Fußwaschung

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Die Fußwaschung

Ich danke dir, du stummer Stein,
und neige mich zu dir hernieder:
Ich schulde dir mein Pflanzensein,

Ich danke euch, ihr Grund und Flor,
und bücke mich zu euch hernieder:
Ihr halft zum Tiere mir empor.

Ich danke euch, Stein, Kraut und Tier,
und beuge mich zu euch hernieder:
Ihr halft mir alle drei zu Mir.

Wir danken dir, du Menschenkind,
und lassen fromm uns vor dir nieder:
weil dadurch, daß du bist, wir sind.

Es dankt aus aller Gottheit Ein-
und aller Gottheit Vielfalt wieder.
In Dank verschlingt sich alles Sein.

Christian Morgenstern[1]
Giotto di Bondone (1267-1337), Cappella Scrovegni a Padova, Das Leben Christi, Fußwaschung

Die Fußwaschung (lat. Mandatum „Auftrag, Gebot“ eng. Foot Washing, Maundy) ist die erste Stufe des christlichen Schulungswegs. Im intensiven mystischen Nacherleben der Schilderungen des Johannes-Evangeliums kann dabei auch das Gefühl auftreten, als würden die Füße in Wasser getaucht.

1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. 2 Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten, 3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging, 4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. 5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war. 6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? 7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. 8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. 9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! 10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. 11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. 12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? 13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin's auch. 14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. 15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. 16 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Apostel nicht größer als der, der ihn gesandt hat. 17 Wenn ihr dies wisst - selig seid ihr, wenn ihr's tut. 18 Das sage ich nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muss die Schrift erfüllt werden (Psalm 41,10): »Der mein Brot isst, tritt mich mit Füßen.« 19 Jetzt sage ich's euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin. 20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.

Joh 13,1-20 LUT

Über die geistige Bedeutung der Fußwaschung sagte Rudolf Steiner:

„Die Fußwaschung ist eine vorbereitende Übung rein moralischer Natur. Tiefe Demut und absolute Unterwerfung des Meisters unter seine Schüler und unter sein Wirken. Das sehen auch die Rosenkreuzer darin (wie die Theologie), aber in einem viel tieferen Sinn, der die Evolution aller Wesen in der Natur einbezieht. Es ist eine Anspielung auf das Gesetz, daß das Obere das Produkt des Unteren ist. Der Schüler, der über dieses Thema während Monaten und manchmal jahrelang meditiert hat, erlebt die Vision der Fußwaschung auf dem astralen Plan während des Schlafes.“ (Lit.:GA 94, S. 53f)

„Stelle dir eine Pflanze vor! Diese Pflanze wächst aus dem mineralischen Reiche heraus. Wenn sie denken und empfinden könnte, dann müßte sie zu dem mineralischen Reiche sagen: Aus dir wachse ich heraus, du bist zwar ein niedereres Reich als ich, aber unmöglich könnte ich ohne dich leben. Und dankbar müßte sie sich zum mineralischen Reiche hinneigen und sagen: Ich danke dir, Stein! Dir verdanke ich das ganze Dasein. - Ebenso müßte das Tier zur Pflanze sprechen. Und der Mensch müßte sich zu den niederen Naturreichen hinunterneigen und dasselbe empfinden. Und jeder, der auf der sozialen Stufenleiter höher emporgekommen ist, müßte sich hinunterneigen zu dem unter ihm Stehenden und sagen: Ohne dich könnte ich nicht leben.

Darin ganz aufzugehen, hat der Schüler sich zu üben, wochen-, monatelang. Dann kommen zwei Symptome, für alle die gleichen. Er erlebt zunächst das äußere wie auch das innere Symptom als eine ganz bestimmte Tatsache. Er sieht sich selbst als den Dreizehnten, der den Zwölfen die Füße wäscht. Der Christus Jesus hat den Zwölfen in der Fußwaschung diese große Wahrheit klarmachen wollen. Dieses wunderbare Seelenerlebnis kommt in der Einweihung über den Menschen. Bis zu äußeren Symptomen geht es. Er erlebt etwas, was er empfindet, als wenn er seine Füße in Wasser tauchte. Niemand braucht sich davor zu fürchten, es vergeht bald wieder.“ (Lit.:GA 97, S. 231)

„Die erste Stufe ist das, was man nennt die «Fußwaschung». Da wird dem Schüler von dem Lehrer gesagt: Sieh dir an die Pflanze. Sie wurzelt im Boden; der mineralische Boden ist ein niedrigeres Wesen als die Pflanze. Wenn sich die Pflanze ihr Wesen vorhalten könnte, müßte sie zum Boden sagen: Zwar bin ich das höhere Wesen, aber ohne daß du bist, könnte ich nicht bestehen; denn aus dir, Boden, ziehe ich meine Nahrung zum größten Teile. Und könnte die Pflanze das in Gefühle umsetzen, so müßte sie sich herunterneigen zum Steine und sagen: Zu dir neige ich mich, du niedrigeres Wesen, Stein, denn dir verdanke ich mein Dasein. - Und wenn wir zum Tier hinaufsteigen, so müßte in ähnlicher Weise das Tier sich zur Pflanze verhalten und sagen: Zwar bin ich höher als die Pflanze, aber dem niederen Reiche verdanke ich mein Dasein. - Und wenn wir in dieser Weise weiter hinaufsteigen und zum Menschen kommen, so müßte jeder, der etwas höher steht auf der sozialen Stufenleiter, sich zu der niedrigeren Stufe herunterneigen und sagen: Der niedrigeren Stufe verdanke ich mein Dasein! - Und so geht das hinauf bis zu dem Christus Jesus. Die Zwölf, die ihn umgeben, sind eine Stufe niedriger als er; aber wie die Pflanze sich aus dem Stein heraus entwickelt, so wächst der Christus Jesus heraus aus den Zwölfen. Er neigt sich herunter zu den Zwölfen und sagt: Euch verdanke ich mein Dasein.

Wenn der Lehrer dem Schüler das erklärt hatte, dann sagte er ihm: Wochenlang mußt du dich diesem kosmischen Gefühle hingeben, wie das Höhere sich dem Niederen neigen muß; und wenn du das gründlich in dir ausgebildet hast, dann erlebst du ein inneres und ein äußeres Symptom. - Diese sind aber nicht das Wesentliche, sondern zeigen nur an, daß der Betreffende genügend geübt hatte. Wenn so der physische Leib genug beeinflußt war von der Seele, zeigte sich ihm dies in dem äußeren Symptom, daß er ein Gefühl hatte, wie wenn Wasser seine Füße umspülte. Das ist ganz reales Gefühl. Und ein anderes reales Gefühl ist, daß er in einer gewaltigen Vision im Astralen wie vor sich hat die Fußwaschung, das Herunterneigen des höheren Selbstes zu dem niederen Selbste. Da erlebt der Mensch im Astralen das, was man im Johannes-Evangelium als historische Tatsache geschildert findet.“ (Lit.:GA 103, S. 190f)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Christian Morgenstern: Wir fanden einen Pfad, R. Piper & Co. Verlag, München 1920