Leib

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Der Leib (griech. σώμα, soma; eng. body) ist jenes grundlegende Wesensglied, das einem Wesen, insbesondere dem Menschen, seine chrakteristische Form oder Gestalt gibt.

„Mit «Leib» soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art «Gestalt», «Form» gibt. Man sollte den Ausdruck «Leib» nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln. In dem in dieser Schrift gemeinten Sinne kann die Bezeichnung «Leib» auch für das gebraucht werden, was sich als Seelisches und Geistiges gestaltet.“ (Lit.:GA 9, S. 38f)

Der Leib ermöglicht dem Menschen darüber hinaus durch die Sinnesorgane die sinnliche Wahrnehmung der Welt:

„Mit Leib ist hier dasjenige gemeint, wodurch sich dem Menschen die Dinge seiner Umwelt offenbaren ...“ (Lit.:GA 9, S. 26f)

Wenn man vom Leib spricht, meint man in der Regel nicht bloss den physischen Körper, denn der vom Leben verlassene Körper ist der Leichnam, sondern man meint den lebendigen Leib, also die Verbindung von physischem Leib und Ätherleib, die während des Erdenlebens des Menschen niemals vollständig gelöst wird. In einem weiteren Sinn muss man auch den Astralleib, den Träger der Begierden und Empfindungen, zum leiblichen Dasein hinzurechnen. Als Astralleib bezeichnet Rudolf Steiner dabei die mit dem Seelenleib zu einer Einheit verbundene Empfindungsseele. Letztere ermöglicht einerseits, dass die von den Sinnesorganen aufgenommenen Reize zum seelischen Erleben verinnerlicht werden und andererseits die inneren seelischen Antriebe in Körperbewegungen umgesetzt werden. Zusammen bilden diese drei Wesensglieder - Physischer Leib, Ätherleib und Astralleib - die Leibeshüllen des Menschen, in denen sich sein Ich das Bewusstsein seiner selbst erringen kann.

„Mit dem ersten Regen der Empfindung antwortet das Innere selbst auf die Reize der Außenwelt. Man mag dasjenige, was man Außenwelt zu nennen berechtigt ist, noch so weit verfolgen: die Empfindung wird man nicht finden können. – Die Lichtstrahlen dringen in das Auge; sie pflanzen sich innerhalb desselben bis zur Netzhaut fort. Da rufen sie chemische Vorgänge (im sogenannten Sehpurpur) hervor; die Wirkung dieser Reize setzt sich durch den Sehnerv bis zum Gehirn fort; dort entstehen weitere physische Vorgänge. Könnte man diese beobachten, so sähe man eben physische Vorgänge wie anderswo in der Außenwelt. Vermag ich den Lebensleib zu beobachten, so werde ich wahrnehmen, wie der physische Gehirnvorgang zugleich ein Lebensvorgang ist. Aber die Empfindung der blauen Farbe, die der Empfänger der Lichtstrahlen hat, kann ich auf diesem Wege nirgends finden. Sie ersteht erst innerhalb der Seele dieses Empfängers. Wäre also das Wesen dieses Empfängers mit dem physischen Körper und dem Ätherleib erschöpft, so könnte die Empfindung nicht da sein. Ganz wesentlich unterscheidet sich die Tätigkeit, durch welche die Empfindung zur Tatsache wird, von dem Wirken der Lebensbildekraft. Ein inneres Erlebnis wird durch jene Tätigkeit aus diesem Wirken hervorgelockt. Ohne diese Tätigkeit wäre ein bloßer Lebensvorgang da, wie man ihn auch an der Pflanze beobachtet. Man stelle sich den Menschen vor, wie er von allen Seiten Eindrücke empfängt. Man muß sich ihn zugleich nach allen Richtungen hin, woher er diese Eindrücke empfängt, als Quell der bezeichneten Tätigkeit denken. Nach allen Seiten hin antworten die Empfindungen auf die Eindrücke. Dieser Tätigkeitsquell soll Empfindungsseele heißen. Diese Empfindungsseele ist ebenso wirklich wie der physische Körper. Wenn ein Mensch vor mir steht und ich sehe von seiner Empfindungsseele ab, indem ich ihn mir bloß als physischen Leib vorstelle, so ist das gerade so, als wenn ich mir von einem Gemälde bloß die Leinwand vorstelle [...]

