Areopagite uns gegeben hat, und in seinen langen nächtlichen Meditationen vor dem Altar konnte er die schwersten Probleme lösen. So finden sich in ihm vereinigt der Mystiker und ein Denker so hell wie ein Diamant und nicht von den Sinnen beeinträchtigte.“ (Lit.:GA 109, S. 73f)

„Der Mensch wurzelt im Sinne des Thomas von Aquino mit seinem Seelenleben in der Welt Wirklichkeit; doch kann dieses Seelenleben aus sich selbst heraus diese Wirklichkeit in ihrem vollen Umfange nicht erkennen. Der Mensch könnte nicht wissen, wie sein Wesen in dem Gange der Welt drinnen steht, wenn nicht das Geistwesen, zu dem sein Erkennen nicht dringt, sich zu ihm neigte und ihm auf dem Offenbarungswege mitteilte, was der nur auf ihre eigene Kraft bauenden Erkenntnis verborgen bleiben muß. Von dieser Voraussetzung aus baut Thomas von Aquino sein Weltbild auf. Es hat zwei Teile, den einen, der aus den Wahrheiten besteht, welche sich dem eigenen Gedankenerleben über den natürlichen Verlauf der Dinge erschließen; dieser Teil mündet in einen anderen, in welchem sich das befindet, was durch Bibel und religiöse Offenbarung an die Menschenseele herangekommen ist. Es muß also in die Seele etwas dringen, was ihrem Eigenleben nicht erreichbar ist, wenn sie in ihrem vollen Wesen sich erfühlen will.“ (Lit.:GA 18, S. 92)

„In der Zeit der Scholastiker, während des Thomismus und so weiter, war auch der, welcher als Philosoph wirkte, wenn er seine Begriffe in feiner Begriffskunst ausprägte, im Zusammenhange mit der geistigen Welt. Man kann zum Beispiel bei Thomas von Aquino im dreizehnten Jahrhundert nicht sagen, was in seinen Büchern steht, sei auf eine solche Art gewonnen, wie heute Begriffe und Vorstellungen gewonnen werden. Das wäre falsch vorgestellt. Sondern was in seinen Büchern steht, müssen Sie sich so vorstellen, daß ihn fortwährend ein Geist aus der Hierarchie der Angeloi dazu inspiriert, und daß er dasjenige niederschreibt, was aus dem Bewußtsein eines höheren Geistes kommt.“ (Lit.:GA 176, S. 319)

Metaphysik und Ontologie

Aristoteles ist der wichtigste philosophiehistorische Bezugspunkt des Thomismus

Ein Kernelement der thomistischen Ontologie ist die Lehre von der Analogia entis. Sie besagt, dass der Begriff des Seins nicht eindeutig, sondern analog ist, also das Wort „Sein“ einen unterschiedlichen Sinn besitzt, je nachdem, auf welche Gegenstände es bezogen wird. Danach hat alles, was ist, das Sein und ist durch das Sein, aber es hat das Sein in verschiedener Weise. In höchster und eigentlicher Weise kommt es nur Gott zu: Nur er ist Sein. Alles andere Sein hat nur Teil am Sein und zwar entsprechend seinem Wesen. In allen geschaffenen Dingen muss also Wesen (essentia) und Existenz (esse) unterschieden werden; einzig bei Gott fallen diese zusammen.

Auch die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz ist für das System des Thomas bedeutend. Hierzu heißt es: „Accidentis esse est inesse“, also „Für ein Akzidenz bedeutet zu sein, an etwas zu sein“. In die gleiche Richtung geht sein „Accidens non est ens sed entis“, also „Ein Akzidenz ist kein Seiendes, sondern ein zu etwas Seiendem Gehörendes“.

Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die von Materie und Form. Einzeldinge entstehen dadurch, dass die Materie durch die Form bestimmt wird (siehe Hylemorphismus). Die Grundformen Raum und Zeit haften untrennbar an der Materie. Die höchste Form ist Gott als Verursacher (causa efficiens) und als Endzweck (causa finalis) der Welt. Die ungeformte Urmaterie, d.h. der erste Stoff, ist die materia prima.

Um die mit dem Werden der Dinge zusammenhängenden Probleme zu lösen, greift Thomas auf die von Aristoteles geprägten Begriffe Akt und Potenz zurück. Weil es in Gott keine (substanzielle) Veränderung gibt, ist er actus purus, also reine Wirklichkeit.

