Effi Briest

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Original-Verlagseinband und Titelblatt der ersten Buchausgabe 1896

Effi Briest ist ein Roman von Theodor Fontane, der von Oktober 1894 bis März 1895 in sechs Folgen in der Deutschen Rundschau abgedruckt wurde, bevor er 1896 als Buch erschien. Das Werk gilt als ein Höhe- und Wendepunkt des poetischen Realismus der deutschen Literatur: Höhepunkt, weil der Autor kritische Distanz mit großer schriftstellerischer Eleganz verbindet; Wendepunkt, weil Fontane damit zum bedeutendsten Geburtshelfer des deutschen Gesellschaftsromans wurde, der wenige Jahre später mit Thomas Manns Roman Buddenbrooks erstmals Weltgeltung erlangen sollte. Thomas Mann verdankt Fontanes Stil zahlreiche Anregungen.[1] Auch der Familienname der Buddenbrooks stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Effi Briest: In Kapitel 28 wird eine Person namens Buddenbrook erwähnt.

Beschrieben wird das Schicksal Effi Briests, die als siebzehnjähriges Mädchen auf Zureden ihrer Mutter den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten heiratet. Dieser behandelt Effi nicht nur wie ein Kind, sondern vernachlässigt sie zugunsten seiner karrierefördernden Dienstreisen. Vereinsamt in dieser Ehe, geht Effi eine flüchtige Liebschaft mit einem Offizier ein. Als Innstetten Jahre später dessen Liebesbriefe entdeckt, ist er außerstande, Effi zu verzeihen. Zwanghaft einem überholten Ehrenkodex verhaftet, tötet er den verflossenen Liebhaber im Duell und lässt sich scheiden. Effi ist fortan gesellschaftlich geächtet und wird sogar von ihren Eltern verstoßen. Erst drei Jahre später sind diese bereit, die inzwischen todkranke Effi wieder aufzunehmen.

Rechtsgeschichtlich spiegelt der Roman die harten Konsequenzen wider, mit denen in der Wilhelminischen Ära Übertretungen des bürgerlichen Moralkodex geahndet wurden.[2]

Inhalt

(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)

Der 38-jährige Baron von Innstetten, ein früherer Verehrer von Effis Mutter, hält zu Beginn des Romans um die Hand des 17-jährigen Mädchens an und zieht mit Effi, nach der Heirat und anschließenden Hochzeitsreise durch Italien, nach Kessin (fiktiv) in Hinterpommern. Effi wird dort nie richtig glücklich und leidet unter ihrer Angst vor einem angeblichen Spuk im geräumigen landrätlichen Haus: Sie ist davon überzeugt, dass in manchen Nächten ein Chinese erscheine, der einst in Kessin gelebt und ein sonderbares Ende gefunden haben soll. In dieser Angst wird Effi bestärkt von Innstettens Haushälterin Johanna. Trost und Schutz findet Effi nur bei Rollo, Innstettens Hund, der sie auf ihren einsamen Spaziergängen begleitet.

Freundschaft schließt Effi auch mit dem Apotheker Alonzo Gieshübler, der sie versteht und verehrt und ihr Halt gibt. Sie erhält von ihm täglich sorgsam präparierte Zeitungen und kleine Aufmerksamkeiten, die ihr ereignisloses Leben bereichern sollen,[3] ein Bedürfnis, das durch die formellen Landpartien und Anstandsbesuche, an denen sie mit ihrem Mann teilnimmt, kaum befriedigt wird. Im Gegenteil: die junge Dame langweilt sich in den steifen Adelskreisen zu Tode (98).[4]

Neun Monate nach der Hochzeit bekommt Effi eine Tochter, die auf den Namen Annie getauft wird. Während ihrer Schwangerschaft traf Effi auf einem ihrer Spaziergänge das katholische Hausmädchen Roswitha, das sie nun als Kindermädchen einstellt. Ungefähr zur gleichen Zeit taucht Major von Crampas in Kessin auf. Er hat zusammen mit Innstetten beim Militär gedient, ist aber charakterlich dessen ganzes Gegenteil: ein spontaner, leichtlebiger und erfahrener „Damenmann“. Verheiratet mit einer eifersüchtigen, „immer verstimmten, beinahe melancholischen“ Frau (101), begeistert er sich für Effis jugendliche Natürlichkeit und ermuntert sie zu Abwechslung und Leichtsinn. Anfangs widersteht Effi seinem Charme, dann jedoch, als Effi immer wieder von Innstetten allein gelassen wird und sich in ihrem eigenen Hause ängstigt und einsam fühlt, bahnt sich eine heimliche Affäre an, die Effi in immer bedrängendere Gewissenskonflikte stürzen wird: Effi lässt sich zunächst von Crampas dazu überreden, zum Zeitvertreib der langen Winterabende ein gemeinsames Theaterspiel mit dem bezeichnenden Titel „Ein Schritt vom Wege“ (Ernst Wichert) einzustudieren und in der Kessiner Ressource aufzuführen. Kurz vor Weihnachten kommt es unter der Regie von Major Crampas zu einer überaus erfolgreichen Vorstellung, und Effi wird als weibliche Heldin gefeiert – von den Herren bewundert, von den Damen beneidet. Eine Woche später begeben sich die Kessiner Honoratioren auf eine traditionelle Schlittenpartie zur Oberförsterei. Als man, schon etwas angeheitert, zu nächtlicher Stunde den Heimweg antritt, streiken unterwegs plötzlich die Pferde am sogenannten Schloon, einem unterirdischen Wasserlauf, der den Strand unpassierbar gemacht hat.[5] Um zu vermeiden, dass die Schlitten im heimtückischen Sand versinken, muss man einen Umweg durch den finsteren Uferwald nehmen und „mitten durch die dichte Waldmasse“ (156) fahren. Crampas, der mit Effi im letzten Schlitten Platz genommen hat, nutzt den Schutz der Dunkelheit aus: Effi „fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus. – ‚Effi‘, klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an.“ (157)

