Timaios: Unterschied zwischen den Versionen

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Der '''„Timaios“''' ist ein Spätwerk des griechischen [[Wikipedia:Philosoph|Philosoph]]en [[Platon]]. Der „Timaios“ grenzt sich von Platons früheren [[Wikipedia:Dialog|Dialog]]en dadurch ab, dass er nach einem kurzen dialogischen Vorgespräch als fast ununterbrochener [[Wikipedia:Monolog|Monolog]] geschrieben ist.
Der '''„Timaios“''' ({{ELSalt|Τίμαιος}}, [[Latein|latinisiert]] ''{{lang|la|Timaeus}}''; auch {{Polytonisch|περὶ φύσεως}} ''{{lang|grc-Latn|perì phýseōs}}'' „Über die Natur“ genannt) ist ein Spätwerk des griechischen [[Wikipedia:Philosoph|Philosoph]]en [[Platon]]. Wie der ''[[Kritias (Platon)|Kritias]]'' ist der ''Timaios'' ein fiktives Gespräch zwischen [[Sokrates]], [[Wikipedia:Timaios von Lokroi|Timaios von Lokroi]], [[Wikipedia:Kritias|Kritias]] und [[Wikipedia:Hermokrates|Hermokrates]]. Die Schrift unterscheidet sich von Platons früheren Werken dadurch, dass nach einem kurzen dialogischen Vorgespräch, in dem schemenhaft der Idealstaat der ''[[Politeia]]'' beschrieben wird, und dem [[Atlantis]]-Exkurs des Kritias die Hauptfigur Timaios einen fast ununterbrochenen [[Wikipedia:Monolog|Monolog]] hält. Der ''Timaios'' ist eine der beiden Schriften des platonischen Spätwerks, in denen von [[Atlantis]] berichtet wird; die ausführlichere Fassung folgte im „Kritias“.


Der „Timaios“ ist Platons Beitrag zur [[Wikipedia:Physik|Physik]] (im ursprünglichen Sinne von „[[Wikipedia:Naturlehre|Naturlehre]]“): er behandelt Ordnung und Phänomene der [[Natur]] sowie des menschlichen Körpers ([[Wikipedia:Physiologie|Physiologie]]). Beides wird in Form einer „wahrscheinlichen Erzählung“ ([[Wikipedia:Griechische Sprache|griech.]] ''eikôs mythos'') vorgetragen, die berichtet, wie ein nur [[Demiurg]] ([[Wikipedia:Griechische Sprache|griech.]] „Handwerker“) genannter, vollkommener und [[neid]]loser Gott die Welt durch das Zusammenwirken von [[Vernunft]] und Notwendigkeit erschafft. Wie wörtlich diese Darstellung zu nehmen ist - sprich ob nach Platons Meinung die Welt wirklich im zeitlichen Sinne nach und nach entstand und ob dies tatsächlich durch die Lenkung eines personalen Gottes geschah - ist in der Forschung umstritten.
Im ''Timaios'' hält die namensgebende Hauptfigur ''Timaios von Lokroi'' einen Vortrag über die Erschaffung und Gestaltung des Kosmos. Dieser ist von zwei gegensätzlichen Faktoren geprägt. Bei der Entstehung des Alls wirkte dem vernünftigen Wirken eines Schöpfergottes, des [[Demiurg]]en, der sich an der [[Idee]]nwelt orientierte und das Bestmögliche erreichen wollte, der chaotische, regellose Charakter der Ur-Materie (→ [[Chora (Philosophie)|Chora]] die „Amme des Werdens“, „[[Raum]]“, „Materie“) entgegen. Aus Güte und geleitet von Vernunft ordnete und gestaltete der Demiurg den Kosmos aus dem Chaos der bereits bestehenden Materie. Zugleich bildete der Demiurg eine [[Weltseele]], mit der er die materielle Welt beseelte und sie zu einem lebenden Organismus machte. Anderen von ihm hervorgebrachten Gottheiten wies der Demiurg die Aufgabe zu, den Menschen aus Materie und Bestandteilen der Weltseele zu erschaffen. Die [[Seele]] des Menschen ist unsterblich, weshalb sie dem ''Timaios'' zufolge stets in neue Körper, bei moralischem Verfall auch in niedere Lebewesen [[Inkarnation|inkarniert]] wird. Zentraler Bestandteil der Platonischen Naturphilosophie ist auch die Lehre von den [[vier Elemente]]n [[Erde (Element)|Erde]], [[Feuer]], [[Wasser]] und [[Luft]], denen jeweils einer der vier so genannten [[Wikipedia:Platonische Körper|Platonischen Körper]] zugeordnet wird: der Erde der [[Wikipedia:Würfel (Geometrie)|Würfel]], der Luft der [[Wikipedia:Oktaeder|Oktaeder]], dem Wasser der [[Wikipedia:Ikosaeder|Ikosaeder]] und dem Feuer der [[Wikipedia:Tetraeder|Tetraeder]].


