Sprachgestaltung

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Die Sprachgestaltung (eng. speech-formation, auch: creative speech) wurde von Rudolf und Marie Steiner gemeinsam entwickelt und gibt entscheidende Impulse für einen neuen künstlerischen und geistgemäßen Zugang zur Sprache.

Rudolf Steiner (1861-1925)
Marie Steiner (1867-1948)
Karl Rössel-Majdan (1916-2000)
Michael Tschechow (1891-1955)
Wolfgang Peter (* 1957)
Foto: Francois Hagdorn (2022)

Grundlagen

Sprache bildhaft gestaltend erleben als Basis für einen authentischen, lebendigen Vortrag, einen Interesse weckenden Unterricht in allen Fächern und eine überzeugende künstlerische Darstellung.

Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel nicht nur im Unterricht, sondern im Leben überhaupt. Entscheidend für den Kommunikationserfolg ist nicht nur was man sagt, sondern mehr noch wie man es sagt. Nur wenn man das, was man an inneren Einsichten errungen und mit Begeisterung empfunden hat, mit den Zuhörer, mit dem Schüler teilen kann, erreicht man ihn wirklich. Dazu bedarf es einer intensiveren, bewusster gestalteten, durch den Atem getragenen, prägnanten Sprache. Die durchschnittliche Alltagsprache gleitet am Hörer weitgehend ab. Wesentlich ist dabei nicht nur die Lautsprache als solche, sondern vor allem auch die Körpersprache, die sich durch Gestik, Haltung, Mimik, Blickführung usw. äußert, aber meist weitgehend unbewusst ausgeführt wird. In den Kursen für Sprachgestaltung lernt man, jeden einzelnen Laut, jeden Sprachrhythmus und jede Körperbewegung bewusst mitzuerleben und künstlerisch zu gestalten, eigene Hemmungen zu überwinden und so durch intensive Übung eine bessere Ausdrucksfähigkeit zu erlangen, die niemals „gemacht“ wirkt, sondern vollkommen natürlich und authentisch ist und den Zuhörer unmittelbar erreicht.

Den Anregungen Rudolf Steiners folgend führt der von Karl Rössel-Majdan weiterentwickelte systematische Ausbildungsgang von grundlegenden Lautübungen über Rezitation, Deklamation und Rhetorik zu einem tieferen und bewussteren Erleben des Sprachwesens. Übungen zur Gestik und Mimik, Temperamentsübungen, die Arbeit an einzelnen Rollentypen, Improvisationen und szenische Darstellungen regen die künstlerische Phantasie, den individuellen schöpferischen Willen und ein konkret gestaltendes lebendiges Denken an. So reift allmählich ein beseeltes, inspiriertes  Bühnenspiel heran, das den geistigen Gehalt eines Schauspiels authentisch im unmittelbaren Erleben offenbaren kann. Zugleich schulen die Übungen die praktische Menschenkenntnis und fördern eine tiefergehende heilsame Selbsterkenntnis als Basis für eine lebenslange kreative individuelle Persönlichkeitsentwicklung.

Die viersemestrige Ausbildung umfasst:

  1. Phonetik (Vokale, Konsonanten) und Atemübungen
  2. Rezitation und Deklamation (die Ausdrucksfähigkeit der Sprache wird an epischen und lyrischen Dichtungen geschult)
  3. Gestik, Mimik und Rhetorik
  4. Bewegung im Bühnenraum, Temperamentsübungen, Rollentypen, Improvisation, szenische Darstellung

Es liegt im Wesen der von Rudolf Steiner inaugurierten und von Karl Rössel-Majdan und Michail Cechov weiterentwickelte Methode, die Texte und Dramen nicht bloß intellektuell, sondern mit solch echt künstlerischem Sinn zu ergreifen, wie sie geschaffen wurden. Sie sollen aus dem unmittelbaren Erleben der nicht bloß leise gelesenen, sondern der selbst laut gesprochenen und gestalteten Sprache erfasst werden, aus der Seelenstimmung der Vokale, aus der charakterbildenden Formkraft der Konsonanten und dem wechselnden Rhythmus der Verse. Darin wurzelt die seelische Atmosphäre in der sich die geistige Tiefe der Dramen noch viel weitergehend offenbart, als in dem bloß intellektuell erfassten Handlungsablauf - „Das Was bedenke, mehr bedenke Wie“, um mit Goethe zu sprechen. Gelingt es, den Klang, die Formkraft und den Rhythmus der Sprache in bewegte farbenreiche Bilder zu verwandeln, so entsteht ein Schauspiel, das im unmittelbaren Hören und Schauen verstanden werden kann. Das Übersinnliche, also das, was geistig dem Stück zugrunde liegt und seelisch die handelnden Charaktere bewegt, offenbart sich augenblicklich und ohne weiteres Nachdenken als sinnlich erlebbares Phänomen im Klang der Sprache und der Bühnenmusik und in den bewegten Farben und Formen des Bühnengeschehens, in der Bühnenarchitektur, der Dekoration, in den Kostümen und Lichtstimmungen. In der Kunst muss sich der Sinn den Sinnen eröffnen  - das ist der Kern der goetheanistischen Methode.

