Sozialwissenschaft

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Dieser Artikel beschreibt die Materie aus geisteswissenschaftlicher Sicht.

Die Sozialwissenschaften (oft auch als Gesellschaftswissenschaften bezeichnet) umfassen jene Wissenschaften, die Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen theoriegeleitet und/oder empirisch untersuchen.

In den Sozialwissenschaften werden Strukturen und Funktionen sozialer Verflechtungszusammenhänge von Institutionen und Systemen und auch deren Wechselwirkung mit Handlungs- und Verhaltensprozessen der einzelnen Individuen (Akteure) analysiert.

In den Sozialwissenschaften werden wissenschaftliche Methoden verwendet, die zum Teil mit denen der Natur- und zum Teil mit denen der Geisteswissenschaften verwandt sind. Deshalb ist die Abgrenzung schwierig. Es gibt keine einheitlichen Regelungen jenseits der Traditionen derjenigen wissenschaftlichen Institutionen, die sich den Sozialwissenschaften oder anderen Wissenschaftschaftszweigen zurrechnen. Sozialwissenschaft kann z.B. der Psychologie (Sozialpsychologie) oder der Philosophie (Sozialphilosophie) zugeordnet sein, sich aber auch als eigenständige Wissenschaft mit einem besonderen Gegenstand, einer besonderen Methode oder einer besonderen Perspektive (auf einen Gegenstand, der auch von anderen Wissenschaften untersucht wird) verstehen (z.B. die Soziologie).

Sozialwissenschaftliche Grundlagen der Lehre vom dreigegliederten sozialen Organismus

bisher berücksichtigt: GA 23, 24, 328, 188, 76 (5. Vortrag mit Schlußwort z. 4. Disputationsabend), GA 81 (5. Vortrag), GA 337a, GA 337b, GA 339

nächste Quelle: GA 199

Voraussetzungen der Methode und methodisches Vorgehen

„[Es ist zu erkennen] ...wie in der Darstellung dieses Buches dem sozialen Leben eben lebendige und nicht mathematische Gesetze zugrunde liegend gedacht werden.“ (Lit.:GA 23, S. 132 (Fußnote))

„Nur wer in abstrakten Gedanken lebt, dem erscheint alles in eindeutigen Umrissen. Ein solcher tadelt das Lebenspraktische oft, weil er es nicht bestimmt, nicht «klar» genug dargestellt findet. Viele, die sich Praktiker dünken, sind gerade solche Abstraktlinge. Sie bedenken nicht, daß das Leben die mannigfaltigsten Gestaltungen annehmen kann. Es ist ein fließendes Element. Und wer mit ihm gehen will, der muß sich auch in seinen Gedanken und Empfindungen diesem fließenden Grundzug anpassen. Die sozialen Aufgaben werden nur mit einem solchen Denken ergriffen werden können.“ (Lit.:GA 23, S. 21f.)

„[Der Verfasser] hält nicht viel von dem bloßen Hinweis auf «den Geist», von dem Reden über eine nebelhafte Geisteswelt. Er kann nur die Geistigkeit anerkennen, die der eigene Lebensinhalt des Menschen wird. Dieser erweist sich in der Bewältigung der praktischen Lebensaufgaben ebenso wirksam wie in der Bildung einer Welt- und Lebensanschauung, welche die seelischen Bedürfnisse befriedigt. Es kommt nicht darauf an, daß man von einer Geistigkeit weiß oder zu wissen glaubt, sondern darauf, daß dies eine Geistigkeit ist, die auch beim Erfassen der praktischen Lebenswirklichkeit zutage tritt.“ (Lit.:GA 23, S. 25)

„Das ist das Charakteristische im menschlichen Organismus, daß seine Systeme gerade dadurch ihre rechte Entfaltung und Wirksamkeit entfalten, daß sie nicht zentralisiert sind, sondern daß sie nebeneinander bestehen und frei zusammenwirken. Kann man heute nicht einmal in dieser umfassenden, eindringlichen Weise den menschlichen Organismus begreifen, so kann man mit der Wissenschaft, die noch nicht reformiert ist, die aber in geisteswissenschaftlichem Sinne reformiert werden muß, den sozialen Organismus erst recht nicht verstehen. Man glaubt heute, der menschliche Organismus ist etwas Zentralisiertes, während er eine Dreigliedrigkeit ist.“ (Lit.:GA 328, S. 21)

„Wie sehen wir heute die Menschen vielfach herumgehen, die aus gewisser ethisch-religiöser Vornehmheit heraus - wie sie meinen - den besten Willen zeigen mit Bezug auf ein richtiges Zusammenleben mit ihren Mitmenschen, die den besten Willen zeigen, ihren Mitmenschen nur das Allerallergütigste zu tun, die aber alles versäumen, dies wirklich zu tun, weil sie sich kein soziales, in den praktischen Lebensgewohnheiten drinnenstehendes Gefühlsleben aneignen.“ (Lit.:GA 328, S. 54)

„Es kommt heute nicht darauf an, daß man die Menschen daraufhinweist, zum Geiste zurückzukehren, sondern es kommt darauf an, daß Geist in dem ist, wie man heute über den sozialen Organismus denkt. Auf die Art und Weise, auf das Wie des Denkens kommt es an. Meinetwillen rede man gar nicht vom Geist, aber in der Art und Weise, wie man über die Lebenspraxis redet, sei Geist.“ (Lit.:GA 328, S. 55)

„Die theoretische Ansicht, daß das Geistige bloß Ideologie ist, sie ist das Ungefährlichste. Das Wichtigste ist, daß in einem Menschen, der die Anschauung hat, das Geistige wurzele nicht in einer allen Dingen zugrunde liegenden geistigen Wirklichkeit, sondern in einer bloßen Ideologie, nicht die geistige wirkliche Stoßkraft vorhanden sein kann. Ein solcher Mensch hat kein Interesse daran, dem geistigen Leben seine richtige Rolle in der Welt zuzuerteilen.“ (Lit.:GA 328, S. 22)

„Das ist es, was in der ersten wahren Gestalt der sozialen Frage in Wirklichkeit lebt, wenn man in die Tiefen dieser Frage einzudringen versteht, daß die Entwickelung des modernen Geisteslebens um die Wende der neueren Zeit oder seit dieser Wende der neueren Zeit im 19.Jahrhunderte allmählich sich so abgestumpft, abgeschwächt, abgelähmt hat, daß die Menschen nicht mehr wußten: in ihnen lebt der Geist als ein realer, lebendiger, sondern daß sie glaubten, nur Ideen, nur Spiegelbilder irgendeiner Wirklichkeit leben in ihnen - was dann in der Welt- und Lebensanschauung des modernen Proletariats dazu geworden ist, daß dieses Proletariat sagt: Es gibt auf geistigem Gebiete nur eine Ideologie. Die Wirklichkeit ist nur in dem ökonomischen, in dem wirtschaftlichen Prozesse, in dem Klassenkampfe; da spielt sich die Realität ab. - Aber daraus dampft in irgendeiner Weise etwas herauf in die Seelen der Menschen; das kommt in Form von Bildern zur Offenbarung, von Bildern, die sich ausleben in der Wissenschaft, in der Sitte, in der Religion, in der Kunst. Das gibt einen Überbau für den einzig wirklich realen Unterbau. Und wenn man auch nicht umhin kann zuzugeben in der Soziologie, daß das, was in diesem Überbau als eine Ideologie lebt, wiederum real zurückwirkt auf das wirtschaftliche Leben, es bleibt doch Ideologie. Es gibt kein Heilmittel aus dieser Ideologie heraus, wenn man nicht zum wirklichen geistigen Erleben, wie es die geistige Wissenschaft in die moderne Menschheit hineinführen will, wenn man nicht zu diesem geistigen Erleben greift. Heilung von den Schäden der Ideologie ist nur zu erreichen durch wirkliche Vertiefung in den wahrhaftigen Geist und seine Erscheinungen, durch Vertiefung in die wirkliche übersinnliche Welt.“ (Lit.:GA 328, S. 58f.)

„Dieses moderne Leben - wie ich ja oftmals in meinen Vorträgen, die ich hier in Zürich gehalten habe, betonte - hat Denkgewohnheiten, hat Denkformen herausgebildet, die sich für eine gewisse Richtung der Naturwissenschaft außerordentlich fruchtbar erweisen. Es hat dann dieses moderne Denken auch eindringen wollen in das Begreifen und begreifende Reformieren, reformierende Begreifen des sozialen Lebens selbst, der sozialen Erscheinungen und Impulse des Lebens. Aber bei diesem Eindringen hat man überall das Gefühl: Die Menschen der Gegenwart, die gerade rein in den Denkformen und Denkgewohnheiten der Gegenwart drinnenstehen, haben nicht Begriffe, welche in Wirklichkeit die komplizierten Erscheinungen des sozialen Lebens erfassen können. Gewissermaßen sind die Begriffe zu engmaschig. Sie können nicht in sich fassen die komplizierten Erscheinungen des sozialen Lebens selbst. Sie bleiben abstrakt, sie bleiben konturenhaft, aber sie dringen nicht ein in das wirkliche Leben selbst, das sich im sozialen Körper abspielt.“ (Lit.:GA 328, S. 51f.)

„Dieser lebendig wirksame Geist ist in uns. Er ist da, wie die Dinge draußen im Räume sind und die Vorgänge draußen in der Zeit sind. Und wenn man sich in diese Stellung zum wirklichen geistigen Erkennen nun nicht bloß hineindenkt, sondern hineinlebt, dann sprießt aus diesem geistigen Erkennen ein innerlicher Impuls, der ein Antrieb ist, den Geist in der Welt real zu machen durch sich selber, der ein Antrieb ist, den Geist als Realität zu erleben und zu verwirklichen in einer ganz anderen Weise, als das sein kann durch das, was ein bloßes Spiegelbild ist an Ideen, an Begriffen, die von einem Geistigen handeln. Es ist ein großer Unterschied, ob man sagt: Ich denke über den Geist, ich glaube an den Geist -, oder ob man sagt: In mir denkt der Geist, in mir empfindet der Geist. - (...) Etwas von seelisch-geistiger Stärke muß in die Menschheitsentwickelung hineinkommen aus diesem geistigen Erleben heraus. Und dieses Etwas von seelisch-geistiger Stärke, was in die Menschheitsempfindung hineinkommen soll, es ist von größerer sozialer Wichtigkeit als man denken kann, denn es ist das, was das Heilmittel ist für die lähmende, in der vorigen Woche hier charakterisierte Ideologie, welche das Proletariat von dem Bürgertum als ein bedrückendes Erbe übernommen hat.“ (Lit.:GA 328, S. 58)

Methode und Gegenstand

„[D]ie Dreigliederung des sozialen Organismus [hat] ihre Begründung im Wesenhaften des menschlichen Gesellschaftslebens.“ (Lit.:GA 23, S. 138)

„Diese Erschütterungen werden nur dann nicht eintreten, wenn der soziale Organismus in der Art gestaltet ist, daß in ihm jederzeit die Neigung vorhanden sein kann, zu beobachten, wo eine Abweichung von den durch die Urgedanken vorgezeichneten Einrichtungen sich bildet, und wo zugleich die Möglichkeit besteht, dieser Abweichung entgegenzuarbeiten, ehe sie eine verhängnistragende Stärke gewonnen hat.“ (Lit.:GA 23, S. 75)

„In unsern Tagen sind in weitem Umfange des Menschenlebens die Abweichungen von den durch die Urgedanken geforderten Zuständen groß geworden. Und das Leben der von diesen Gedanken getragenen Impulse in Menschenseelen steht als eine durch Tatsachen laut sprechende Kritik da über das, was sich im sozialen Organismus der letzten Jahrhunderte gestaltet hat. Daher bedarf es des guten Willens, in energischer Weise zu den Urgedanken sich zu wenden und nicht zu verkennen, wie schädlich es gerade heute ist, diese Urgedanken als «unpraktische» Allgemeinheiten aus dem Gebiete des Lebens zu verbannen.“ (Lit.:GA 23, S. 93)

„Notwendig ist aber heute, zu sehen, daß man nicht anders ein den Tatsachen gewachsenes Urteil gewinnen kann als durch Zurückgehen zu den Urgedanken, die allen sozialen Einrichtungen zugrunde liegen. Wenn nicht rechte Quellen vorhanden sind, aus denen die Kräfte, welche in diesen Urgedanken liegen, immer von neuem dem sozialen Organismus zufließen, dann nehmen die Einrichtungen Formen an, die nicht lebenfördernd, sondern lebenhemmend sind.“ (Lit.:GA 23, S. 92f.)

„Denn das Menschenleben ist mit der neuesten Zeit in einen Zustand eingetreten, der aus dem sozial Eingerichteten immer wieder das Antisoziale hervorgehen läßt. Dieses muß stets neu bewältigt werden. Wie ein Organismus einige Zeit nach der Sättigung immer wieder in den Zustand des Hungers eintritt, so der soziale Organismus aus einer Ordnung der Verhältnisse in die Unordnung. Eine Universalarznei zur Ordnung der sozialen Verhältnisse gibt es so wenig wie ein Nahrungsmittel, das für alle Zeiten sättigt.“ (Lit.:GA 23, S. 14)

„Wer die Frage so stellt, der richtet dabei sein Augenmerk nicht auf die Tatsache, daß der soziale Organismus ein fortwährend Werdendes, Wachsendes ist. Man kann diesem Wachsenden gegenüber nicht so fragen: Wie soll man es am besten einrichten, damit es durch diese Einrichtung dann in dem Zustande verbleibe, den man als den richtigen erkannt hat? So kann man gegenüber einer Sache denken, die von einem gewissen Ausgangspunkt aus wesentlich unverändert weiter wirkt. Das gilt nicht für den sozialen Organismus. Der verändert durch sein Leben fortwährend dasjenige, das in ihm entsteht. Will man ihm eine vermeintlich beste Form geben, in der er dann bleiben soll, so untergräbt man seine Lebensbedingungen.“ (Lit.:GA 23, S. 107)

„Und warum, warum ist Kunst, Sitte, Sittlichkeit, Religion, sonstiges geistiges Leben dem modernen Proletarier zur Ideologie geworden? Weil er empfangen hat von denjenigen, die früher die führenden Kreise waren, eine Wissenschaft, die nicht mehr einen lebendigen Zusammenhang unterhalten will zu der wirklichen Geistwelt, eine Wissenschaft, die nicht mehr aufweist irgendeinen Impuls, der zu wirklicher Geistigkeit führt. Eine solche Wissenschaft kann höchstens zu abstrakten Begriffen als Naturgesetze führen. Sie kann auch zu nichts anderem führen, als zu einer Anschauung des Geistigen als Ideologie. Sie zeitigt Methoden, die eben nur geeignet sind auf der einen Seite für die rein objektive, außermenschliche Natur, und innerhalb des Menschenlebens nur für das wirtschaftliche Geschehen. Als der moderne Proletarier diese Wissenschaftsrichtung übernehmen mußte, da wurde sein Blick wie durch eine mächtige suggestive Kraft hingelenkt auf das, worauf man durch solche Wissenschaft nur hingelenkt werden kann, auf das Wirtschaftsleben. Und er fing an zu glauben, daß dieses Wirtschaftsleben die einzige Wirklichkeit sei, während die Wahrheit die ist, daß das, was ihm die bürgerlichen Klassen als Wissenschaft übergeben haben, eben einzig und allein sich richten kann auf das wirtschaftliche Leben.“ (Lit.:GA 328, S. 18)

„[D]as Wirtschaftsleben (...) [muß] nach ganz anderen Methoden begriffen werden muß als der Mensch selber (...) der Glaube [ist] falsch ..., man könne durch die Betrachtung des bloßen Wirtschaftssystems, auf das allein die naturwissenschaftliche Methode paßt, die Wege herausfinden, wie die Arbeitskraft des einzelnen Menschen in den sozialen Organismus sich eingliedern könne.“ (Lit.:GA 328, S. 20f.)

