Gideon Spicker

Aus AnthroWiki
Gideon Spicker (1840 - 1912)

Gideon Spicker (* 25. Januar 1840 in Reichenau (Baden), † 18. Juli 1912 in Münster) war ein deutscher Religionsphilosoph und ein Mitglied des Kapuzinerordens.

Leben und Wirken

Spicker gilt als Neuthomist und Kritiker des Kirchenglaubens. Er versuchte, ähnlich wie Fritz Jacob Clemens, Philosophie und Religion in Einklang zu bringen. Auch setzte er sich für eine Verbindung von Theismus und Pantheismus ein. Spickers Lebensthemen waren die "Gottesfrage" und die "Unsterblichkeit der Seele". Spicker war zunächst Mönch in einem Kapuzinerkloster, bevor er als Professor für Philosophie an die Universität Münster berufen wurde, wo er von 1876 bis zu seinem Tode im Jahr 1912 ein Lehramt versah.

Der tiefgläubige Winzersohn Spicker hatte zunächst den Weg ins Kloster gegen die Widerstände seines Elternhauses durchgesetzt, wurde dort jedoch nach nur drei Jahren wegen seines kritischen Geistes entlassen. Spicker wandelte sich zum Atheisten, bevor eine weitere Wendung ihn zur Religionsphilosophie führte. Die Spannung zwischen Naturwissenschaft und Religion zieht sich vor dem Hintergrund dieser persönlichen Entwicklung wie ein roter Faden durch sein Werk. Spicker hatte Theologie vor allem bei Johannes Huber und Ignaz Döllinger studiert, bevor er sich jedoch der Philosophie zuwendete. Unter dem Einfluss Carl Prantls trat Spicker gegen das Unfehlbarkeitsdogma ein und brach zunächst mit der Religion. Bei Prantl wurde er 1868 aufgrund einer gelösten Preisaufgabe über "Leben und Lehre des Petrus Pomponatius" promoviert. Von 1870 bis 1876 war Spicker Privatdozent in Freiburg. Durch die räumliche Distanz kam es auch zu einer geistigen Distanzierung von Prantl. Sein Buch über "Shaftesbury" (1872) war als radikale Ablehnung von Religion und Metaphysik noch stark von Prantl geprägt, zunehmend wandte sich Spicker aber zunächst der Anthropologie und dann auch wieder der Religion zu.

Spicker erstrebte eine "Religion in philosophischer Form auf naturwissenschaftlicher Grundlage", wobei er den Konflikt zwischen Glauben und Wissen, sowie zwischen Religion und Naturwissenschaft als Grundproblem begriff. Sein Ideal umfasste die Einheit von Gott und Welt als selbstverantwortete menschliche Erkenntnis unter Anwendung von Vernunft und Erfahrung. Er formulierte dabei ein Programm der Anthroposophie im Sinne „höchster Selbsterkenntnis“:

„Handelt es sich aber in der Wissenschaft um die Erkenntnis der Dinge, in der Philosophie dagegen in letzter Instanz um die Erkenntnis dieser Erkenntnis, so ist das eigentliche Studium des Menschen der Mensch selbst, und der Philosophie höchstes Ziel ist Selbsterkenntnis oder Anthroposophie.“ (Die Philosophie des Grafen von Shaftesbury, 1872).

Gideon Spicker war das lebende Vorbild des Doktor Strader in Rudolf Steiners Mysteriendramen. Nach dem Tod Spickers konnte Steiner die Gestalt des Strader nicht mehr weiter gestalten. Strader stirbt daher im vierten Drama (Der Seelen Erwachen).