Vorbildlich für die Theaterarbeit ist die Art, wie Rudolf Steiner mit den Schauspielern seine Mysteriendramen einstudiert hat. Die Texte hat Steiner meist erst unmittelbar in der Nacht vor der jeweiligen Probe niedergeschrieben. „Es wäre ja Unsinn“ meinte er, „ein Drama zu schreiben, bevor es sich um eine Aufführung handelt“ und er hat mit den Schauspielern so geprobt, dass er ihnen zuerst die Texte lebendig vorgesprochen hat und sie dann so lange proben ließ, bis er mit dem Ergebnis zufrieden sein konnte, doch hat er sie nie korrigiert oder weitläufige Kommentare zum Stück selbst gegeben; die Sprache selbst sollte in den Darstellern lebendig werden und im gemeinsamen Tun ihren geistigen Gehalt offenbaren. Nichts ging hier aus dem Intellekt, sondern alles aus dem weisheitsvollen schöpferischen Willen hervor. Das Schöne, so war Steiner überzeugt, ist nicht das Erscheinen der Idee im Sinnlichen, sondern die wahre Kunst besteht darin, dass das Sinnliche, verwandelt durch die schöpferische künstlerische Phantasie, selbst bereits als ein Geistiges erscheint. Dadurch wird das Sinnliche erhöht, veredelt, und zugleich das Geistige um eine neue Dimension des Menschlichen bereichert.

Die doppelte Gefährdung des «Wortes» im Zeitalter der Bewusstseinsseele

„Das «Wort» ist nach zwei Richtungen der Gefahr ausgesetzt, die aus der Entwickelung der Bewußtseinsseele kommen kann. Es dient der Verständigung im sozialen Leben, und es dient der Mitteilung des logisch-intellektuell Erkannten. Nach beiden Seiten hin verliert das «Wort» seine Eigengeltung. Es muß sich dem «Sinn» anpassen, den es ausdrücken soll. Es muß vergessen lassen, wie im Ton, im Laut, und in der Lautgestaltung selbst eine Wirklichkeit liegt. Die Schönheit, das Leuchtende des Vokals, das Charakteristische des Konsonanten verliert sich aus der Sprache. Der Vokal wird seelen-, der Konsonant geistlos. Und so tritt die Sprache aus der Sphäre ganz heraus, aus der sie stammt, aus der Sphäre des Geistigen. Sie wird Dienerin des intellektuell-erkenntnismäßigen, und des geist-fliehenden sozialen Lebens. Sie wird aus dem Gebiet der Kunst ganz herausgerissen.

Wahre Geistanschauung fällt ganz wie instinktiv in das «Erleben des Wortes». Sie lernt auf das seelengetragene Ertönen des Vokals und das geistdurchkraftete Malen des Konsonanten hin-empfinden. Sie bekommt Verständnis für das Geheimnis der Sprach-Entwickelung. Dieses Geheimnis besteht darin, daß einst durch das Wort göttlich-geistige Wesen zu der Menschenseele haben sprechen können, während jetzt dieses Wort nur der Verständigung in der physischen Welt dient.

Man braucht einen an dieser Geisteinsicht entzündeten Enthusiasmus, um das Wort wieder in seine Sphäre zurückzuführen. Marie von Sivers entfaltete diesen Enthusiasmus. Und so brachte ihre Persönlichkeit der anthroposophischen Bewegung die Möglichkeit, Wort und Wortgestaltung künstlerisch zu pflegen. Es wuchs zu der Betätigung für Mitteilung aus der Geistwelt hinzu die Pflege der Rezitations- und Deklamationskunst, die nun immer mehr einen in Betracht kommenden Anteil an den Veranstaltungen bildete, die innerhalb des anthroposophischen Wirkens stattfanden.“ (Lit.:GA 28, S. 438f)

Rezitation und Deklamation

"Dieses Rezitatorisch-Deklamatorische ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr und mehr eingelaufen in eine besondere Vorliebe für die Gestaltung desjenigen, was in den Worten an Bedeutung enthalten ist. Das Pointieren des wortwörtlichen Inhalts ist das, was immer mehr und mehr in den Vordergrund getreten ist. Wenig Verständnis wird unsere Zeit entgegenbringen einer solchen Behandlung, wie sie Goethe eigen war, der wie ein Musikdirigent mit dem Taktstock dagestanden hat und selbst seine Dramen auf die Gestaltung der Sprache hin mit seinen Schauspielern einstudiert hat. Dieses Gestaltende der Sprache, dieses Formhafte, das hinter dem wortwörtlichen Inhalt liegt, ist es, was im Grunde genommen den wirklichen Dichter als Künstler allein begeistern kann. Es muß immer wieder hervorgehoben werden, daß Schiller, wenn er daran ging, irgendeine Dichtung zu schaffen aus innerem Drang, eine unbestimmte Melodie, etwas Melodiöses könnte man sagen, zunächst als Seeleninhalt hatte. Ein musikalisches Element schwebte durch seine Seele, und dann kam der wortwörtliche Inhalt, der gewissermaßen nur bestimmt war, das aufzunehmen, was dem wahren Dichter als Künstler die Hauptsache war: das musikalische Element der Seele. Das ist es ganz besonders: auf der einen Seite dieses musikalische Element, das aber natürlich, wenn es dabei bliebe, bloße Musik wäre, und das, was das Malerische ist auf der andern Seite, zu dem wir zurückkehren müssen in der deklamatorisch-rezitatorischen Kunst. Um etwas zu sagen seinem prosaischen Inhalte nach, dazu ist das eigentlich Dichterische nicht da. Um den prosaischen Inhalt zu gestalten, um ihn umzugießen in Takt, Rhythmus, in melodiöse Thematik, in das, was erst hinter dem prosaischen Inhalte liegt, dazu ist eigentlich die Dichtung als Kunst da. Wir würden wohl weniger mit allerlei Dichtungen «gesegnet» sein, wenn wir nicht in dem unkünstlerischen Zeitalter der Gegenwart lebten, in dem weder in der Malerei zum Beispiel, noch in der Plastik, noch auch in der Dichtung und ihrer rezitatorisch-deklamatorischen Wiedergabe dieses eigentlich künstlerische Element gesehen würde.