Von nun an treffen sich die beiden regelmäßig in den Dünen, und Effi ist gezwungen, ihrem Mann eine „Komödie“ vorzuspielen. Sie fühlt sich „wie eine Gefangene“, leidet schwer darunter und will sich befreien: „Aber wiewohl sie starker Empfindungen fähig war, so war sie doch keine starke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute, weil sie’s nicht ändern konnte, morgen, weil sie’s nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnisvolle hatte seine Macht über sie.“ (164)
Als Wochen später ihr Mann nach Berlin berufen wird, um dort im Ministerium Karriere zu machen, und Innstetten ihr stolz verkündet, dass sie Kessin demnächst verlassen und in die Hauptstadt umziehen werden, empfindet Effi eine riesige Erleichterung: „Effi sagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre Mundwinkel war ein nervöses Zucken, und ihr ganzer zarter Körper zitterte. Mit einem Male aber glitt sie von ihrem Sitz vor Innstetten nieder, umklammerte seine Knie und sagte in einem Tone, wie wenn sie betete: ‚Gott sei Dank!‘“ (176) – Endlich von allen Gewissensbissen erlöst, genießt Effi „ihr neues Leben“ in der Großstadt, wo sie die langweilige Zeit im ländlichen Kessin und das verbotene Verhältnis zu Crampas bald vergessen kann.

Sechs Jahre später, während Effi gerade zur Kur in Bad Ems weilt, entdeckt Innstetten in einem Nähkästchen[6] durch Zufall Crampas’ Briefe, die ihm die Affäre der beiden enthüllen.[7] Aufgrund des − aus Innstettens Sicht zwar kritisch, aber doch noch als gesellschaftlich verbindlich betrachteten – Ehrenkodexes beschließt er, den Major zu einem Duell zu fordern. Dabei wird Effis einstiger Liebhaber tödlich getroffen. Innstetten trennt sich trotz aller Selbstzweifel von seiner Frau und weiß, dass er damit auch sein eigenes privates Glück zerstört: „Ja, wenn ich voll tödlichem Haß gewesen wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl gesessen hätte … Rache ist nichts Schönes, aber was Menschliches und hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe, war eine gemachte Geschichte, eine halbe Komödie. Und diese Komödie muß ich nun fortsetzen und muß Effi wegschicken und sie ruinieren und mich mit.“ (236)

Effis Eltern senden ihrer Tochter einen Brief, in dem sie erfährt, dass sie aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen nicht mehr nach Hohen-Cremmen, dem elterlichen Anwesen und Haus ihrer glücklichen Kindheit, zurückkehren könne. Verstoßen von Ehemann und Eltern, zieht sie in eine kleine Wohnung in Berlin und fristet dort, zusammen mit der ihr nach wie vor in Treue verbundenen Haushälterin Roswitha, ein einsames und kümmerliches Dasein.
Nach einem enttäuschenden Besuch ihrer kleinen Tochter Annie, die ihre Mutter lange Zeit nicht sehen durfte und ihr inzwischen völlig entfremdet ist, erleidet Effi einen Zusammenbruch. Ihre Eltern beschließen auf Anraten eines Arztes, ihr krankes Kind doch wieder zu sich zu nehmen. Effis gesundheitlicher Zustand verbessert sich nur kurzzeitig. Angesichts des nahenden Todes spricht sie ihren früheren Gatten von jeglicher Schuld frei (285). Effi Briest stirbt mit etwa 30 Jahren in ihrem Elternhaus. Effis Mutter glaubt, eine Mitschuld am Tod ihrer Tochter zu tragen, weil sie Effis früh eingegangener Ehe mit einem 21 Jahre älteren Mann zugestimmt hatte. Herr von Briest beendet jedoch jegliches weitere Grübeln mit seinen leitmotivisch im gesamten Roman immer wieder geäußerten Worten: „Ach, Luise, laß … das ist ein ‚zu‘ weites Feld.“[8]

Form

(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)

Was Fontanes Werk unter anderem auszeichnet, ist sein Spannungen schaffendes Jonglieren mit den ästhetisierenden Elementen des poetischen Realismus einerseits und den um größere Objektivität bemühten Mitteln des bürgerlichen Gesellschaftsromans andererseits. Dazu zieht er virtuos alle Register literarischen Erzählens: vom auktorialen Plauderton über das perspektivische Berichten mit wechselndem Fokus bis hin zur erlebten Rede, von der episch breiten Beschreibung über die dialogische Konversation bis hin zur monologischen Briefform – kein Mittel konventionellen literarischen Schreibens bleibt ungenutzt. „Das Geflecht der Verweisungen durch beziehungschaffende Bilder und Gegenbilder, Allusionen und Parallelen, Omina, Signale, Echos und Spiegelungen, sich wiederholende, abbrevierende Bild- und Redeformeln – Fontane bedient sich ihrer so überlegt wie überlegen.“[9]

Vater Briest ist teilweise Fontanes Alter Ego im Roman, insbesondere gilt das für seinen Spruch: „Das ist ein (zu) weites Feld.“, der zum geflügelten Wort geworden ist. Ihm kommt schon insofern eine Schlüsselfunktion zu, als Fontane sie nicht nur zum stets wiederkehrenden Leitmotiv, sondern darüber hinaus auch zum krönenden Schlusssatz seines Romans macht. Dem alten Briest erscheint diese Welt zu kompliziert, zu widersprüchlich und zu lästig, als dass er sie erklären wollte. Mit seinem Zitat lässt er (und sein Autor) immer wieder an entscheidender Stelle offen, wie er zu den Dingen steht, und spart aus, was jeder Leser für sich selbst ergänzen sollte.