„Die Betrachtung des sozialen Organismus - allerdings hat man es da mit einem Werdenden, mit einem eigentlich erst Entstehenden zu tun -, insoferne er gesund sein soll, ...“ (Lit.:GA 328, S. 28)

„Und das ist das Bedeutsame in den heraufkommenden Kräften der neueren Zeit, daß die Menschheit nicht mehr stehenbleiben kann bei einem bloß instinktiven Wollen, daß sie einfach, durch die Natur der Entwickelung herausgefordert, zu einem bewußten Wollen gerade mit Bezug auf die Gestaltung der sozialen Struktur sich ausrüsten muß. Will man sich aber mit einem bewußten Wollen ausrüsten, so braucht man diesem Wollen zugrundeliegende, wirklichkeitstragende Gedanken, nicht bloß Gedanken, die ganz aus der Wirklichkeit abstrahiert sind, sondern Gedanken, die das eigene Wollen verwandt machen mit den Kräften, die im Naturgeschehen, die im Weltenwalten selber drinnen sind. Man muß gewissermaßen mit seinem eigenen Wollen verwandt werden mit den Schöpferkräften des natürlichen Daseins.“ (Lit.:GA 328, S. 105)

„Gewiß wird die Entwickelung das Notwendige bringen müssen; aber in dem sozialen Organismus sind die Ideenimpulse des Menschen Wirklichkeiten. Und wenn die Zeit ein wenig vorgeschritten sein wird und das verwirklicht sein wird, was heute nur gedacht werden kann: dann wird eben dieses Verwirklichte in der Entwickelung drinnen sein. Und diejenigen, welche «nur von der Entwickelung» und nicht von der Erbringung fruchtbarer Ideen etwas halten, werden sich Zeit lassen müssen mit ihrem Urteil bis dahin, wo, was heute gedacht wird, Entwickelung sein wird. Doch wird es eben dann zu spät sein zum Vollbringen gewisser Dinge, die von den heutigen Tatsachen schon gefordert werden. Im sozialen Organismus ist es nicht möglich, die Entwickelung objektiv zu betrachten wie in der Natur. Man muß die Entwickelung bewirken. (...) [In die soziale Lebensauffassung ist aufzunehmen], ... was nicht nur im Bestehenden liegt, sondern dasjenige, was in den Menschenimpulsen - von ihnen oft unbemerkt - keimhaft ist und sich verwirklichen will.“ (Lit.:GA 23, S. 137)

Verhältnis von Denken und Handeln zu sozialen Vorgegebenheiten und sozialer Realisierung (Strukturen und Prozesse)

„Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.“ (Lit.:GA 23, S. 62)

„Der Zusammenschluß der drei Glieder durch eine Gesamtkörperschaft, die aus den Delegierten der drei Zentralverwaltungen und Zentralvertretungen sich ergibt, wird die denkbar größte Gewähr dafür bieten, daß nicht das eine Gebiet durch das andere vergewaltigt werde.“ (Lit.:GA 24, S. 218)

Abgesehen von der Frage, ob dieser Vorschlag einer Gesamtkörperschaft ("runder Tisch?") möglicherweise ein Zugeständnis an die Ängstlichkeit derjenigen politischen Verantwortungsträger damals darstellte, an die sich Rudolf Steiner mit seinem Gestaltungsvorschlag zunächst richtete, nämlich an deren antizipierte Befürchtung, der soziale Organismus würde durch die Dreigliederung auseinander fallen, nicht genug Zusammenhalt haben, ist doch die Differenzierung zwischen einem dreigegliederten Organismus in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben, und einer Dreigliederung der den Gliedern zugeordneten Verwaltungen: Korporationen des Geisteslebens, Assoziationen des Wirtschaftslebens, und politische Vertretung und Administration, auffällig.

Dieser Unterschied hat möglicherweise auch bisher zu wenig Beachtung gefunden, gerade bei Vertretern einer "funktionellen" Dreigliederung. Die funktionelle Dreigliederung in die Bereiche Wirtschaft, Politik und Kultur ist heute im allgemeinen Bewußtsein gut sichtbar, die drei "Sphären" werden auseinandergehalten. Ist damit der Idee der sozialen Dreigliederung schon Genüge getan?

Es handelt sich dabei zunächst nur um den einen Aspekt, den Rudolf Steiner so formuliert hat:

„Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch eine einseitige Wirksamkeit in das menschliche Leben sich besonders machtvoll hereingestellt. Die andern beiden Glieder des sozialen Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern. Für sie ist es notwendig, daß der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen heraus die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte; an dem Orte, an dem er gerade steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft.“ (Lit.:GA 23, S. 64f.)

„Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.“ (Lit.:GA 23, S. 62)

Die angeführten "Empfindungen" beziehen sich auf die Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären, verschiedener Sinnhorizonte und einem entsprechenden "passenden" Verhalten. Es ist damit zunächst nur eine bewußtseinsmäßige Gliederung verbunden. Im Falle von Korruption liegt ein Fehlverhalten vor. Dies nimmt man wahr, ohne daß dadurch auch die Korruption schon aufgehoben wäre. Trotz der Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären kann die erforderliche Gliederung im Sinne von richtiger getrennter Selbständigkeit fehlen. Und so ist es ja heute auch weiterhin. Man darf also die Forderung nach der konkret-verwaltungsmäßigen Gliederung, die die richtige Trennung der drei Glieder und deren Zusammenspiel gewährleisten soll, nicht unterschätzen. Eine gegebene Trennung und auch Einheit der drei Sphären im Bewußtsein des Menschen genügt für sich alleine nicht. Die Menschen müssen auch entsprechend handeln, und das heißt, entsprechend handeln können, sowie auch erwarten können, daß andere sich ebenso verhalten können und werden. Damit Dreigliederung funktioniert, müssen entsprechende Einrichtungen da sein, d.h. es muß Selbstverwaltung der Wirtschaft und des Geisteslebens unabhängig von staatlichen Vorschriften geben. Nur mittels konkreter, staatsunabhängiger Selbstverwaltung kann sich ein freies Geistesleben "realisieren".

Es ist deswegen auch nicht richtig, von der Idee der sozialen Dreigliederung lediglich als von einem "Urbild" zu sprechen, mittels dessen man soziale Wahrnehmungen hat. Da findet man dann überall dreigegliedertes soziales Geschehen. Die drei Aspekte lassen sich überall aufsuchen, ohne daß dadurch etwas am sozialen Organismus bereits gebessert wäre. Das Urbild der sozialen Dreigliederung ist nur ein wahres, wenn es in der konkreten, praktischen Realisierung "lebt". Das Urbild, die Urgedanken müssen im konkreten-praktischen Leben zur Geltung kommen, sich ausleben können. Wenn das nicht der Fall ist, dann handelt es sich um den von Rudolf Steiner kritisierten Zustand eines bloß ideologischen Geisteslebens, das keine Kraft zur Umgestaltung, zur Herstellung oder Wiederherstellung von Ebenbildlichkeit im sozialen Leben hat.

„... daß von einem unwirklichen Denken ausgegangen wird. Daß geglaubt wird, die Menschen könnten in einer Gemeinschaft nur eine Einheit des Lebens erzeugen, wenn diese Einheit durch Anordnung erst in die Gemeinschaft hineingetragen wird. Doch das Umgekehrte wird von der Lebenswirklichkeit verlangt. Die Einheit muß als das Ergebnis entstehen; die von verschiedenen Richtungen her zusammenströmenden Betätigungen müssen zuletzt eine Einheit bewirken. Dieser wirklichkeitsgemäßen Idee lief die Entwickelung der letzten Zeit zuwider.“ (Lit.:GA 23, S. 121)

„In der Lebenshaltung des einzelnen Menschen fließen die Wirkungen aus den Rechtseinrichtungen mit denen aus der rein wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen. Im gesunden sozialen Organismus müssen sie aus zwei verschiedenen Richtungen kommen.“ (Lit.:GA 23, S. 73)

„Dreigliederung: die Menschen finden sie heute schwer verständlich, weil sie eben nicht haben sehen wollen auf das, was wirklich geschehen ist. Die Entwickelung der Menschheit hat eigentlich in den Tatsachen, die sich nur den Blicken der Menschen entziehen, ein großes Stück der Dreigliederung schon verwirklicht, nur passen sich die Menschen der Verwirklichung nicht an. Ich will Ihnen ein Beispiel anführen: Wenn wir in die sechziger Jahre zurückgehen, so finden wir, daß innerhalb Deutschlands die Eisenindustrie so beschaffen war, daß dazumal ungefähr 799 000 Tonnen Rohstoffe zu Eisen verarbeitet werden mußten: von etwas mehr als 20 000 Arbeitern wurden diese 799 000 Tonnen Rohstoffe zutage gefördert. Bis zum Ende der achtziger Jahre war durch den Aufschwung der Eisenindustrie, durch die großen Anforderungen, welche auf der einen Seite der vermehrte Eisenbahnverkehr, die großen Kriegsrüstungen auf der anderen Seite stellten - das hat sich später noch ins Unermeßliche gesteigert -, schon am Ende der achtziger Jahre war die Eisenindustrie so gestiegen, daß nicht mehr 799000 Tonnen Roheisen verarbeitet wurden, sondern daß notwendig wurden bereits 4500000 Tonnen Roheisen. Nun werden Sie fragen können: Wie viele Arbeiter sind denn nun notwendig geworden, um dieses Roheisen zutage zu fördern? Ich sagte: Etwas über 20 000 Arbeiter waren notwendig, um 799 000 Tonnen zutage zu fördern. Dann waren es 4 500 000 Tonnen. Dazu waren am Ende der achtziger Jahre nur etwa 21300 Menschen notwendig. Also bitte, lassen Sie diese Zahlen einmal zu Ihrem Gemüte sprechen, lassen Sie sie nicht so sprechen, wie Statistiker sprechen, sondern fassen Sie diese Zahlen auf: Etwas über 20000 Menschen ungefähr haben 799000 Tonnen zutage gefördert im Anfang der sechziger Jahre. 21 000 Menschen ungefähr, also wenig mehr Menschen, haben 4500000 Tonnen Roheisen gefördert Ende der achtziger Jahre. Wie ist das möglich? Sie müssen doch fragen: Wie ist das möglich? Das ist nur möglich geworden durch ungeheuer knifflige technische Ver- besserungen, nur dadurch, daß ausgiebigste, geradezu unermeßliche technische Verbesserungen eingetreten sind, die es möglich gemacht haben, daß ein Mann so viel mehr an Roheisen zutage förderte. Also für alles das, was an Fortschritten stattgefunden hat mit Bezug auf diesen Betriebszweig - und man könnte Ähnliches ausführen für fünfundzwanzig bis dreißig Betriebszweige erster Linie, erster Repräsentation -, für alles das, was in einem solchen Betriebszweige stattgefunden hat, sind solche Verbesserungen eingetreten. Was bedeutet denn das? Was bedeutet es, wenn fast dieselbe Menschenzahl durch rein technische Verbesserungen soundso viel mehr produziert? Glauben Sie, das hat keine Folgen? Natürlich hat es die Folgen, da die Menschenzahl sich nicht sehr vermehrt hat, daß dieselbe Menschenzahl dieselbe Sache produziert in so viel größeren Mengen, daß dadurch das ganze übrige Wirtschaftliche, das sich daranschließt, revolutioniert wird. Denken Sie sich einmal, was das bedeutet für den dritten Zweig des abgegliederten, des dreigliedrigen Organismus. Von allen Rechtsverhältnissen, von allen geistigen Verhältnissen braucht sich nichts zu verändern, lediglich hat sich etwas verändert in dem wirtschaftlichen Verhältnis. Denn alles das, was sich verändert hat, kam in der Preislage des Eisens und alledem, was damit in Zusammenhang steht, zum Ausdruck. Es heißt das nichts Geringeres, als daß sich unabhängig von der geistigen Entwickelung, von der rechtlichen Entwickelung - denn Sie brauchen kein anderes Recht, wenn Sie nicht auf das Ganze schauen -, unabhängig davon sich das Wirtschaftsleben loslöste und, ohne daß die Menschen daran teilnahmen, sich umgestaltete. Die Dinge taten das Ihrige, nur die Menschen nahmen keine Rücksicht darauf. Das mag Ihnen ein Beweis dafür sein, daß in den Tatsachen die Dreigliederung sich vollzog. Die wahre Wirtschaftslehre ist ganz von selber weiter fortgeschritten, die Menschen aber kamen nicht nach; sie verwendeten ihren Verstand dazu, nicht nachkommen zu brauchen, bei den alten Verhältnissen bleiben zu können. Mag man noch so sehr begeistert sein für die große Kapazität, die in die Verbesserung hineinging, das ist richtig, aber darauf kommt es nicht an für heute. Heute kommt es darauf an, daß das Wirtschaftsleben sich emanzipiert hat. In der Preisbildung und in alledem, was mit der Preisbildung und der Währungsbildung zusammenhängt, hat das Wirtschaftsleben seinen eigenen Gang gemacht. Darauf kommt es an. Die drei Zweige haben sich im Grunde genommen voneinander emanzipiert, und die Menschen haben sie künstlich zusammengeschweißt und waren genötigt, sie immer mehr und mehr zusammenzuschweißen.“ (Lit.:GA 192, S. 26ff. (Hervorhebung fett n. Orig.)