Erkenntnistheorie

Zu den besonders bedeutenden Aussagen der thomistischen Erkenntnistheorie gehört ihre Definition der Wahrheit: Gegenstand und Verstand stimmen überein. (Adaequatio rei et intellectus)

Thomas unterscheidet zwischen dem „tätigen Verstand“ (intellectus agens) und dem „rezeptiven oder möglichen Verstand“ (intellectus possibilis). Der tätige Verstand zeichnet sich vor allem durch die Fähigkeit aus, aus Sinneserfahrungen (sowie bereits geistig Erkanntem) universale Ideen bzw. allgemeingültige (Wesens-)Erkenntnisse zu abstrahieren. Dagegen ist es der rezeptive Verstand, der diese Erkenntnisse aufnimmt und 'speichert'.

Hintergrund ist die auf Platon zurückgehende Lehre, dass die konkreten Dinge ihr Sein und vor allem ihr Wesen den Ideen (ideae) verdanken, durch die sie bestimmt werden (vgl. Ideenlehre).

Der tätige Verstand kann durch Abstraktion (wörtl. das Abziehen) der Formen (formae) aus den einzelbestimmten Dingen, deren Wesenheit bzw. Washeit ("quidditas") sowie in weiteren Schritten die Akzidenzien erkennen. Als letzte bzw. erste Ursache des Seins und Soseins der Dinge erkennt der menschliche Geist Gott (siehe unten), in dessen Geist die ewigen Ideen die Vorbilder für die Formen (formae) der Dinge sind.

Anthropologie

Platon empfand noch ganz im orientlisch-vorchristlichen Sinn den Leib als Kerker oder gar als Grab der Seele (griech. τὸ μὲν σῶμά ἐστιν ἡμῖν σῆμα to men soma estin hemin sema, wörtlich: „Der Körper ist für uns ein Grab.“[4]), wodurch sie sich erst im leibfreien Zustand nach dem Tod voll entfalten und in die Ewigkeit aufschwingen könne.

Im Christentum hingegen erscheint - im schroffen Gegensatz dazu - gerade die inhärente und unauflösliche Leibbezogenheit[5] der Seele als ihre zentrale Wesenseigenschaft, die sie erst zur wahrhaft menschlichen Seele macht.

Für Thomas von Aquin ist die wesentlichste Bestimmung der Seele, entsprechend des aristotelischen Hylemorphismus, Form des Körpers zu sein (lat. anima forma corporis)[6]. Thomas lehnte sich damit entschieden gegen den platonisch-neuplatonischen Dualismus auf, der bis heute das Verständnis für das Zusammenspiel von Leib, Seele und Geist erschwert.

Als unsterbliche Substanz bleibe die Seele laut Thomas zwar nach dem Tod erhalten, doch könne sie leiblos nicht ihr volles Potential entfalten und verliere ihr Person-Sein[7], das sie nur im[8] Leib habe. Thomas folgte auch darin den Lehren des Aristoteles und sah in der materia signata vel individualis den konkreten Stoff, die mit bestimmten Ausdehnungs- und Größenverhältnissen ausgestatteten Materie, als das principium individuationis an, durch das sich der Mensch erst als konkrete Person manifestiere.

Die Seele habe daher nach dem Tod eine mindere Daseinsweise als im verkörperten Zustand und erführe ihre Vollendung erst durch die Auferstehung des Leibes, die durch die alles übersteigende Liebe und Gnade Gottes dadurch möglich werde, dass Gott selbst in Jesus Christus Mensch geworden, durch den Tod auf Golgatha geschritten und am dritten Tage wieder auferstanden sei.

Thomas' Anthropologie weist dem Menschen als leiblich-geistiges Vernunftwesen einen Platz zwischen den Engeln und den Tieren zu. Gestützt auf Aristoteles’ De Anima zeigt Thomas, dass die Seele den Geist als Kraft besitze, oder besser gesagt, dass das Erkennen die Form der Seele ist (scientia forma animae), während die Seele wiederum die Form des Leibes sei. Das zeigt sich in der Formulierung anima forma corporis bzw. anima unica forma corporis. Weil der Geist ("intellectus") eine einfache, also nicht zusammengesetzte Substanz ist, kann er auch nicht zerstört werden und ist somit unsterblich. Der Geist kann auch nach der Trennung vom Leib seinen Haupttätigkeiten, dem Denken und Wollen, nachkommen. Die nach der Auferstehung zu erwartende Wiedervereinigung mit einem neuen Leib kann zwar nicht philosophisch, wohl aber theologisch erwiesen werden.[9]

