Unio mystica: Unterschied zwischen den Versionen

Aus AnthroWiki
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
(11 dazwischenliegende Versionen von 3 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
Die '''Unio mystica''' oder '''Henosis''' ({{ELSalt|ἕνωσις}}), die '''Einswerdung mit [[Gott]]''', von den [[mittelalter]]lichen weiblichen [[Mystiker]]innen oft auch als '''Mystische Hochzeit''' bezeichnet, ist das höchste Strebensziel der [[Mystiker]]. Dieses Ziel ist erreicht, wenn der Geistesschüler die Erkenntnisstufe der [[Intuition]] errungen hat.
Die '''Unio mystica''' oder '''Henosis''' ({{ELSalt|ἕνωσις}}), die '''Einswerdung mit Gott''', ist das höchste Strebensziel der [[Mystiker]].
 
'''''Henosis''''' ist das klassische griechische Wort für mystisches "Einssein", "Vereinigung" oder "Einheit". Im [[Neuplatonismus]] bedeutet Henosis die Vereinigung mit dem, was in der Wirklichkeit grundlegend ist: dem [[Das Eine|Einen]] ({{lang|grç|Τὸ Ἕν}}) bzw. dem Ursprung oder der [[Monade]]. Das neuplatonische Konzept hat Vorläufer in den griechischen Mysterienreligionen sowie Parallelen in der [[Östliche Philosophie|östlichen Philosophie]]. Es wird im [[Corpus Hermeticum]], in der christlichen Theologie, der [[Islamische Mystik|islamischen Mystik]], der [[Soteriologie]] und der Mystik weiterentwickelt und ist ein wichtiger Faktor in der historischen Entwicklung des [[Monotheismus]] in der [[Spätantike]]. Die Henosis, die ursprüngliche Einheit, ist [[rational]] und [[deterministisch]] und geht aus dem [[Indeterminismus]] hervor, d.&nbsp;h. aus einer selbst nicht verursachten Ursache. Jedes Individuum spiegelt als [[Mikrokosmos]] die stufenweise Ordnung des als [[Makrokosmos]] bezeichneten [[Universum]]s wider. Indem man den [[Demiurg]]en (göttlichen Geist) nachahmt, vereinigt man sich mit dem Einen oder der Monade. Der Prozess der Vereinigung von "dem Wesen" und "dem Einen" wird als Henosis bezeichnet, deren Höhepunkt die [[Vergöttlichung]] ist.<ref>{{wq|Henosis|en}}</ref>
 
Das Strebensziel ist erreicht, wenn der [[Geistesschüler]] die Erkenntnisstufe der [[Intuition]] errungen hat. Die [[mittelalter]]lichen Mystikerinnen bezeichneten diese Vereinigung mit [[Gott]] bzw. dem [[Christus]] als '''Mystische Hochzeit''', wobei sie die geläuterte [[jungfräulich]]e menschliche [[Seele]] als die '''Braut Christi''' ansahen. Es handelte sich dabei um einen rein seelischen Vorgang. Eine höhere Stufe stellt die «[[Chymische Hochzeit]]» dar, bei der die Verwandlung des Menschenwesens den Charakter eines realen [[Natur]]vorgangs annimmt, wie es die wahren [[Alchemist]]en erstrebten. Dadurch sollte nicht nur für die einzelne strebende Seele etwas geleistet werden, sondern für die ganze Welt. Sie versenkten sich nicht ins eigene Innere, sondern in das Geistige der [[Natur]], um dann mit den so gewonnenen Erkenntniskräften das Geistwesen des Menschen zu schauen.
 