„Es genügt nicht, diese Dinge theoretisch zu verstehen, sondern man muß sich klar sein, daß wenn man im sozialen Leben drinnensteht - ein gewisses soziales Leben hat ja der Mensch immer um sich -, daß dann diese Dinge wirklich werden. Denn die soziale Struktur ist ja Menschenschöpfung. In die soziale Struktur geht alles hinein, was im Menschen liegt, und wir haben in unserer sozialen Struktur Dinge drinnen, die wir nicht beachten, die aber heute beachtet werden müssen, sonst kommen wir aus gewissen Schäden unseres Zeitlebens nicht heraus.“ (Lit.:GA 192, S. 174)

„Eigentlich verwirklicht sich schon seit den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts das, was in dieser Dreigliederung steht, nur die Menschen haben sich anders verhalten und sind dadurch in furchtbare Widersprüche geraten mit dem, was in den Tatsachen verwirklicht wird.“ (Lit.:GA 192, S. 17)

Ursachen der Notwendigkeit von Dreigliederung:

„In der Gegenwart dieser Entwickelung steht man vor der Notwendigkeit, diese Gliederung durch zielbewußtes soziales Wollen zu erstreben.“ (Lit.:GA 23, S. 26 ; [Gliederung: Dreigliederung])

(Ursache: Wandlung der Seelenkonstitution (s. Gemischter König).

„Die neuere Zeit fordert ein bewußtes Sichhineinstellen des Menschen in den Gesellschaftsorganismus. Dieses Bewußtsein kann dem Verhalten und dem ganzen Leben der Menschen nur dann eine gesunde Gestaltung geben, wenn es von drei Seiten her orientiert ist. Nach dieser Orientierung strebt in den unbewußten Tiefen des Seelischen die moderne Menschheit;“ (Lit.:GA 23, S. 87)

(Dazu stellt sich die Frage, ob die veränderte Seelenkonstitution des modernen Menschen (das Auseinanderfallen, die Verselbständigung von Denken, Fühlen, und Wollen, die dann durch das Ich wieder bewußt harmonisiert werden müssen (vgl. Gemischter König)), Auswirkungen im Gebiet der Urgedanken hat.)

„Denn es handelt sich nicht um ein Programm, das man ausführen oder unterlassen kann, sondern es handelt sich darum, daß das erkannt werden muß, was sich verwirklichen will, und was der Mensch deshalb verwirklichen muß, weil es in seinen notwendigen geschichtlichen Wachstumskräften für die Gegenwart und die nächste Zukunft liegt.“ (Lit.:GA 328, S. 43f.)

„Man sieht nicht, wie der Mensch zu jedem der drei Glieder ein besonderes Verhältnis hat, das in seiner Eigenart nur entfaltet werden kann, wenn im wirklichen Leben ein für sich bestehender Boden vorhanden ist, auf dem sich, abgesondert von den beiden andern, dieses Verhältnis ausgestalten kann, um mit ihnen zusammenzuwirken.“ (Lit.:GA 23, S. 122)

„Die Menschen werden weder in Klassen noch in Stände sozial eingegliedert sein, sondern der soziale Organismus selbst wird gegliedert sein. Der Mensch aber wird gerade dadurch wahrhaft Mensch sein können. Denn die Gliederung wird eine solche sein, daß er mit seinem Leben in jedem der drei Glieder wurzeln wird.“ (Lit.:GA 23, S. 140)

„Es ist ja richtig, daß viel heute gesprochen wird über den Menschen als soziales Wesen, über soziale Verhältnisse und soziale Forderungen überhaupt. Allein, dieses Reden über soziale Forderungen ist nicht gerade von einem tiefen Verständnis dessen getragen, was soziales Wesen eigentlich ist. Man braucht sich deshalb darüber nicht zu wundern, weil eigentlich erst in der Gegenwart der Anfang jener Zeit ist, in der die Menschheit reif werden soll, sich ein soziales Urteil zu bilden. Die Menschheit hat es ja in einem gewissen Sinn nicht nötig gehabt bis jetzt, sich ein soziales Urteil zu bilden. Warum? Der Mensch lebte natürlich immer in irgendwelchen sozialen Verhältnissen drinnen, aber er hat im Grunde genommen nicht - bis jetzt nicht - diese sozialen Verhältnisse aus seinem sozialen Bewußtsein heraus, aus einem wirklichen Verständnis heraus geordnet. Er hat sie, wenn ich so sagen darf, geordnet erhalten durch eine Art Instinkttätigkeit. Die Menschen haben bis zu der Form des gegenwärtigen Staates, der ja für Europa im Grunde genommen nicht älter ist als drei bis vier Jahrhunderte, mehr aus ihren Instinkten heraus Zusammenhänge gebildet, und es ist eigentlich nicht dazu gekommen, aus dem Urteil, aus der Überlegung, aus dem Verständnis heraus die Gruppierung der Menschen vorzunehmen. Aus diesem Verständnis heraus, aus einem wirklich klaren Urteil heraus will die Dreigliederung des sozialen Organismus die soziale Frage in Angriff nehmen.“ (Lit.:GA 337b, S. 53f.)

„Wie kann umgewandelt werden das Instinktive des alten sozialen Lebens in ein aus der menschlichen Seele herausgeborenes soziales Leben? -, das ist ja die Hauptfrage, die dem Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus zugrundeliegt. Diese Frage, sie kann gar nicht anders gelöst werden, als daß auftaucht eine gründlichere Erkenntnis des Menschen, gründlicher als diejenige Erkenntnis des Menschen, die da war in den letzten Jahrhunderten und die da ist in der Gegenwart.

Man kann sagen, gerade aus der Frage: Wie soll der Mensch zu einem Urteil kommen darüber, wie er mit anderen Menschen zusammenleben soll? —, gerade aus dieser Frage ist der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Organismus entstanden. Er ist entstanden aus einer richtigen Beobachtung desjenigen, was der Mensch in der Gegenwart fordern muß. Aber die meisten Menschen möchten nicht im Ernste irgendwie auf die Forderungen der Gegenwart eingehen. Sie möchten dasjenige, was ist, mitnehmen und nur höchstens da oder dort mehr oder weniger radikale Verbesserungen vornehmen.“ (Lit.:GA 337b, S. 54f.)

„[D]ie Frage: Wie kommt ein soziales Urteil zustande? —, zerfällt ja sogleich, wenn man ihr in der richtigen Weise geisteswissenschaftlich zu Leibe geht, in drei gesonderte Fragen. Und darauf beruhen eigentlich die Quellen, aus denen die Dreigliederung des sozialen Organismus fließt, daß diese Frage: Wie bildet man sich ein soziales Urteil? - sogleich in drei gesonderte Fragen sich spaltet. Es ist unmöglich, auf dieselbe Art im gemeinschaftlichen Geistesleben, im sozialen Geistesleben, zu einem Urteil zu kommen wie im Rechts- oder Staatsleben oder im wirtschaftlichen Leben.“ (Lit.:GA 337b, S. 56)

Vergleiche mit dem menschlichen Organismus

„[Z]u dem Verständnis der sozialen Struktur kann man nicht kommen, wenn man nicht sich schult an der Dreigliederung des Menschen und dadurch lernt, wie man das Verhältnis der Menschenwissenschaft zur Sozialwissenschaft gestalten muß.“ (Lit.:GA 188, S. 177)

„In meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage» ist der Vergleich des sozialen Organismus mit dem natürlichen menschlichen wohl herangezogen; zugleich aber darauf aufmerksam gemacht, wie irreführend es ist, wenn man glaubt, Anschauungen, die man an dem einen gewonnen hat, auf den andern ohne weiteres übertragen zu können. Wer die Wirksamkeit der Zelle oder eines Organes im menschlichen Leibe nach den Ansichten der Naturwissenschaft ins Auge faßt und dann nach der «sozialen Zelle» oder den «sozialen Organen» sucht, um den Bau und die Lebensbedingungen des «sozialen Organismus» kennenzulernen, der wird nur allzuleicht in ein wesenloses Analogiespiel verfallen.

Anders liegt die Sache, wenn man, wie es in den «Kernpunkten» geschehen ist, darauf hinweist, daß an einer gesunden Betrachtung des menschlichen Organismus man sein Denken so erziehen kann, wie man es braucht für eine wirklichkeitsgemäße Auffassung des sozialen Lebens. Man wird durch eine solche Erziehung sich dazu befähigen, die sozialen Tatsachen nicht nach vorgefaßten Meinungen, sondern nach ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit beurteilen zu lernen.“ (Lit.:GA 24, S. 99)

„Wenn man einfach die Gesetze, die man glaubt für den natürlichen Organismus erkannt zu haben, auf den sozialen übertragen zu können [glaubt], so beweist man nur, daß man nicht in der Lage ist, den sozialen Organismus aus seinen eigenen Lebensnotwendigkeiten heraus anzuschauen.“ (Lit.:GA 328, S. 180, aus Notizen)

„Die hier gemeinte Gliederung ist nicht eine solche nach räumlich abgrenzbaren Leibesgliedern, sondern eine solche nach Tätigkeiten (Funktionen) des Organismus. «Kopforganismus» ist nur zu gebrauchen, wenn man sich bewußt ist, daß im Kopfe in erster Linie das Nerven-Sinnesleben zentralisiert ist. Doch ist natürlich im Kopfe auch die rhythmische und die Stoffwechseltätigkeit vorhanden, wie in den andern Leibesgliedern die Nerven- Sinnestätigkeit vorhanden ist. Trotzdem sind die drei Arten der Tätigkeit ihrer Wesenheit nach streng voneinander geschieden.“ (Lit.:GA 23, S. 57 (Fußnote))

„(...) Betrachtung des menschlichen Organismus (...), welche durchschaut, wie diese drei Glieder - Kopfsystem, Zirkulationssystem oder Brustsystem und Stoffwechselsystem - dadurch den Gesamtvorgang im menschlichen Organismus aufrechterhalten, daß sie in einer gewissen Selbständigkeit wirken, daß nicht eine absolute Zentralisation des menschlichen Organismus vorliegt, daß auch jedes dieser Systeme ein besonderes, für sich bestehendes Verhältnis zur Außenwelt hat. Das Kopfsystem durch die Sinne, das Zirkulationssystem oder rhythmische System durch die Atmung, und das Stoffwechselsystem durch die Ernährungs- und Bewegungsorgane.“ (Lit.:GA 23, S. 58)

„Das Ganze des menschlichen Organismus beruht darauf, daß jedes solche Systemleben in sich abgeschlossen ist, und daß sie dann wiederum zusammenwirken.“ (Lit.:GA 328, S. 36)

„Geradeso wie der menschliche Organismus jedes seiner Systeme durch besondere Organe der Außenwelt zuwendet, so kann auch nur der Staat, wenn ich nun diesen Gesamtausdruck gebrauchen darf, als sozialer Organismus seine drei Glieder nach außen in Tätigkeit versetzen. Ganz anders stellen sich die Verhältnisse von Einzelstaat zu Einzelstaat heraus, wenn nicht mehr zentralisierte Regierungen und Verwaltungen miteinander in Beziehung treten, sondern wenn von dem einen sozialen Gebilde die Vertreter des geistigen Lebens mit den Vertretern des geistigen Lebens des anderen sozialen Staatsgebildes in Beziehung treten, wiederum die Vertreter des Wirtschaftsgebietes, des politischen Gebietes, mit der entsprechenden Vertretung der anderen.“ (Lit.:GA 328, S. 44)

„Es kommt mir wahrhaftig nicht darauf an, wie man den Wirtschaftsorganismus, wie man den Staatsorganismus definiert, wie man über sie denke, sondern darauf kommt es mir an, daß diese zwei Glieder nebeneinander da sein müssen, und das eine sich relativ selbständig entwickeln muß, sogar die Veranlagung seiner Schäden aus sich heraus entwickeln muß, daß das andere System daneben sich entwickeln muß und paralysieren muß das, was sich sonst als Schäden ergeben würde im anderen System. Das ist das Wesen des Lebendigen; das muß auch das Wesen des lebendigen sozialen Organismus sein“ (Lit.:GA 328, S. 84f.)

Konkrete, herzustellende Gestalt des sozialen Organismus

„Der notwendige Verkehr zwischen den Leitungen des Rechts- und Wirtschaftskörpers wird erfolgen annähernd wie gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner Staatsgebiete.“ (Lit.:GA 23, S. 70)

„Wie das Wirtschaftsleben auf der einen Seite den Bedingungen der Naturgrundlage (Klima, geographische Beschaffenheit des Gebietes, Vorhandensein von Bodenschätzen und so weiter) unterworfen ist, so ist es auf der andern Seite von den Rechtsverhältnissen abhängig, welche der Staat zwischen den wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen schafft. Damit sind die Grenzen dessen bezeichnet, was die Tätigkeit des Wirtschaftslebens umfassen kann und soll. Wie die Natur Vorbedingungen schafft, die außerhalb des Wirtschaftskreises liegen und die der wirtschaftende Mensch hinnehmen muß als etwas Gegebenes, auf das er erst seine Wirtschaft aufbauen kann, so soll alles, was im Wirtschaftsbereich ein Rechtsverhältnis begründet von Mensch zu Mensch, im gesunden sozialen Organismus durch den Rechtsstaat seine Regelung erfahren, der wie die Naturgrundlage als etwas dem Wirtschaftsleben selbständig Gegenüberstehendes sich entfaltet.“ (Lit.:GA 23, S. 70)

„Die Gliederung, von der ich hier sprach, die gliedert nicht die Menschen, die gliedert den sozialen Organismus; die gliedert diesen sozialen Organismus so, daß unter Umständen ein Mensch in allen drei Gliedern drinnen sein kann, das Entsprechende tun kann, aber dadurch, daß der soziale Organismus gegliedert ist, ist er nicht in der Lage, irgendwie schädlich von dem einen Gliede in das andere hineinzuwirken, nicht einmal dann, wenn, wie es in modernen Parlamenten vielfach geschehen ist, derselbe Mensch meinetwillen als Landwirt zugleich in einer staatlichen Partei drinnensteht. Heute ist es noch möglich, daß er durch irgendwelche Assoziationen eine Interessenvertretung inauguriert, daß in das Rechtsleben hinein eine wirtschaftliche Interessenvertretung kommt. Ich habe das letzte Mal ein Beispiel angeführt, wo ein ganzer Staat in seinem Rechtsleben von einer solchen Interessenvertretung durchsetzt wurde. Das wird ausgeschlossen. Aber was ich als dreigliederig bezeichne im gesunden sozialen Organismus, das ist der vom Menschen abgesonderte soziale Organismus. Der Mensch wird gerade dadurch selbständig, wird gerade dadurch entkleidet des Charakters eines Sklaven des sozialen Organismus, daß nicht Menschenklassen, Menschenschichten als Glieder dastehen, sondern daß der soziale Organismus selber gegliedert wird.“ (Lit.:GA 328, S. 95)

(Hervorgehoben ist hier die Bedeutung institutioneller Einrichtung, die konkrete, organhafte Beziehungsgestaltung zwischen den drei Gliedern, durch die offenbar korruptive Verhältnisse ausgeschlossen sein werden. Es genügt also keineswegs, drei Sphären Wirtschaft, Politik und Kultur zu unterscheiden. Es bedarf einer konkreten Beziehungsgestaltung, die die Relativität, den Austausch und das Zusammenspiel zwischen den drei Gliedern des sozialen Organismus regelt, im Innenverhältnis, und, soweit es um das Zusammenspiel mehrerer sozialer Organismen (international) geht, auch im Außenverhältnis.)