Effi ist zu jung, zu naiv, zu ungezügelt; Innstetten ist zu alt, zu karrieresüchtig, zu eifersüchtig, zu humorlos und zu ehrpusselig; die beiden sind zu verschieden. Während Fontane durch die Wahl der Formulierung „zu weit“ durchaus auf eine Schwäche des alten Briest hinweisen will, betont er doch andererseits durch den Verzicht auf jede weitere Erläuterung die liberale Toleranz und Humanität dieser Vaterfigur. Immer aber, wenn Liebe und Menschlichkeit gefragt sind, beispielsweise als es darum geht, die sozial geächtete und verstoßene Tochter gegen den „Anspruch der Gesellschaft“ wieder nach Hause zu holen, ist der alte Briest durchaus gewillt, aus seiner Deckung zu kommen und seine Reserviertheit, auch gegen den Widerstand seiner Frau, aufzugeben: „Ach, Luise, komme mir mit Katechismus, soviel du willst; aber komme mir nicht mit ‚Gesellschaft‘ […] die ‚Gesellschaft‘, wenn sie nur will, kann ein Auge zudrücken. […] Ich werde ganz einfach telegraphieren: ‚Effi, komm.‘“ (269 f.) Mit seinem Aufbegehren und der Forderung danach, ein Auge zuzudrücken, verhält er sich entschieden mutiger als seine Frau, die ihre Tochter vor allem deswegen verstieß, weil sie meinte, „vor aller Welt Farbe bekennen“ (248) zu müssen. Trotzdem gilt für den alten Briest, dass es paradoxerweise gerade seine Zurückhaltung ist, die ihn, obwohl nur Randfigur, ähnlich wie den Apotheker Gieshübler zu einem der prägenden Charaktere des Romans werden lässt.

In gleicher Art verdanken noch verschiedene andere Hauptmotive des Romans ihren Reiz solchen Leerstellen: der Seitensprung mit Crampas, die Schuldfrage, die Kritik an der preußischen Gesellschaft und, nicht zuletzt, das Geheimnis um den Chinesen – sie alle werden nie explizit, sondern fast ausschließlich in omissiven Andeutungen dargestellt und gewinnen auf diese Weise erst den spannenden Schwebezustand, der den Roman von trivialer Salonliteratur unterscheidet.[10]

Symbole und Motive

(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)

Alle zentralen Themen des Romans (Liebe, Ehe, Karriere, Angst, Schuld, Entsagung, Strafe, Zeit und Tod) klingen bereits im ersten Kapitel (S. 5–13) unüberhörbar an, die auffälligsten Dingsymbole (das Rondell, die Kirchhofsmauer, die Schaukel, der Teich und die alten Platanen) sogar schon im ersten Absatz des Romans, wo Fontane das „schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnte Herrenhaus zu Hohen-Cremmen“ mit seinem „kleinen Ziergarten“ ausführlich beschreibt und so für eine Bilderdichte sorgt, die er im Verlaufe seines Romans ständig weiter ausspinnt zu einer komplexen Textur von Vor- und Rückverweisen und die seinem Alterswerk jene anspruchsvolle Qualität verleiht, von der die Leichtigkeit seines Erzähltons nichts zu wissen scheint.

Das Rondell

Schon vor Effis Hochzeit erhält das Rondell im Garten von Hohen-Cremmen eine verweisende Funktion: „der in einem zierlichen Beet um die Sonnenuhr herumstehende Heliotrop blühte noch, und die leise Brise, die ging, trug den Duft davon zu ihnen [Mutter und Tochter Briest] herüber. ‚Ach wie wohl ich mich fühle‘, sagte Effi, ‚so wohl und so glücklich; ich kann mir den Himmel nicht schöner denken. Und am Ende, wer weiß, ob sie im Himmel so wunderschönen Heliotrop haben.‘“ Dieser Vergleich macht die Idylle von Hohen-Cremmen zu einer geradezu überirdischen, „quasi jenseitigen Landschaft.“[11] Wie der Heliotrop (griech. „Sonnenwende“) sehnt auch Effi sich stets nach der Sonnenseite des Lebens, ein Bedürfnis, dem ihre Eltern noch nach ihrem Tode Rechnung tragen, wenn sie die Sonnenuhr in der Mitte des Rondells beseitigen und durch Effis Grabstein ersetzen, den Heliotrop um die ehemalige Sonnenuhr herum jedoch „verschonen“ und die weiße Marmorplatte „einrahmen“ lassen (286). Auf diese Weise dient das Rondell zudem „der symbolischen Verschränkung von Tod und Leben“,[12] die auch die Mehrzahl der anderen Leitmotive Fontanes (s. u.) bestimmt.