{{GZ|In der Kreuzzugszeit, der Zeit des 12., 13., 14., 15., ja 16. Jahrhunderts gab es insbesondere Frauennaturen, welche ihr Gemüt in eine solche Mystik brachten, daß sie dieses innere Erlebnis, das ihnen die Mystik brachte, wie eine Hochzeit empfanden mit dem Geistigen, sei es mit dem Christus, oder sonst etwas. Mystische Hochzeiten feierten zahlreiche asketische Nonnen und so weiter. Ich will mich heute nicht über das Wesen dieser innerlichen mystischen Vereinigungen ergehen; aber es war eben ein innerhalb des Gemüts Verlaufendes, das dann nur mit Worten ausgesprochen werden konnte, das gewissermaßen innerhalb der Vorstellungen, der Empfindungen und noch des Wortes, in das die Empfindungen gekleidet werden können, verlief. Dem setzte dann aus gewissen Vorstellungen und geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen heraus Valentin Andreae seine «[[Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz]]» entgegen. Diese chymische Hochzeit, wir würden heute sagen chemische Hochzeit, sie ist auch ein menschliches Erlebnis. Aber wenn Sie sie durchlesen, diese Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz, so werden Sie sehen, daß es sich da nicht bloß um ein Gemütserlebnis handelt, sondern um etwas, was den ganzen Menschen ergreift, nicht bloß sich in Worten ausspricht; was nicht bloß hereingestellt ist wie ein Gemütserlebnis in die Welt, sondern wie ein realer Vorgang, ein Naturvorgang, wo der Mensch mit sich etwas macht, das wie ein Naturvorgang wird. Also etwas, was mehr von Wirklichkeit durchtränkt ist, meint Valentin Andreae mit seiner «Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreutz», als eine bloß mystische Hochzeit etwa der Mechthild von Magdeburg, die eine Mystikerin war. Durch die mystische Hochzeit der Nonnen wurde nur etwas getan für die Subjektivität des Menschen; durch die chymische Hochzeit gab sich der Mensch der Welt hin, durch ihn sollte etwas für die ganze Welt geleistet werden, so wie durch die Naturvorgänge etwas für die ganze Welt geleistet wird. Dies ist nun wiederum im eminent christlichen Sinne gedacht. Begriffe wollten die Menschen, die realer dachten - sei es nun selbst in dem einseitigen Sinne der alten Alchimisten -, Begriffe wollten sie, durch die sie die Wirklichkeit in richtiger Art meistern könnten, durch die sie in die Wirklichkeit richtiger eingreifen könnten, solche Begriffe, die nun wirklich etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben.|175|82f}}
 
{{GZ|Echte
Alchimie macht sich unabhängig von der sinnlichen Wahrnehmung,
um das außerhalb des Menschen vorhandene
geistig Wesenhafte der Welt zu schauen, das von der Sinneswahrnehmung
verdeckt wird. Der Mystiker muß vor seinem
Eintreten in das Menschen-Innere seine Seele in eine
solche Verfassung bringen, daß sie ihr Bewußtsein gegenüber
dem erhöhten Gegendruck, den sie durch das innigere
Zusammensein mit dem Leibe erfährt, nicht dem Herabdämmern
oder Auslöschen aussetzt. Der Alchimist bedarf
vor seinem Betreten der hinter dem Sinnesgebiet liegenden
Geistwelt einer Erkräftigung seines Seelenwesens, damit
dieses sich nicht an die Wesen und Vorgänge dieser Welt verliert.
Die Forschungswege des Mystikers und des Alchimisten
liegen nach entgegengesetzten Richtungen. Der Mystiker
geht unmittelbar in das eigene Geistwesen des Menschen
hinein. Sein Ziel ist, was die Mystische Hochzeit genannt
werden kann, die Vereinigung der bewußten Seele mit der
eigenen geistigen Wesenheit. Der Alchimist will das Geistgebiet
der Natur durchwandeln, um nach der erfolgten
Wanderung mit den in diesem Gebiet erworbenen Erkenntniskräflen
das Geistwesen des Menschen zu schauen. Sein
Ziel ist die «Chymische Hochzeit», die Vereinigung mit
dem Geistgebiet der Natur. Nach dieser Vereinigung erst
will er die Anschauung der Menschenwesenheit erleben.|35|341}}
 
{{GZ|Man unterschied auf der einen Seite die Natur, das Miterleben des Menschen mit dem Kosmos, was das Mittelalter Natura nannte, was das Altertum Proserpina nannte. Man personifizierte, unterschied dieses wiederum von der Urania, welche ebenso die Himmels Sphäre beherrscht, wie die Natur dasjenige beherrscht, was der Mensch miterlebt vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Und ein tiefes Geheimnis glaubten diese mittelalterlichen Menschen zu sehen, wenn sie sprachen von der Vermählung der Natur im Menschen mit dem Nus, mit dem Verstände, mit dem Intellekt im Menschen. Und in richtiger und unrichtiger Weise wurde von diesen Menschen versucht, zu erleben im Menschen die Vermählung der Natur mit dem Nus, mit dem Verstände oder Intellekt, als mystische Hochzeit, der gegenüberstand die alchimistische Hochzeit, so wie ich das in dem Aufsatze beschrieben habe, der der erste ist über den Christian Rosenkreutz.|180|106}}
 
Auf beiden Wegen drohen Gefahren durch die [[Widersacher]]. Der [[Mystiker]] kann leicht den Verführungen [[Luzifer]]s verfallen, der [[Alchemist]] kann in die Fänge [[Ahriman]]s geraten.
 