Wenn man auf das eigentliche Ausdrucksmittel der Dichtung sieht, das dann hier ein Ausdrucksmittel des Rezitatorisch-Deklamatorischen ist, ist man natürlich auf die Sprache verwiesen. Die Sprache trägt in sich ein Gedankenelement und ein Willenselement. Das Gedankenelement neigt zu dem Prosaischen hin. Es wird der Ausdruck der Überzeugung. Es wird der Ausdruck desjenigen, was das konventionelle Zusammenleben oder das soziale Zusammenleben mit anderen Menschen fordert. Gerade indem die Kultur fortschreitet, und immer mehr und mehr der Ausdruck der Überzeugung, der Ausdruck des Konventionell-Sozialen in die Sprache eindringen muß im Fortschritt der Kultur, desto unpoetischer, unkünstlerischer wird die Sprache. Und der Dichter muß erst wiederum mit der Sprache kämpfen, um sie in künstlerische Gestaltung umzusetzen, in dasjenige, was Sprachgestaltung selber ist.

Die Sprache - ich habe das im Verlaufe meines anthroposophischen Schrifttums hervorgehoben - hat in sich einen vokalischen Charakter, der im wesentlichen erlebt wird vom Menschen durch sein Inneres. Das, was wir an der Außenwelt erfahren und innerlich erleben, kommt im Vokalischen zum Ausdruck. Das, was wir in gewisser Weise objektiv abbilden von Vorgängen, von Wesensgestaltungen der Außenwelt, kommt in dem Konsonantischen der Sprache zum Ausdruck. Dieses Vokalische und Konsonantische der Sprache ist natürlich in den verschiedenen Sprachen in der verschiedensten Weise vorhanden, und gerade an der Art und Weise, wie Sprachen vokalisieren oder konsonantieren, zeigt sich, inwiefern sie selber als Sprachen mehr oder weniger künstlerisch sich entwickeln. Es gewinnen heute einige Sprachen durch den Verlauf ihrer Entwickelung allmählich einen unkünstlerischen Charakter, verfallen in eine unkünstlerische Dekadenz. Und wenn nun der Dichter daran geht, die Sprache zu gestalten, so handelt es sich darum für ihn, daß er auf einer höheren Stufe diesen Sprachentstehungsprozeß selber wiederholt, daß er in der Gestaltung seiner Verse, in der Behandlung des Reimes, in der Behandlung der Alliteration - wir werden von alledem Proben hören und dann darüber zu sprechen haben - etwas trifft, was verwandt ist diesem Sprachentstehungsprozeß. Der Dichter wird durch sein intuitiv-instinktives Vermögen gedrängt, da wo es sich darum handelt, das Innere zum Ausdruck zu bringen, zum Vokalisieren zu greifen; man wird eine Häufung der Vokale haben. Und wenn der Dichter das Äußere zu gestalten hat, wird er greifen zum Konsonantieren. Man wird eine Häufung des einen oder anderen Elementes haben, je nachdem das Innere oder das Äußere zum Ausdruck gebracht werden soll. Dem muß der Rezitator und Deklamator nachgehen, denn dadurch wird er jenen Rhythmus von Innerlichkeit und Äußerlichkeit wiederum nacherschaffen können. Auf diese Sprachgestaltung, auf das Herausheben dessen, was so in dem künstlerischen Behandeln der Sprache liegt, wird es vorzugsweise ankommen bei der Neugestaltung der rezitatorisch-deklamatorischen Kunst." (Lit.: GA 281, S. 100ff)

Rudolf und Marie Steiners Kurse für Sprachgestaltung

Gemeinsam mit Marie Steiner hat Rudolf Steiner wiederholt Kurse für Sprachgestaltung gehalten. Teilnehmer dieser Kurse waren vorallem Lehrer, Schauspieler und Redner. Der letzte dieser Kurse fand Anfang September 1924 in Dornach statt, kurz bevor Steiners Erkrankung ihm ein weiteres öffentliches Wirken unmöglich machte. Rudolf Steiner faßt das Grundanliegen dieses Kurses für «Sprachgestaltung und dramatische Kunst» so zusammen:

"Er möchte einer Sehnsucht, die bei vielen heute ganz ausgesprochen vorhanden ist, entgegenkommen: der, aus dem stillosen Naturalismus der Bühnenkunst wieder zu einem Stil zu kommen.

Man wird das nur können, wenn man zuallererst gewahr wird, wie der Seelengehalt des Menschen, im Worte lebend gestaltet, sich offenbart. Das moderne Bewusstsein lebt dem Sprechen gegenüber ganz in der Ideenempfindung, es hat die Laut- und Wortempfindung fast verloren. Aber in der Ideenempfindung geht auch die sinnlich-wahrnehmbare Geistigkeit verloren, die das Wesen aller Kunst ist.

In der Bühnenkunst muss das am meisten empfunden werden. Denn sie bedarf des Mimischen, der Gebärde, der Geste, wenn sie das Wort zur rechten Geltung bringen soll. Gebärde und Geste binden sich im unmittelbaren Erleben nicht mit genügender Stärke an die Ideenempfindung, sondern an die Laut- und Wortempfindung.