Die Platanen

„Zwischen Teich [s. u. ‚Wassermetaphorik‘] und Rondell aber und die Schaukel [s. u.] halb versteckend standen ein paar mächtige alte Platanen“ (5). Wenn wenig später der alte Briest und sein neuer Schwiegersohn „auf dem Kieswege zwischen den zwei Platanen auf und ab“ gehen und über die berufliche Zukunft Innstettens reden, deutet sich bereits an, dass diese alten Baumriesen Tradition und offizielles Leben repräsentieren. Den Garten an seiner offenen Seite abschließend und „etwas seitwärts stehend“ (14) kontrastieren sie mit der Kindheit und dem Privatleben Effis (Schaukel bzw. Rondell). Wie aus einer gewissen distanzierten Höhe begleiten sie ihren Lebenslauf und werfen buchstäblich ihre breiten Schatten auf ihr Glück. Als sich Effis Hochzeitstag jährt und sie nachts am offenen Fenster sitzt und ihre Schuld nicht vergessen kann, „legte sie den Kopf in ihre Arme und weinte bitterlich. Als sie sich wieder aufrichtete, war sie ruhiger geworden und sah wieder in den Garten hinaus. Alles war so still, und ein leiser, feiner Ton, wie wenn es regnete, traf von den Platanen her ihr Ohr. […] Aber es war nur die Nachtluft, die ging.“ (213) Da aber gerade „die Nachtluft und die Nebel, die vom Teich her aufstiegen“, sie gegen Ende des Romans „aufs Krankenbett warfen“ (283) und letztlich ihren Tod herbeiführen, klingt jener unablässige leise Ton der beiden Platanen gleichsam wie der ferne Todesgesang verführerischer Sirenen, die die junge Frau ins Totenreich hinüberlocken. In ihrer letzten Nacht setzt sich Effi wieder ans offene Fenster, „um noch einmal die kühle Nachtluft einzusaugen. Die Sterne flimmerten, und im Parke regte sich kein Blatt. Aber je länger sie hinaushorchte, je deutlicher hörte sie wieder, daß es wie ein feines Rieseln auf die Platanen niederfiel. Ein Gefühl der Befreiung überkam sie. ‚Ruhe, Ruhe.‘“ (286)

Die Schaukel

Das alte Spielgerät, „die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend“, symbolisiert nicht nur Effis unbeschwerte Kindheit im elterlichen Herrenhaus zu Hohen-Cremmen, sondern auch den von ihr so gern ausgekosteten Reiz des Gefährlichen, das Gefühl abzustürzen und doch immer wieder aufgefangen zu werden. Ihre Mutter meint denn auch, sie „hätte doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer im Trapez, immer Tochter der Luft“ (7), womit Fontane möglicherweise auf Pedro Calderón de la Barcas Drama La hija del aire (Die Tochter der Luft, 1653) anspielt.

Angst kennt sie dabei nicht, im Gegenteil, „ich falle jeden Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch ist mir nichts gebrochen“ (9). Von ihrer gleichaltrigen Freundin Hulda wird sie daraufhin an das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ erinnert, wiederum symbolisch und nicht ganz zu Unrecht, wenn man berücksichtigt, dass Effi ein ausgesprochenes Faible für alles „Vornehme“ hat und den ungeliebten Geert von Innstetten nicht zuletzt deswegen heiratet, weil er doch Baron und Landrat ist. Effi will im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus, allerdings nur deswegen, weil ihr die Mutter solches einredet: „wenn du nicht nein sagst, […] so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen“ (16). Ihr Vater hat ihr einen Klettermast, „einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Rasen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließe ich mir nicht nehmen“ (13). Im Grunde also bleibt Effi naiv und anspruchslos – ganz im Kontrast zum Ehrgeiz Innstettens, der „mit einem ‚wahren Biereifer‘“ (11) das „Höherhinaufklimmen auf der Leiter“ (277) seiner Karriere betreibt.

Der Autor verfolgt mit seinem Schaukelsymbol darüber hinaus ein weiteres Ziel: „Wer, meint Fontane, seiner tiefsten Natur nach den Betörungen einer solchen Schwerelosigkeit notwendig zustrebt, der kann nicht zu Recht schuldig gesprochen werden. Effi unterliegt“ [als sie auf der nächtlichen Schlittenfahrt „im Fluge“ (156) den anderen Schlitten hinterherjagt und dabei von Crampas zum ersten Mal verführt wird (157)] „in einem Augenblick süßen Schauerns jenseits bewußter Verantwortung; deshalb darf sie Anspruch auf Milderungsgründe erheben. Effis Natur, an deren Zeichnung das Flugmotiv so entscheidenden Anteil hat, ist zugleich ihre Apologie. Da Fontane innerhalb der literarischen Konventionen eines ‚realistischen‘, d. h. ‚objektiv‘ dargestellten Geschehens nicht unmittelbar an den Leser appellieren darf, plädiert er metaphorisch.“[13]

Später erfüllt sich Effi im schwerelosen Schaukeln vor allem den Wunsch, spielerisch über alle entstandenen Schwierigkeiten hinweg aufsteigen und davonfliegen zu können. Dieses Verlangen wird schließlich so stark, dass das anfängliche Symbol ihrer kindlichen Lebenslust letztlich der Verkörperung ihrer Todessehnsucht dient. Noch im Angesicht des eigenen Endes springt sie „mit einer Behendigkeit wie in ihren jüngsten Mädchentagen“ auf das Schaukelbrett, und „ein paar Sekunden noch, und sie flog durch die Luft, und bloß mit einer Hand sich haltend, riß sie sich mit der andern ein kleines Seidentuch von Brust und Hals und schwenkte es wie in Glück und Übermut […] ‚Ach, wie schön es war, und wie mir die Luft wohltat; mir war, als flög ich in den Himmel.‘“ (273)