(Von einer "Absonderung" ist auch im folgenden Zitat die Rede. Hat der soziale Organismus vom Menschen unabhängiges Leben?)

„Dreigeteilt wird der vom Menschen abgesonderte, seinen Lebensboden bildende soziale Organismus sein; jeder Mensch als solcher wird ein Verbindendes der drei Glieder sein.“ (Lit.:GA 23, S. 140)

„Man wird den sozialen Organismus haben, in dem - wenn ich mich jetzt nach den Gewohnheiten der Zeit ausdrücken darf- nun drei Klassen, drei Gebiete sind, jedes mit eigener Gesetzgebung und eigener Verwaltung. Sie stehen zueinander, ich möchte sagen, als souveräne Staaten, wenn sie sich auch durchdringen; sie rechnen miteinander.“ (Lit.:GA 328, S. 122)

„Es handelt sich also ... darum, daß ... der soziale Organismus selber nach seinen Gesetzen geordnet wird. Das ist der durchgreifende Unterschied. Früher hat man Menschen gegliedert. Nun soll, der Denkweise unserer Zeit entsprechend, der soziale Organismus selbst gegliedert werden, damit der Mensch hinschauen kann auf dasjenige, worin er drinnen lebt, um je nach seinen Bedürfnissen, nach seinen Verhältnissen und Fähigkeiten in dem einen oder in dem anderen Gliede tätig sein zu können. Es wird zum Beispiel ganz gut möglich sein, daß in der Zukunft ein Mensch, der im Wirtschaftsleben tätig ist, zu gleicher Zeit Abgeordneter ist auf dem Gebiet des rein politischen Staates. Er wird aber dann ganz selbstverständlich seine wirtschaftlichen Interessen in einer anderen Weise geltend machen müssen, als er geltend machen kann dasjenige, was allein in Betracht kommt auf dem Gebiete des Rechtsstaates. Diese drei Glieder werden selber sorgen für die Abgrenzung ihrer Territorien. Es wird nicht alles durcheinanderkonfundiert werden, daß sich das eine in das andere hineinmischt.“ (Lit.:GA 328, S. 133)

(Auch in dieser Passage ist angedeutet, daß die Institutionen korruptive Verhaltensweisen unterbinden (können sollen). Auch wird deutlich gesagt, daß die drei Glieder Gebiete sind, in denen man sich beruflich betätigen kann, also in Einrichtungen, die jeweils zu einem der Bereiche Kultur, Politik oder Wirtschaft gehören - dies an die Adresse der Schmundtianer. Schulen, Krankenhäuser und Staatsbehörden produzieren nicht im wirtschaftlichen Sinne.)

„Im Wirtschaftsprozeß muß jede Ware in die Möglichkeit versetzt sein, an Wert mit einer anderen Ware verglichen zu werden. Die Vergleichbarkeit ist die Grundbedingung für das Ware-Sein von etwas. Menschliche Arbeitskraft aber kann niemals mit irgendeinem Warenprodukte in bezug auf den Wert verglichen werden.“ (Lit.:GA 328, S. 143)

(Solche Vergleichbarkeit gibt es bei pädagogischen oder künstlerischen Leistungen nicht. Ein kunsttherapeutisches Institut produziert keine Waren und gehört dem Geistesleben an.)

„Nach Verstaatlichung strebt man, weil man glaubt, daß ein einziger sozialer Organismus alles übernehmen könne.“ (Lit.:GA 328, S. 22)

(Diese Formulierung legt nahe, daß die drei Glieder des sozialen Organismus je für sich selbst auch soziale Organismen sind. Es ist auch insofern nicht gerechtfertigt, von "Sub"systemen des sozialen Gesamtorganismus zu sprechen. Die drei Glieder des sozialen Organismus sind nicht zentralisiert, sie können daher keine "Sub"-Systeme sein.)

„Und dieses Leben der Geisteskultur, dieses Leben des Geistes im sozialen Organismus, das hat nun nicht Gesetze, die sich analog denken lassen den Gesetzen der menschlichen Begabungen, den Gesetzen des menschlichen Sinnes- und Nervenlebens, sondern das, was geistiges Leben im sozialen Organismus ist, das hat Gesetze, die sich nur vergleichen lassen mit den Gesetzen des menschlichen gröbsten Systems, des Stoffwechselsystems.“ (Lit.:GA 328, S. 30)

(In den Kernpunkten heißt es dazu, daß Wirtschaft und Geistesleben sich ihre Gesetze selbst geben, die Korporationen des Geisteslebens und die Assoziationen des Wirtschaftsleben wirken als "Gesetzgeber". Dabei wird es sich nicht um rechtliche Gesetze, sondern selbstgegebene Ordnungen handeln, die in bestimmtem Verhältnis zu den Selbstverwaltungen stehen im Sinne von "Verfassung". Dabei sollen diese selbst zu schaffenden Gesetze, bzw. ihre dem "gesunden" Organismus gemäße Reproduktion und Wandlung, im Geistesleben und im Wirtschaftsleben nicht einer demokratischen Legitimation bedürfen.)

Die drei Systeme haben jeweils ein besonderes Außenverhältnis, (wie das rhythmische System über die Lunge ein Außenverhältnis zur Luft hat). Die Wirtschaft hat ein Außenverhältnis zur Natur, das Rechtsleben hat ein Außenverhälnis zum "rein Menschlichen", das Geistesleben hat ein Außenverhältnis zu den Begabungen, Fähigkeiten der Individuen. (GA 328, S. 31f.)

„Notwendig ist, daß ebenso, wie das Zirkulationssystem seine eigene Lunge, wie das Nerven-Sinnessystem sein eigenes Gehirnsystem hat, daß ein eigener Verwaltungsorganismus, ein selbständiger Verwaltungs-, ein selbständiger Vertretungsorganismus, also Partei- oder sonstige Vertretung, vorhanden ist je für das Wirtschaftsleben, für das politische Leben oder das öffentliche Rechtsleben, und für das dritte Gebiet, wiederum selbständig, für das geistige Leben.“ (Lit.:GA 328, S. 36)

Das läßt sich dahingehend interpretieren, daß die jeweiligen Körperschaften, Selbstverwaltungen, die Organe für die Außenbeziehungen der drei Glieder des sozialen Organismus sind. Zu regeln ist allerdings auch ein Innenverhältnis. Die Wirtschaft hat ein Verhältnis zur Natur und zum Rechtsleben/Staat. An den beiden Schnittstellten sitzen "Organe".

„Diese drei Gebiete haben in sich eine gewisse Souveränität im gesunden sozialen Organismus und verhandeln untereinander durch ihre selbständigen Vertreter, um dadurch jenes gegenseitige Verhältnis herzustellen zwischen den drei Gliedern des sozialen Organismus.“ (Lit.:GA 328, S. 36)

„Eine Gliederung des sozialen Organismus in der Art, daß in ihm ein sich selbst verwaltendes Geistesleben zur Entfaltung kommt, wird nicht die lebendige Einheit dieses Organismus zerstören, sondern, im Gegenteil, erst recht begründen. Gegliedert wird nur die Verwaltung; in dem Leben des Menschen wird die Einheit zur Entwickelung kommen können.“ (Lit.:GA 24, S. 208)

Diese Unterscheidung zwischen einer gegliederten Verwaltung, und einem einheitlichen sozialen Organismus, der nicht gegliedert ist, bedarf einiger Aufmerksamkeit. Ist das nicht widersprüchlich zu anderen Aussagen?

Zudem wird einerseits betont, daß die Einheit sich in jedem einzelnen Menschen herstelle und dadurch gewährleistet sei, andererseits wird aber auch für erforderlich gehalten, daß die Zentralverwaltungen der drei Glieder in gegenseitige Beziehung treten, wohl auch in organhafter Art. Ja, Rudolf Steiner schlägt sogar vor, daß es eine Gesamtkörperschaft geben solle:

„Die drei Glieder sollen nicht in einer abstrakten, theoretischen Reichstags- oder sonstigen Einheit zusammengefügt und zentralisiert sein. Sie sollen lebendige Wirklichkeit sein. Ein jedes der drei sozialen Glieder soll in sich zentralisiert sein; und durch ihr lebendiges Nebeneinander- und Zusammenwirken kann erst die Einheit des sozialen Gesamtorganismus entstehen.“ (Lit.:GA 23, S. 88)

„Der Zusammenschluß der drei Glieder durch eine Gesamtkörperschaft, die aus den Delegierten der drei Zentralverwaltungen und Zentralvertretungen sich ergibt, wird die denkbar größte Gewähr dafür bieten, daß nicht das eine Gebiet durch das andere vergewaltigt werde.“ (Lit.:GA 24, S. 218)

Abgesehen von der Frage, ob dieser Vorschlag einer Gesamtkörperschaft ("runder Tisch?") möglicherweise ein Zugeständnis an die Ängstlichkeit derjenigen politischen Verantwortungsträger damals darstellte, an die sich Rudolf Steiner mit seinem Gestaltungsvorschlag zunächst richtete, nämlich an deren antizipierte Befürchtung, der soziale Organismus würde durch die Dreigliederung auseinander fallen, nicht genug Zusammenhalt haben, ist doch die Differenzierung zwischen einem dreigegliederten Organismus in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben, und einer Dreigliederung der den Gliedern zugeordneten Verwaltungen: Korporationen des Geisteslebens, Assoziationen des Wirtschaftslebens, und politische Vertretung und Administration, auffällig.

Dieser Unterschied hat möglicherweise auch bisher zu wenig Beachtung gefunden, gerade bei Vertretern einer "funktionellen" Dreigliederung. Die funktionelle Dreigliederung in die Bereiche Wirtschaft, Politik und Kultur ist heute im allgemeinen Bewußtsein gut sichtbar, die drei "Sphären" werden auseinandergehalten. Ist damit der Idee der sozialen Dreigliederung schon Genüge getan?

Es handelt sich dabei zunächst nur um den einen Aspekt, den Rudolf Steiner so formuliert hat:

„Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch eine einseitige Wirksamkeit in das menschliche Leben sich besonders machtvoll hereingestellt. Die andern beiden Glieder des sozialen Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern. Für sie ist es notwendig, daß der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen heraus die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte; an dem Orte, an dem er gerade steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft.“ (Lit.:GA 23, S. 64f.)

„Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.“ (Lit.:GA 23, S. 62)

Die angeführten "Empfindungen" beziehen sich auf die Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären, verschiedener Sinnhorizonte und einem entsprechenden "passenden" Verhalten. Es ist damit zunächst nur eine bewußtseinsmäßige Gliederung verbunden. Im Falle von Korruption liegt ein Fehlverhalten vor. Dies nimmt man wahr, ohne daß dadurch auch die Korruption schon aufgehoben wäre. Trotz der Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären kann die erforderliche Gliederung im Sinne von richtiger getrennter Selbständigkeit fehlen. Und so ist es ja heute auch weiterhin. Man darf also die Forderung nach der konkret-verwaltungsmäßigen Gliederung, die die richtige Trennung der drei Glieder und deren Zusammenspiel gewährleisten soll, nicht unterschätzen. Eine gegebene Trennung und auch Einheit der drei Sphären im Bewußtsein des Menschen genügt für sich alleine nicht. Die Menschen müssen auch entsprechend handeln, und das heißt, entsprechend handeln können, sowie auch erwarten können, daß andere sich ebenso verhalten können und werden. Damit Dreigliederung funktioniert, müssen entsprechende Einrichtungen da sein, d.h. es muß Selbstverwaltung der Wirtschaft und des Geisteslebens unabhängig von staatlichen Vorschriften geben. Nur mittels konkreter, staatsunabhängiger Selbstverwaltung kann sich ein freies Geistesleben "realisieren".

Es ist deswegen auch nicht richtig, von der Idee der sozialen Dreigliederung lediglich als von einem "Urbild" zu sprechen, mittels dessen man soziale Wahrnehmungen hat. Da findet man dann überall dreigegliedertes soziales Geschehen. Die drei Aspekte lassen sich überall aufsuchen, ohne daß dadurch etwas am sozialen Organismus bereits gebessert wäre. Das Urbild der sozialen Dreigliederung ist nur ein wahres, wenn es in der konkreten, praktischen Realisierung "lebt". Das Urbild, die Urgedanken müssen im konkreten-praktischen Leben zur Geltung kommen, sich ausleben können. Wenn das nicht der Fall ist, dann handelt es sich um den von Rudolf Steiner kritisierten Zustand eines bloß ideologischen Geisteslebens, das keine Kraft zur Umgestaltung, zur Herstellung oder Wiederherstellung von Ebenbildlichkeit im sozialen Leben hat.

„Erst dann, wenn man diese drei Glieder relativ selbständig nebeneinander hat, wenn man ein selbständiges geistiges Glied, ein selbständiges Rechtssystemglied, eigentliches Staatsleben, und ein selbständiges Wirtschaftsleben hat und diese Glieder mit relativer Selbständigkeit nebeneinander wirken, wenn jedes dieser Glieder aus seinen eigenen Grundlagen heraus seinen Vertretungskörper, seinen Verwaltungskörper hat, sagen wir, seinen Reichstag, seinen Bundestag, sein Ministerium hat und die einzelnen Glieder fast so souverän zueinander stehen wie Einzelstaaten, nur durch Delegierte zueinander verhandeln, erst dann wird der soziale Organismus wirklich gesund.“ (Lit.:GA 328, S. 69)

„Die Vertretungen der einzelnen Glieder müssen sorgsam wachen können über ihre Selbständigkeit.“ (Lit.:GA 328, S. 181, aus Notizen)

„Ein solches Verhältnis der Arbeit zur Rechtsordnung wird die im Wirtschaftsleben tätigen Assoziationen nötigen, mit dem, was «rechtens ist» als mit einer Voraussetzung zu rechnen. Doch wird dadurch erreicht, daß die Wirtschaftsorganisation vom Menschen, nicht der Mensch von der Wirtschaftsordnung abhängig ist.“ (Lit.:GA 23, S. 79 (Fußnote))

Zur Frage der Finanzierung des Geisteslebens

„[Es ist] notwendig ..., ein soziales Gefühl dafür zu entwickeln, wie das geistige Leben, der ganze Betrieb des geistigen Lebens im sozialen Organismus so drinnenstehen muß, daß er gerechtfertigt ist durch die allgemeinen Interessen der Menschheit.“ (Lit.:GA 328, S. 63)

Rudolf Steiner bringt dazu das Beispiel einer Promotion eines Studierenden über das Thema: Schimpfwörter eines antiken Autors. Während der Zeit, wo der Student an der überflüssigen Bearbeitung eines solchen Themas sitze, müßten andere für seinen Lebensunterhalt sorgen. Das Beispiel ist insofern völlig verfehlt, als es bei solcher Promotion nicht um Nützlichkeit für die Gesellschaft geht, sondern um das Erlangen der Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit, und allenfalls um einen internen Beitrag zum Fortschritt der Wissenschaft.