Im Intonieren des Lautes a offenbart die Seele ursprünglich immer das Erlebnis der Bewunderung von etwas, des Erstaunens an etwas. In dem Laute o lebt die Empfindung des seelischen Umfas-sens von etwas. Lebt man sich in dieser Art in die Sprache ein, so wird man in der Vokalisiemng das innere Seelenerleben an der Aussenwelt, in der Konsonantisierung das Streben der Seele finden, in der Lautgestaltung ein hörbares Bild eines Gegenstandes oder Vorganges der Aussenwelt nachahmend zu formen.

Und dadurch kommt man zu dem Erlebnis des Wortes.

In dem b bestrebt sich die Seele die Umfassung eines Gegenstandes, in dem r das innere Erregtsein, Erzittern in einem Vorgang nachzuahmen.

In dem Gefüge von Vokalen und Konsonanten lebt die Seele in der Aussenwelt mit ihrem Leben; und es leben die Gestalten und Vorgänge der Aussenwelt im Bilde in der Seele.

In jedem Wort, in dem der a-Vokal enthalten ist, lebt etwas davon, dass die Seele über das Bezeichnete in Verwunderung oder Erstaunen ist. Das ist zumeist ganz verblasst für das gewöhnliche Bewusstsein. Aber in den unterbewussten oder auch halbbewussten Erlebnissen der Menschenseele stellt es die Beziehungen dar, die die Menschenseele zum Worte hat.

Wer durch das Wort künstlerisch offenbaren will, der muss diese Beziehungen in sich lebendig machen. Seine Seele muss sich in das Wort hineinleben; dann nur kann das Wort künstlerisch von ihm gestaltet werden.

Ein Dialog stellt dar, was zwei Menschen aneinander erleben. Die Seelen sind in Wechselwirkung. Während der eine spricht, hört der andere zu. Nun beginnt dieser zu sprechen. In seinem Worte muss nachklingen, was der Erste im Sprechen erlebt hat. Dieser hört jetzt dem Zweiten zu. In seinem stummen Zuhören muss für die dramatische Darstellung anschaulich werden, ob der Zweite ihn befriedigt, enttäuscht, bestürzt, besorgt und so weiter. Denn Kunst muss alles, was in ihr leben soll, auch zur Anschauung bringen.

Das Verhalten der Unterredner im Dialog ergibt sich, wenn ein jeder seine Seele mit der Laut- und Wortempfindung verbunden hat. Dem Darsteller wird durch diese Verbindung die Haltung, die er einzunehmen hat, zu einer Fähigkeit des Instinktes.

Die Vorbereitung für die bühnenmässige Darstellung soll die Schulung für Laut- und Wortempfindung in sich schliessen.

Die Ideenempfindung kann keine kunstgemässe Schulung geben. Denn sie wendet sich zu stark an den Intellekt. Dieser aber zerstört das Künstlerische. Er lässt das Anschauliche in die Unanschaubar-keit des inneren Seelenlebens verschwinden. Was auf der Bühne vorgeht, muss aber in der Wahrnehmbarkeit des Gehörten und in derjenigen des Gesehenen leben; es darf keinen Anspruch erheben, von dem Intellekt des Zuhörers und Zuschauers nachkonstruiert zu werden.

Es war richtig von Aristoteles gedacht und richtig von Lessing nachempfunden, dass die tragische Handlung in Furcht und Mitleid des Zuschauers nachschwingen muss. Diese Gefühle werden aber durch den Darsteller nur dann wachgehalten werden können, wenn er bis in die Sprachgestaltung hinein sein Seelenleben tragen kann.

Das Leben im Sprechen kann nur am Erleben der Sprache herangezogen werden. Man wird heute naturgemäss nicht immer Worte mit dem u-Laut zu sprechen haben, wenn man Furchtgetragenes zu sagen hat. Denn die Sprachen sind nicht mehr ursprünglich. Aber der u-Laut ist die Offenbarung des Furchterlebnisses der Seele. Hat man zu sagen: «Es naht Gefahr», so ist darin nicht der u-Laut. Aber die Intonierung, die man den Worten in diesem Falle zu geben hat, kann an der Empfindung, die sich am u-Laut erleben lässt, herangezogen werden.

Es ist das Geheimnis der Sprache, dass in jedem Laute andere unhörbar in der Seele mitklingen. Spreche ich a in einem Worte, das furchtgetragen ist, so klingt in den Tiefen der Seele der u-Laut mit. Der im gewöhnlichen Leben Sprechende hat damit selbstverständlich nichts zu tun. Er steht in der Situation des unmittelbaren Erlebens darinnen. Er ist mit dem Gefühle diesem Erleben nahe. Er spricht aus der erlebten Furcht die Worte: «Es naht Gefahr.» Der Bühnenkünstler steht nicht in der unmittelbaren Lebenssituation darinnen. Er muss instinktiv die Lautempfindung in sich tragen, die in dem Aussprechen eines Furchterregenden stumm mitschwingt. Im Dialog wird eine solche Lautempfmdung die Möglichkeit gewähren, dem Unterredner so zu antworten, dass der Zuschauer wahrnehmbar das Wechselverhältnis der dialogisierenden Seelen vor sich hat. Wenn im Dialog der eine der Unterredenden zuhört, während der andere spricht, wird in ihm die entsprechende Lautempfin-dung anklingen, und aus dieser heraus wird er seiner Erwiderung die rechte Intonierung geben. Eine Farbe nimmt sich im Anschauen immer etwas anders aus, ob sie neben blau, oder neben gelb ist. Ein Satz mit was immer für Vokalen tönt anders, je nachdem in ihm der furchtgeborene u-Laut noch nachschwingt, oder der freudegetragene i-Laut. Diese Lautempfindung kann ihm das Kolorit der Intonierung geben.