Der Chinese

Der Chinese, laut Fontane „ein Drehpunkt für die ganze Geschichte“,[14] gehört zu den auffällig zahlreich vertretenen exotischen Figuren Kessins, die Innstetten seiner frisch vermählten Frau noch vor ihrer Ankunft in ihrer neuen Heimat vorstellt und die dafür sorgen, dass Effi jene abgelegene Welt an der Ostsee zwar einerseits „aufs höchste interessiert“, andererseits aber auch von vornherein sehr verunsichert: der Pole Golchowski, der aussieht wie ein Starost, in Wahrheit aber ein „widerlicher Wucherer“ (42) ist; die slawischen Kaschuben im Kessiner Hinterland; der Schotte Macpherson; der Barbier Beza aus Lissabon; der schwedische Goldschmied Stedingk; und der dänische Arzt Dr. Hannemann. Selbst Innstettens treuer Hund Rollo, ein Neufundländer (45), sowie der Apotheker Alonzo Gieshübler mit seinem „fremdartig klingenden Vornamen“ (48) reihen sich zunächst in diese Reihe internationaler Statisten ein.

Eine herausragende Rolle unter ihnen nimmt allerdings der ehemalige Besitzer des Innstettenschen Hauses ein, der Südsee-Kapitän Thomsen, der von seinen Seeräuberfahrten bei Tonkin einst einen Chinesen als seinen Diener mit nach Hinterpommern brachte. Dessen geheimnisumwitterte Geschichte erzählt von der Freundschaft der beiden und davon, dass Thomsens Nichte oder Enkelin Nina, als sie verheiratet werden sollte, ebenfalls mit einem Kapitän, am Hochzeitabend mit allen Gästen tanzte, „zuletzt auch mit dem Chinesen. Da mit einem Male hieß es sie sei fort, die Braut nämlich. Und sie war auch wirklich fort, irgendwohin, und niemand weiß, was da vorgefallen. Und nach vierzehn Tagen starb der Chinese“ und bekam ein Grab zwischen den Dünen. „Man hätte ihn auch ruhig auf dem christlichen Kirchhof begraben können, denn der Chinese sei ein sehr guter Mensch gewesen und genauso gut wie die andern.“ (82) Offen, wie so vieles, bleibt, ob es sich dabei um eine glückliche oder unglückliche Liebesgeschichte (169) handelte. Sicher ist nur, dass es auch hier um eine verbotene Affäre ging und mit ihr ein zentraler Aspekt des Romanthemas vorweggenommen wird.

Wie sehr Innstetten, der Effi ja eigentlich nur mit den Kessinern und ihrer Umgebung vertraut machen will,[15] mit seinen Geschichten das Gegenteil erreicht und seiner Frau ihr neues Heim auf diese Weise gerade „unheimlich“ macht, wird zusätzlich dadurch betont, dass Effi jener Chinese in den kommenden Wochen buchstäblich „auf dem Kopf herum tanzt“. Ihr Schlafzimmer liegt nämlich genau unter dem großen Dachraum, in dem einst der bewusste Hochzeitsball stattfand und dessen Gardinen, von Wind bewegt, allnächtlich über den Tanzboden schleifen und die schlaflose Effi an die junge Braut, den Chinesen und deren tragisches Ende erinnern. Da Innstetten trotz Effis flehentlichen Bittens nicht bereit ist, die „viel zu langen“ Vorhänge einfach abzuschneiden wie einen alten Zopf, bestätigt sich der Verdacht[16], dass er diesen Spuk absichtlich als „Erziehungsmittel“ einsetzt, das bei der häufigen Abwesenheit des Hausherrn „wie ein Cherub mit dem Schwert“ über die Tugend seiner jungen Frau wacht und als „eine Art Angstapparat aus Kalkül“ dafür sorgt, dass Effi immer ängstlicher vom Schutz ihres Mannes abhängig wird und dessen Rückkehr immer sehnsüchtiger erwartet.

Nimmt man das übrige düstere Mobiliar des Hauses und sein gespenstisches Inventar hinzu – den sonderbaren Haifisch, der als „riesiges Ungetüm“ schaukelnd an der Flurdecke hängt, das ausgestopfte Krokodil und nicht zuletzt die abergläubische Frau Kruse mit ihrem „schwarzen Huhn“ –, so wird verständlich, wie wenig anheimelnd Effi ihr neues Heim erscheinen muss und wie sehr es für sie vom ersten Augenblick an zum „Spukhaus“ (234) wird. Aber das kann Innstetten erst verstehen und nachvollziehen, als seine Ehe bereits gescheitert ist und er mit seinem Freund Wüllersdorf des Duells wegen noch einmal nach Kessin zurückkehrt: „[…] so führte denn der Weg unvermeidlich an Innstettens alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch stiller da als früher; ziemlich vernachlässigt sah’s in den Parterreräumen aus; wie mochte es erst da oben sein! Und das Gefühl des Unheimlichen, das Innstetten an Effi so oft bekämpft oder auch wohl belächelt hatte, jetzt überkam es ihn selbst, und er war froh, als sie dran vorüber waren.“ (233 f.)