Zudem kann in vielen Fällen es eine Würdigung von Leistungen des Geisteslebens im Voraus gar nicht geben. Soll die Berechtigung eines Malers, Bilder zu malen, davon abhängig gemacht sein, daß diese Bilder Anerkennung finden? In sehr vielen Fällen wird eine Beurteilungsmöglichkeit dafür gar nicht vorhanden sein. Auch daß die kreativ Schaffenden sich gegenseitig Konkurrenz machen sollen, und das rezipierende Publikum dann entscheiden soll nach dem eigenen Urteilsvermögen, was nun Wert für die Gesellschaft hat - und nur das wird dann auch finanziert - , ist weit ab von einem praktikablen Geistesleben, in dem sich kreatives Schaffen ohne finanzielle Manipulation frei entfalten kann.

Es kann viele Jahrzehnte dauern, bis ein Werk zur Würdigung durch die Gesellschaft kommt. Anderes, das sich im Rahmen der aktuellen Mode zur Anerkennung bringen kann, erweist sich in späteren Jahren als wertlos. Zu dem Thema ist fraglich, ob würde die Methode des freien Spendenwesens für das freie Geistesleben funktionieren können, wo doch die Geldgeber oft gar nicht das Urteilsvermögen darüber haben, was wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert hat. Noch nicht einmal innerhalb des Geisteslebens selbst gibt es die Möglichkeit, sich gegenseitig die jeweiligen Leistungen zu bewerten, und zu entscheiden, wer weiter kreativ tätig sein darf, und wer besser es läßt und in die Politik oder Wirtschaft geht, um sich dort zu betätigen. In vielem muß das Urteil der Nachwelt überlassen bleiben. Es muß eine generelle Finanzierung geben auch für diejenigen, die sich um einen Beitrag auf dem Gebiet der Kunst oder Wissenschaft bemühen, auch wenn letztlich nicht viel dabei heraus kommt. Nur insgesamt ist es natürlich richtig, daß die Wissenschaft oder Kunst einen Beitrag leisten muß für die Gesellschaft. Das ist aber wiederum so selbstverständlich, daß es keiner Diskussion bedarf. Eine Gießkannenfinanzierung des Geisteslebens ist durchaus richtig: Man weiß ja noch gar nicht, welches Pflänzlein sich gut entwickelt, und welches nicht.[1] Die Finanzierung muß im Voraus geschehen. Deswegen mag wohl eine Leistungskonkurrenz unter kreativ Schaffenden um der Sache selbst willen wertvoll sein, aber doch nicht als Selektionsinstrument von der Finanzierungsseite aus. Damit hätte man dann ja die Abhängigkeit von der Wirtschaft oder vom Staat nur auf andere Art weiter fortgeführt.

„Das, was geistiges Leben ist, muß mit einer relativen Selbständigkeit dastehen, muß nicht nur auf die innere Freiheit des Menschen gestellt sein, sondern es muß so innerhalb des sozialen Organismus dieses geistige Leben stehen, daß es auch in völlig freie Konkurrenz gestellt ist, daß es auf keinem Staatsmonopol beruht, daß dasjenige, was das geistige Leben als Geltung sich verschafft bei den Menschen - was es für den einzelnen individuellen Menschen für eine Geltung hat, das ist eine andere Sache, wir reden von der Gestaltung des sozialen Organismus -, daß das auf völlig freier Konkurrenz, auf völlig freiem Entgegenkommen den Bedürfnissen der Allgemeinheit einzig und allein sich offenbaren kann. Mag irgend jemand in seiner Freizeit dichten, so viel er will, mag er auch Freunde finden für diese Dichtung, so viel er will- das, was berechtigt ist im geistigen Leben, ist allein das, was die anderen Menschen miterleben wollen mit der einzelnen menschlichen Individualität.“ (Lit.:GA 328, S. 63)

Das ist ganz unpraktisch gedacht und völlig an einer möglichen Realität vorbei, weil unterstellt wird, es könne immer eine Gleichzeitigkeit von kreativer Produktion und ihrer Würdigung geben. Solche Gleichzeitigkeit gibt es nur in den wenigsten Fällen. Würde man dies so praktizieren, würden kreativ Schaffende mit guter Reputation die ihnen nötige Finanzierung weiter erlangen, während andere Leistungsbereite ohne Reputation ihre Projektvorhaben nicht finanziert erhalten. Diese Projekte werden dann auch nicht in die Welt kommen, und niemals wird man erfahren, welch einen Wert sie für die Gesellschaft hätten gewinnen können.

Man wird also, zumindest zu einem guten Teil, das freie Geistesleben "auf gut Glück" finanzieren müssen. Genauso wird ja auch jedes Kind nach Möglichkeit gefördert, unabhängig davon, ob es später im Leben ein nützliches Gemeinschaftsmitglied sein wird oder nicht. Viele Menschen bringen es zu Wenigem im Leben, andere leisten dafür umso mehr. Im Geistesleben kann dem nicht eine entsprechende knappe oder reiche Finanzierung korrespondieren. Dadurch würde man die kreative Produktion mit finanziellen Mitteln steuern, also das freie Geistesleben unfrei machen, und tendentiell abwürgen. Die diesbezüglichen Ansichten Steiners widersprechen sich auch in merkwürdiger Weise damit, daß das freie Geistesleben durch Schenkungsgeld erhalten werden soll. Schenkungen kann man nicht mit zu erwartenden Gegenleistungen verrechnen.

Wenn ein Lehrer mit seinem Beruf nicht klar zu kommen scheint, pädagogisch überfordert zu sein scheint, soll man ihn dann mit finanziellem Druck dazu bringen, einen Bürojob anzutreten? Das geht nicht einfach so, und man kann auch nicht wissen, was seinen größeren oder geringern Wert für die Kinder ausmacht, im Vergleich zu anderen Lehrern, zumindest für die Zukunft nicht. Es ist schon merkwürdig, daß Rudolf Steiner meint, daß in diesen Hinsichten die im Geistesleben beschäftigten miteinander konkurrieren sollten unter dem Aspekt, wer bei knappen Mitteln finanziert werden soll. Wo sollen denn die Urteilsgrundlagen herkommen, wenn solch ein Lehrer von Lowperformer diese nicht selbst in sich selber trägt, d.h. selbst am besten wissen kann, ob die pädagogische Tätigkeit für ihn das Richtige ist oder nicht.

„Wodurch entfernt man die Schäden des wirtschaftlichen Produktionswesens auf geistigem Gebiete? Dadurch, daß das geistige Gebiet sich selbst verwaltet; es muß auf dem Vertrauen zu den Mitmenschen beruhen, und der Untüchtige muß sich vom geistigen Leben verabschieden und Handarbeiter oder dergleichen werden.“ (Lit.:GA 337a, S. 92f.)

„Dieses wirkliche Geistige muß in der Menschenseele in dem Lichte der Freiheit und der freien Konkurrenz geboren werden, dann lebt es sich in der richtigen Weise in den sozialen Organismus hinein. Dann darf es aber auch nicht, und das ist wichtig, unter irgendeinem Aufsichtsrecht irgendeines anderen Gliedes des sozialen Organismus stehen, dann muß es in völliger Freiheit, nur herausgefordert durch die allgemeinen Bedürfnisse, sich offenbaren können.“ (Lit.:GA 328, S. 64)

Unter Außerachtlassung der kritisierten Vermengung mit Finanzierungsfragen, kommt das ansonsten Gemeinte in dem vorstehenden Zitat gut zum Ausdruck: Die Kreativität soll sich auf einen Mangel richten, auf ein allgemeines Bedürfnis. Das ist verständlich, weil das freie Geistesleben dasjenige Teilgebiet ist, von dem die Versorgung, die "Ernährung" des sozialen Organismus ausgeht. Kreative Produktion ist Nahrung für die Gesellschaft, wie für den Menschen die Aufnahme von Feldfrüchten in den Magen. Den entsprechenden Bedürfnissen an Behebung solcher Mängel an Zufuhr von geistiger Leistung muß das freie Geistesleben aufs Ganze gesehen gerecht werden können, wozu auch die Leistungskonkurrenz unter den Kreativen gehören mag. Inwieweit geistige Leistungen und allgemeines Bedürfnis nach solchen unmittelbar korrespondieren müssen und können, hängt doch aber von der besonderen Bedürfnislage ab, worin die konkret besteht, und was an kreativem Potential jeweilig verfügbar ist. Oft wird sich ein Mangel nicht beheben lassen, wo dieser aufzutreten scheint, es aber einen Ausgleich anderswo oder später geben können, auch sogar mit einer ganzen anderen kreativen Leistung. Besteht ein Kunstbedürfnis, und kann leider kein Konzert veranstaltet werden, so entsteht ein Mangel, oder ein bestehender Mangel kann nicht behoben werden. Im nächsten Monat gibt es jedoch eine Gemäldeausstellung, bei der auch eine Musikgruppe auftritt, usw. Diese Bedürfnisse sind oft sehr unspezifisch, es gibt für das Geistesleben viele Wege, ihnen Genüge zu tun. Das gleiche gilt für technische Erfindungen und für organisatorische Leistungen, und sonstige Dienstleistungen, die eine kreative Komponente haben.

Zur Rechts- und Staatslehre Rudolf Steiners

(kritische Untersuchung erforderlich)

„Man kann vieles versuchen, um nahezukommen dem Impuls des Rechtes. Insbesondere in unserer heutigen Zeit, wo von den verschiedensten Seiten her so viel vom Recht gesprochen wird, liegt es ja auf der Hand, sich immer wieder und wiederum dem nähern zu wollen, was eigentlich das Wesen des Rechtes ist. Wenn man versucht, dahinter zu kommen, worauf ein solches konkretes Recht beruht - auch das Besitzrecht ist auf ein Recht begründet; das Besitzverhältnis gründet auf dem Recht, ein Grundstück oder irgend etwas ausschließlich für sich, zu seiner Betätigung zu benützen mit Hinwegweisung der anderen-, das Gegenstand des eigentlichen politischen Gliedes des sozialen Körpers ist, so finden die einen überhaupt nichts anderes, als daß es zuletzt doch auf Macht zurückgeht. Die anderen finden, daß es auf ein ursprüngliches menschliches Empfinden zurückgehe. Man kommt ja allzuleicht, wenn man der Sache zu Leibe rücken will, auf leere Formen. Ohne daß ich mich - was ja Stunden in Anspruch nehmen würde — einlassen kann auf eine volle Begründung, möchte ich doch dieses sagen, daß das Recht ja begründet ein gewisses Verhältnis des Menschen zu irgend etwas, einer Sache oder einem Vorgang oder dergleichen oder einer Summe von Vorgängen, mit Ausschluß von anderen Menschen. Worauf beruht es denn nun eigentlich, daß man die Empfindung, das Gefühl entwickeln kann: Irgendein Mensch oder ein Volk habe ein Recht auf das, was man im Auge hat? Und man bekommt da doch, wenn man noch so sehr sich abmüht, nichts anderes heraus, als daß man sich sagen kann: Im öffentlichen Leben begründet den Rechtsanspruch das, daß die Voraussetzung bestehen darf, daß der, der seine Betätigung einer Sache oder einem Vorgange oder einer Reihe von Vorgängen zuwenden darf, dies mit der größeren Wahrscheinlichkeit mehr im Sinne der allgemeinen Menschheit tut als irgendein anderer. In dem Augenblick, wo man die Empfindung hat, daß irgend jemandes Verhältnis zu einer Sache oder zu etwas anderem mehr zum Ausdrucke bringt den Nutzen der allgemeinen Menschheit, als wenn ein anderer diese Sache benützt oder in dieses Verhältnis eingeht, so kann man dem Betreffenden das Recht auf diese Sache zusprechen. Das wird es ja auch im wesentlichen sein, was in der Empfindung der Menschheit den Ausschlag geben wird, wenn jetzt die großen Rechtsfragen des internationalen Lebens ins Dasein, ins wirkliche Dasein treten. Man wird demjenigen voll zusprechen das Recht über ein gewisses Territorium, bei dem die Aussicht besteht, daß im Sinne des Wohles der allgemeinen Menschheit gerade dieses Volk das Territorium am fruchtbarsten, am sichersten verwalten kann.“ (Lit.:GA 328, S. 87f.)

„Es ist tatsächlich so, daß ideal-real jeder Mensch das ihm zufallende Bodenstück bei seiner Geburt beansprucht und daß sich einfach eine reale Beziehung bildet zwischen der verfügbaren Bodenfläche und dem, was eben der neugeborene Mensch auf diese Weise beansprucht. Das ist eine reale Beziehung. Aber nicht wahr, in der Tat geht in dieser sozialen Wirklichkeit nicht alles am Schnürchen. Die Gesetze - ich meine jetzt Naturgesetze, nicht Staatsgesetze - sind da, sie sind aber approximativ. Wenn zum Beispiel auf einem gewissen Gebiet verschiedene Pflanzen leben, und die eine Pflanzensorte entwickelt sich besonders stark, so verdrängt sie die andere Pflanzensorte; die kann nun nicht mehr wachsen. Wenn nun auf einem Bodengebiet es im wesentlichen so ist, daß in der Tat dieses eine Stückchen, von dem ich geredet habe, viel zu klein wird für einen neugeborenen Menschen, so wird gewissermaßen das Ventil aufgemacht, und es tritt ganz von selbst die Auswanderung, die Kolonienbildung und so weiter ein. Wenn die Bevölkerung sich in einem bestimmten Gebiet vermehrt, so kann man eben auch prüfen, ob dem Boden noch mehr Fruchtbringendes entnommen werden kann als in einer früheren Zeit. Das ist zum Beispiel bei dem Boden des ehemaligen Deutschland im wesentlichen der Fall gewesen.“ (Lit.:GA 337a, S. 221)

Der Forschungsgegenstand "sozialer Organismus"

Visualisierung eines Sozialen Netzwerks: Briefwechsel zwischen Wissenschaftlern.
Visualisierung eines sozialen Netzwerks: „Freund“-Beziehungen zwischen Facebook-Nutzern.