Die Empfindungsseele hängt in bezug auf ihre Wirkung vom Ätherleib ab. Denn aus ihm holt sie ja das hervor, was sie als Empfindung aufglänzen lassen soll. Und da der Ätherleib das Leben innerhalb des physischen Leibes ist, so ist die Empfindungsseele auch von diesem mittelbar abhängig. Nur bei richtig lebendem, wohl gebautem Auge sind entsprechende Farbenempfindungen möglich. Dadurch wirkt die Leiblichkeit auf die Empfindungsseele. Diese ist also durch den Leib in ihrer Wirksamkeit bestimmt und begrenzt. Sie lebt innerhalb der ihr durch die Leiblichkeit gezogenen Grenzen. – Der Leib wird also aus den mineralischen Stoffen auferbaut, durch den Ätherleib belebt, und er begrenzt selbst die Empfindungsseele. Wer also das oben erwähnte Organ zum «Schauen» der Empfindungsseele hat, der erkennt sie durch den Leib begrenzt. – Aber die Grenze der Empfindungsseele fällt nicht mit derjenigen des physischen Körpers zusammen. Diese Seele ragt über den physischen Leib hinaus. Man sieht daraus, daß sie sich mächtiger erweist, als er ist. Aber die Kraft, durch die ihr die Grenze gesetzt ist, geht von dem physischen Leibe aus. Damit stellt sich zwischen den physischen Leib und den Ätherleib einerseits und die Empfindungsseele andererseits noch ein besonderes Glied der menschlichen Wesenheit hin. Es ist der Seelenleib oder Empfindungsleib. Man kann auch sagen: ein Teil des Ätherleibes sei feiner als der übrige, und dieser feinere Teil des Ätherleibes bildet eine Einheit mit der Empfindungsseele, während der gröbere Teil eine Art Einheit mit dem physischen Leib bildet. Doch ragt, wie gesagt, die Empfindungsseele über den Seelenleib hinaus.“ (Lit.:GA 9, S. 39f)

„Mit dem Ausdruck Astralleib wird dabei hier das bezeichnet, was Seelenleib und Empfindungsseele zusammen sind. Der Ausdruck findet sich in der älteren Literatur und sei hier frei angewendet auf dasjenige in der menschlichen Wesenheit, was über das Sinnlich-Wahrnehmbare hinausliegt. Trotzdem die Empfindungsseele in gewisser Beziehung auch von dem Ich durchkraftet wird, hängt sie mit dem Seelenleib so eng zusammen, daß für beide, vereinigt gedacht, ein einziger Ausdruck berechtigt ist. Wenn nun das Ich sich mit dem Geistselbst durchdringt, so tritt dieses Geistselbst so auf, daß der Astralleib von dem Seelischen aus umgearbeitet wird. In dem Astralleib wirken zunächst des Menschen Triebe, Begierden, Leidenschaften, insofern diese empfunden werden; und es wirken in ihm die sinnlichen Wahrnehmungen. Die sinnlichen Wahrnehmungen entstehen durch den Seelenleib als ein Glied im Menschen, das ihm von der äußeren Welt zukommt. Die Triebe, Begierden, Leidenschaften und so weiter entstehen in der Empfindungsseele, insofern diese vom Innern durchkraftet wird, bevor dieses Innere sich dem Geistselbst hingegeben hat. Durchdringt sich das «Ich» mit dem Geistselbst, so durchkraftet die Seele den Astralleib wieder mit diesem Geistselbst. Es drückt sich dies so aus, daß dann die Triebe, Begierden und Leidenschaften durchleuchtet sind von dem, was das Ich aus dem Geiste empfangen hat. Das Ich ist dann vermöge seines Anteiles an der geistigen Welt Herr geworden in der Welt der Triebe, Begierden und so weiter. In dem Maße, als es dies geworden ist, erscheint das Geistselbst im Astralleib. Und dieser selbst wird dadurch verwandelt. Der Astralleib erscheint dann selbst als zweigliedrige Wesenheit, als zum Teil unverwandelt, zum Teil verwandelt. Daher kann man das Geistselbst in seiner Offenbarung am Menschen als den verwandelten Astralleib bezeichnen.“ (Lit.:GA 9, S. 59f)

Rudolf Steiner widerspricht damit der auch heute noch gängigen Ansicht, dass die Bewegungen des Körpers durch die sogenannten motorischen Nerven ausgelöst würden. Tatsächlich entstehe die Willenstätigkeit durch den unmittelbaren Eingriff des Astralleibs in das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System; die sogenannten motorischen Nerven nehmen nur die daraus resultierende Bewegung bzw. die damit verbundenen Stoffwechselvorgänge wahr.