Im Dialog wird eine solche Lautempfindung die Möglichkeit gewähren, dem Unterredner so zu antworten, dass der Zuschauer wahrnehmbar das Wechselverhältnis der dialogisierenden Seelen vor sich hat. Wenn im Dialog der eine der Unterredenden zuhört, während der andere spricht, wird in ihm die entsprechende Lautempfindung anklingen, und aus dieser heraus wird er seiner Erwiderung die rechte Intonierung geben. Eine Farbe nimmt sich im Anschauen immer etwas anders aus, ob sie neben blau, oder neben gelb ist. Ein Satz mit was immer für Vokalen tönt anders, je nachdem in ihm der furchtgeborene u-Laut noch nachschwingt, oder der freudegetragene i-Laut." (Lit.: GA 280, S. 213ff)

Hören lernen

„Nur wenn man hören lernt, kann man sprechen lernen. Die beste Schulung für den Anfänger ist, nachzusprechen, was ihm gut vorgesprochen wird. In den guten alten Schulen liess man zunächst nur nachmachen. Es ist die einzig richtige Methode beim Sprechen: das Nachmachen, das Hörenlernen. Man muss da durch und findet dann das Eigene.

Die vorgesprochenen Übungen sollen so nachgesprochen werden, dass man in den Ton hineingeht; in jede Silbe, in jeden Laut muss man sich hineinlegen. Man muss mit der Stimme von Wort zu Wort sich getragen fühlen, ganz frei dabei werden, so dass man das Gefühl hat: man spricht mit der umgebenden Luft und nicht mit der Kehle. Die vibrierende Luft rundherum muss man fühlen und ein Echo geben auf dieses Vibrieren.

So lernt man die Sprache als einen Organismus erkennen, der sich hineinlegt in das, was man richtig hört. In der äusseren Luft muss man den Ton hören; da liegt der Resonanzboden. Die Sprachorgane geben nur den Boden her zur Bildung von Schwingungen. Man muss sich seiner Sprachwerkzeuge bewusst werden und die Resonanzlinien fühlen lernen. Alles Suchen von Resonanzen in Nase, Zwerchfell, Brust und Kopf vermechanisiert nur. Selbstverständliches Sprechen muss entstehen dadurch, dass man sich in jede Silbe hineinlegt und auch in die Konsonantenverbindungen. Später, wenn man das erlernt hat, macht es sich schon von selber, dass man die Nebensilben zum Beispiel leichter betont. Physiologische Resonanzen führen zu Einseitigkeiten. Man kann alles erreichen, wenn man von den Lauten ausgeht; wenn man den Ton moduliert, lernt, wie ein a und o studiert wird, plastisch gemacht wird dadurch, dass man den Ton von rückwärts nach vorn bringt; wenn man fühlt, wie jeder Konsonant erst plastisch wird, wenn er anders beweglich gemacht wird durch die Nachbarschaft der Vokale.“ (Lit.:GA 280, S. 34)

Verstehen im Hören

Das zeichnet einen guten Schauspieler oder Redner aus, dass er dem Zuhörer durch die Art wie er seine Sprache gestaltet ein unmittelbares Verstehen im Hören ermöglicht, ohne dass dazu ein auf das Hören folgendes Nachdenken notwendig ist, um den Sinngehalt des Gehörten zu erfassen - was natürlich nicht daran hindert, sondern sogar wesentlich erleichtert, sich über das so Gehörte später seine eigenen Gedanken zu machen.

„Wir haben vor allen Dingen zu berücksichtigen, daß im Künstlerischen alles wahrnehmbar, anschaulich sein muß, daß dasjenige, was Inhalt des Künstlerischen ist, da sein muß in der unmittelbaren Darstellung. In dem Augenblicke stehen wir nicht mehr in der Kunst drinnen, wenn der Zuschauer oder Zuhörer aus seinem Eigenen heraus etwas ergänzen muß, wenn der Zuhörer oder Zuschauer zum Beispiel bei der Bühnenkunst genötigt ist, irgend etwas zu konstruieren, damit er die eine oder die andere Person verstehe. Alles, was dem Zuhörer gegeben werden soll, soll in der künstlerischen Darstellung selber liegen. Der Bühnenkünstler hat zur Verfügung das Wort, das Wort in seiner Gestaltung, das Mimische, die Geste, Gebärde. Und eine ehrliche Kunst muß suchen, in diesen Mitteln der Bühnenkunst alles zur Offenbarung zu bringen, was an den Zuhörer oder Zuschauer herangebracht werden soll.

Dem widerspricht in unserer gegenwärtigen Zivilisation gar manches. Vor allen Dingen widerspricht ihm, daß wir gegenwärtig eigentlich im unmittelbaren Leben keine Laut- und Wortempfindung mehr haben, sondern eigentlich eine Ideenempfindung. Wir empfinden durch das Wort durch zum Sinn des Wortes hin, zu der Idee des Wortes. Wir haben eigentlich das Verstehen im Hören ganz verlernt und wollen im gewöhnlichen Leben überhaupt nurmehr das Hören im Verstehen vertragen. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Verstehen im Hören und dem Hören im Verstehen.

