Neandertaler

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Neandertaler

Rekonstruktion eines Neandertalerskeletts[1]
(American Museum of Natural History)

Zeitraum
Pleistozän
230.000[2] (130.000[3]) bis 30.000 Jahre
Fundorte
Überfamilie: Menschenartige (Hominoidea)
Familie: Menschenaffen (Hominidae)
Unterfamilie: Homininae
Tribus: Hominini
Gattung: Homo
Art: Neandertaler
Homo neanderthalensis
King, 1864

Die Neandertaler (lat. Homo neanderthalensis) waren eine hominine Spezies, die in Europa und Westasien während des Mittel- und Spätpaläolithikums (ca. 300.000 bis 40.000 Jahre vor unserer Zeit) lebte.[4] Sie entwickelte sich in Europa, parallel zum Homo sapiens in Afrika, aus einem gemeinsamen afrikanischen Vorfahren der Gattung Homo – dem Homo erectus – und besiedelte zeitweise große Teile Süd-, Mittel- und Osteuropas. Die Neandertaler waren die engsten Verwandten des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) und hinterließen einen bedeutenden genetischen und kulturellen Einfluss. Ihre morphologischen Anpassungen, technologischen Innovationen, Ernährungsgewohnheiten, sozialen Strukturen und Interaktionen mit anatomisch modernen Menschen zeugen von einer komplexen und vielfältigen Lebensweise. Die Erforschung der Neandertaler hilft uns nicht nur, unser Verständnis der menschlichen Evolution zu erweitern, sondern ermöglicht uns auch, die gemeinsame Vergangenheit unserer beiden Spezies zu erfassen und die Bedeutung der Neandertaler für die Entwicklung der menschlichen Kultur und Genetik zu erkennen.

Morphologie und Anpassungen

Neandertaler waren körperlich robuster und stämmiger als moderne Menschen, mit einem breiten Brustkorb, kurzen Gliedmaßen und einem länglichen Schädel.[5] Diese Merkmale waren wahrscheinlich Anpassungen an die eiszeitlichen Bedingungen, die in Europa während ihrer Existenz herrschten.[6] Ihre Gehirngröße war im Durchschnitt ähnlich oder sogar größer als die des modernen Menschen.[7]

Werkzeuge und Technologie

Die Neandertaler entwickelten die sogenannte Mousterien-Technologie, die durch die Herstellung von Levallois-Kernen und -Klingen sowie die Verwendung verschiedener Steinwerkzeuge wie Schaber und Spitzen gekennzeichnet ist.[8] Diese Werkzeuge wurden zum Jagen, Schlachten und Verarbeiten von Tierkadavern, zur Holzbearbeitung und möglicherweise auch zum Bau von Unterkünften verwendet.[9]

Ernährung und Jagdstrategien

Neandertaler waren hauptsächlich Fleischfresser, die sich von Großwild wie Mammuts, Bisons, Rentieren und Wildpferden ernährten.[10] Ihre Jagdstrategien beinhalteten das Aufspüren, Einkreisen und Töten von Beutetieren, oft mit Hilfe von Speeren und anderen Waffen in Nahkampfsituationen.[11] Die Analyse von Neandertaler-Knochen hat jedoch auch Hinweise auf den Verzehr von Pflanzen und das Sammeln von pflanzlichen Ressourcen ergeben, was auf eine gemischte Ernährung hindeutet.[12]

Soziale Struktur und Verhalten

Obwohl weniger über die soziale Organisation der Neandertaler bekannt ist, legen einige Studien nahe, dass sie in kleinen Familien- oder Gruppenstrukturen lebten.[13] Es gibt auch Hinweise auf komplexe soziale Verhaltensweisen, wie das Teilen von Ressourcen, die Pflege kranker oder verletzter Individuen und möglicherweise sogar Bestattungsrituale.[14]

Interaktionen mit anatomisch modernen Menschen

Während des Jungpaläolithikums kam es zu Begegnungen zwischen anatomisch modernen Menschen und Neandertalern , die in Europa und Westasien lebten.[15] Genetische Studien haben gezeigt, dass es zu einer gewissen Vermischung der beiden Arten kam, wobei moderne Menschen außerhalb Afrikas etwa 1-2% Neandertaler-DNA in ihrem Genom tragen.[16] Diese Interaktionen könnten auch zu kulturellem Austausch geführt haben, einschließlich des Transfers von Technologien und Verhaltensweisen.[17]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. US-Forscher rekonstruieren zum ersten Mal ein vollständiges Neandertaler-Skelett: Ein Puzzle aus Knochen. In: Berliner Zeitung, 11. März 2015.
  2. Jean-Jacques Hublin: The origin of Neandertals. In: PNAS. Band 106, Nr. 38, 2009, S. 16022–16027, doi:10.1073/pnas.0904119106.
  3. Bernard Wood (Hrsg.): Wiley-Blackwell Encyclopedia of Human Evolution. 2 Bände. Wiley-Blackwell, Chichester u. a. 2011, ISBN 978-1-4051-5510-6, S. 331.
  4. Finlayson, C. (2010). The Humans Who Went Extinct: Why Neanderthals Died Out and We Survived. Oxford University Press.
  5. Weaver, T. D. (2009). The meaning of Neandertal skeletal morphology. Proceedings of the National Academy of Sciences, 106(38), 16028-16033.
  6. Churchill, S. E. (1998). Cold adaptation, heterochrony, and Neandertals. Evolutionary Anthropology, 7(2), 46-60.
  7. Bruner, E. (2004). Geometric morphometrics and paleoneurology: brain shape evolution in the genus Homo. Journal of Human Evolution, 47(5), 279-303.
  8. Mellars, P., & French, J. C. (2011). Tenfold population increase in Western Europe at the Neandertal-to-modern human transition. Science, 333(6042), 623-627.
  9. Richter, J. (2011). Neanderthals in their landscape. In Conard, N. J., & Richter, J. (Eds.), Neanderthal Lifeways, Subsistence and Technology (pp. 1-11). Springer.
  10. Bocherens, H., et al. (2005). Isotopic evidence for diet and subsistence pattern of the Saint-Césaire I Neanderthal: Review and use of a multi-source mixing model. Journal of Human Evolution, 49(1), 71-87.
  11. Shea, J. J. (2006). The origins of lithic projectile point technology: evidence from Africa, the Levant, and Europe. Journal of Archaeological Science, 33(6), 823-846.
  12. Henry, A. G., et al. (2011). Microfossils in calculus demonstrate consumption of plants and cooked foods in Neanderthal diets (Shanidar III, Iraq; Spy I and II, Belgium). Proceedings of the National Academy of Sciences, 108(2), 486-491.
  13. Wynn, T., & Coolidge, F. L. (2011). The Implications of the Working Memory Model for the Evolution of Modern Cognition. International Journal of Evolutionary Biology, 2011, 741357.
  14. Pettitt, P. (2002). The Neanderthal dead: exploring mortuary variability in Middle Palaeolithic Eurasia. Before Farming, 1(1), 1-19.
  15. Higham, T., et al. (2014). The timing and spatiotemporal patterning of Neanderthal disappearance. Nature, 512(7514), 306-309.
  16. Green, R. E., et al. (2010). A Draft Sequence of the Neandertal Genome. Science, 328(5979), 710-722.
  17. Rodríguez-Vidal, J., et al. (2014). A rock engraving made by Neanderthals in Gibraltar. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(37), 13301-13306.