Prüfung

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Eine Prüfung (mhd. prüevunge „Erprobung, Beweisführung, Bewährung, Ausrüstung“) dient im weitesten Sinn der Feststellung, ob etwas oder jemand den erwarteten Anforderungen genügt. Schon durch sein Lebensschicksal sieht sich der Mensch wiederholten Seelenprüfungen ausgesetzt.

Im engeren Sinn sollen in der Pädagogik und Ausbildung durch entsprechende Prüfungen und in umfassenderer Form durch ein Examen (von lat. examen „Prüfung“) die vom Prüfungskandidaten erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten beurteilt werden. In der Messtechnik wird nach DIN 1319 durch das Prüfen festgestellt, ob das geprüfte Objekt, z.B. ein Werkstoff oder ein technisches Gerät, den gestellten Anforderungen entspricht.

Prüfungen in der Pädagogik

Dass punktuelle mündliche oder schriftliche Prüfungen nur eine sehr begrenzte Aussagekraft haben, ist - nicht nur in der Waldorfpädagogik - längst bekannt. Als der Vater eines Schülers der 1919 in Stuttgart begründeten Freien Waldorfschule Uhlandshöhe verlangte, dass die Schüler beim Abiturienten-Examen von einer Kommission der Waldorflehrer geprüft werden, antwortete Rudolf Steiner:

„Es ist nicht unsere Sache, dafür zu sorgen, daß ein amtlich abgestempelter Kommissär zur Prüfung da ist. Wenn das [Prüfung durch Waldorflehrer] von der Elternschaft gewünscht wird, so ist das etwas, was von der Elternschaft in die Wege geleitet werden müßte. Im Sinne der Waldorf-Pädagogik liegt es nicht. Es ist eine Opportunitätsfrage, die ja auch im opportunistischen Sinne gelöst werden müßte, die vielleicht auch von Seiten der Eltern gelost werden müßte. - Uns kommt es nicht darauf an, ausgeschlossen zu werden davon, gültige Zeugnisse auszustellen, nur werden wir dann müssen die Sache vom pädagogischen Standpunkt aus ansehen. Daß es einen Sinn hat vom Standpunkt der Pädagogik aus, wenn man jahrelang mit den Schülern zusammen ist, diese dann einer Abgangsprüfung zu unterziehen, daß das einen Sinn haben soll, das möchte ich, daß es jemand mir beweist. Wir wissen, was wir über einen Schüler zu sagen haben, wenn er sein Alter erreicht hat und die Klasse verläßt. Wenn dann noch extra für irgendeine andere Sache das festgestellt werden soll, dann kann es geschehen. Es ist keine eigentlich pädagogische Angelegenheit. Wer Erfahrungen hat auf diesem Gebiet, der weiß, daß man viel besser ohne Prüfungen weiß, was ein Schüler taugt, als durch Prüfung. Wir haben keine Ursache, darauf hinzuarbeiten, daß wir die Prüfungen vornehmen sollen, weil es nicht aus unseren pädagogischen Unterlagen folgt.“ (Lit.:GA 298, S. 143)

Seelenprüfungen

Durch sein Karma setzt sich der innerste Wesenskern des Menschen, d.h. sein Ich, im Zuge des Reinkarnationsgeschehens selbst immer wieder neuen Seelenprüfungen aus, die ihm die Möglichkeit geben, sich geistig weiter zu entwickeln. Durch eine entsprechende geistige Schulung kann diese «Prüfung der Seele» immer bewusster aktiv erstrebt, angenommen und bestanden werden.

„Jedes Mal, wenn eine neue Geistesoffenbarung kommt, wird eine Prüfung der Seele zu bestehen sein. Aus einer jeglichen Stufe der Entwickelung entspringen neue Prüfungen, und wir müssen geradezu den Impuls für alle höhere Entwickelung darin sehen, daß unsere Seele niemals abzuschließen braucht, sondern sich immer höheren und auch vielleicht schwereren Prüfungen unterziehen kann. Niemals bleiben aber aus, wenn die Seele die Prüfungen besteht, die Geistesoffenbarungen, die, vielleicht erst nach längerer Zeit, der Seele dasjenige geben, zu dem sie durch ihre Prüfungen aufsteigen muß.