„Timaios“ ist eine der beiden Schriften des platonischen Spätwerks, in denen von [[Atlantis]] berichtet wird; eine ausführliche Fassung folgt im „[[Kritias (Platon)|Kritias]]“.
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|}


Zentraler Bestandteil der Platonischen Naturphilosophie ist die Lehre von den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft, denen jeweils einer der vier so genannten [[Wikipedia:Platonische Körper|Platonischen Körper]] zugeordnet wird: der Erde der [[Wikipedia:Würfel (Geometrie)|Würfel]], der Luft der [[Wikipedia:Oktaeder|Oktaeder]], dem Wasser der [[Wikipedia:Ikosaeder|Ikosaeder]] und dem Feuer der [[Wikipedia:Tetraeder|Tetraeder]].
Von der [[Wikipedia:Antike|Antike]] bis zum [[Wikipedia:Spätmittelalter|Spätmittelalter]] fand der ''Timaios'' die größte Beachtung unter den Werken Platons. In der Antike trug er maßgeblich zur Entwicklung des [[Platonismus]] bei. Insbesondere die Frage, ob der Schöpfungsakt im ''Timaios'' wörtlich als eine [[Kosmogonie|Weltentstehung]] in der Zeit oder [[Wikipedia:Metapher|metaphorisch]] gemeint ist, wurde in zahlreichen Kommentaren diskutiert. Bis in das 12. Jahrhundert blieb der ''Timaios'' das einzige der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt zugängliche Werk Platons. Große Beachtung fand das Werk im 12. Jahrhundert, das mit der Rezeption in der platonisch orientierten [[Schule von Chartres]] den Höhepunkt des Interesses am ''Timaios'' markiert. Neben naturphilosophischen wurden im Mittelalter auch theologische Aspekte aus christlicher Sicht erörtert. Im Zeitalter des [[Wikipedia:Renaissance-Humanismus|Renaissance-Humanismus]] prägte der ''Timaios'' vor allem das Denken der Platoniker unter den Humanisten. Die moderne Forschung griff die bereits von antiken Platonikern behandelte Frage des zeitlichen Anfangs der Welt wieder auf. Nach der heute vorherrschenden Auffassung ist die Schöpfung des Demiurgen nicht als ein einmaliges Ereignis, sondern als ein beständiger Prozess zu verstehen.
 
== Kommentare ==
 
Den ersten Kommentar zum „Timaios“ schrieb der antike Philosoph [[Wikipedia:Krantor (Philosoph)|Krantor von Soloi]]. Ein weiterer Kommentar stammt von [[Wikipedia:Proklos (Philosoph)|Proklos]].


== Literatur ==
== Literatur ==


* Francis MacDonald Cornford: ''Plato's Cosmology. The Timaeus of Plato, translated with a running commentray''. London 1937, div. Nachdrucke (engl.).
* Francis MacDonald Cornford: ''Plato's Cosmology. The Timaeus of Plato, translated with a running commentary''. London 1937, div. Nachdrucke (engl.).
* Thomas Kjeller Johansen: ''Plato's natural philosophy. A study of the Timaeus-Critias''. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2004 (engl.).
* Thomas Kjeller Johansen: ''Plato's natural philosophy. A study of the Timaeus-Critias''. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2004 (engl.).
* Thomas Henri Martin: ''Etudes sur le Timée''. Paris 1841 (frz.).
* Thomas Henri Martin: ''Etudes sur le Timée''. Paris 1841 (frz.).
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== Weblinks ==
== Weblinks ==


; Primärtexte
* [http://www.atlantis-scout.de/ Atlantis-Scout:] Platons Dialoge Timaios und Kritias.
* [http://www.atlantis-scout.de/ Atlantis-Scout:] Platons Dialoge Timaios und Kritias.
* [http://www.e-text.org/text/Platon%20-%20Timaios.pdf Platon - Timaios] als [[Wikipedia:pdf|pdf]]-Datei zum Herunterladen
* [http://perseus.mpiwg-berlin.mpg.de/cgi-bin/ptext?doc=Perseus%3Atext%3A1999.01.0180%3Atext%3DTim. ''Timaios''] bei [[Wikipedia:Perseus Project|Perseus Project]] (griechisch und englisch)
*{{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/plato-timaeus/}}
* [http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Timaios Deutsche Übersetzung] nach Franz Susemihl von 1856 bei [[Wikipedia:Zeno.org|Zeno.org]]
* [http://www.alenck.de/pdf/Platon/26_Platon_Timaios.pdf Deutsche Übersetzung nach Schleiermacher] (PDF-Datei; 319 kB)
* [http://12koerbe.de/pan/platon.htm ''Timaios''] in Griechisch, Deutsch und Latein nach Calcidius (teilweise Transkription und Interlinearübersetzung)
* [[Wikipedia:Benjamin Jowett|Benjamin Jowett]]: ''[http://oll.libertyfund.org/?option=com_staticxt&staticfile=show.php%3Ftitle=767&chapter=93817&layout=html&Itemid=27 The Dialogues of Plato translated into English with Analyses and Introductions]'', 3. rev. und korr. Aufl., Oxford University Press, 1892 (englisch)
* [http://individual.utoronto.ca/pking/resources/logica_uetus/Timaeus.trns.txt Calcidius-Übersetzung] in Ausschnitten (Latein)
* [http://www.forumromanum.org/literature/cicero_timaeus.html Cicero-Übersetzung] in Ausschnitten (Latein)
* [http://agoraclass.fltr.ucl.ac.be/concordances/cicero_trad_Timaeus/ Cicero-Übersetzung]
* [http://image.ox.ac.uk/show?collection=bodleian&manuscript=msdigby23a Ms. Digby 23] der [[Wikipedia:Bodleian Library|Bodleian Library]] (1. Hälfte des 12. Jahrhunderts)
 
; Literatur
* Kyung Jik Lee: [http://d-nb.info/958057125/34 ''Der Begriff des Raumes im „Timaios“ im Zusammenhang mit der Naturphilosophie und der Metaphysik Platons''], Konstanz 1999
* {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/plato-timaeus/|Plato’s ''Timaeus''|Donald Zeyl}}


[[Kategorie:Philosophie]]
{{Navigationsleiste Platon}}
[[Kategorie:Griechische Philosophie]]


[[Kategorie:Philosophisches Werk von Platon|124]]
[[Kategorie:Philosophisches Werk]]
[[Kategorie:Corpus Platonicum|124]]
[[Kategorie:Timaios|!]]
{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Aktuelle Version vom 22. Juli 2023, 13:36 Uhr

Der „Timaios“ (griech. Τίμαιος, latinisiert Timaeus; auch περὶ φύσεως perì phýseōs „Über die Natur“ genannt) ist ein Spätwerk des griechischen Philosophen Platon. Wie der Kritias ist der Timaios ein fiktives Gespräch zwischen Sokrates, Timaios von Lokroi, Kritias und Hermokrates. Die Schrift unterscheidet sich von Platons früheren Werken dadurch, dass nach einem kurzen dialogischen Vorgespräch, in dem schemenhaft der Idealstaat der Politeia beschrieben wird, und dem Atlantis-Exkurs des Kritias die Hauptfigur Timaios einen fast ununterbrochenen Monolog hält. Der Timaios ist eine der beiden Schriften des platonischen Spätwerks, in denen von Atlantis berichtet wird; die ausführlichere Fassung folgte im „Kritias“.