Der soziale Organismus ist nach dem bisherigen so beschaffen, daß es derer viele gibt, in etwa der Zahl der Nationalstaaten entsprechend. So hat jedes Staatsgebiet einen eigenen sozialen Organismus. Diese Konzeption paßt jedoch nicht so recht damit zusammen, daß das Geistesleben internationale Tendenz, und das Wirtschaftsleben räumlich-globale Tendenz hat. Die Vorstellung je eines sozialen Organismus pro Staatsgebiet dient auch dazu, möglich erscheinen zu lassen, daß ein Staat für sich selbst die Dreigliederung einführt, andere jedoch nicht, wodurch eine Inselsituation entsteht. Die damit verbundene Problematik wird von Rudolf Steiner ausführlich diskutiert.

Diese Vorstellung von je einzelnen sozialen Organismen je Staatsgebiet wurde z.B. von Wilhelm Schmundt kritiklos übernommen, mit der Begründung, er selbst habe die sozialen Organismen so "geschaut" (Wahrnehmung des Urbildes).

Dem steht gegenüber die Vorstellung, daß der soziale Organismus ein einziger, globaler sei. Auch dies ist von den Ausführungen Rudolf Steiners angedeutet. Der globale Organismus hat dann jeweils in den territorialen Staatsgebieten eine Art "Bodenkontakt". Steiner spricht von dem staatlichen Rechtsleben als einem "Band", als einer vermittelnden Verbindung zwischen Geistesleben und Wirtschaftsleben.

„Die Menschen gehen auf diesen Gebieten aus von der sonderbaren, grotesken Idee, daß ein einzelner Staat oder ein einzelnes Volksgebiet ein Organismus für sich sei. Sie wollen geradezu Volksorganismen errichten. Das ist an sich ein Unsinn. Ich habe es einmal ausgeführt: Wenn man etwas vergleichen will in bezug auf das Zusammenleben der Menschen über die Erde hin, so darf man nur die ganze Erde wie einen Organismus ansehen; ein einzelnes staatliches oder volksmäßiges Gebiet kann nur ein Glied sein im Organismus. Will man den Begriff des Organismus gebrauchen, so muß das ein abgeschlossener Organismus sein. Derjenige, welcher Nationalökonomie, Volkswirtschaftslehre, Sozialismus begründen will auf dem Gebiete eines einzelnen Landes, der gleicht einem Menschen, der, sagen wir, die Anatomie des ganzen Menschen aus der bloßen Hand oder dem Bein oder dem Magen begründen möchte.“ (Lit.:GA 188, S. 190)

„Heute machen Sie die sonderbar betrübliche Entdeckung, daß die Menschen über die Länder reden, als wenn diese Länder für sich da wären. Sie denken, sie können irgendwelche Sozialisierungen oder dergleichen bewirken mit Bezug auf einzelne abgetrennte Gebiete. Das ist dasjenige, was darstellt einen der Grundirrtümer unserer Zeit, und was in der Praxis wirklich zu dem allergrößten Unheil führen kann. Heute ist es nur unheilsam zu glauben, daß man auf einem gewissen beschränkten Territorium irgend etwas machen kann, ohne Rücksicht zu nehmen darauf, daß seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Erde ein Gesamtorganismus in sozialer Beziehung ist.“ (Lit.:GA 188, S. 191)

Sieht man den globalen sozialen Organismus als einen einzigen an, so ist er doch gegliedert in unterschiedliche territoriale Rechtsgebiete. Dies betrifft aber eigentlich nur den mittleren Bereich. Der Idee nach verlaufen Grenzen innerhalb des Geistesleben und Wirtschaftslebens, sofern es überhaupt welche gibt, nicht territorial auf den gleichen Linien. Daß die territorialen Staatsgebiete einen Einfluß genommen hatten auf den Verlauf kultureller und wirtschaftsgeographischer Grenzen, ist eine Folge des Einheitsstaatsprinzips. Die Zusammenziehung von sozialen Organismen auf Staatsgebiete, also eine territorial-rechtlich veranlaßte Differenzierung des einen globalen Organismus, ist Ergebnis des Strebens nach Einheitsstaat. Wenn solch ein Einheitsstaat dann in einen dreigegliederten umgewandelt wird, kommt es zu einer Gegenbewegung, nämlich es verändert sich die Abgrenzung zum staatsexternen Gebiet. Während die territorial-rechtliche Grenze bestehen bleibt, ändern sich die kulturellen und wirtschaftlichen Grenzen. Die Interaktionsdichte und Strukturdichte zum kulturellen und wirtschaftlichen "Ausland" nimmt zu bis zu einem Grade, wo sich die Frage stellt, ob noch von einer Grenze zwischen unterscheidbaren sozialen Organismen gesprochen werden kann. Solche Entwicklung ist möglich, da die drei Glieder zueinander relativ selbständig sind. Hinzu kommt die Änderung oder Überwindung von rechtlichen Grenzen, wie in der europäischen Union, oder auch auf unfriedlichem Wege durch Krieg, oder Sezession per Volksentscheid (Ablösung von Schottland von Vereinigten Königreich, und Anschluß an europäische Union?) Auch die strenge rechtlich-territoriale Abgrenzung zwischen sozialen Organismen ist damit fraglich. Als Ergebnis bleibt, daß die sozialen Organismen auf der Erde, will man sie von dem einen sozialen Organismus unterscheiden, lediglich sich wahrnehmen lassen durch eine höhere Struktur- und Interaktionsdichte, die zu den fließenden Grenzen abfällt. Je geringer eine Interaktionsrate und die strukturelle Verflechtung irgendwo ist, desto eher wird man dort eine Grenze zwischen Teilgebieten finden können, entweder politisch-rechtlich, kulturell, oder wirtschaftsgeographisch. Wo jedoch Strukturdichte und Interaktionsaufkommen hoch ist, liegt ein Netzwerk vor. Vor daher stellt sich die Frage, ob der globale soziale Organismus mit seiner inneren, nicht nur territorial-staatlichen Differenzierung mit netzwerk-theoretischen Überlegungen und Wahrnehmungen besser faßlich sein könnte. Netzwerkstrukturen können auch informell sein, sie müssen nicht mit dem übereinstimmen, was Rudolf Steiner als die einzurichtenden Selbstverwaltungen vorgeschlagen hatte.

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„Deshalb darf man glauben, daß mit dem Erringen gesunder Urteile über das Übersinnliche auch gesunde Urteile in bezug auf das gewonnen werden können, was uns auf einem anderen Gebiete als Menschen umgibt, mit dem wir als Menschen zusammenhängen und innige Verhältnisse eingehen müssen: das soziale Leben.“ (Lit.:GA 76, S. 175)

„So war das, was leben sollte durch meine «Kernpunkte der sozialen Frage», und schon in dem ihnen vorangehenden «Aufruf», im eminentesten Sinne praktisch gedacht, war als etwas gedacht, was unmittelbar in das Leben übergehen muß, was nicht ergreifen sollte bloß die Intellekte, was ergreifen sollte den Willen. Und es war hervorgegangen aus dem, was den Willen ergreifen sollte.“ (Lit.:GA 76, S. 183)

„Die geschichtliche Entwickelung selber hat den Beweis für das Lebensfremde der Vierzehn Punkte Woodrow Wilsons geliefert. Als sie aufgestellt wurden, da bezeugten sie aber, daß man mit solcher Abstraktion durchaus auch etwas in die Wirklichkeit hineintragen kann: man trägt in sie etwas hinein, aber man trägt nur den Irrtum hinein! Es ist nicht so, daß Abstraktionen, wenn sie durch Menschen gehen, nicht Wirklichkeiten hervorzaubern konnten; aber es ist so, daß sie immer in diesen Wirklichkeiten Verwirrungen oder Unzulänglichkeiten werden hervorrufen müssen, weil sie eben nicht aus dem Leben geholt sind. So konnten die Vierzehn Punkte Schiffe und Heere über das Meer bringen, aber es konnten diese Vierzehn Punkte nicht einen lebenskräftigen Impuls in die moderne Zivilisation hineinsenden.“ (Lit.:GA 76, S. 183f.)

„[E]s folgte nun in der Nachkriegszeit in Amerika auf Woodrow Wilson Harding — und wir haben vor kurzer Zeit die Antrittsrede dieses Harding lesen können: dieselben abstrakten Phrasen, dasselbe Reden von «menschlicher Brüderlichkeit», das nicht motivierend werden kann, weil es in Abstraktionen lebt, die Fortsetzung der Wilsonpolitik unter anderem Namen.“ (Lit.:GA 76, S. 184)

„Dazumal, als die Vierzehn Punkte zuerst hereintraten ins moderne Leben, da sollte entgegengesetzt werden demjenigen, was an Lebensfremdheit in diesen Vierzehn Punkten enthalten war, eine wirkliche Lebenspraxis, etwas, was herausstammte aus dem Leben, herausstammte zu gleicher Zeit aus den wichtigsten Bestandteilen des modernen öffentlichen Lebens, aus der wirklichen sozialen Praxis, aus einem Erkennen desjenigen, was als soziale Frage durch die gegenwärtige Menschheit pulsiert.“ (Lit.:GA 76, S. 184f.)

„Aber die, die dazumal mitzureden hatten, sie wollten nicht hören. Die soziale Praxis lag ihnen ferne. Sie waren eingewöhnt in das, was sich herausgebildet hat im Laufe der neueren Zeit: hinzugehen den Weg bis zur Maschine, bis zur Maschinerie der sozialen Ordnung, aber nicht hinzugehen den Weg zum Menschen, der an der Maschine steht, der da lebt als Mensch innerhalb der Maschinerie der sozialen Ordnung, und der als Mensch ein handelnder ist.“ (Lit.:GA 76, S. 186)

„Man konnte die breite Masse des Volkes erreichen. Sie verstanden nach und nach, was in dem Impuls von der Dreigliederung des sozialen Organismus liegt. Denn es ist ein Humbug, zu sagen, daß das schwer verständlich sei in sich selber. Die Schwierigkeit des Verstehens beruht lediglich darauf, daß man aus den alten Denkgewohnheiten nicht heraus kann, daß man nicht verzichten kann, das, woran man gewöhnt ist als starre Denkform, herüberzustülpen auf dasjenige, was eben als ein anderes auftritt. Darin liegt es, nicht in der Schwierigkeit der Sache. Deshalb war auch die Möglichkeit da, Verständnis zu finden gerade innerhalb derjenigen, die aus ihren Bedürfnissen heraus nach einer relativen Lösung der sozialen Frage strebten, und die bis dahin schon gesehen hatten, daß sie aus dem alten dogmatischen Marxismus heraus zu keiner befriedigenden Gestaltung des sozialen Lebens in der neueren Zeit kommen können.“ (Lit.:GA 76, S. 187)

„Aber was aus jeder solchen Betrachtung hervorgehen muß, das ist, daß es sich darum handelt, für das praktische soziale Leben Impulse zu finden, die aus diesem Leben selbst heraus sprechen.“ (Lit.:GA 76, S. 190)

„Die Theoretiker haben aus ihren theoretischen Anschauungen heraus lange genug wiederholt, daß man heute «sozial» betrachten müsse, was auch in der Ethik lebt. Der Mensch sei hineingestellt seit der Arbeitsteilung ganz und gar ins soziale Gebiet, und man müsse «aus dem Sozialen heraus» begreifen, was im Menschen motivierend wirke, wenn er handeln solle. Solange dieses Urteil blutleer bleibt, solange es eine Abstraktion bleibt, so lange wird es nichts bewirken. Denn es ist als Abstraktion ebenso wahr wie falsch. Daß es falsch ist, habe ich in meiner «Philosophie der Freiheit» gezeigt. Es hat die andere, die bedenkliche wahre Seite, daß der Mensch sich immer mehr und mehr mit seiner Freiheit an den objektiven Wirtschaftsprozeß und dergleichen übergibt, wie das sogar theoretisch im Marxismus ausgeführt ist. Und indem der Mensch sich also dem Wirtschaftsprozeß oder dem Staatsprozeß oder den sonstigen sozialen Einrichtungen, die wir jetzt haben, übergibt, wird natürlich immer mehr und mehr seine Tatmotivierung zu einer sozialen. Das kann und darf eingesehen werden. Denn daß Menschen mit Menschen lernen in Arbeitsteilung leben, darauf zielt die moderne Zivilisation. Wenn aber die soziale Ordnung in dem Menschen ein sachgemäßes soziales Handeln motivieren soll, dann muß sie ein sozialer Organismus sein, der aus der inneren Gesetzmäßigkeit eines solchen Organismus heraus eben zur Motivierung des Willens befähigt ist, dann muß man durch einen lebensfähigen sozialen Organismus nicht nur Moral predigen, sondern soziale Moral begründen. Man muß Moral auf diesem Gebiete nicht durch Worte und Ideen, man muß sie durch die Sache, durch die Wirklichkeiten begründen. Wirklichkeiten sollten angeregt werden durch den Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus.“ (Lit.:GA 76, S. 191f.)

„Man braucht nicht theoretisch zu ethisieren, mystelnd zu asthetisieren. Man hat nötig nicht bloß «praktische» Ideengemenge, sondern man hat nötig wirkliche Impulse, um ideenerfüllte soziale Kräfte anzuregen, wenn es sich um soziale Praxis handeln soll. Und in dem Augenblicke, wo man aufbringen wird das Verständnis für diesen Tatbestand, wird man erst lernen, über das, was die Dreigliederung eigentlich will, richtig zu denken.

Weil das aber hinunterreicht in Gemüt und Wille, so wird vorausgesetzt für dieses Verständnis der Dreigliederung nicht nur ein theoretisches Interesse an der Wahrheit und an einer theoretischen Diskussion, sondern vorausgesetzt wird Enthusiasmus und Bekenntnis für und gegenüber der Wahrheit. Solange wir nicht imstande sind, die Wahrheit in unseren Willen aufzunehmen, sie aus der Theorie herauszuholen und unseren ganzen Menschen damit zu durchdringen, kann auch nicht einmal der Anfang zu einer fruchtbaren Behandlung der sozialen Frage und sozialen Praxis entstehen.“ (Lit.:GA 76, S. 193)

„Darum handelt es sich: daß diejenigen, die Verständnis suchen für das, was Dreigliederung will, mit ihrem ganzen Menschen dieses Verständnis suchen mögen. Dann kommt Enthusiasmus nicht aus blinden Instinkten, sondern er wird angeregt aus lichtvoller Erkenntnis. Dann bleibt er selber nicht blind, sondern wird selber leuchten. Wenn die Willensimpulse nicht aus Instinkten und Trieben kommen, sondern aus einem Überschauen des sozialen Lebens, dann bleiben sie nicht blind und finster, dann werden sie selber sehend und leuchtend. Und daß Enthusiasmus und Wille gegenüber der Wahrheit in diesem Sinne immer leuchtender und leuchtender werde, davon hängt der Weg bezüglich des Impulses der Dreigliederung des sozialen Organismus ab. Und daß dasjenige, was nach dieser Richtung hier gesprochen werden kann, einiges dazu beitrage, in diesem Sinne nicht zu einem blinden und finsteren Enthusiasmus und Willen anzuregen, sondern zu lichtvollen willentlichen Gestaltungen des Lebens, das möchte ich hier am Schlüsse gerade dieser Betrachtung als eine Hoffnung ausgesprochen haben.“ (Lit.:GA 76, S. 193f.)