Die Wassermetaphorik

Wie das Schaukeln, Klettern und Fliegen, so verwendet Fontane auch seine Wassermetaphern vorwiegend zur Veranschaulichung von Effis unbekümmerter Leidenschaftlichkeit. Sie ist das übermütige „Naturkind“ (35), das alles Künstliche und Gekünstelte, alles Damenhafte[17] und einer Dame Wertvolle gering achtet,[18] aber alles Lebendige und Natürliche bedingungslos bejaht und darin „den Tod als Komplement des Lebens, ja sogar als Bedingung seines Wertes einschließt“.[19] Daher befindet sich auch „dicht neben“ der Schaukel und nicht weit von dem kleinen Rondell, das später Effis Grab sein wird, ein Teich, der die Gartenanlage zu Hohen-Cremmen, zusammen mit den „mächtigen alten Platanen“ – ebenfalls unübersehbare Lebens- und Todessymbole, die Fontane mehrfach als Leitmotive einsetzt – auf der offenen Seite seiner Hufeisenform abrundet.

Während dieses eher idyllische Gewässer, der heilen Welt Hohen-Cremmens entsprechend, den Reigen der Wassermetaphern zu Beginn des Romans (5) auf recht harmlose Weise eröffnet, wird schon wenige Seiten später klar, dass der heimatliche Teich und die im Verlaufe des Romans immer bestimmender werdende Szenerie des „wilden Meeres“ durchaus in Zusammenhang miteinander stehen. Noch ist es nur ein Kinderspiel, wenn Effi und ihre drei Freundinnen ihre übrig gebliebenen Stachelbeerschalen (in einer mit einem Kieselstein beschwerten Tüte als Sarg) feierlich „langsam in den Teich niedergleiten“ lassen und so „auf offener See begraben“ (12). Doch wäre Fontanes an den Leser gerichteter Wink mit dem Zaunpfahl – Effi: „so vom Boot aus sollen früher auch arme unglückliche Frauen versenkt worden sein, natürlich wegen Untreue“ (13) – gar nicht nötig, um zu erkennen, wie der Autor schon hier mit dem theatralisch zeremoniellen „Versenken der Schuld“ (12) auf die Problematik seines eigentlichen Romanthemas anspielt:
Unmittelbar vor ihrem Ehebruch, auf der Rückfahrt von Uvagla am Strand entlang, wird Effi von Sidonie ermahnt, sich nicht zu weit aus dem Schlitten zu lehnen, und antwortet: „‚Ich kann die Schutzleder nicht leiden; sie haben so was Prosaisches. Und dann, wenn ich hinausflöge, mir wär’ es recht, am liebsten gleich in die Brandung. Freilich, ein etwas kaltes Bad, aber was tut’s…‘“ Und im nächsten Augenblick bildet sich Effi ein, sie „hätte die Meerjungfrauen singen hören“ (152). „Die durch die beiden Symbolbereiche des Wassers und der Luft (Schaukel) versinnbildlichte Wesenskomponente wird für Effi zum Medium ihrer Verschuldung. Aber indem diese Symbole als Teil des idyllischen Bezirks von Hohen-Cremmen erscheinen und indem dieser Bezirk Verweisungsfunktion für Effis Tod erhält, wird jener Wesenszug gleichzeitig als Remedium [Heilmittel] der Schuld dargestellt.“[20]

Wie Lebenslust und Todessehnsucht miteinander verschmelzen, macht Fontane auch am bereits erwähnten Motiv des „Versenkens“ klar, das, meist als intransitives „Versinken“, Effis Untergang sehr variantenreich antizipiert. Zunächst geschehen derartige Anspielungen wieder auf harmlose, ja banal-komische Weise, wenn nämlich zum Beispiel die Lebenskünstlerin Trippelli, „stark männlich und von ausgesprochen humoristischem Typus“, Effi während eines geselligen Abends im Hause Gieshüblers ihren allzu weichen „Sofa-Ehrenplatz“ überlässt: „Ich bitte Sie nunmehro, gnädige Frau, die Bürden und Fährlichkeiten ihres Amtes auf sich nehmen zu wollen. Denn von Fährlichkeiten – und sie wies auf das Sofa – wird sich in diesem Falle wohl sprechen lassen. […] Dies Sofa nämlich, dessen Geburt um wenigstens fünfzig Jahre zurückliegt, ist noch nach einem altmodischen Versenkungsprinzip gebaut, und wer sich ihm anvertraut […] sinkt ins Bodenlose“ (86f.). Später, in unmittelbarer Nachbarschaft der ersten Liebesszene mit Crampas jedoch, werden die Bilder bedrohlicher und stecken voller Anspielungen. Als es darum geht, am Strand den gefürchteten „Schloon“ zu vermeiden, in dem die Schlitten der Heimkehrenden zu versinken drohen, fragt Effi: „Ist denn der Schloon ein Abgrund oder irgendwas, drin man mit Mann und Maus zugrunde gehen muß?“ und wird darüber aufgeklärt, dass der Schloon im Sommer „eigentlich nur ein kümmerliches Rinnsal“ sei, im Winter aber drücke „der Wind das Meerwasser in das kleine Rinnsal hinein, aber nicht so, dass man es sehen kann. Und das ist das Schlimmste von der Sache, darin steckt die eigentliche Gefahr. Alles geht nämlich unterirdisch vor sich und der ganze Strandsand ist dann bis tief hinunter mit Wasser durchsetzt und gefüllt. Und wenn man dann über solche Sandstelle wegwill, die keine mehr ist, dann sinkt man ein, als ob es ein Sumpf oder ein Moor wäre.“ (154)