Mit dem zunehmenden Materialismus ist mittlerweile nicht nur das Verständnis für den Geist, sondern auch für die Seele, namentlich für ihr Fortbestehen nach dem Tod, weitgehend verloren gegangen. Diese Entwicklung hat auch vor der zeitgenössischen Theologie nicht haltgemacht, etwa in Form der hauptsächlich von evangelischen Theologen vertretenen Ganztodtheorie oder der in der katholischen Theologie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts immer verbreiteteren Rede von der unmittelbaren Auferstehung im Tod, womit zugleich auch die unsterbliche Seele de facto „abgeschafft“ wird.

Ethik

In der Ethik verbindet Thomas die aristotelische Tugendlehre mit den christlich-augustinischen Erkenntnissen. Die Tugenden bestehen demnach im rechten Maß bzw. dem Ausgleich vernunftwidriger Gegensätze. Das ethische Verhalten zeichnet sich durch das Einhalten der Vernunftordnung aus (siehe Naturrecht bzw. Natürliches Sittengesetz) und entspricht damit auch dem göttlichen Gesetzeswillen. Thomas ergänzte die vier klassischen Kardinaltugenden durch die drei christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung.

Das höchste Gut ist die ewige Glückseligkeit, die – im jenseitigen Leben – durch die unmittelbare Anschauung Gottes erreicht werden kann. Es zeigt sich daran der Primat der Erkenntnis vor dem Wollen.

Politische Philosophie bzw. Staatsdenken

Thomas von Aquin war einer der einflussreichsten Theoretiker für das mittelalterliche Staatsdenken. Dabei sah er den Menschen als ein soziales Wesen, das in einer Gemeinschaft leben muss. In dieser Gemeinschaft tauscht er sich mit seinen Artgenossen aus, und es kommt zu einer Arbeitsteilung.

Für den Staat empfiehlt er die Monarchie als beste Regierungsform, denn ein Alleinherrscher, der mit sich selbst eins ist, kann mehr Einheit bewirken als eine aristokratische Elite. Hier müssen sich mehrere einigen, was immer nur zu einem Kompromiss, also einer Angleichung, einer Anpassung, einer Aufgabe seiner eigenen Meinung und Überzeugung führt. Außerdem ist immer dasjenige am besten, was der Natur entspricht, und in der Natur haben alle Dinge nur ein Höchstes.

Thomas stellt der Monarchie als der besten die Tyrannis als die schlechteste aller denkbaren Regierungsformen gegenüber. Dabei merkt er an, dass aus der Aristokratie leichter eine Tyrannis entstehen kann als aus einer Monarchie.

Um die Tyrannei zu verhindern, muss die Gewalt des Alleinherrschers eingeschränkt sein. Ist sie jedoch einmal eingetreten, so soll sie zunächst ertragen werden, denn es könnte ja auch noch schlimmer kommen (z. B. Anarchie). Der Tyrannenmord ist laut der Lehre der Apostel jedenfalls keine Heldentat:

„Denn es ist eine Gnade, wenn jemand deswegen [d. h. wegen der Tyrannis] Kränkungen erträgt und zu Unrecht leidet, weil er sich in seinem Gewissen nach Gott richtet“ (1. Petrusbrief 2, 19).

So schlussfolgert Thomas, dass es besser ist, gegen eine Bedrückung nur nach allgemeinem Beschluss vorzugehen.

Wie viele Staatsdenker des Mittelalters zieht auch Thomas von Aquin den organischen Vergleich zum Staatsgebilde heran. Hierbei sieht er den König, als Vertreter Gottes im Staat, als Vernunft und Seele für den menschlichen Körper, dessen Glieder und Organe die Bevölkerung darstellen. Seine Erfüllung findet jedes einzelne Glied in der Tugendhaftigkeit (angelehnt an Aristoteles).

Dennoch sieht Thomas das Priestertum über dem Königtum; der Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche steht also in Glaubens- und Sittenfragen über dem König.