„Und gerade wenn man mit einer gewissen Teilnahme einer solchen Persönlichkeit zugetan ist, wie es bei mir der Fall ist gegenüber dem Urbilde des Strader in den Mysterien, so ist es die Wärme, die Seelenwärme, in der man mit einer solchen Persönlichkeit verbunden ist, die es einem möglich macht, gerade diese so bedeutungsvolle Wanderung nach dem Tode mit durchzuerleben. Da hat tatsächlich die Tatsache, daß die Eindrücke so starke sind auf den, der sie nach dem Tode durchmacht, noch eine Nachwirkung bei dem, der so etwas dann erkennend verfolgt. Und da ist schon etwas sehr Merkwürdiges. Gerade in einem solchen Verfolgen zeigt sich, wieviel eindrucksvoller diese Erlebnisse nach dem Tode sind als die irdischen Erlebnisse.

Ich frage mich zum Beispiel heute in allem Ernste: Wäre es möglich für mich, nachdem ich längere Zeit gerade diese Bildgestaltungen, die dieses Urbild des Strader nach dem Tode durchgemacht hat, mit angesehen habe, wenn ich etwa, so wie ich die vier Mysteriendramen gemacht habe, im weiteren Fortgang ein fünftes machen wollte, die Gestalt des Strader zu schildern, sie weiter darzustellen? Es wäre mir gar nicht möglich, denn in dem Augenblicke, wo ich die irdische Gestalt darstellen will, die viel weniger intensiv an Eindrücken ist, sind die Bilder da von den Eindrücken, die das betreffende Urbild nach dem Tode durchmacht. Die sind viel intensiver, die löschen dasjenige aus, was im irdischen Leben dasteht.

Und ich konnte das an mir durchaus beobachten. Während ich auch für die Lebensäußerungen der betreffenden Persönlichkeit - Sie können sich das ja denken, weil sie eben das Urbild meines Strades ist - ein außerordentliches Interesse hatte, während sie lebte - sie ist ja nun seither verstorben - , überwiegt jetzt das Interesse für die Eindrücke, die diese Persönlichkeit nach dem Tode hat, weit alles das, was ich über diese Persönlichkeit irgendwie im Leben ausfindig machen kann, oder schildern kann oder dergleichen.

Ja, ich muß sagen, wenn ich selber zurückdenke an meine Mysteriendramen: durch die lebendigen Eindrücke von diesem Urbilde meiner Strader-Gestalt in ihrem Leben nach dem Tode verlöscht sich mir - während bei den anderen Gestalten das fast gar nicht der Fall ist - dasjenige, was die Gestalt des Strader ist, am allermeisten. Da sehen Sie, wie sich für eine wirkliche, reale Beobachtung wirklich in Realität nebeneinanderstellt dasjenige, was auf Erden ist, und das, was außerhalb der Erde ist, und wie man an der Wirkung, die solche Dinge haben, schon beurteilen kann, daß dieses Leben nach dem Tode in der Rückwärtswanderung ein ungeheuer intensives ist: es löscht durchaus irdische Eindrücke aus.“ (Lit.:GA 236, S. 166f)

Werke

Originalausgaben und -beiträge

  • Leben und Lehre des Petrus Pomponatius. Dissertation, München 1868
  • Die Philosophie des Grafen von Shaftesbury nebst Einleitung und Kritik über das Verhältniss der Religion zur Philosophie und der Philosophie zur Wissenschaft, Freiburg i. B. 1872
  • Ueber das Verhältniss der Naturwissenschaft zur Philosophie. Mit besonderer Berücksichtigung der Kantischen Kritik der reinen Vernunft und der Geschichte des Materialismus von Albert Lange, Berlin 1874, (Nachdruck Olms, 2006, ISBN 3487132435)
  • Kant, Hume und Berkeley. Eine Kritik der Erkenntnistheorie, Berlin 1875, (Nachdruck Olms, 2006, ISBN 3487132435)
  • Mensch und Thier. Eine psychologisch-metaphysische Abhandlung mit besondrer Rücksicht auf Carl v. Prantl's Reformgedanken zur Logik. In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge 69/2, 1876, S. 193–270
  • Lessings Weltanschauung, Leipzig 1883
  • Die Ursachen des Verfalls der Philosophie in alter und neuer Zeit, Leipzig 1892
  • Der Kampf zweier Weltanschauungen. Eine Kritik der alten und neuesten Philosophie mit Einschluß der christlichen Offenbarung, Stuttgart 1898
  • Versuch eines neuen Gottesbegriffs, Stuttgart 1901
  • Vom Kloster ins akademische Lehramt. Schicksale eines ehemaligen Kapuziners, Stuttgart 1908
    • 2., wesentlich erweiterte Auflage, hg. von Otto Krummacher, Münster 1914
  • Am Wendepunkt der christlichen Weltperiode. Philosophisches Bekenntnis eines ehemaligen Kapuziners, Stuttgart 1910.