{{GZ|Der Leib ist
so in die Welt eingegliedert, daß diese Eingliederung der
kosmischen Harmonie entspricht. Lebt die Seele innerhalb
der Sinneswahrnehmung und der gewöhnlichen Verstandestätigkeit,
so ist sie gerade mit derjenigen Stärke an den Leib
hingegeben, durch die dieser seine Harmonie mit dem Weltall
auf sie übertragen kann. Hebt sich die Seele aus diesem
Erleben nach der mystischen oder der alchimistischen Richtung
heraus, so wird für sie nötig, Vorsorge zu treffen,
damit sie die durch den Leib gewonnene Harmonie mit
dem Weltall nicht verliere. Träfe sie diese Vorsorge nicht,
so drohte ihr auf dem mystischen Wege der Verlust des
geistigen Zusammenhanges mit dem Weltall; auf dem alchimistischen
Pfade die Einbuße des Unterscheidungsvermögens
für Wahrheit und Irrtum. Der Mystiker würde ohne
diese Vorsorge durch den dichteren Zusammenhang mit dem
Leib die Kraft des Selbstbewußtseins so verdichten, daß er
von ihr überwältigt in dem Eigenleben nicht mehr das
Weltleben miterfahren konnte. Dadurch würde er in den
Bereich einer anderen geistigen Welt mit seinem Bewußtsein
eintreten, als die dem Menschen entsprechende ist. (Ich
habe in meinen geisteswissenschaftlichen Schriften diese Welt
die luziferische genannt.) Der Alchimist käpae ohne nötige
Vorsorge zu einer Entkräftung seines Unterscheidungsvermögens
gegenüber Wahrheit und Täuschung. Im großen Zusammenhange
des All ist die Täuschung eine Notwendigkeit.
Der Mensch kann ihr auf seiner gegenwärtigen Entwicklungsstufe
aber nicht verfallen, weil ihm das Gebiet
der Sinneswahrnehmung Schutz gewährt. Wäre die Täuschung
nicht im Hintergrunde des menschlichen Welt-Erlebens,
so könnte der Mensch nicht die verschiedenen Stuf en
seines Bewußtseins entwickeln. Denn die Täuschung ist die
treibende Kraft dieser Bewußtseinsentwickelung. Auf der
gegenwärtigen Stufe der menschlichen Bewußtseinsentwikkelung
muß die Täuschung zwar zur Entstehung des Bewußtseins
wirken; sie muß aber selbst im Unbewußten bleiben.
Denn träte sie in das Bewußtsein ein, so würde sie
die Wahrheit überwältigen. Sobald nun die Seele auf dem
alchymistischen Wege in das hinter der Sinneswahrnehmung
gelegene Geistgebiet eintritt, gerät sie in die Wirbel
der Täuschung, innerhalb derer sie ihr Wesen nur in rechter
Art bewahren kann, wenn sie aus dem Erleben in der Sinneswelt
ein genügend großes Unterscheidungsvermögen für
Wahrheit und Täuschung mitbringt. Sorgte sie für ein solches
Unterscheidungsvermögen nicht, so würden sie die Wirbel
der Täuschung in eine Welt verschlagen, in der sie sich
selbst verlieren müßte. (Ich habe in meinen geisteswissenschaftlichen
Schriften diese Welt die ahrimanische genannt.) -
Der Mystiker hat nötig, bevor er seinen Weg antritt, die
Seele in eine solche Verfassung zu bringen, daß das Eigenleben
nicht überwältigt werden kann; der Alchimist
muß den Sinn für die Wahrheit erkräftigen, damit er ihm
nicht verlorengehe, auch wenn er nicht durch die Sinneswahrnehmung
und den an diese gebundenen Verstand unterstützt
wird.|35|342f}}


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
Zeile 7: Zeile 99:


* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung'', [[GA 7]] (1990), ISBN 3-7274-0070-6 {{Schriften|007}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung'', [[GA 7]] (1990), ISBN 3-7274-0070-6 {{Schriften|007}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Schriften. Kritische Ausgabe (SKA)''. Band 5: Schriften über Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte<br>''Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung'' – ''Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums''. Herausgegeben und kommentiert von [[Christian Clement]]. Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-7728-2635-1  
* [[Rudolf Steiner]]: ''Schriften. Kritische Ausgabe (SKA)''. Band 5: Schriften über Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte<br>''Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung'' – ''Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums''. Herausgegeben und kommentiert von [[Christian Clement]]. Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-7728-2635-1
* [[Rudolf Steiner]]: ''Philosophie und Anthroposophie'', [[GA 35]] (1984), ISBN 3-7274-0350-0 {{Vorträge|035}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha'', [[GA 175]] (1996), ISBN 3-7274-1750-1 {{Vorträge|175}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung'', [[GA 180]] (1980), ISBN 3-7274-1800-1 {{Vorträge|180}}


{{GA}}
{{GA}}
== Einzelnachweise ==
<references />


[[Kategorie:Schulungsweg]]  
[[Kategorie:Schulungsweg]]  
[[Kategorie:Mystik]]
[[Kategorie:Mystik]]
[[Kategorie:Lateinische Phrase]]
[[Kategorie:Lateinische Phrase]]
[[Kategorie:Meister Eckhart]]
[[Kategorie:Alchemie]]
[[Kategorie:Einweihung]]

Aktuelle Version vom 3. September 2023, 17:24 Uhr

Die Unio mystica oder Henosis (griech. ἕνωσις), die Einswerdung mit Gott, ist das höchste Strebensziel der Mystiker.

Henosis ist das klassische griechische Wort für mystisches "Einssein", "Vereinigung" oder "Einheit". Im Neuplatonismus bedeutet Henosis die Vereinigung mit dem, was in der Wirklichkeit grundlegend ist: dem Einen (Τὸ Ἕν) bzw. dem Ursprung oder der Monade. Das neuplatonische Konzept hat Vorläufer in den griechischen Mysterienreligionen sowie Parallelen in der östlichen Philosophie. Es wird im Corpus Hermeticum, in der christlichen Theologie, der islamischen Mystik, der Soteriologie und der Mystik weiterentwickelt und ist ein wichtiger Faktor in der historischen Entwicklung des Monotheismus in der Spätantike. Die Henosis, die ursprüngliche Einheit, ist rational und deterministisch und geht aus dem Indeterminismus hervor, d. h. aus einer selbst nicht verursachten Ursache. Jedes Individuum spiegelt als Mikrokosmos die stufenweise Ordnung des als Makrokosmos bezeichneten Universums wider. Indem man den Demiurgen (göttlichen Geist) nachahmt, vereinigt man sich mit dem Einen oder der Monade. Der Prozess der Vereinigung von "dem Wesen" und "dem Einen" wird als Henosis bezeichnet, deren Höhepunkt die Vergöttlichung ist.[1]

Das Strebensziel ist erreicht, wenn der Geistesschüler die Erkenntnisstufe der Intuition errungen hat. Die mittelalterlichen Mystikerinnen bezeichneten diese Vereinigung mit Gott bzw. dem Christus als Mystische Hochzeit, wobei sie die geläuterte jungfräuliche menschliche Seele als die Braut Christi ansahen. Es handelte sich dabei um einen rein seelischen Vorgang. Eine höhere Stufe stellt die «Chymische Hochzeit» dar, bei der die Verwandlung des Menschenwesens den Charakter eines realen Naturvorgangs annimmt, wie es die wahren Alchemisten erstrebten. Dadurch sollte nicht nur für die einzelne strebende Seele etwas geleistet werden, sondern für die ganze Welt. Sie versenkten sich nicht ins eigene Innere, sondern in das Geistige der Natur, um dann mit den so gewonnenen Erkenntniskräften das Geistwesen des Menschen zu schauen.