Theologie

Benozzo Gozzoli, „Triumph des Hl. Thomas von Aquin über Averroes“ (1468/84). - Thomas sitzt zwischen Aristoteles und Platon, vor ihm liegt niedergeworfen Averroes

Grundsätzliches

Zu den wesentlichen Verdiensten von Thomas gehört, der Theologie den Charakter einer Wissenschaft gegeben zu haben (siehe unten). Zur Klärung der Glaubensgeheimnisse wird dabei die natürliche Vernunft, insbesondere das philosophische Denken des Aristoteles herangezogen. Thomas hat die Gegensätze aufgelöst, die zu seiner Zeit zwischen den Anhängern zweier Philosophen bestanden: denen des Augustinus (der das Prinzip des menschlichen Glaubens betont) und des wiederentdeckten Aristoteles (der von der Erfahrungswelt und der darauf aufbauenden Erkenntnis ausgeht). Thomas zeigt, dass sich diese beiden Lehren nicht widersprechen, sondern ergänzen, dass also einiges nur durch Glauben und Offenbarung, anderes auch oder nur durch Vernunft erklärt werden kann. Vor allem in dieser Synthese der antiken Philosophie mit der christlichen Dogmatik, die gerade auch für die Moderne von unabschätzbarer Bedeutung ist, liegt seine Leistung.

„Einiges nämlich über Gott ist wahr, was über jede Fähigkeit der menschlichen Vernunft hinausgeht, z. B. daß Gott dreifaltig und einer zugleich ist; anderes ist wahr, wozu auch die natürliche Vernunft gelangen kann, z. B. daß Gott ist, daß Gott einer ist und anderes dieser Art, was ja auch die Philosophen, geleitet vom Licht der natürlichen Vernunft, von Gott durch Beweise dargelegt haben.“

Thomas von Aquin: summa contra gentiles Erster Band, I, 3

„Was lag da eigentlich welthistorisch vor als Wesen des Albertinismus und als Wesen des Thomismus? Sehen Sie, für Thomas ist eigentlich charakteristisch und wichtig, daß er, indem er die Vernunft anstrengt, den Gott zu beweisen, zu gleicher Zeit zusetzen muß: Man kommt zu einer Gottesvorstellung, wie sie mit Recht im Alten Testament als Jahve bezeichnet worden ist. - Das heißt, indem Thomas ausgeht von den vernünftigen Wegen, welche die einzelne Menschenseele machen kann, kommt er zu jenem einheitlichen Gotte, den auch das Alte Testament als den Jahve-Gott bezeichnet hat. Will man zu dem Christus kommen, muß man zu dem Glaubensinhalt übergehen; zu ihm kann man nicht durch das kommen, was die menschliche Seele an eigenem Geistigen erlebt.

Nun steckt in den Auseinandersetzungen, gegen die sich die Hochscholastik einfach aus dem Zeitgeiste heraus wenden mußte, in diesen Anschauungen von der doppelten Wahrheit - daß etwas theologisch wahr und philosophisch falsch sein könne —, in ihnen steckt doch noch etwas Tieferes darinnen, was man allerdings in dem Zeitalter nicht überschauen konnte, in dem man überall umgeben war von dem Streben der Menschheit nach Rationalismus, nach Logik; es steckte doch etwas Tiefes dahinter. Es steckte nämlich das Folgende dahinter: daß diejenigen, die von der doppelten Wahrheit sprachen, allerdings nicht der Ansicht waren, daß theologisch Geoffenbartes und durch die Vernunft zu Erreichendes letzten Endes zweierlei ist, sondern vorläufig zweierlei Wahrheiten sind, und daß der Mensch deshalb zu zweierlei Wahrheiten kommt, weil er bis in das Innerste der Seele hinein den Sündenfall mitgemacht hat.

Diese Frage glimmt gewissermaßen in den Untergründen der Seele bis zu Albertus und Thomas hin. In den Untergründen der Seele glimmt die Frage: Ja, haben wir nicht auch in unserem Denken, in dem, was wir als Vernunft in uns sehen, die Erbsünde aufgenommen? Ist es nicht gerade, weil die Vernunft abgefallen ist von der Geistigkeit, daß uns die Vernunft andere Wahrheitsgehalte vorgaukelt als die wirkliche Wahrheit? - Nehmen wir in unsere Vernunft den Christus auf, nehmen wir in unsere Vernunft etwas auf, was diese Vernunft also umwandelt, was diese Vernunft weiterentwickelt, dann erst stellt sie sich in Einklang mit der Wahrheit, die der Glaubensinhalt ist. Die Sündhaftigkeit der Vernunft lag in einer gewissen Weise zugrunde, indem die Denker der voralbertinischen und vorthomistischen Zeit von zwei Wahrheiten sprachen. Mit der Lehre von der Erbsünde und der Lehre von der Erlösung durch Christus wollten sie Ernst machen. Sie hatten noch nicht die Gedankenkraft, die Logizität dazu, aber sie wollten das ernsthaft machen. Sie legten sich die Frage vor: Wie erlöst der Christus in uns die Wahrheit der Vernunft, die der geistig geoffenbarten Wahrheit widerspricht? Wie werden wir bis in das Innerste hinein Christen? Denn unsere Vernunft ist schon verderbt; in ihr lebt die Erbsünde, daher widerspricht sie der reinen Glaubenswahrheit.