Verstehen im Hören
Hören im Verstehen

Diesen Unterschied muß vor allen Dingen der Schauspieler sich klarmachen. Und er kann sich ihn klarmachen, wenn er manches von dem, was wir in den bisherigen Stunden schon besprochen haben, noch von einem anderen Gesichtspunkte aus sich vor die Seele stellt.

Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, kein Laut ist durch die menschliche Seele geformt worden, ohne daß er als Vokallaut ein inneres Seelenerlebnis wiedergibt, welches an der Außenwelt erlebt ist, oder daß er als Konsonant versucht, im Lautbild einen äußeren Gegenstand, ein äußeres Wesen oder einen äußeren Vorgang nachzuahmen.“ (Lit.:GA 282, S. 145f)

Bühnenkunst

Für die Bühnenkunst muss sich diese Laut- und Wortempfindung bis in das Mimisch-Gebärdenhafte fortsetzen:

"In der Bühnenkunst muss das innere Leben der Sprache wieder erwachen. Denn es ist in der Sprache ein Teil der menschlichen Wesenheit enthalten.

Man findet diesen Teil, wenn man eine Anschauung sucht von dem Verhältnis des Mimischen, des Gebärdehaften zum Worte. In der Gebärde lebt eine vom Gefühl durchdrungene Willensoffenbarung des Menschen. Das Seelisch-Geistige ist als Bild in der Gebärde vorhanden. Insoferne das Seelisch-Geistige das Gefühl in die Bildhaftigkeit der Gebärde ausströmen lässt, offenbart sich die Menschenwesenheit in der Kraft des Willens nach aussen. Man hat es da mit einem Sichtbarwerden der menschlichen Wesenheit so zu tun, dass das Innere nach aussen getragen wird.

Aber der Mensch kann seine eigene Gebärde, sein eigenes Mimisches empfinden, vorstellen, wie er Dinge und Vorgänge der Aussenwelt vorstellt. Es liegt in dem Vorstellen der Gebärde dann eine Art Erfüllung des Bewusstseins mit der inneren menschlichen Wesenheit vor.

Die menschliche Organisation bringt im gewöhnlichen Leben diese Übertragung der willengetragenen Gebärde in die Vorstellung nicht zu Ende. Sie hält sie auf halbem Wege auf. Und da, wo sie sie aufhält, entsteht die Sprache. In dem Worte ist Mimisches und Gebärdenhaftes verkörpert. Das Wort ist selbst eine Gebärde in anderer Form.

Wer die Lautempfindung entwickelt, für den wird wahrnehmbar, wie die Gebärde in den Laut hineinschlüpft; und er kann im Sprechen ein in das Seelenhafte verfeinertes Erleben der Gebärde haben.

Will man das Sprechen zur künstlerischen Gestaltung bringen, dann muss man in dieser Art den Wortcharakter mit dem Erlebnis des Mimisch-Gebärdehaften in sich tragen können.

Und nur dadurch, dass das Wort mit dem Kolorit dieses Erlebens sich der Kehle des Menschen entringt, kann es zum Bühnenwort werden.

Im Bühnenworte muss lautlich der bewegte Mensch zur Offenbarung kommen. Dann nur wird eine anschauliche Verbindung der Gebärde, des Mimischen mit dem Gesprochenen vor dem Auge und Ohr des Zuschauers stehen. Und das Drama wird durch Worte und Geste des Schauspielers fliessen können.

Was im menschlichen Organismus beim gewöhnlichen Sprechen in den tief verborgenen Regionen des Unbewussten vor sich geht: die Umwandlung der Miene und Gebärde in die Intonierung des Lautes, das muss in künstlerischer Empfindung der Schauspieler vor das phantasievolle Bewusstsein bringen, damit in ihm phantasie-bewusste Gestaltung des Wortes wird, was die menschliche Wesenheit im Sprechen sonst ganz unbewusst tut, ja in den vorgerückteren Sprachen in die Farblosigkeit der Wortgestaltung hinein ganz verloren hat.

Bei der Schulung des Schauspielers muss daher von der Verkörperung des seelischen Erlebnisses zunächst in Mimik und Gebärde ausgegangen werden. Es wird das mit einiger Vollkommenheit nur möglich sein, wenn der angehende Schauspieler an der Seite eines Rezitators, der das Sprechen besorgt, zuerst die Rolle im mimischen und gebärdehaften Ausdruck übt, und dann zu diesem «stummen», aber «beredten» Spiel die Tingierung mit dem Worte hinzufügt.

Dann wird die Seele, die in willensmässiger Art sich der Bewegungsoffenbarung anvertraut, auch auf den Wellen der Worte leben können. Denn im Erregen der Gebärde wird die Seele erlebt; und in dem aus der Gebärde geborenen Worte wird dieses Erlebnis in die halbruhige Gestaltung des Lautlichen gebracht.

Lebt sich der Schauspieler in diesen Zusammenhang von Laut und Gebärdenbewegung ein, so wird die Wortgestaltung in ihm künstlerischer, phantasiegetragener Instinkt. Es muss dieses Instinktive in das Erleben hineinkommen, sonst erscheint die Darstellung als gemacht. Sie muss aber, um Kunst zu sein, als etwas völlig selbstverständlich Geborenes erscheinen.