„Diese wissenschaftliche Anschauung - ich möchte das aus dem Grunde erwähnen, weil uns das, um was es sich jetzt handelt, von hier ausgehend vielleicht am ersten verständlich werden kann -, dasjenige, was man heute aus der materialistischen wissenschaftlichen Anschaung heraus glaubt, das ist, daß der Mensch zwei er Iei Nerven habe, die sogenannten sensitiven und die motorischen Nerven. Die sensitiven Nerven gehen von unseren Sinnesorganen, so glaubt man, oder von der Hautoberfläche nach dem Nervenzentrum, und wie Telegraphendrähte bringen sie dorthin dasjenige, was sinnlich wahrgenommen wird. Und dann wiederum gehen von dem Nervenzentrum aus die sogenannten motorischen Nerven, die Willensnerven. Es wird gewissermaßen durch eine dämonische Wesenheit, die aber natürlich die heutige Wissenschaft nicht wahrhaben will, und die im Zentralnervensystem sitzt, dasjenige, was durch die Telegraphendraht-Nerven von den Sinnen nach dem Zentralsystem hingedrahtet wird, umgesetzt im Willen durch die motorischen, durch die Willensnerven. Man hat sehr schöne Theorien ersonnen, die sogar außerordentlich geistreich sind, namentlich diejenige, die hergenommen ist von der furchtbaren Erkrankung der Tabes, um diese Theorie von den zweierlei Nerven zu erklären. Aber dennoch ist diese Theorie von den zweierlei Nerven nichts anderes als ein Ausfluß der Unkenntnis über den übersinnlichen Menschen. Es gibt- das kann ich hier, weil es zu weit führen würde, nicht ausführen, aber gerade die Tabeserkrankung beweist es, wenn man es richtig betrachtet-, es gibt keinen Unterschied zwischen sensitiven und motorischen Nerven. Die sogenannten motorischen Nerven sind nur dazu da, um so, wie die sogenannten sensitiven Nerven die äußeren Wahrnehmungen vermitteln, ebenso die inneren Wahrnehmungen zu vermitteln, wenn wir gehen oder wenn wir den Arm bewegen. Die motorischen Nerven sind auch sensitive Nerven; sie sind dazu da, unsere Bewegungen selber zu empfinden. Und daß man glaubt, die rnotorischen Nerven seien die Willensträger, das kommt nur davon her, daß man in Unkenntnis ist über den eigentlichen Willensträger. Ihn lernt man erst erkennen, wenn man diese Selbstzucht des Willens wirklich übt, von der ich gesprochen habe. Wenn einem das auch zur Aktivität wird, sich selbst zu erziehen. Wenn man in dieser Erziehung unabhängig wird von dem, was gewissermaßen der Leib selber mit einem macht. Dann lernt man erkennen, daß es nicht die motorischen Nerven sind, die den Willen erzeugen, sie nehmen nur die Bewegungen durch den Willen wahr, sondern daß es ein drittes Glied der menschlichen Wesenheit ist, ein übersinnliches Glied, dasjenige, was man die eigentliche Seelenwesenheit nennen könnte. Ich habe es in meinen Schriften, wenn auch der Ausdruck der Gegenwart noch nicht gefällt, den Astralleib genannt. Man lernt dieses übersinnliche Glied dermenschlichen Wesenheit kennen wiederum durch eine unmittelbare Schauung, die man sich anerzieht durch diese Selbstzucht des Willens, man lernt diesen Seelenleib, wenn ich es so nennen darf, kennen als dasjenige, was geistig-seelisch allen Willensbewegungen, allen Bewegungen des Leibes zugrunde liegt. Nerven sind nur dazu da, die Wahrnehmung der Bewegung zu vermitteln.“ (Lit.:GA 330, S. 363ff)

Gemeinsam bilden physischer Leib, Ätherleib und Astralleib, die einander durchdringen, die irdische Leibeshülle für die höheren seelischen und geistigen Wesensglieder des Menschen. Damit das Ich verwandelnd in die leibliche Organisation eingreifen kann, bedarf es allerdings des Ich-Trägers, welcher der äußere Ausdruck für das Ich ist. Der Ich-Träger erscheint dem Hellseher in der menschlichen Aura als etwa länglich verformte bläuliche Kugel an der Nasenwurzel hinter der Stirne.