Und nun traten Albertus und Thomas auf, und für sie schien es zunächst, daß es unrichtig ist, daß, wenn wir uns rein logisch in die universalia in rebus vertiefen, wenn wir in uns aufnehmen dasjenige, was in den Dingen Wirklichkeit ist, daß wir uns dann in Sündhaftigkeit über die Welt ergehen. Es darf nicht die gewöhnliche Vernunft sündhaft sein. Im Grunde lebt die Frage der Christologie in dieser Frage der Hochscholastik. Und was nicht gelöst werden konnte für die Hochscholastik, das war die Frage: Wie tritt der Christus in das menschliche Denken ein? Wie wird das menschliche Denken durchchristet? Wie führt der Christus das eigene menschliche Denken hinauf in die Sphäre, wo es zusammenwachsen kann mit dem, was nur der geistige Glaubensinhalt ist?

Das steckte noch als das eigentlich Bewegende in den Seelen der Scholastiker drinnen. Daher ist es, trotzdem die vollkommenste logische Technik in der Scholastik lebt, vor allen Dingen wichtig, daß man nicht die Resultate der Scholastik nimmt, sondern daß man durch die Antwort hinschaut auf die Fragestellungen; daß man absieht von dem, wozu sich im 12., im 13. Jahrhundert die Menschen hindurchringen können; daß man sieht auf die großen Probleme, die damals aufgestellt worden sind. Man war noch nicht mit der Christologie so weit gekommen, daß man die Erlösung der Menschen von der Erbsünde bis in das menschliche Denken hinein hat verfolgen können. Daher mußten Albertus und Thomas der Vernunft das Recht absprechen, die Stufen zu überschreiten, über die hinaufschreitend sie in die geistige Welt selbst eintreten könne. Und es blieb von der Hochscholastik die Frage zurück: Wie entwickelt sich das menschliche Denken hinauf zu einer Anschauung der geistigen Welt?

Selbst das wichtigste Ergebnis der Hochscholastik ist eine Frage, ist nicht dasjenige, was als Inhalt von der Hochscholastik existiert. Es ist die Frage: Wie trägt man die Christologie in das Denken hinein? Wie wird das Denken christlich gemacht? - Diese Frage steht welthistorisch da in dem Augenblicke, als Thomas von Aquino 1274 stirbt. Bis zu diesem Momente konnte er sich nur durchringen zu der Frage. Die Frage steht mit aller Herzinnigkeit da in der europäischen Geisteskultur.“ (Lit.:GA 74, S. 69ff)

Natürliche Theologie

Thomas von Aquin legte im Rahmen der Philosophischen bzw. Natürlichen Theologie Argumente dafür dar, dass der Glaube an die Existenz Gottes nicht vernunftwidrig ist, sich also Glaube und Vernunft nicht widersprechen. Seine Quinque viae („Fünf Wege“), dargestellt in seinem Hauptwerk, der Summa Theologica (auch Summa Theologiae), hat Thomas zunächst nicht als „Gottesbeweise“ bezeichnet, sie können jedoch als solche aufgefasst werden, da sie rationale Gründe für Gottes Existenz darlegen. Die Argumentationskette endet jeweils mit der Feststellung „das ist es, was alle Gott nennen.“

Eucharistie

Prägend wurde Thomas‘ Theologie auch für die katholische Eucharistielehre. Er wandte die aristotelischen Begriffe der Substanz und der Akzidenzien auf das Geschehen in der heiligen Messe an: Während die Akzidenzien, d. h. die Eigenschaften von Brot und Wein, erhalten bleiben, ändert bzw. verwandelt sich die Substanz, d. h. das Wesen (nicht die Materie) der eucharistischen Gaben in Leib und Blut des auferstandenen Christus (Transsubstantiation).

Hölle

In seiner Summa contra gentiles geht Thomas u. a. auch auf die Hölle ein und übernimmt dabei die Sicht von Augustinus. Er verwirft auch...