Im Timaios hält die namensgebende Hauptfigur Timaios von Lokroi einen Vortrag über die Erschaffung und Gestaltung des Kosmos. Dieser ist von zwei gegensätzlichen Faktoren geprägt. Bei der Entstehung des Alls wirkte dem vernünftigen Wirken eines Schöpfergottes, des Demiurgen, der sich an der Ideenwelt orientierte und das Bestmögliche erreichen wollte, der chaotische, regellose Charakter der Ur-Materie (→ Chora die „Amme des Werdens“, „Raum“, „Materie“) entgegen. Aus Güte und geleitet von Vernunft ordnete und gestaltete der Demiurg den Kosmos aus dem Chaos der bereits bestehenden Materie. Zugleich bildete der Demiurg eine Weltseele, mit der er die materielle Welt beseelte und sie zu einem lebenden Organismus machte. Anderen von ihm hervorgebrachten Gottheiten wies der Demiurg die Aufgabe zu, den Menschen aus Materie und Bestandteilen der Weltseele zu erschaffen. Die Seele des Menschen ist unsterblich, weshalb sie dem Timaios zufolge stets in neue Körper, bei moralischem Verfall auch in niedere Lebewesen inkarniert wird. Zentraler Bestandteil der Platonischen Naturphilosophie ist auch die Lehre von den vier Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft, denen jeweils einer der vier so genannten Platonischen Körper zugeordnet wird: der Erde der Würfel, der Luft der Oktaeder, dem Wasser der Ikosaeder und dem Feuer der Tetraeder.

Tetraeder – Feuer Oktaeder – Luft Ikosaeder – Wasser Dodekaeder – Kosmos Würfel – Erde

Von der Antike bis zum Spätmittelalter fand der Timaios die größte Beachtung unter den Werken Platons. In der Antike trug er maßgeblich zur Entwicklung des Platonismus bei. Insbesondere die Frage, ob der Schöpfungsakt im Timaios wörtlich als eine Weltentstehung in der Zeit oder metaphorisch gemeint ist, wurde in zahlreichen Kommentaren diskutiert. Bis in das 12. Jahrhundert blieb der Timaios das einzige der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt zugängliche Werk Platons. Große Beachtung fand das Werk im 12. Jahrhundert, das mit der Rezeption in der platonisch orientierten Schule von Chartres den Höhepunkt des Interesses am Timaios markiert. Neben naturphilosophischen wurden im Mittelalter auch theologische Aspekte aus christlicher Sicht erörtert. Im Zeitalter des Renaissance-Humanismus prägte der Timaios vor allem das Denken der Platoniker unter den Humanisten. Die moderne Forschung griff die bereits von antiken Platonikern behandelte Frage des zeitlichen Anfangs der Welt wieder auf. Nach der heute vorherrschenden Auffassung ist die Schöpfung des Demiurgen nicht als ein einmaliges Ereignis, sondern als ein beständiger Prozess zu verstehen.

Literatur

  • Francis MacDonald Cornford: Plato's Cosmology. The Timaeus of Plato, translated with a running commentary. London 1937, div. Nachdrucke (engl.).
  • Thomas Kjeller Johansen: Plato's natural philosophy. A study of the Timaeus-Critias. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2004 (engl.).
  • Thomas Henri Martin: Etudes sur le Timée. Paris 1841 (frz.).
  • Alfred E. Taylor: A commentary on Plato's Timaeus. Oxford 1928 (engl.).

Weblinks

Primärtexte
Literatur
Dieser Artikel basiert auf einer für AnthroWiki adaptierten Fassung des Artikels Timaios aus der freien Enzyklopädie de.wikipedia.org und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.