So sehen wir, wie solche Prüfungen der Impuls zum Aufwärtsstreben sind, wie Geistesoffenbarungen immer wiederum das sind, was uns als Befriedigendes von oben entgegenkommt. Deshalb müssen wir durchaus nicht vorschnell das, was erreicht werden kann auf einer Stufe und was zum Beispiel dargestellt worden ist in unserem ersten Rosenkreuzer-Mysterium, als einen Abschluß betrachten. Wir würden fehlgehen, wenn wir das als einen Abschluß betrachteten. Es kann der Mensch in dem Sehen von Bildern der höheren Welten zum Beispiel sehr weit sein, und doch eines Tages darauf kommen, daß er nur Bilder gesehen hat, nicht Wirklichkeiten. Dann steht er vor der harten Seelenprüfung, vor welcher Johannes Thomasius noch ist, als schon das zweite Rosenkreuzer-Drama zu Ende geht. Dann wird er gewahr, daß es Bild war, daß er die Wirklichkeit noch gar nicht genügend selbst auf dem physischen Plan kennengelernt hat, um sein Bild mit Wirklichkeit auszufüllen. Dann treten solche Prüfungen an die Seele heran, daß diese Seele sich fragen muß: Wie entwickele ich die starken Kräfte in mir, um dem Inhalt zu geben, was zunächst bloß Bild ist? - So müssen wir uns darüber klar sein, daß wir Prüfungen der Seele nicht zu scheuen haben, denn mit jeder Neugestaltung der Welt, die uns entgegentritt, müssen wir wiederum Prüfungen bestehen, und das Hinauskommen über die Prüfungen wäre der Tod des wirklichen geistigen Lebens. Wir müssen uns gestehen, daß wir die Seelenprüfungen nicht zu scheuen haben, weil sie uns stark machen, um hinaufzudringen in die geistige Welt.“ (Lit.:GA 129, S. 202f)

Die Prüfung geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse

Rudolf Steiner hat immer wieder dazu aufgefordert, die aus der Anthroposophie gewonnenen Erkenntnisse durch das vernuftgemäße Denken streng zu prüfen. Das ist auch dann möglich, wenn man selbst nicht über die Fähigkeit der geistigen Wahrnehmung verfügt. Geisteswissenschaftliche Wahrheiten sind letztlich wertlos, wenn sie bloß auf Treu und Glauben angenommen werden. Ein blinder Autoritätsglaube schadet der geistigen Entwicklung. Eine Grundregel für den Geistesschüler ist: „Es soll in mein Bewußtsein keine ungeprüfte Vorstellung eingelassen werden.“ (Lit.:GA 267, S. 64)

„Wenn der Mensch alles prüfen soll, so wird er ja insbesondere die okkulten und esoterischen Lehren prüfen müssen, die ihm gerade von seinem esoterischen Lehrer gegeben werden. - Es handelt sich darum, das Prüfen im rechten Sinne zu verstehen. Man kann nicht immer eine Sache direkt prüfen, sondern man muß vielfach indirekt diese Prüfung anstellen. Es ist zum Beispiel auch heute niemand in der Lage, direkt zu prüfen, ob Friedrich der Große gelebt hat oder nicht. Er kann lediglich prüfen, ob der Weg, auf dem die Nachrichten über Friedrich den Großen auf ihn gekommen sind, ein vertrauenswürdiger ist. Hier muß die Prüfung am richtigen Ort einsetzen. So hat man es auch mit allem sogenannten Autoritätsglauben zu halten. Überliefert einem jemand etwas, was man nicht selbst unmittelbar einsehen kann, so hat man vor allen Dingen mit dem einem zur Verfügung stehenden Material zu prüfen, ob er eine glaubwürdige Autorität ist, ob er Dinge sagt, die eine Ahnung und Empfindung davon hervorrufen, daß sie wahr sind. An diesem Beispiele wird man ersehen, daß es sich darum handelt, die Prüfung beim richtigen Punkte einzusetzen.“ (Lit.:GA 267, S. 65)

„Es wird anthroposophischer Weltanschauung in begreiflicher Weise immer der Vorwurf gemacht, daß sie ihre Ideen, ihre Ergebnisse verkündet auf der Grundlage von Forschungen, zu denen die Fähigkeiten im Menschen erst herangebildet werden müssen, daß also Forschungsergebnisse der Anthroposophie nicht von vornherein von jedem nachgeprüft werden können, und daß sie dennoch diese Anschauungen vor den hierauf unvorbereiteten Menschen verkünde.