„...den Irrtum derjenigen, die behaupten, dass die Strafen der Gottlosen irgendwann beendet sein werden“ (Apokatastasis).

Allerdings führt er eine neue Begründung für die angenommene Endlosigkeit und Grauenhaftigkeit solch einer Strafe ein, die aufgrund einer einzigen falschen Entscheidung über den Menschen kommen soll:

„Die Größe der Strafe entspricht der Größe der Sünde [...] Nun aber wiegt eine Sünde gegen Gott unendlich schwer, denn je höher eine Person steht, gegen die man Sünde begeht, desto schwerer ist die Sünde.“

Er argumentiert auch, dass die Strafen, die die Gottlosen erleiden müssen, sowohl eine psychologische oder seelische Seite (Gottesferne) als auch eine physische Seite (körperliche Schmerzen) haben, so dass die Gottlosen also zweifach gestraft seien.

Mystik

Am Nikolaustag 1273 soll Thomas laut einem Bericht des Bartholomäus von Capua während einer Feier der heiligen Messe von etwas ihn zutiefst Berührendem betroffen worden sein und anschließend jegliche Arbeit an seinen Schriften eingestellt haben. Auf die Aufforderung zur Weiterarbeit soll er mit den Worten reagiert haben:

Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich gesehen habe.[2]

In der Hagiographie wird dieser Ausspruch als Reaktion auf eine Gotteserfahrung gedeutet. Einige Biographen mutmaßen auch, ihm sei kurz zuvor eine Nahtodeserfahrung zuteil geworden.

Liturgie

Von ihm stammen die Sequenzen zu Fronleichnam Lauda Sion sowie die eucharistischen Hymnen Pange Lingua („Das Geheimnis lasst uns künden“) - dessen letzten beiden Strophen als Tantum ergo ("Lasst uns tiefgebeut verehren") oft selbständig gesungen werden - und Adoro te devote („Gottheit tief verborgen“):

Adoro te devote, latens Deitas
Quae sub his figuris vere latitas:
Tibi se cor meum totum subiicit,
quia te contemplans totum deficit.

Gottheit tief verborgen, betend nah‘ ich Dir.
Unter diesen Zeichen bist Du wahrhaft hier:
Sieh, mit ganzem Herzen geb' ich Dir mich hin,
weil vor solchem Wunder ich nur Armut bin.

(Gotteslob Nr. 546)

Das Tantum ergo – die letzten beiden Strophen des Pange lingua – wird in der katholischen Kirche häufig bei der eucharistischen Anbetung gesungen.

Dreieinigkeit

Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow

Die Dreieinigkeit bzw. Dreifaltigkeit oder Trinität Gottes ist zwar ein Geheimnis (Mysterium), sie kann nach Thomas jedoch unter Zuhilfenahme der göttlichen, d. h. biblischen Offenbarung teilweise „verstanden“ werden. Demnach ist der eine Gott in drei Personen (Subsistenzen), die eine göttliche Natur und darum gleich ewig und allmächtig sind. Weder der Begriff der „Zeugung“ beim Sohn (Jesus) noch derjenige der „Hauchung“ beim Heiligen Geist darf im wörtlichen bzw. weltlichen Sinne verstanden werden. Vielmehr ist die zweite und dritte Person Gottes die ewige Selbsterkenntnis und Selbstbejahung der ersten Person Gottes, d. h. Gott Vaters. Weil bei Gott Erkenntnis bzw. Wille und (sein) Wesen mit seinem Sein zusammenfallen, ist seine vollkommene Selbsterkenntnis und Selbstliebe von seiner Natur, also göttlich.

Sonstiges

Zu den heute schwer nachvollziehbaren Teilen von Thomas‘ Lehre gehört es, dass er sich für die Hinrichtung von Häretikern ausgesprochen hat, deren Vergehen er im Vergleich zu Falschmünzern, welche damals dem Tode überliefert wurden, als schwerwiegender ansieht. (Falschmünzer-Vergleich) (Summa theologiae, II-II, qu. 11, art. 3).

Auch war er gegen das Zinsnehmen, musste jedoch im Laufe seiner Beschäftigung mit dem Thema von einem vollständigen Verbot zurückstehen.