„Es ist ganz richtig von unserem Freund v. L. hervorgehoben worden, daß dasjenige, was in bezug auf freies Geistesleben im Zusammenhange mit der Dreigliederung des sozialen Organismus zu vertreten ist, daß das für die verschiedensten Gebiete in verschiedenster Weise be- handelt werden muß. Allein das muß dann auch wirklich so geschehen, daß die Behandlungsweise für die betreffenden Territorien wirklichkeitsgemäß passe auf diese Territorien. Ich selber werde immer darauf hinweisen, daß zum Beispiel für England es notwendig sein wird, die Dinge in der Art vorzutragen, die eben gerade auf die englischen Zivilisationsverhältnisse paßt.

Man muß gründlich durchschauen, was Einbildung ist gegenüber den großen Menschheitsfragen in der Gegenwart, und was Wirklichkeit ist. Man darf also nicht etwa die Sache so vertreten, daß man den Glauben hervorruft, daß das englische Geistesleben freier ist als das andere. Und Sie werden sehen, wenn Sie wirklich die «Kernpunkte » durchgehen, daß da weniger Wert auf das negative Moment - Befreiung des Geisteslebens vom Staate —, daß viel weniger darauf Wert gelegt wird als auf die Begründung eines freien Geisteslebens überhaupt. Und da wird es immer ein gutes Wort bleiben: daß es auf den Menschen ankommt, daß es wirklich darauf ankommt, aus welchen geistigen Grundlagen der Mensch hervorgeht, welche geistigen Grundlagen zu seiner Bildung geschaffen werden. Nicht so sehr handelt es sich darum, daß man das negative Moment betont, sondern das Positive ist zu betonen. Und ich brauche ja nur das zu sagen: Wenn, sagen wir, formal das Geistesleben befreit würde von dem staatlichen Zwange, und alles bliebe sonst im übrigen beim alten, so würde die Befreiung vom Staate nicht sonderlich viel nützen können.

Es handelt sich darum, daß positiver Geist, so wie er hier in dieser Woche vertreten sein wollte, wie versucht wurde, ihn zu vertreten, daß dieser freie Geist in das Geistesleben international hineingebracht werde. Und dann werden sich die Dinge ergeben, wie sie sich ergeben sollen. Es handelt sich wirklich zum Beispiel bei der Waldorfschule nicht allein darum, daß sie eine wirklich freie Schule ist, daß sie nicht einmal einen Direktor hat, sondern daß das Lehrerkollegium eine wirkliche repräsentative Gemeinschaft ist. Es handelt sich nicht darum, daß alle Maßnahmen so getroffen werden, daß «nichts anderes » spricht als dasjenige, was aus dem Lehrerkollegium selber hervorgeht, daß man also hier wirklich «eine unabhängige Geistesgemeinschaft» hat, sondern es handelt sich auch darum, daß in allen Ländern das Geistesleben fehlt, von dem hier die ganze Woche gesprochen worden ist. Und wenn man irgendwo betonen hört, daß ja «das Geistesleben hierzulande frei» ist - ich meine jetzt nicht die Schweiz, ich spreche von England -, so ist das eben die andere Frage. Und dieses Positive vor allen Dingen ist es, auf das es ankommt. Da muß dann hervorgehoben werden: Das wird es natürlich nur geben, wenn man versucht, tatsächlich auf die konkreten Verhältnisse in den einzelnen Ländern und Territorien einzugehen.“ (Lit.:GA 76, S. 196ff.)

„Man kann mit diesem Intellektualismus, mit dieser intellektualistischen Orientierung der Seele in grandioser Weise die äußere sinnliche Natur auf ihre Gesetzmäßigkeiten zurückführen. Man kann aber nicht mit diesem Intellektualismus diese sich ineinander verschlingenden und während des Verschlingens sich organisierenden und wahrend des Organisierens sich seelisch auslebenden und geistig sich durchdringenden Verhältnisse des sozialen Lebens ergreifen. Ich möchte sagen: Das Netzwerk intellektualistischer Ideen ist einfach zu weitmaschig für das, was im sozialen Leben vorliegt.“ (Lit.:GA 81, S. 105f.)

„Dazumal versuchte ich zu zeigen, daß eine Gesundung dieser Verhältnisse nur eintreten könne, wenn man gegenüber allen solchen abstrakten Einstellungen sich auf den Boden stellt, der die Gedanken nicht ausschließt, der aber gerade die Gedanken so hervorbringt, daß sie aus der Wirklichkeit, aus der Realität herauswachsen.“ (Lit.:GA 81, S. 109)

„Aber was draußen als Einrichtungen vorhanden ist, das tendiert einfach aus den Kräften, die im geschichtlichen Werden vorhanden sind, dazu, daß abgesondert aus den eigenen Bedingungen heraus verhandelt wird, etwas getan wird für das Geistesleben, für das Rechts- oder Staatsleben und für das Wirtschaftsleben.“ (Lit.:GA 81, S. 111f.)

„Der soziale Organismus ist etwas, was jung wird, altert, und dem immer neue Impulse eingeflößt werden müssen, von dem aber nie gesagt werden kann: so und so ist seine Gestalt.“ (Lit.:GA 81, S. 112)

„Doch vor allem hatten Menschen das Bedürfnis, die Grundzüge dessen, was damals gewollt wurde und was ich jetzt in diesen einleitenden Worten vor Sie hinzustellen versuchte, zu diskutieren; denn die Welt war so eingeschult in abstraktes Denken, daß man auch diese Anregung nur vom Gesichtspunkte des abstrakten Denkens nahm, und daß man sich mit dem, was ich nur als Illustration gegeben habe, vor allem so hilft, daß man stundenlang diskutiert, während es sich darum handeln sollte, wirklich einzusehen, wie jeden Tag die Gliederung des sozialen Organismus in Angriff genommen werden kann in der Weise, wie es in den «Kernpunkten» angedeutet ist.

So handelt es sich heute nicht darum, theoretische Lösungen der sozialen Frage zu suchen, sondern die Bedingungen aufzusuchen, unter denen die Menschen sozial leben werden. Und sie werden sozial leben, wenn der soziale Organismus nach seinen drei Gliedern hin arbeitet, wie ja der natürliche Organismus auch unter dem Einfluß seiner relativen Dreigliederung gerade zur Einheit hin arbeitet.“ (Lit.:GA 81, S. 113f.)

„Das ist das, was möglich machte, daß gerade auf anthroposophischem Boden in unserer heutigen Zeit der Not auch wirtschaftliche Einrichtungen ihren Ausdruck finden, weil Anthroposophie es ihrer Natur nach gegenüber dem beweglichen Geiste mit beweglichen Ideen zu tun haben muß, weil man an ihr lernen kann, wie man seine Ideen mit Wachstumskraft, mit innerer Beweglichkeit ausstatten muß und dann mit solchen Ideen - so wenig es die heutigen Praktiker glauben mögen - auch in die andersgeartete Wirklichkeit eintauchen kann, die sich abspielt als soziales Leben von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk durch die ganze, nunmehr notwendig gewordene und so künstlich beeinträchtigte Weltwirtschaft hindurch.“ (Lit.:GA 81, S. 115f.)

„Aber ich muß, wenn ich von der Dreigliederung spreche, ausdrücklich betonen, daß ich eine einseitige Abgliederung des Wirtschaftslebens vom Staatsleben unter Verbleiben des geistigen Lebens beim Staatsleben für das Gegenteil des Erstrebten ansehe, weil ich eine Zweigliederung für ebenso schädlich wie eine Dreigliederung für notwendig halte.“ (Lit.:GA 337a, S. 49)

„Würde nur einmal in einem einzelnen Punkte ein wahres Verständnis für die in den wirklich realen Verhältnissen liegenden Forderungen und ihre Befriedigung erweckt, so würde nicht immer wiederum das Vorurteil aufkommen: Das ist etwas allgemein Idealistisches, das hat mit Praxis nichts zu tun. - Würde man sich die Mühe nehmen, den eigentlich praktischen Impetus dieses nicht Gedanken-, sondern Lebensprinzips zu studieren, dann würden wir weiterkommen. Das, was uns heute schadet, ist, daß man dieses sogenannte System, das kein System ist, sondern wirklich etwas anderes, was im realen Leben fußt, an allen Ecken und Enden bloß als Gedankensystem nimmt. Ich kann nichts anderes tun, als was in realen Verhältnissen begründet ist.“ (Lit.:GA 337a, S. 51)

„Selbstverständlich gehört zu diesem Gewebe von wirtschaftlichen Institutionen - mit Bezug auf das Wirtschaften - auch alles dasjenige, was sonst arbeitet im Rechtsleben, im Staatsleben, was arbeitet im geistigen Leben. Das geistige Leben als solches ist unabhängig auf seine eigenen Füße gestellt, aber diejenigen, die im geistigen Leben wirksam sind, die müssen essen, trinken, sich kleiden; sie müssen daher von sich aus auch wiederum Wirtschaftskorporationen bilden, die sich als solche dem Wirtschaftskörper einzuverleiben haben, die im Wirtschaftskörper sich assoziieren mit denjenigen Korporationen, die nun wiederum gerade ihren Interessen dienen können. Dasselbe muß geschehen mit der Korporation derjenigen Menschen, die im Staatsleben stehen.“ (Lit.:GA 337a, S. 141)

„Aber ich muß, wenn ich von der Dreigliederung spreche, ausdrücklich betonen, daß ich eine einseitige Abgliederung des Wirtschaftslebens vom Staatsleben unter Verbleiben des geistigen Lebens beim Staatsleben für das Gegenteil des Erstrebten ansehe, weil ich eine Zweigliederung für ebenso schädlich wie eine Dreigliederung für notwendig halte.“ (Lit.:GA 337a, S. 49)

„Das, worauf es ankommt, das ist ja, daß der soziale Organismus nicht gegliedert ist nach Ständen, sondern nach Gesichtspunkten, und daß in jedem Gliede des sozialen Organismus mit seinen Interessen ein jeder Mensch drinnensteht.“ (Lit.:GA 337a, S. 142)

„Die Menschen fühlen, sie müssen sich an etwas Geistigem halten und das Geistige muß auch da sein, um ins soziale Leben einzugreifen, um die soziale Struktur des ja vom Menschen belebten sozialen Organismus zu bilden.“ (Lit.:GA 337a, S. 201)

„Dürfen Sie irgendwie aus den Verhältnissen der jetzigen Zeit heraus, wenn Sie es ehrlich mit der Menschheit meinen, irgendeine Organisation einrichten, welche in einer ganz bestimmten Weise das Zusammenleben der Menschen bestimmt? Nein, das dürfen Sie nicht! Denn mit jedem einzelnen Menschen werden neue Kräfte aus unbekannten Tiefen heraus geboren; die haben wir zu erziehen, und wir haben zu warten, was sie hineintragen in das Leben. Wir haben nicht dasjenige, was da durch die geistigen Anlagen in das Leben getragen wird, zu tyrannisieren durch etwa schon bestehende Gesetze oder eine schon bestehende Organisation; wir müssen dasjenige, was uns hineingetragen wird aus geistigen Welten, unbefangen empfangen, wir dürfen es nicht tyrannisieren und dogmatisieren durch dasjenige, was schon da ist. Daher brauchen wir ein solches Glied des sozialen Organismus, das ganz aus der Freiheit heraus, aus der Freiheit der immer neu in die Menschheit hereingeborenen menschlichen Anlagen heraus wirkt.“ (Lit.:GA 337a, S. 203)

„Man muß in Richtung der Dreigliederung hinarbeiten, und man kann aus den gewöhnlichen realen Verhältnissen heute in der Richtung arbeiten, die gegeben ist dadurch, daß man nun endlich diesen sozialen Organismus in drei miteinander in Wechselwirkung stehende Verwaltungs- Unterorganismen zerlegt.“ (Lit.:GA 337a, S. 207)

„[D]er dreigegliederte soziale Organismus ist wirklich ein Organismus, und eines spielt immer in das andere hinein, so daß in jedem der drei Glieder wieder etwas ist von den anderen beiden. Im menschlichen Organismus ist es ja auch so: Im Kopfe wirkt nicht nur das Nerven-Sinnes-System, sondern da drinnen geschieht auch Rhythmus und Verdauung. So spielt in das Wirtschaftsleben auch das Staatsleben hinein, es hat nur sein eigenes Zentrum der Verwaltung, und so spielt in das Wirtschaftsleben auch das Geistige hinein, eben beim Übergang der Produktionsmittel von einem zum anderen.“ (Lit.:GA 337a, S. 217)

Walter Johannes Stein: Die Dreigliederung ist uns oftmals geschildert worden von Herrn Dr. Steiner als funktionelle Dreigliederung und nicht als eine Dreigliederung der Gebiete. Viele Menschen sind aber im Irrtum; sie denken sich jedes Gebiet für sich und an der Spitze eine Korporation. Das ist also ein Irrtum. Ich möchte fragen, wie eigentlich ein so falsch gegliederter sozialer Organismus aussehen würde.“ (Lit.:GA 337a, S. 220)

„Das aber, um was es sich bei unserer Dreigliederung handelt, das finden Sie in meinem Buche «Von Seelenrätseln», wo ich von Funktionsbegriffen ausgehe. Ich sage nicht: Der Mensch besteht aus drei Trakten. Ich sage: Da ist ein Nerven-Sinnes-Gebiet, da ist ein Luftund Blutgebiet, da ist ein Verdauungsgebiet. Aber ich sage ausdrücklich: Verdauung ist im ganzen Menschen; die drei Gebiete sind im ganzen Menschen. Ich unterscheide nach den Funktionen; da spreche ich von einer Nerven-Sinnes-Tätigkeit, nicht von irgendeinem Gebiet, und ich unterscheide davon die Funktion der rhythmischen Tätigkeit und drittens die Funktion des Stoffwechsels. Das ist der Mensch, gegliedert nach Funktionen. Sehen sie, wie ich streng als Funktionen in dem Buche «Von Seelenrätseln» gerade das alles charakterisiert habe.“ (Lit.:GA 337a, S. 224)

„Daraus geht hervor, daß im Westen es lange Zeit brauchen wird, bis - durch das Zusammengewachsensein der sogenannten staatlichen Interessen mit den wirtschaftlichen Interessen - die Idee von der Dreigliederung populär wird.