Der Leib ist vergänglich und löst sich nach dem Tod auf: Der physisch-stoffliche Leib wird den Elementen übergeben, der Ätherleib löst sich wenige Tage nach dem Tod in der Ätherwelt auf, und ein grosser Teil des Astralleibes geht nach einer längeren Läuterungsphase der menschlichen Seele in die Astralwelt über.

Platon empfand noch ganz im orientlisch-vorchristlichen Sinn den Leib als Kerker oder gar als Grab der Seele (griech. τὸ μὲν σῶμά ἐστιν ἡμῖν σῆμα to men soma estin hemin sema, wörtlich: „Der Körper ist für uns ein Grab.“[1]), wodurch sie sich erst im leibfreien Zustand nach dem Tod voll entfalten und in die Ewigkeit aufschwingen könne. Im Christentum hingegen erscheint im schroffen Gegensatz dazu gerade die inhärente und unauflösliche Leibbezogenheit der Seele als ihre zentrale Wesenseigenschaft, die sie erst zur wahrhaft menschlichen Seele macht. Für Thomas von Aquin ist ihre wesentlichste Bestimmung, entsprechend des aristotelischen Hylemorphismus, Form des Körpers zu sein (lat. anima forma corporis)[2]. Sie erfährt daher ihre Vollendung auch erst durch die Auferstehung des Leibes, die durch die alles übersteigende Liebe und Gnade Gottes dadurch möglich wird, dass Gott selbst in Jesus Christus Mensch geworden, durch den Tod auf Golgatha geschritten und am dritten Tage wieder auferstanden ist.

Instinkte, Triebe und Begierden

Instinkte, Triebe und Begierden besitzen einen willensartigen Charakter und haben ihren Ursprung in den drei leiblichen Wesensgliedern: Die Instinkte im physischen Leib, die Triebe im Ätherleib und die Begierden im Astralleib.

„Im physischen Leib ist der Wille Instinkt; sobald der Ätherleib sich des Instinktes bemächtigt, wird der Wille Trieb. Es ist dann sehr interessant, zu verfolgen, wie in der Beobachtung der Instinkt, den man in der äußeren Form mehr konkret erfassen kann, sich verinnerlicht und sich auch mehr vereinheitlicht, indem man ihn als Trieb betrachtet. Von Instinkt wird man immer so sprechen, daß er, wenn er sich im Tiere oder in seiner Abschwächung im Menschen vorfindet, dem Wesen von außen aufgedrängt ist; beim Trieb ist schon daran zu denken, daß das, was sich in einer mehr verinnerlichten Form äußert, auch mehr von innen kommt, weil der übersinnliche Ätherleib sich des Instinktes bemächtigt und dadurch der Instinkt zum Trieb wird.

Nun hat der Mensch auch noch den Empfindungsleib. Der ist noch innerlicher. Er ergreift nun wieder den Trieb, und dann wird nicht nur eine Verinnerlichung erzeugt, sondern es wird Instinkt und Trieb auch schon ins Bewußtsein heraufgehoben, und so wird daraus dann die Begierde. Die Begierde finden Sie auch noch beim Tiere, wie Sie den Trieb bei ihm finden, weil das Tier ja alle diese drei Glieder, physischen Leib, Ätherleib, Empfindungsleib, auch hat. Aber wenn Sie von der Begierde sprechen, so werden Sie schon, ganz instinktiv, sich herbeilassen müssen, die Begierde als etwas sehr Innerliches anzusehen. Beim Trieb sprechen Sie so, daß er doch, ich möchte sagen von der Geburt bis zum späten Alter sich einheitlich äußert; bei der Begierde sprechen Sie von etwas, was erkraftet wird von dem Seelischen, was mehr einmalig erkraftet wird. Eine Begierde braucht nicht charakterologisch zu sein, sie braucht nicht dem Seelischen anzuhaften, sondern sie entsteht und vergeht. Dadurch zeigt sich die Begierde als mehr dem Seelischen eigentümlich als der bloße Trieb.“ (Lit.:GA 293, S. 66f)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Gorgias 493a2-3
  2. siehe dazu auch: Richard Heinzmann: Anima unica forma corporis - Thomas von Aquin als Überwinder des platonisch-neuplatonischen Dualismus in Philosophisches Jahrbuch, 93. Jahrgang, Verlag Karl Alber, Freiburg/München 1986, S. 236ff