Nachleben

Thomas von Aquin wurde 1323 von Papst Johannes XXII. heiliggesprochen. Sein Werk und seine Ideen wurden 1879 unter Papst Leo XIII. zur Grundlage aller katholischer Schulen erhoben, und damit bestimmt sein Werk die römisch-katholische Lehre. Auch das Zweite Vatikanische Konzil empfiehlt Thomas ausdrücklich als den Lehrer, nach dessen Lehre sich die Theologie sowie die Philosophie im Studium der zukünftigen Priester zu richten haben (Optatam totius). Die Enzyklika Fides et Ratio und das neue Kirchenrecht haben diese Empfehlung erneut bestätigt.

In der evangelischen Kirche nimmt Thomas eine vergleichbare Stellung ein.

Schon um 1300 trat der Franziskaner Johannes Duns Scotus gegen Thomas auf und gründete die philosophisch-theologische Schule der Scotisten, mit der die Thomisten an den Universitäten in Fehde lebten. Thomas‘ Anhänger verteidigten die strenge Lehre Augustinus von der Gnade und bestritten die Unbefleckte Empfängnis Mariens, der Mutter Jesu. In der Frage der unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter hat sich die spätere Kirche von den Zweifeln, die in der thomistischen Schule häufig anzutreffen sind, abgegrenzt, wobei umstritten bleibt, inwieweit Thomas tatsächlich ein Gegner des Dogmas war.

Um 1900 herum gab es eine thomistische Renaissance (Bernhart). In Deutschland bemüht sich heute besonders die „Deutsche Thomas-Gesellschaft“ (Sitz in Berlin) um die Weiterführung seines Erbes.

Auch Ramon Llull hat sich gegen die thomististische Scholastik ausgesprochen und damit indirekt die jahrelange Indizierung der Werke und die Verfolgung der Lullisten bewirkt.

Werke

Im Gegensatz zu anderen großen Philosophen wie etwa Albertus Magnus, der verschiedene Ämter innehatte, gab sich Thomas ganz der Wissenschaft hin. Er schuf ein monumentales Werk, das man in fünf Kategorieren einteilen kann:

  1. Schriften, die unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unterricht entstanden sind: Datei:SummaTheologiae.jpg
  2. Kommentare zu den Schriften von Aristoteles:
  3. Kleinere Schriften und Streitschriften wie
  4. Systematische (Haupt)-Werke:
  5. Kommentare zur Bibel
    • Zu Hiob
    • Zu Psalmen (Psalm 1–51)
    • Zu Jeremia
    • Zu den Klageliedern Jeremias
    • Zu Jesaja
    • Katenenkommentare zu den vier Evangelien (Catena aurea)
    • Vorlesungen zu Matthäus und Johannes
    • Vorlesungen zu den Briefen des Apostels Paulus
  6. Hymnen zum Fronleichnamsfest

Die Summa contra gentiles und insbesondere die Summa theologica bilden einen Höhepunkt von Thomas` Schaffen. Sein Werk wurde im 19. Jahrhundert von der katholischen Kirche zur Grundlage der christlichen Philosophie erklärt.

Siehe auch

Literatur

Einführungen

  • Karl Werner: Der heilige Thomas von Aquino. 3 Bände. Manz, Regensburg 1858–1859, neue Ausgabe 1889 Band 1 Band 2 Band 3
  • Marie-Dominique Chenu: Thomas von Aquin. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. 6. Aufl. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992, ISBN 3-499-50045-0
  • Martin Grabmann: Thomas von Aquin. Persönlichkeit und Gedankenwelt. Eine Einführung. 8. Aufl. Kösel, München 1949.
  • Hans Meyer: Thomas von Aquin. Sein System und seine geistesgeschichtliche Stellung. 2. Aufl. Schöningh, Paderborn 1961.
  • Josef Pieper: Thomas von Aquin – Leben und Werk. 4. Aufl. Kösel, München 1990, ISBN 3-46640-114-3
  • Richard Heinzmann, Konrad Raab: Thomas von Aquin: Eine Einführung in sein Denken. Mit ausgewählten lateinisch-deutschen Texten, Kohlhammer Verlag 1994, ISBN 978-3170117761

Editionen für den interessierten Laien

  • Die deutsche Thomas-Ausgabe = Summa theologica. Übers. von Dominikanern u. Benediktinern Deutschlands u. Österreichs. Vollst., ungekürzte dt.-lat. Ausg.. - Graz [u.a.] : Styria - Früher teilw. im Pustet-Verl., Salzburg, teilw. im Kerle-Verl., Heidelberg u. Verl. Styria Graz, Wien, Köln, 1933ff., 34 Bde. (noch unvollendet)
  • Über die Herrschaft der Fürsten. Übers. von Friedrich Schreyvogl. Nachw. von Ulrich Matz. [Nachdr.] Stuttgart : Reclam, 1994(Universal-Bibliothek ; 9326)ISBN 3-15-009326-0