Man wird den Willen zu einer solchen Erfassung der Bühnenkunst nur aufbringen, wenn man von einer geistgemässen Anschauung der menschlichen Wesenheit ausgehen kann. Denn eine solche wird in dem bewegtsprechenden Menschen das Weben des Geistig-Seelischen erkennen; und dieses kann dann für die Bühnendarstellung die rechte Grundstimmung abgeben.

Menschenerkenntnis, Verwandlung der Menschenerkenntnis in praktische Gestaltung des Lautlich-Gebärdehaften: das ist die Grundlage der Bühnenkunst. Was innerlich mit dem ganzen Menschen erlebt wird, das Sich-Anvertrauen dem lautbegleiteten Gestus, dem gebärdebegleitenden Worte: das ist Schauspielkunst." (Lit.: GA 280, S. 216ff)

Der dreifache Mensch auf der Bühne

„Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen noch den Schauspieler Lewinski vom Wiener Burgtheater kennengelernt haben. Der Schauspieler Lewinski war seiner äußeren Gestalt und seiner Stimme nach eigentlich möglichst wenig zum Schauspieler geeignet, und wenn er sein Verhältnis zu seiner eigenen Schauspielkunst schilderte, dann schilderte er das etwa folgendermaßen. Er sagte: Ja, ich würde natürlich gar nichts schauspielerisch können - und er war einer der ersten Schauspieler durch lange Zeit im Wiener Burgtheater, vielleicht einer der bedeutsamsten sogenannten Charakterspieler -, ich würde gar nichts können, sagte er, wenn ich mich darauf verlassen würde, wie ich mich eben auf die Bühne hinstelle: der kleine Bucklige mit der kratzenden Stimme, mit dem urhäßlichen Gesicht. Der könnte natürlich nicht irgend etwas sein. Aber da - sagte er - habe ich mir geholfen. Ich bin eigentlich auf der Bühne immer drei Menschen: das eine ist der kleine bucklige, krächzende Mensch, der urhäßlich ist; das zweite, das ist einer, der ist ganz heraußen aus dem Buckligen und Krächzenden, der ist ein rein Ideeller, eine ganz geistige Wesenheit, und den muß ich immer vor mir haben; und dann, dann bin ich erst noch der dritte: ich krieche aus allen beiden heraus und bin der dritte, und mit dem zweiten spiele ich auf dem ersten, auf dem krächzenden Buckligen.“ (Lit.:GA 282, S. 19)

Anschauung der eigenen Sprache und Persönlichkeit

"Es ist eben nötig - man kann es auch anders sagen - , daß der Schauspieler seinen eigenen Körper gut kennenlernt, denn diese eigene Körperlichkeit ist im Grunde genommen für den wirklichen Menschen, der zu spielen hat, das Instrument, auf dem er spielt. Er muß seinen eigenen Körper so kennenlernen wie der Violinspieler seine Geige; die muß er kennen. Er muß gewissermaßen in der Lage sein, seiner eigenen Stimme zuzuhören. Man kann das. Man kann es allmählich dahin bringen, daß man seine eigene Stimme immer so, wie wenn sie einen umwellte, hört. Das muß man aber üben, indem man etwa dramatische, es können auch lyrische sein, aber sehr stark in Form, Rhythmus und Takt lebende Verse versucht zu sprechen, indem man sich möglichst der Versform anpaßt. Dann wird man das Gefühl haben, daß man allmählich das, was gesprochen wird, vom Kehlkopf ganz loslöst, daß es wie in der Luft herumschwirrt, und man wird eine sinnlich-übersinnliche Anschauung von der eigenen Sprache bekommen.

In einer ähnlichen Weise kann man dann eine sinnlich-übersinnliche Anschauung von der eigenen Persönlichkeit bekommen. Man muß sich nur nicht gar zu sehr vor sich selber zieren. Sie sehen, Lewinski hat sich nicht geziert. Er nannte sich einen kleinen buckligen, urhäßlichen Menschen. Man muß sich also durchaus nicht Illusionen hingeben. Derjenige, der immer nur schön sein will - es mag ja auch solche geben, die es dann sind - , aber derjenige, der immer nur schön sein will, der sich gar nichts irgendwie hinsichtlich dieser Körperlichkeit zugestehen will, der wird zu einer körperlichen Selbsterkenntnis nicht so leicht kommen können. Die ist aber für den Schauspieler durchaus notwendig. Der Schauspieler muß wissen, wie er auftritt mit der Sohle, mit den Beinen, mit den Fersen und dergleichen. Der Schauspieler muß wissen, ob er sanft oder scharf auftritt im gewöhnlichen Leben, der Schauspieler muß wissen, wie er seine Knie beugt, wie er die Hände bewegt und so weiter. Er muß in der Tat den Versuch machen, während er seine Rolle studiert, sich selber anzuschauen." (Lit.: GA 282, S. 20)

Regie und Bühnenbild

Für die Gestaltung des Bühnenbildes und für die Regiekunst muss man sich in die Welt der Farben und ihrer seelischen Wirkungen einleben, um so den geeigneten Rahmen für das künstlerisch-dramatische Geschehen bilden zu können:

"Für die Gestaltung der Dichtung auf der Bühne bedarf die Regiekunst des Einlebens in die Welt der Farbe. Das kommt für die Kostümierung der Personen ebenso in Betracht wie für das dekorative Bühnenelement. Denn für den Zuschauer muss das, was er als Wort hört, als Geste sieht, mit der Gewandung des Schauspielers und mit dem plastisch-malerischen Bühnenbild zu einem Ganzen sich verweben.