„In der Kreuzzugszeit, der Zeit des 12., 13., 14., 15., ja 16. Jahrhunderts gab es insbesondere Frauennaturen, welche ihr Gemüt in eine solche Mystik brachten, daß sie dieses innere Erlebnis, das ihnen die Mystik brachte, wie eine Hochzeit empfanden mit dem Geistigen, sei es mit dem Christus, oder sonst etwas. Mystische Hochzeiten feierten zahlreiche asketische Nonnen und so weiter. Ich will mich heute nicht über das Wesen dieser innerlichen mystischen Vereinigungen ergehen; aber es war eben ein innerhalb des Gemüts Verlaufendes, das dann nur mit Worten ausgesprochen werden konnte, das gewissermaßen innerhalb der Vorstellungen, der Empfindungen und noch des Wortes, in das die Empfindungen gekleidet werden können, verlief. Dem setzte dann aus gewissen Vorstellungen und geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen heraus Valentin Andreae seine «Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz» entgegen. Diese chymische Hochzeit, wir würden heute sagen chemische Hochzeit, sie ist auch ein menschliches Erlebnis. Aber wenn Sie sie durchlesen, diese Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz, so werden Sie sehen, daß es sich da nicht bloß um ein Gemütserlebnis handelt, sondern um etwas, was den ganzen Menschen ergreift, nicht bloß sich in Worten ausspricht; was nicht bloß hereingestellt ist wie ein Gemütserlebnis in die Welt, sondern wie ein realer Vorgang, ein Naturvorgang, wo der Mensch mit sich etwas macht, das wie ein Naturvorgang wird. Also etwas, was mehr von Wirklichkeit durchtränkt ist, meint Valentin Andreae mit seiner «Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreutz», als eine bloß mystische Hochzeit etwa der Mechthild von Magdeburg, die eine Mystikerin war. Durch die mystische Hochzeit der Nonnen wurde nur etwas getan für die Subjektivität des Menschen; durch die chymische Hochzeit gab sich der Mensch der Welt hin, durch ihn sollte etwas für die ganze Welt geleistet werden, so wie durch die Naturvorgänge etwas für die ganze Welt geleistet wird. Dies ist nun wiederum im eminent christlichen Sinne gedacht. Begriffe wollten die Menschen, die realer dachten - sei es nun selbst in dem einseitigen Sinne der alten Alchimisten -, Begriffe wollten sie, durch die sie die Wirklichkeit in richtiger Art meistern könnten, durch die sie in die Wirklichkeit richtiger eingreifen könnten, solche Begriffe, die nun wirklich etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben.“ (Lit.: GA 175, S. 82f)

„Echte Alchimie macht sich unabhängig von der sinnlichen Wahrnehmung, um das außerhalb des Menschen vorhandene geistig Wesenhafte der Welt zu schauen, das von der Sinneswahrnehmung verdeckt wird. Der Mystiker muß vor seinem Eintreten in das Menschen-Innere seine Seele in eine solche Verfassung bringen, daß sie ihr Bewußtsein gegenüber dem erhöhten Gegendruck, den sie durch das innigere Zusammensein mit dem Leibe erfährt, nicht dem Herabdämmern oder Auslöschen aussetzt. Der Alchimist bedarf vor seinem Betreten der hinter dem Sinnesgebiet liegenden Geistwelt einer Erkräftigung seines Seelenwesens, damit dieses sich nicht an die Wesen und Vorgänge dieser Welt verliert. Die Forschungswege des Mystikers und des Alchimisten liegen nach entgegengesetzten Richtungen. Der Mystiker geht unmittelbar in das eigene Geistwesen des Menschen hinein. Sein Ziel ist, was die Mystische Hochzeit genannt werden kann, die Vereinigung der bewußten Seele mit der eigenen geistigen Wesenheit. Der Alchimist will das Geistgebiet der Natur durchwandeln, um nach der erfolgten Wanderung mit den in diesem Gebiet erworbenen Erkenntniskräflen das Geistwesen des Menschen zu schauen. Sein Ziel ist die «Chymische Hochzeit», die Vereinigung mit dem Geistgebiet der Natur. Nach dieser Vereinigung erst will er die Anschauung der Menschenwesenheit erleben.“ (Lit.: GA 35, S. 341)