Dann, wenige Sekunden vor Crampas’ Übergriff auf Effi, heißt es: „Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest ineinander, um sich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten sich, und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die ‚Gottesmauer‘ hieß“ (156). Dieses Gedicht[21] erzählt „eine kleine Geschichte, nur ganz kurz. Da war irgendwo Krieg, ein Winterfeldzug, und eine alte Witwe, die sich vor dem Feinde mächtig fürchtete, betete zu Gott, er möge doch eine Mauer um sie bauen, um sie vor dem Landesfeinde zu schützen. Und da ließ Gott das Haus einschneien, und der Feind zog daran vorüber“ (146f.). Rettung kommt dort folglich dadurch zustande, dass Gott Witwe und Haus buchstäblich klaftertief im Schnee versinken lässt. Das Versinken ist also, wie die meisten Bilder Fontanes, durchaus doppeldeutiger Natur: ob Untergang oder Rettung, oder Rettung durch Untergang (wie hier und am Ende des Romans), das entscheidet der jeweilige Kontext. Auch diese Ambivalenz begegnet dem Leser bereits im ersten Kapitel des Romans: „‚Flut, Flut, mach alles wieder gut‘“ singen die drei Mädchen, während sie ihre Stachelbeertüte „auf offener See begraben“, und Effi konstatiert zufrieden: „‚Hertha, nun ist deine Schuld versenkt.‘“ (12)

Am Morgen nach der ersten Liebesszene mit Crampas schließlich berichtet der inzwischen argwöhnisch gewordene Innstetten von einem (angeblichen) Traum, den er in derselben Nacht gehabt habe: „Ich träumte, daß du mit dem Schlitten im Schloon verunglückt seist, und Crampas mühte sich, dich zu retten; ich muß es so nennen, aber er versank mit dir.“ (157) Dass er mit dieser Vision Effis schlechtes Gewissen und ihre ohnehin schon vorhandene Schuldgefühle noch verstärkt, versteht sich von selbst. Aber wieder winkt Rettung durchs Versinken, wenn auch nur vorübergehend, denn eine Woche nach jener Nacht kommt vom Kessiner Hafen die Nachricht, dass ein Schiff in Seenot geraten sei und vor der Mole zu versinken drohe. Effi und Innstetten eilen zum Strand und beobachten, wie man ein Fangseil zu den Schiffbrüchigen hinüberschießt und diese mit einem Korb einzeln an Land zu hieven beginnt. „Alle wurden gerettet, und Effi hätte sich, als sie nach einer halben Stunde mit ihrem Mann wieder heimging, in die Dünen werfen und sich ausweinen mögen. Ein schönes Gefühl hatte wieder Platz in ihrem Herzen gefunden, und es beglückte sie unendlich, dass es so war.“ (163)

Die Kreatur

Dem „Naturkind“ (35) Effi hat Fontane zur Illustrierung ihrer Natürlichkeit nicht nur eine Vielzahl von Naturbildern gewidmet, sondern mit dem Neufundländer Rollo und dem Kindermädchen Roswitha auch zwei Wesen an die Seite gestellt, deren Kreatürlichkeit sich wohltuend von der Affektiertheit der sonstigen Kessiner Gesellschaft abhebt. Wie sehr beide funktional tatsächlich zusammengehören, versucht der Autor durch mehrere Parallelen zu verdeutlichen.

Das beginnt schon beim anaphorischen Gleichklang ihrer Namen, die im nordischen Kessin obendrein beide recht „sonderbar“ (108) klingen.[22] Es geht weiter mit der vom Autor immer wieder betonten Mittlerrolle, die beide zwischen Effi und Innstetten wahrnehmen,[23] und endet mit der Schutzfunktion[24] und bedingungslosen Loyalität, die beide Effi gegenüber üben und die auch in schweren Zeiten nicht endet: Als Effi in ärmlichen Verhältnissen lebt und Roswitha nur mehr spärlich entlohnen kann, ist jene dennoch bereit, zu ihr zu stehen und bei ihr zu bleiben. Nachdem Effi gestorben ist und Rollo sein Fressen verweigert und täglich auf ihrem Grabstein liegt, findet sich auch zu diesem Verhalten eine fast wörtliche (wenn auch der Intention nach gegensätzliche) Parallele zu Roswitha: Als diese erklären will, warum sie nach dem Tod ihrer früheren Herrin, die „zänkisch und geizig“ war, nicht einfach auf dem Friedhof „sitzen bleiben und warten wolle, bis sie tot umfalle“, sagt sie: „dann würden die Leute noch denken, ich hätte die Alte so geliebt wie ein treuer Hund und hätte von ihrem Grabe nicht weggewollt und wäre dann gestorben.“ (106) Bezeichnenderweise ist es Roswitha, die gleichsam instinktiv als erste bemerkt, dass es mit Effi zu Ende geht – „ich weiß nicht, mir ist, als ob es jede Stunde vorbei sein könnte“ (284) –, und bezeichnenderweise ist es Rollo, der ihr selbst über den Tod hinaus die Treue hält. So findet der alte Briest seine alte Vermutung („mitunter ist mir’s doch, als ob die Kreatur besser wäre als der Mensch“, 116) endgültig bestätigt: „Ja, Luise, die Kreatur. Das ist ja, was ich immer sage. Es ist nicht so viel mit uns, wie wir glauben. Da reden wir immer von Instinkt. Am Ende ist es doch das Beste.“ (286) Ähnliches hatte schon Innstettens Freund über Roswitha gesagt, als er deren Bittbrief gelesen hatte: „‚Ja‘, sagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zusammenfaltete, ‚die ist uns über.‘“ (278)