Da kommt es auf die Möglichkeit an, in der Farbentönung Stil zu entfalten. Deshalb muss die Bühnenkunst sowie die Malerei jenen Übergang verstehen, der von dem Anschauen (Wahrnehmen) der Farbe an den Dingen und Vorgängen der Aussenwelt zu dem Erleben des Inneren der Farbe führt.

Eine tragische Stimmung in einem rötlich oder gelblich gehaltenen Bühnenbild ist unmöglich. Eine heitere Seelenverfassung auf blauem oder dunkelviolettem Hintergrund ebenso.

In der Farbe lebt das Gefühl auf räumliche Art. Wie der Anblick des Roten eine heitere Grundstimmung der Seele, des Blauen eine ernste, des Violetten eine feierliche auslöst, so fordert das liebend-hingebende Verhalten einer Person zu einer andern die räumliche Verkörperung in der rötlich gehaltenen Gewandung und in der ebenso rötlich gehaltenen Tönung der dekorativen Umgebung. Das verehrend-andächtige Erleben einer Person fordert für beides eine bläulich gehaltene Tönung.

Ein ähnliches gilt für den zeitlichen Ablauf der dramatischen Handlung. Geht diese von dem allgemeinen Interesse, das man im Anfange an Charakteren und Handlung nimmt, zu tragischen Katastrophen über, so entspricht dem ein Übergang in der Tönung von den hellen gelblich-roten, gelblich-grünen Farben zu den grünlich-blauen und blau-violetten. — Der Fortgang in der Stimmung zu einem heiter-befriedigenden Lustspielende fordert den Übergang in der Farbentönung vom grünlichen zum gelbroten oder rötlichen.

Doch damit ist nur ein Gesichtspunkt angedeutet. Zu diesem kommt der andere, dass in dem Nebeneinanderstehen der Charaktere diese in der Farbentönung sich offenbaren.

Man wird einen zornmütigen Menschen nicht in blauer Gewandung auftreten lassen, sondern in einer solchen mit heller Farbentönung, wenn man es mit einer tragischen Grundstimmung zu tun hat. Man kann aber einen zornmütigen Menschen, wenn die Dichtung es fordert, auch im ernst-feierlichen Blau erscheinen lassen. Er wird dann humoristisch wirken.

Ein freudig erregter Mensch auf einem blauen Hintergrunde, ein traurig gestimmter auf einem gelben wirken so, wie wenn sie in ihrer Umgebung nicht am rechten Platze wären; man lächelt über den ersteren und bemitleidet den zweiten.

Diese feinen Wirkungen spielen sich zwischen Bühne und Zuschauern ab. Ihre künstlerisch-phantasievolle Erkenntnis gehört zu dem, was die Regiekunst ausmacht.

In der Licht- und Farbentönung dessen, was gleichzeitig auf der Bühne erscheint, kombiniert und harmonisiert mit derjenigen, die sich auf das in der Zeit Verlaufende bezieht, wird sich der ganze Fortgang der dramatischen Handlung von einer Seite aus offenbaren lassen.

Man wird bei einer richtigen Auffassung der Sache gegenüber dem Angedeuteten nicht den Vorwurf erheben, dass die Künste hier in ungehöriger Art miteinander vermischt werden sollen. Denn in der praktischen Ausführung der Sache wird man finden, dass der Regisseur ein ganz anderes Einleben in die Farbe braucht als der Maler. Das beruht darauf, dass der Maler seine Gestaltungen aus der Farbe heraus geboren werden lässt, während die Regiekunst Charakter und Handlung in das leuchtend-farbige Bühnenbild hineinstrahlen lässt. Ein Maler, der das letztere tut, wird dekorativ im üblen Sinne; ein Regisseur, der in ersterem sich ergehen würde, ertötete das Leben auf der Bühne.

Bei einer Darstellung im Freien, bei der man mit der Ausstrahlung im Farbigen nicht rechnen kann, wird man eine viel koloriertere Sprachgestaltung und eine dem Innenerleben der Personen deutlicher entsprechende Gewandung brauchen, als in dem künstlich hergestellten geschlossenen Bühnenbilde. Das kommt aber nicht in Betracht, wenn es sich um die Darstellung der freien Natur im geschlossenen Bühnenbilde handelt. Da gilt durchaus, was in bezug auf die Farbentönung hier gesagt worden ist.

So wird man für das Bühnenbild nach Stilisierung von Licht und Farbe streben. Dagegen wird die Stilisierung des Linienhaften, Formhaften, Plastischen gemacht, manieriert erscheinen. Ein stilisierter Wald, eine stilisierte Architektur sind etwas Karikaturenhaftes. Da wird der Übergang zur realistischen Darstellung notwendig sein. Da setzt sich, was sich im Drama aus der Natur im übrigen heraushebt, in diese hinein wieder fort.

Wenn die rechte Sprachgestaltung durch die rechte Geste innerhalb des rechten Bühnenbildes sich offenbart, dann wird der Geist, der im Drama lebt, als Seele sich von der Bühne herab kundgeben. Und in einem solchen Kundgeben ist nur allein das Künstlerische möglich. Der Naturalismus entsteht nur aus der Ohnmacht gegenüber dem künstlerischen Gestalten. Er tritt auf, wenn der Stil den Geist verloren hat und zur Manier ausgeartet ist; er wird aber auch mit dem Geiste wieder gefunden."(Lit.: GA 280, S. 219ff)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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