„Man unterschied auf der einen Seite die Natur, das Miterleben des Menschen mit dem Kosmos, was das Mittelalter Natura nannte, was das Altertum Proserpina nannte. Man personifizierte, unterschied dieses wiederum von der Urania, welche ebenso die Himmels Sphäre beherrscht, wie die Natur dasjenige beherrscht, was der Mensch miterlebt vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Und ein tiefes Geheimnis glaubten diese mittelalterlichen Menschen zu sehen, wenn sie sprachen von der Vermählung der Natur im Menschen mit dem Nus, mit dem Verstände, mit dem Intellekt im Menschen. Und in richtiger und unrichtiger Weise wurde von diesen Menschen versucht, zu erleben im Menschen die Vermählung der Natur mit dem Nus, mit dem Verstände oder Intellekt, als mystische Hochzeit, der gegenüberstand die alchimistische Hochzeit, so wie ich das in dem Aufsatze beschrieben habe, der der erste ist über den Christian Rosenkreutz.“ (Lit.: GA 180, S. 106)

Auf beiden Wegen drohen Gefahren durch die Widersacher. Der Mystiker kann leicht den Verführungen Luzifers verfallen, der Alchemist kann in die Fänge Ahrimans geraten.

„Der Leib ist so in die Welt eingegliedert, daß diese Eingliederung der kosmischen Harmonie entspricht. Lebt die Seele innerhalb der Sinneswahrnehmung und der gewöhnlichen Verstandestätigkeit, so ist sie gerade mit derjenigen Stärke an den Leib hingegeben, durch die dieser seine Harmonie mit dem Weltall auf sie übertragen kann. Hebt sich die Seele aus diesem Erleben nach der mystischen oder der alchimistischen Richtung heraus, so wird für sie nötig, Vorsorge zu treffen, damit sie die durch den Leib gewonnene Harmonie mit dem Weltall nicht verliere. Träfe sie diese Vorsorge nicht, so drohte ihr auf dem mystischen Wege der Verlust des geistigen Zusammenhanges mit dem Weltall; auf dem alchimistischen Pfade die Einbuße des Unterscheidungsvermögens für Wahrheit und Irrtum. Der Mystiker würde ohne diese Vorsorge durch den dichteren Zusammenhang mit dem Leib die Kraft des Selbstbewußtseins so verdichten, daß er von ihr überwältigt in dem Eigenleben nicht mehr das Weltleben miterfahren konnte. Dadurch würde er in den Bereich einer anderen geistigen Welt mit seinem Bewußtsein eintreten, als die dem Menschen entsprechende ist. (Ich habe in meinen geisteswissenschaftlichen Schriften diese Welt die luziferische genannt.) Der Alchimist käpae ohne nötige Vorsorge zu einer Entkräftung seines Unterscheidungsvermögens gegenüber Wahrheit und Täuschung. Im großen Zusammenhange des All ist die Täuschung eine Notwendigkeit. Der Mensch kann ihr auf seiner gegenwärtigen Entwicklungsstufe aber nicht verfallen, weil ihm das Gebiet der Sinneswahrnehmung Schutz gewährt. Wäre die Täuschung nicht im Hintergrunde des menschlichen Welt-Erlebens, so könnte der Mensch nicht die verschiedenen Stuf en seines Bewußtseins entwickeln. Denn die Täuschung ist die treibende Kraft dieser Bewußtseinsentwickelung. Auf der gegenwärtigen Stufe der menschlichen Bewußtseinsentwikkelung muß die Täuschung zwar zur Entstehung des Bewußtseins wirken; sie muß aber selbst im Unbewußten bleiben. Denn träte sie in das Bewußtsein ein, so würde sie die Wahrheit überwältigen. Sobald nun die Seele auf dem alchymistischen Wege in das hinter der Sinneswahrnehmung gelegene Geistgebiet eintritt, gerät sie in die Wirbel der Täuschung, innerhalb derer sie ihr Wesen nur in rechter Art bewahren kann, wenn sie aus dem Erleben in der Sinneswelt ein genügend großes Unterscheidungsvermögen für Wahrheit und Täuschung mitbringt. Sorgte sie für ein solches Unterscheidungsvermögen nicht, so würden sie die Wirbel der Täuschung in eine Welt verschlagen, in der sie sich selbst verlieren müßte. (Ich habe in meinen geisteswissenschaftlichen Schriften diese Welt die ahrimanische genannt.) - Der Mystiker hat nötig, bevor er seinen Weg antritt, die Seele in eine solche Verfassung zu bringen, daß das Eigenleben nicht überwältigt werden kann; der Alchimist muß den Sinn für die Wahrheit erkräftigen, damit er ihm nicht verlorengehe, auch wenn er nicht durch die Sinneswahrnehmung und den an diese gebundenen Verstand unterstützt wird.“ (Lit.: GA 35, S. 342f)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise