Odyssee

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Odysseus und seine Gefährten blenden Polyphem. Detail einer proto-attischen Amphora des Polyphem-Malers, um 650 v. Chr., Museum von Eleusis, Inv. 2630.

Die Odyssee (altgriech. : ἡ Ὀδύσσεια – hē Odýsseia), neben der Ilias das zweite dem griechischen Dichter Homer zugeschriebene Epos, gehört zu den ältesten und einflussreichsten Dichtungen der abendländischen Literatur. In Schriftform wurde das Werk erstmals wahrscheinlich um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert v. Chr. festgehalten. Es schildert die Abenteuer des Königs Odysseus von Ithaka und seiner Gefährten auf der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg. In vielen Sprachen ist der Begriff „Odyssee“ zum Synonym für eine lange Irrfahrt geworden.

Der Inhalt der Odyssee

Die Odyssee beginnt mit der Anrufung der Muse.[1] Die Eingangsverse sind hier in Altgriechisch, in Umschrift sowie in der ihrerseits als klassisch geltenden deutschen Übersetzung von Johann Heinrich Voß aus dem Jahr 1781 wiedergegeben:

Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον, ὃς μάλα πολλὰ
πλάγχθη, ἐπεὶ Τροίης ἱερὸν πτολίεθρον ἔπερσε•
πολλῶν δ’ ἀνθρώπων ἴδεν ἄστεα καὶ νόον ἔγνω,
πολλὰ δ’ ὅ γ’ ἐν πόντῳ πάθεν ἄλγεα ὃν κάτα θυμόν,
ἀρνύμενος ἥν τε ψυχὴν καὶ νόστον ἑταίρων.
ἀλλ’ οὔδ΄ ὣς ἑτάρους ἐρρύσατο ἱέμενός περ•
αὐτῶν γὰρ σφετέρῃσιν ἀτασθαλίῃσιν ὄλοντο,
νήπιοι, οἳ κατὰ βοῦς Ὑπερίονος Ἠελίοιο
ἤσθιον• αὐτὰρ ὃ τοῖσιν ἀφείλετο νόστιμον ἦμαρ.
τῶν ἁμόθεν γε, θεά, θύγατερ Διός, εἶπε καὶ ἡμῖν.
Ạndra moi ẹnnepe, Moụsa, polỵtropon, họs mala pọlla
plạnchthē, epeị Troiẹ̄s hierọn ptoliẹthron epẹrse:
pọllōn d'ạnthrōpọ̄n iden ạstea kaị noon ẹgnō,
pọlla d’ ho g’ ẹn pontọ̄ pathen ạlgea họn kata thỵmon,
ạrnymenọs hēn tẹ psychẹ̄n kai nọston hetaịrōn.
ạll' oud’ họ̄s hetaroụs errhỵsato hịemenọs per;
aụtōn gạr spheterẹ̄sin atạsthaliẹ̄sin olọnto,
nẹ̄pioi, hoị kata boụs Hyperịonos Ẹ̄elioịo
ẹ̄sthion; aụtar ho toịsin apheịleto nọstimon hẹ̄mar.
tọ̄n hamothẹn ge, theạ, thygatẹr Dios, eịpe kai hẹ̄min.
Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet’ er nicht, wie eifrig er strebte;
Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben:
Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers
Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft.
Sage hievon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.

In 24 Gesängen, die aus 12.110[2] Hexameterversen bestehen, erzählt die Odyssee, wie der König von Ithaka nach dem zehn Jahre währenden Trojanischen Krieg, bei der Heimfahrt durch widrige Winde verschlagen, weitere zehn Jahre umherirrt und nach vielen Abenteuern schließlich als Bettler unerkannt heimkehrt. Er findet sein Haus voller aristokratischer Freier vor, die sein Eigentum aufzehren, seiner Frau Penelope einreden, er sei tot, und sie zwingen wollen, einen der Ihren zu heiraten. In einem letzten Abenteuer muss Odysseus den Kampf mit diesen Freiern aufnehmen. Eine Parallelhandlung, die „Telemachie“, erzählt, wie Odysseus’ und Penelopes Sohn Telemachos sich auf die Suche nach dem vermissten Vater begibt.

Die 24 Gesänge

Römisches Fresko zur Odyssee (heute in der Bibliotheca Apostolica des Vatikan), ca. 150–100 v. Chr.
Pieter Lastman, Odysseus und Nausikaa, Ölbildnis, 1619, Alte Pinakothek, München

Um die Spannung stets aufrechtzuerhalten, bedient sich Homer einer sehr komplexen Erzählweise. Er arbeitet zum Beispiel mit Parallelhandlungen, Rückblenden, Einschüben, Perspektiv- und Erzählerwechseln. Die Handlung wird nicht chronologisch erzählt, sondern setzt kurz vor der Rückkehr des Odysseus nach Ithaka ein. Sie gliedert sich wie folgt:

  • 1. bis 4. Gesang
Der Rat der Götter beschließt, Odysseus die Heimkehr zu ermöglichen. Der Götterbote Hermes fordert die Nymphe Kalypso auf, Odysseus, den sie sieben Jahre lang auf ihrer Insel zurückgehalten hat, ziehen zu lassen. Unterdessen begibt sich die Göttin Athene in Odysseus’ Heimat Ithaka, wo seine Frau Penelope von zahlreichen Freiern bedrängt wird, einen von ihnen zu heiraten. In Gestalt des väterlichen Freundes Mentes überredet Athene Odysseus’ Sohn Telemachos, sich auf die Suche nach dem vermissten Vater zu machen. Dieser segelt daraufhin nach Pylos zu Nestor und begibt sich anschließend zu Menelaos nach Lakonien, um Informationen über seinen verschollenen Vater zu bekommen. Die Freier planen in der Zwischenzeit einen Mordanschlag auf Telemachos und bereiten einen Hinterhalt an der zwischen Ithaka und Same gelegenen Insel Asteria vor.
  • 5. bis 8. Gesang
Auf einem selbstgebauten Floß verlässt Odysseus Kalypsos Insel Ogygia. Doch als am 18. Tag das Phaiakenland bereits in Sichtweite ist, erregt sein Widersacher, der Meeresgott Poseidon, einen Sturm, der das Floß schwer beschädigt und zum Kentern bringt. Mit Unterstützung der Nymphe Ino Leukothea rettet sich Odysseus mit letzter Kraft schwimmend an die Küste Scherias, der Heimat der Phaiaken. Er begegnet am Strand der Königstochter Nausikaa, die ihm den Weg zum Palast ihrer Eltern weist. Diese nehmen Odysseus gastfreundlich auf.
  • 9. bis 12. Gesang
Im zentralen Teil des Epos erzählt Odysseus im Haus des Phaiakenkönigs Alkinoos die Geschichte seiner Irrfahrten (siehe unten: Die Irrfahrten des Odysseus).
  • 13. bis 16. Gesang
Nun werden die beiden Handlungsstränge, die Telemachie und die eigentliche Odyssee, zusammengeführt. Odysseus kehrt mit Hilfe der Phaiaken nach Ithaka heim, muss sich aber im Haus des treuen Sauhirten Eumaios verbergen, bis er den Kampf mit den Freiern wagen kann. Inzwischen bricht Telemachos aus Sparta auf. Ohne bei Nestor zu übernachten, begibt er sich, nachdem er abends Pylos erreicht, direkt auf sein Schiff und kehrt nach Ithaka zurück. Dem Anschlag der Freier, vor denen ihn Athene gewarnt hat, kann er entgehen. Er begibt sich zu Eumaios und trifft dort auf seinen Vater Odysseus.
Odysseus erschießt seine Gegner
  • 17. bis 20. Gesang
Zu seinem Schutz verleiht Athene Odysseus die Gestalt eines Bettlers. Als solcher kehrt er nach 20 Jahren in sein Haus zurück, wo ihn zunächst nur sein alter sterbender Hund Argos wiedererkennt, später auch die alte Magd Eurykleia. Insgeheim bereitet sich Odysseus auf den Kampf mit den Freiern vor.
  • 21. und 22. Gesang
Bei einem Bogenkampf gibt sich Odysseus zu erkennen und tötet mit Hilfe von Telemachos und Eumaios die Freier sowie die Mägde und Knechte, die sich als untreu erwiesen haben.
  • 23. und 24. Gesang
Odysseus sieht nach 20 Jahren seine Frau Penelope wieder. Doch erst nachdem sie ihn mit einer List auf die Probe gestellt hat, erkennt sie in ihm den Gatten. Anschließend besucht Odysseus seinen alten Vater Laërtes. In der Unterwelt preisen Achilleus und Agamemnon, Odysseus’ Mitkämpfer vor Troja, dessen siegreiche Heimkehr. Die Göttin Athene schlichtet den Streit zwischen Odysseus und den Verwandten der getöteten Freier.

Die Irrfahrten des Odysseus

Eine zentrale Rolle im Epos nehmen die Gesänge 9 bis 12 ein, in denen Odysseus seine Abenteuer bis zur Ankunft bei den Phaiaken schildert. Dieser eher märchenhafte Teil wird von vielen Forschern für das ursprüngliche Epos gehalten, das später um die einleitende Telemachie und die ausführliche Schilderung des Freiermords am Ende erweitert wurde.