Doch gerade dieser Vorwurf, so scheinbar berechtigt er ist, gehört zu den aller unberechtigsten, welche der anthroposophischen Bewegung gemacht werden können. Denn es handelt sich bei ihr nicht darum, jeden einzelnen sofort dazu anzuleiten, ein Forscher im übersinnlichen Gebiet zu werden, sondern es handelt sich bei ihr darum, ihre Forschungsergebnisse auf eine Weise darzulegen, die von jedem einzelnen Menschen nachgeprüft werden kann, einfach durch den gewöhnlichen gesunden Menschenverstand und die gewöhnliche gesunde Logik. Dies macht allerdings nicht unnötig, daß danach gestrebt wird, wenigstens die ersten Schritte zu übersinnlicher Forschung zu machen, und dafür gibt es ja Anleitungen in den verschiedenen Schriften, die auch hier schon genannt worden sind. Jeder kann also bis zu einem gewissen Grade ein anthroposophischer Forscher werden - einfach aus den Zivilisationsbedingungen der Gegenwart heraus -, aber zum Prüfen der Ergebnisse anthroposophischer Forschung ist dies nicht nötig, denn diese Prüfung kann einfach aus dem gesunden Menschenverstand heraus erfolgen.“ (Lit.:GA 81, S. 75f)

In der Einleitung zu Rudolf Steiners Schrift «Die Geheimwissenschaft im Umriss» heißt es entsprechend:

„Obwohl das Buch sich mit Forschungen befaßt, welche dem an die SinnenWelt gebundenen Verstand nicht erforschbar sind, so ist doch nichts vorgebracht, was nicht verständlich sein kann unbefangener Vernunft und gesundem Wahrheitssinn einer jeden Persönlichkeit, welche diese Gaben des Menschen anwenden will. Der Verfasser sagt es unumwunden: er möchte vor allem Leser, welche nicht gewillt sind, auf blinden Glauben hin die vorgebrachten Dinge anzunehmen, sondern welche sich bemühen, das Mitgeteilte an den Erkenntnissen der eigenen Seele und an den Erfahrungen des eigenen Lebens zu prüfen[1]. Er möchte vor allem vorsichtige Leser, welche nur das logisch zu Rechtfertigende gelten lassen. Der Verfasser weiß, sein Buch wäre nichts wert, wenn es nur auf blinden Glauben angewiesen wäre; es ist nur in dem Maße tauglich, als es sich vor der unbefangenen Vernunft rechtfertigen kann. Der blinde Glaube kann so leicht das Törichte und Abergläubische mit dem Wahren verwechseln. Mancher, der sich mit dem bloßen Glauben an «Übersinnliches» gerne begnügt, wird finden, daß in diesem Buche dem Denken zu viel zugemutet wird. Doch es handelt sich wahrlich bei den hier gegebenen Mitteilungen nicht bloß darum, daß etwas mitgeteilt werde, sondern darum, daß die Darstellung so ist, wie es einer gewissenhaften Anschauung auf dem entsprechenden Gebiete des Lebens angemessen ist. Es ist ja das Gebiet, wo sich die höchsten Dinge mit gewissenloser Charlatanerie, wo sich auch Erkenntnis und Aberglaube im wirklichen Leben so leicht berühren und wo sie, vor allem, auch so leicht verwechselt werden können.“ (Lit.:GA 13, S. 14f)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Gemeint ist hier nicht etwa nur die geisteswissenschaftliche Prüfung durch die übersinnlichen Forschungsmethoden, sondern vor allem die durchaus mögliche vom gesunden, vorurteilslosen Denken und Menschenverstand aus. [Anmerkung Rudolf Steiners zur vierten Auflage, 1913.]