Und daraus geht auch hervor, daß die europäische Mitte das Gebiet ist, wo diese Idee unbedingt zunächst Wurzel fassen müßte, weil die Menschen einsehen müßten, daß die alten Verhältnisse hier alles auseinandergetrieben haben. Es ist ja schon im Grunde genommen alles zerspalten; man versucht es nur mit den nicht mehr geltenden, alten Klammern zusammenzuhalten. Die Dreigliederung ist ja im Grunde schon da unter der Oberfläche, es handelt sich nur darum, daß man sie ins Bewußtsein aufnimmt und die Wirklichkeit so gestaltet wie dasjenige, was unter der Oberfläche schon vorhanden ist.“ (Lit.:GA 337a, S. 262)

„Ein anderer Diskussionsteilnehmer: Ich möchte noch eine Frage an Herrn Dr. Steiner stellen. In der Frankfurter Zeitung kam kürzlich ein Artikel, wo die naheliegende Frage gestellt wurde: Wie kann das Geistesleben denn überhaupt freigemacht werden, da es doch vom Wirtschaftsleben finanziert werden muß? Wie beantwortet Herr Dr. Steiner diese Frage, die bei der Veranstaltung, über die der Artikel referiert, nicht genügend beantwortet wurde?“ (Lit.:GA 337a, S. 265)

„Die Menschen werden ja in allen drei Gliedern darinnen sein. Und so ist es ganz selbstverständlich, daß das, was die Persönlichkeiten, die in der Organisation des geistigen Lebens drinnenstehen, zu verwalten haben als Geistiges des Geisteslebens, daß dieses nur das eine Glied bildet. Diese Persönlichkeiten, die das geistige Leben tragen, müssen aber auch leben. Deshalb werden sie sich gliedern in wirtschaftliche Organisationen. Und es wird kein Unterschied sein, ob eine solche Organisation, sagen wir, aus Lehrern oder Musikern bestehen wird oder aus Schustern oder Schneidern. Denn die wirtschaftliche Organisation ist nicht dazu da, daß nur gerade das eine oder das andere Gebiet des Wirtschaftslebens besorgt wird, sondern daß alle Menschen wirtschaftlich gestützt werden. Und indem sie im wirtschaftlichen Gebiet des sozialen Organismus drinnenstehen, werden sie wirtschaftlich gestützt. (...) Die Systeme durchdringen sich gegenseitig. Ich kann das jetzt nur abstrakt ausführen, aber die Korporationen des geistigen Lebens werden einfach auch da sein als wirtschaftliche Korporationen. Nur werden diese geistigen Korporationen da ihre Organisationen im wirtschaftlichen Teil des gesamten sozialen Organismus haben, und es wird, was sie da tun, nicht hineinspielen können in die Organisation des geistigen Teiles des dreigegliederten Organismus.“ (Lit.:GA 337a, S. 266)

„Nun ist es aber durchaus so, daß nicht aus der vorhergehenden Konstellation des Wirtschaftslebens dasjenige folgt, was nachher geschieht, sondern es folgt lediglich aus dem, was die Menschen tun. Und wenn nun diese Menschen etwas tun, was man gewissermaßen «errechnen» kann, was bezeugt das dann? Dann braucht man nur hinzuschauen auf einen Vorgang, der Ihnen allen bekannt sein wird. Nehmen Sie an, da steht der Hund Tyras, und Sie halten ihm ein Stück Fleisch vor; Sie werden ziemlich genau errechnen können, was er tut: Er schnappt danach. Und es wird in den seltensten Fällen vorkommen, daß der Hund Tyras nicht nach dem Stück Fleisch schnappt. Wenn aber der Mensch in einer ganz bestimmten Situation etwas Errechenbares tut, so bezeugt das nur, daß sein Seelen-Niveau heruntergesunken ist; und je mehr man im sozialen Leben errechnen oder kausal bestimmen kann, desto mehr weist man damit darauf hin, daß die Menschen mehr auf ein tierisches Niveau heruntergesunken sind.“ (Lit.:GA 337a, S. 275)

„Es kann sich nur darum handeln, daß man die Bedingungen des individuellen Lebens kennenlernt, und man sieht dann, wie sich dieses dreigliedrig darstellt. Wer sich darauf einläßt, der muß einsehen, daß die drei Glieder des Lebens erstens selbständig sind, zweitens dann aber wieder zusammenwirken und drittens am besten zusammenwirken, wenn sie vorher ihre Selbständigkeit entfaltet haben. Dann wird die Einheit Ergebnis - und nicht von außen hereingetragen. Eine abstrakte, unfruchtbare Einheit zerstört sich selbst. Was aber aus den selbständigen Gliedern erst gebildet wird, das wird zu einer lebensvollen Einheit, wird zu dem, was überhaupt erst leben und wachsen kann.“ (Lit.:GA 337a, S. 292)

„Und außerdem, man muß nur bedenken, daß sich ja mit der Dreigliederung des sozialen Organismus - das ist das Wesentliche dabei - das ganze Verhältnis des Menschen zur Gesellschaft ändert.“ (Lit.:GA 337b, S. 41)

„Schiller ist durch Goethe etwas geworden, was er allein niemals geworden wäre. Goethe ist durch Schiller etwas geworden, was er allein niemals geworden wäre. Und hat man bloß den Goethe, und hat man bloß den Schiller und denkt sich ihre Wirkung auf das deutsche Volk - es kommt nicht das heraus, was in Wirklichkeit geworden ist. Denn hat man bloß Goethe, hat man bloß Schiller, und bedenkt man die Wirkungen, die aus beiden ausströmen, so gibt es noch nicht das, was geworden ist, sondern es entsteht aus dem Zusammenfluß der beiden ein Drittes, ganz Unsichtbares, das aber von ungeheuer starker Wirkung ist (Es wird an die Tafel gezeichnet). Sehen Sie, das ist ein Urphänomen sozialen Zusammenwirkens auf geistigem Gebiete. (...)

Nun, Goethe und Schiller waren beide sozial im höchsten Sinne beglückte Individualitäten, Persönlichkeiten. Wann ist denn dasjenige eingetreten, von dem man sagen kann, Schiller habe Goethe am besten verstanden, Goethe habe Schiller am besten verstanden? Sie haben sich am besten miteinander unterhalten können, am besten miteinander ihre Ideen austauschen können und etwas Gemeinsames, eben dieses Unsichtbare, zustandegebracht, was dann wiederum fortgewirkt hat und was eine der bedeutendsten Tatsachen im deutschen Geistesleben ist. Ich habe mich viel bemüht, das Jahr des intimsten Zusammenlebens der beiden, da, wo die Ideen des einen, ich möchte sagen am gründlichsten in die Ideen des anderen eingedrungen sind, herauszubringen. Ich finde, es ist so um das Jahr 1795 oder 1796 (Es wird an die Tafel geschrieben). 1796, da ist wirklich in diesem Zusammenwirken von Goethe und Schiller etwas ganz Besonderes da.“ (Lit.:GA 337b, S. 59f.)

„Immer, wenn Menschen aufeinander wirken, entsteht etwas, was niemals durch die bloße Wechselwirkung von Mensch und der betrachteten Natur entstehen kann.“ (Lit.:GA 337b, S. 62)

„Es ist ja richtig, daß viel heute gesprochen wird über den Menschen als soziales Wesen, über soziale Verhältnisse und soziale Forderungen überhaupt. Allein, dieses Reden über soziale Forderungen ist nicht gerade von einem tiefen Verständnis dessen getragen, was soziales Wesen eigentlich ist. Man braucht sich deshalb darüber nicht zu wundern, weil eigentlich erst in der Gegenwart der Anfang jener Zeit ist, in der die Menschheit reif werden soll, sich ein soziales Urteil zu bilden. Die Menschheit hat es ja in einem gewissen Sinn nicht nötig gehabt bis jetzt, sich ein soziales Urteil zu bilden. Warum? Der Mensch lebte natürlich immer in irgendwelchen sozialen Verhältnissen drinnen, aber er hat im Grunde genommen nicht - bis jetzt nicht - diese sozialen Verhältnisse aus seinem sozialen Bewußtsein heraus, aus einem wirklichen Verständnis heraus geordnet. Er hat sie, wenn ich so sagen darf, geordnet erhalten durch eine Art Instinkttätigkeit. Die Menschen haben bis zu der Form des gegenwärtigen Staates, der ja für Europa im Grunde genommen nicht älter ist als drei bis vier Jahrhunderte, mehr aus ihren Instinkten heraus Zusammenhänge gebildet, und es ist eigentlich nicht dazu gekommen, aus dem Urteil, aus der Überlegung, aus dem Verständnis heraus die Gruppierung der Menschen vorzunehmen. Aus diesem Verständnis heraus, aus einem wirklich klaren Urteil heraus will die Dreigliederung des sozialen Organismus die soziale Frage in Angriff nehmen.“ (Lit.:GA 337b, S. 53f.)

„Wie kann umgewandelt werden das Instinktive des alten sozialen Lebens in ein aus der menschlichen Seele herausgeborenes soziales Leben? -, das ist ja die Hauptfrage, die dem Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus zugrundeliegt. Diese Frage, sie kann gar nicht anders gelöst werden, als daß auftaucht eine gründlichere Erkenntnis des Menschen, gründlicher als diejenige Erkenntnis des Menschen, die da war in den letzten Jahrhunderten und die da ist in der Gegenwart.

Man kann sagen, gerade aus der Frage: Wie soll der Mensch zu einem Urteil kommen darüber, wie er mit anderen Menschen zusammenleben soll? —, gerade aus dieser Frage ist der Impuls für die Dreigliederung des sozialen Organismus entstanden. Er ist entstanden aus einer richtigen Beobachtung desjenigen, was der Mensch in der Gegenwart fordern muß. Aber die meisten Menschen möchten nicht im Ernste irgendwie auf die Forderungen der Gegenwart eingehen. Sie möchten dasjenige, was ist, mitnehmen und nur höchstens da oder dort mehr oder weniger radikale Verbesserungen vornehmen.“ (Lit.:GA 337b, S. 54f.)

„Im natürlichen Zusammenhang der Menschen lebt die Dreigliederung des sozialen Organismus, lebt das selbständige Geistesleben, lebt das Rechts- oder Staatsleben, das auf die Mündigkeit der Menschen gestellt ist, lebt auch das nur aus sich heraus sich gestaltende Wirtschaftsleben. Man kann dem Geistesleben und kann dem Wirtschaftsleben Zwangsjacken anlegen, obwohl man es nicht nötig hat; aber dann macht sich fortwährend ihr Eigenleben geltend, und was wir dann im Äußeren erleben, ist eben das Sich-geltend-Machen des Eigenlebens. Es ist also notwendig, aus der Natur des Menschen und aus der Natur des sozialen Zusammenlebens die Selbstverständlichkeit der Dreigliederung des sozialen Organismus zu zeigen.“ (Lit.:GA 339, S. 28)

„Sehen wir doch, wie in Europa das Geistesleben durchaus selbständig und frei war bis zum 13., 14. Jahrhundert, wo man das, was freies, selbständiges Geistesleben war, zuerst in die Universitäten hineingeschoben hat.“ (Lit.:GA 339, S. 29)

„Sehen Sie, für freies Geistesleben, das heißt Geistesleben, das aus seinen eigenen Gesetzen heraus da ist, es ist noch nicht sehr viel Verständnis in der gegenwärtigen Menschheit dafür vorhanden. Denn meistens versteht man unter freiem Geistesleben ein Gebilde, in dem Menschen leben, von denen jeder nach seinem eigenen Kikeriki kräht, wo jeder Hahn - verzeihen Sie das etwas merkwürdige Bild - auf seinem eigenen Misthaufen kräht, und wo dann die unglaublichsten Zusammenklänge aus diesem Krähen Zustandekommen. In Wirklichkeit kommt beim freien Geistesleben nämlich durchaus Harmonie zustande, weil der Geist lebt, nicht die einzelnen Egoisten, weil der Geist wirklich über die einzelnen Egoisten hinüber ein eigenes Leben führen kann.

Es ist zum Beispiel - man muß diese Dinge schon heute sagen - für unsere Waldorfschule in Stuttgart durchaus ein Waldorfschulgeist da, der unabhängig ist von der Lehrerschaft, in den die Lehrerschaft sich hineinlebt, und in dem es immer mehr und mehr klar wird, daß unter Umständen der eine fähiger oder unfähiger sein kann - der Geist aber hat ein eigenes Leben.

Es ist eine Abstraktion, von der sich heute noch die Menschen eine Vorstellung machen, wenn sie von «freiem Geist» sprechen. Das ist ja gar keine Wirklichkeit. Der freie Geist ist etwas, was wirklich lebt unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein kommen lassen, und was wirkt unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein kommen lassen.“ (Lit.:GA 339, S. 42)

„Es liegt im modernen geschichtlichen Prozeß, daß sich diese Ideologie entwickelt hat“ (Lit.:GA 339, S. 58)

„Durch die Verhältnisse der neueren Menschheitsentwickelung ist das eigentliche Staatsleben als solches, das sich eigentlich im Rechtsstaat ausleben sollte, im wesentlichen verschwunden, und was sich im Staate auslebt, ist eigentlich ein chaotisches Zusammensein der geistigen Elemente des menschlichen Daseins und der wirtschaftlichen Elemente. Man könnte sagen: In den modernen Staaten haben sich allmählich die geistigen Elemente und die wirtschaftlichen Elemente durcheinandergeschweißt, und das eigentliche Staatsleben ist zwischendurch eben heruntergefallen, eigentlich verschwunden.“ (Lit.:GA 339, S. 63)

„Man sieht ja auch heute, wie wenig die Leute Empfindung haben für ein freies Geistesleben, daran, daß da oder dort Forderungen auftreten für ein vom Staate emanzipiertes Wirtschaftsleben. Man denke sich einmal im Konkreten aus, was nun das für ein soziales Gebilde wäre, bei dem auf der einen Seite der Rechtsstaat ist, der aber die ganze Schulverfassung in sich hat, aus dem also eigentlich alles das hervorgehen soll, was an Weisheiten dann in den Wirtschaftszusammenhängen entwickelt wird, und auf der anderen Seite ein emanzipiertes Wirtschaftsleben! Wer im wahren Sinne für die Dreigliederung des sozialen Organismus ist, dem sollte es nur nie einfallen, etwa zu sagen: Da ist ja schon ein Stück von der Dreigliederung des sozialen Organismus, nämlich die Zweigliederung. - Viel besser ist der chaotische Einheitsstaat als eine irgendwie geartete Zweigliederung. Denn das ist das Wesen der Dreigliederung, daß sie eben eine Dreigliederung ist und nicht eine Zweigliederung.“ (Lit.:GA 339, S. 115)

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Es dürfte sich hieran anschließend ein haltbares Argument für ein Grundeinkommen entwickeln lassen, das sich aber nur auf das Geistesleben bezieht, und nichts mit einer Trennung von Arbeit und Einkommen, die sich auf das Wirtschaftsleben bezieht, zu tun hat. Eine Ableitung des Grundeinkommens aus dem sozialen Hauptgesetz dürfte nicht haltbar sein.
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