Siehe auch

Werkausgaben

Kritische Ausgaben

  • Homeri Odyssea cum potiore lectionis varietate edidit Augustus Nauck. Pars prior. Berlin 1874.
  • Homeri Odyssea recensuit Arthurus Ludwich. Volumen prius. Editio stereotypa editionis primae (MDCCCLXXXIX). Stuttgart/Leipzig 1889.
  • Homeri opera recognovit brevique adnotatione critica instruxit Thomas W. Allen. Tomus III. Odysseae libros I–XII continens. Editio altera (erste Auflage 1908, zweite Auflage 1917), Oxford 1965.
  • Homeri opera recognovit brevique adnotatione critica instruxit Thomas W. Allen. Tomus IV. Odysseae libros XIII–XXIV continens. Editio altera (erste Auflage 1908, zweite Auflage 1919), Oxford 1975.
  • Homeri Odyssea recognovit P. von der Muehll. Editio stereotypa editionis tertiae (MCMLXII) (erste Auflage 1946), Stuttgart 1984.
  • L’Odyssée «Poésie Homérique». Tome I: Chants I–VII. Texte étable et traduit par Victor Bérard. Cinquième édition., Paris 1955. (Mit Übersetzung ins Französische.)
  • Omera Odissea. Volume I (Libri I–IV). Introduzione generale di Alfred Heubeck e Stephanie West. Testo e commento a cura di Stephanie West. Traduzione di G. Aurelio Privitera. Mailand 1981. (Mit Übersetzung ins Italienische.)
  • Homeri Odyssea recognovit Helmut van Thiel. Hildesheim/Zürich/New York 1991.
  • Homeri Odyssea. Recensuit et testimonia congessit Martin L. West. (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana). De Gruyter, Berlin, New York 2016.

Printausgaben (altgriechisch, deutsch)

Interlineare Übersetzungen

Online-Ausgaben

Griechisch

 Wikisource: Οδύσσεια – Quellen und Volltexte

Englisch

Deutsch

Nacherzählungen

Insbesondere für Kinder und Jugendliche

Anhand von Fotografien

Literatur

  • Victor Bérard Les Phéniciens et l’Odyssée. (2 Bände), Armand Colin, Paris 1902 (Digitalisat Band 1, Band 2).
  • Jürgen Borchhardt: Der Zorn Poseidons und die Irrfahrten des Odysseus. Phoibos Verlag, Wien 2015, ISBN 978-3-85161-077-2.
  • Friedrich Eichhorn: Homers Odyssee. Ein Führer durch die Dichtung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1965.
  • Hartmut Erbse: Beiträge zum Verständnis der Odyssee (= Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte. Band 13). de Gruyter, Berlin 1972, ISBN 3-11-004045-X.
  • Alfred Heubeck: Der Odyssee-Dichter und die Ilias. Palm & Enke, Erlangen 1954.
  • Uvo Hölscher: Die Odyssee. Epos zwischen Märchen und Roman. C.H. Beck, München 1988, ISBN 3-406-45942-0.
  • Max Horkheimer: Odysseus oder Mythos und Aufklärung. In: Gesammelte Schriften. Band 5: Dialektik der Aufklärung und Schriften 1940–1950. Frankfurt 1987, ISBN 3-10-031815-3, S. 67–103.
  • Herbert Hunger u. a.: Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel. 2. Auflage. dtv, München 1988, ISBN 3-423-04485-3, S. 282 ff.
  • Andreas Luther (Hrsg.): Geschichte und Fiktion in der homerischen Odyssee. C.H. Beck, München 2006. - ISBN 978-3-406-54192-6
  • Reinhold Merkelbach: Untersuchungen zur Odyssee (= Zetemata. Heft 2). C.H. Beck, München 1951, ISSN 1610-4188
  • Dimitris Michalopoulos, Homer's Odyssey beyond the myths, The Piraeus: Institute of Hellenic Maritime History, 2016 (ISBN 978-618-80599-3-1).
  • Maria Oikonomou: Ανατροπές του οδυσσειακού μύθου στη λογοτεχνική και κινηματογραφική αφήγηση του 20ου αιώνα (Subversions of the Odyssean Myth in 20th Century’s Literature and Cinematographic Narrations). Dissertation Aristoteles-Universität, Thessaloniki 2004, Online-Publikation (PDF).
  • Armin u. Hans-Helmut Wolf: Die wirkliche Reise des Odysseus. Zur Rekonstruktion des Homerischen Weltbildes. Langen Müller, München 1983, ISBN 3-7844-1992-5 (Dazu: Strecke vermessen. In: Der Spiegel 41/1968).

Weblinks

 Wikisource: el:Οδύσσεια – Quellen und Volltexte
Commons: Odyssey - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Odyssee – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Zitiert nach Homeri Odyssea recensuit Arthurus Ludwich. volumen prius. editio stereotypa editionis primae (MDCCCLXXXIX), Stuttgart/Leipzig 1998 und buchstabengetreu mit Längen und rhythmischen Betonungen ergänzt.
  2. Mit den griechischen (Klein-)Buchstaben für die einzelnen Gesänge α: 444; β: 434; γ: 497; – δ: 847; ε: 493; ζ: 331; – η: 347; θ: 586; ι: 566; – κ: 574; λ: 640; μ: 453; – ν: 440; ξ: 533; ο: 557; – π: 481; ρ: 606; σ: 428; – τ: 604; υ: 394; φ: 434; – χ: 501; ψ: 372; ω: 548.


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