Neuausgaben

  • Am Wendepunkt der christlichen Weltperiode. Philosophisches Bekenntnis eines ehemaligen Kapuziners, hg. v. Harald Schwaetzer (= Philosophische Texte und Studien 47), Olms, Hildesheim 1998, ISBN 978-3-487-10748-6
  • Lessings Weltanschauung, Nachdruck der Ausgabe von 1883, hg. v. Henning Herrmann-Trentepohl, Roderer, Regensburg 2006, ISBN 978-3-89783-541-2
  • Über das Verhältnis von Religion und Wissenschaft. Kleine Schriften, hg., eingel. u. komm. v. A.M. Gehlen u. H. Schwaetzer, Roderer, Regensburg 2003, ISBN 978-3-89783-420-0
  • Über das Verhältnis der Naturwissenschaft zur Philosophie – Kant, Hume und Berkeley, Nachdruck der Ausgaben von 1874/75, hg. v. Harald Schwaetzer (= Texte zum frühen Neukantianismus 4), Olms, Hildesheim 2006, ISBN 978-3-487-13243-3
  • Die Ursachen des Verfalls der Philosophie in alter und neuer Zeit, Nachdruck der Ausgabe von 1892, Roderer, Regensburg 2002, ISBN 978-3-89783-287-9
  • Vom Kloster ins akademische Lehramt. Schicksale eines ehemaligen Kapuziners, hg. v. Harald Schwaetzer u. Henrieke Stahl-Schwaetzer, Roderer, Regensburg 1999, ISBN 978-3-89783-094-3

Siehe auch

Literatur

  • Hoyer, Ulrich / Schwaetzer, Harald (Hgg.): Kampf zweier Weltanschauungen. Metaphysik zwischen Naturwissenschaft und Religion im Werk Gideon Spickers (= Philosophische Texte und Studien 48), Olms, Hildesheim 1999, ISBN 978-3-487-10935-0
  • Hoyer, Ulrich / Schwaetzer, Harald (Hgg.): Eine Religion in philosophischer Form auf naturwissenschaftlicher Grundlage. Gideon Spickers Religionsphilosophie im Kontext seines Lebens, seines Werkes, seiner Zeit. Zweites Gideon-Spicker-Symposium (= Philosophische Texte und Studien 65), Olms, Hildesheim 2002, ISBN 978-3-487-11589-4
  • Schwaetzer, Harald / Schweizer, Christian (Hgg.): Geschichte, Entwicklung, Offenbarung. Gideon Spickers Geschichtsphilosophie. 3. Gideon Spicker-Symposion, Roderer, Regensburg 2004, ISBN 978-3-89783-452-1
  • Schwaetzer, Harald: Sinn, Subjekt, Transzendenz. Gideon Spickers Idee der Unsterblichkeit im Kontext von Neukantianismus und Spätidealismus (= Trierer Studien zur Kulturphilosophie 14), Königshausen & Neumann, Würzburg 2006, ISBN 978-3-8260-3396-4
  • Zeyer, Kirstin: Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert. Die kontroversen klassischen Positionen von Spicker, Cassirer, Hartmann, Dingler und Popper (= Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie 68), Olms, Hildesheim 2005, ISBN 978-3-487-12938-9
  • Rudolf Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Zweiter Band, GA 236 (1988), ISBN 3-7274-2360-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.
Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Gideon Spicker aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.