Rudolf Steiner

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Commons: Thomas von Aquin - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wikisource: Thomas von Aquin – Quellen und Volltexte
 Wikisource: Thomas Aquinas – Quellen und Volltexte (latina)

Werke

Einzelnachweise

  1. Daneben z.B. auch doctor communis, doctor ecclesiae, angelus scholae, pater ecclesiae, lumen ecclesiae, alter Augustinus, (selten) doctor universalis; vgl. z.B. Friedrich Ueberweg: Grundriss der Geschichte der Philosophie von Thales bis auf die Gegenwart, Bd. 1, Berlin 1863, S. 97.
  2. 2,0 2,1 „omnia quae scripsi videntur michi palee“ (Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich gesehen habe.). So der Bericht des Bartholomäus von Capua unter Berufung auf Reginald von Piperno, den Sekretär des Thomas, vgl. M..-H. Laurent (Hg.): Processus canonizationis Neapoli S. Thomae, Fontes vitae sancti Thomae Aquinatis 4, in: Revue Thomiste 38-39 (1933-34), S. 265-497, 79, S. 377; C. Le Brun-Gouanvic: Edition critique de l’Ystoia sancti Thome de Aquino de Guillaume de Tocco, 2 Bände, Montréal 1987, 47, S. 347; James A. Weisheipl: Thomas von Aquin, Sein Leben und seine Theologie, Graz 1980, 293f; Torrell 1995, 302 / Torrell 2005, 274.
  3. Dante war Karl I. von Anjou allerdings nicht gerade wohlgesonnen, denn dieser war vorgeblich als Friedensstifter nach Florenz gekommen, hatte aber tatsächlich jenen Bürgerkrieg entfacht, der zur lebenslangen Verbannung Dantes führte.
  4. Gorgias 493a2-3
  5. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das im Lukasevangelium überlieferte Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus, insofern es als eine der wenigen biblischen Stellen eine konkrete Vorstellung vom Dasein der Toten in der Scheol, der Unterwelt, gibt und die Seelen hier in durchaus körperlicher Gestalt und nicht als leibbefreite Freiseelen gezeichnet werden. Sie erscheinen als konkrete Menschen, die sehen und hören, Schmerzen erleiden oder Freude empfinden können. Schon im frühen Christentum wurde daher dieses Gleichnis gerne als Argument gegen die platonische Seelenlehre und die an diese anknüpfende Gnosis verwendet, die die Erlösung der Seele gerade in ihrem leibbefreiten Dasein sah. Entsprechend charakterisiert schon Tertullian († um 220) die Seele so:

    „Wir beschreiben also die Seele als entstanden aus Gottes Hauch, unsterblich, wesenhaft, körperlich, von abbildungsfähiger Gestalt, der Substanz nach einfach, durch sich empfindend, in verschiedener Weise fortschreitend, freien Willens, Zufälligkeiten ausgesetzt, von wechselnder Geistesrichtung und Anlage, vernünftig, herrschend, mit Ahnungsvermögen begabt und aus einer Seele hervorgehend.“

    Tertullian: Über die Seele (De anima), Cap. 22[1]

    Tertullian beschreibt in den folgenden Kapitel sehr detailreich, wie die Seele bei der Zeugung zugleich mit dem Leib erzeugt wird, indem dabei der göttliche Hauch, den einst Adam empfangen hat, von Generation zu Generation weitergegeben wird (siehe dazu De anima 27).

  6. siehe dazu auch: Richard Heinzmann: Anima unica forma corporis - Thomas von Aquin als Überwinder des platonisch-neuplatonischen Dualismus in Philosophisches Jahrbuch, 93. Jahrgang, Verlag Karl Alber, Freiburg/München 1986, S. 236ff
  7. „Die vom Leibe getrennte Seele ist eine einzelne für sich bestehende Substanz der vernünftigen Natur. Sie ist aber nicht «Person».“ (Summe der Theologie I 29,1,V)
  8. im Leib, aber nicht durch den Leib
  9. Über die Einheit des Geistes – De Unitate Intellectu. Lat.-dt. Übersetzung Wolf-Ulrich Klünker‚ Verlag Freies Geistesleben‚ Stuttgart 1987 ISBN 3-7725-0820-0; S. 29 u. S. 39.
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