Gustave Doré: Blaubart mit seiner Frau

Wie die meisten Motive Theodor Fontanes hat auch Rollo ein Pendant, das seine Funktion bestätigt und zusätzlich unterstreicht. Als Crampas Effi die Eifersuchtsgeschichte vom spanischen Blaubartskönig Pedro dem Grausamen und dem schönen „Kalatrava-Ritter“ erzählt, „den die Königin natürlich heimlich liebte“ (135) und den der König aus Rache prompt und heimlich köpfen lässt, erwähnt Crampas auch dessen „wunderschönen Hund, einen Neufundländer“, vergleicht ihn mit Rollo, ja tauft ihn für seine Geschichte sogar auf denselben Namen. Dieser sei wie ein treuer Schutzpatron und Racheengel seines Herrn nach dessen heimlicher Ermordung auf dem festlichen Bankett erschienen, das Pedro, angeblich zu Ehren des Kalatrava-Ritters gegeben habe:[25] „Und denken Sie, meine gnädigste Frau“, so Crampas zu Effi, „wie der König, dieser Pedro, sich eben erheben will, um gleisnerisch sein Bedauern auszusprechen, dass sein lieber Gast noch immer fehle, da hört man auf der Treppe draußen einen Aufschrei der entsetzten Dienerschaften, und ehe noch irgendwer weiß, was geschehen ist, jagt etwas an der langen Festtafel entlang, und nun springt es auf den Stuhl und setzt ein abgeschlagenes Haupt auf den leergebliebenen Platz, und über eben dieses Haupt hinweg starrt Rollo auf sein Gegenüber, den König. Rollo hatte seinen Herrn auf seinem letzten Gang begleitet und im selben Augenblicke, wo das Beil fiel, hatte das treue Tier das fallende Haupt gepackt, und da war er nun, unser Freund Rollo, an der langen Festtafel und verklagte den königlichen Mörder.“ (136)

Dass Crampas mit der grausigen Geschichte von „seinem Rollo“ unbewusst den echten Rollo für Effi vom Schutzengel zur Spukgestalt umzufunktionieren droht, rückt ihn ungewollt in die Nähe Innstettens, der ja Spuk als „Angstapparat aus Kalkül“ (129) einsetzt und von dessen Erziehungsmitteln Crampas sich gerade distanzieren und Effi befreien will. Effi war denn auch bei jener Erzählung „ganz still geworden“, bevor sie sich wieder „ihrem Rollo“ zuwendet: „Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr ansehen, ohne an den Kalatrava-Ritter zu denken, den die Königin heimlich liebte“ (136). So muss ihr ständiger Begleiter Rollo, das Symbol der Treue, ihr von nun an paradoxerweise zugleich als Mahnung an ihre eigene Untreue erscheinen.

Figurenübersicht

Figurenübersicht zu Fontanes Effi Briest
Figurenübersicht zu Fontanes Effi Briest

Literarisches Umfeld

Effi Briest gehört in die lange Reihe fontanescher Gesellschaftsromane, die ihre literarische Besonderheit dem leichten Ton der Erzählung und dem Verzicht auf Anklage oder Schuldzuweisung bei gleichzeitig scharfem Blick auf die gesellschaftliche und historische Situation verdanken. Wenn Innstetten den Verführer Crampas in einem Duell tötet, das nur noch sinnentleertes Ritual ist, und seine Frau wegen der selbst für ihn bedeutungslosen Liaison aus „Prinzipienreiterei“ (236) verstößt, darf man darin keine einseitige Verurteilung des preußischen Adligen oder gar der Gesellschaft sehen. Wie differenziert der Autor diese Frage beurteilt, ist unter anderem an Innstettens diesbezüglichem Gespräch mit seinem Freund Wüllersdorf abzulesen. Effi verzeiht ihrem Mann, und ihre Mutter mutmaßt, sie sei bei der von ihr forcierten und protegierten Heirat „doch vielleicht zu jung“ (287) gewesen. So entsteht ein komplexes Lebens- und Sittenbild der untergehenden altpreußischen Gesellschaft. Fontanes Werk kann auch unabhängig von preußischen Gegebenheiten als allgemeinere Betrachtung des Konfliktes zwischen Individuum und gesellschaftlichem Zwang betrachtet werden. Dies alles offenbart sich in Plaudereien der Figuren und einem fast beiläufigen Erzählton, bei dem es gilt, zwischen den Zeilen zu lesen, denn Fontane bekannte, es komme ihm nicht auf das „Was“, sondern auf das „Wie“ an.

Das heißt allerdings nicht, dass der Erzähler alles gutheiße, was seine Figuren tun. Der Ehrbegriff der Zeit zum Beispiel, der sich im literarischen Motiv des sinnlosen und illegalen Duells äußert, wird im Werk Fontanes immer wieder in verschiedenen Spielarten aufgegriffen. Mit dem Duell-Motiv findet sich Fontane in Gesellschaft Arthur Schnitzlers, der die Sinnlosigkeit des Ehrbegriffes in Leutnant Gustl (1900) satirisch zuspitzt, während für den jungen Offizier Zosima in Dostojewskis Die Brüder Karamasow (1879–80) das Duell geradezu zum Wendepunkt seines Lebens wird: Er verzichtet darauf zu schießen und wird zum frommen Einsiedler.

Literaturwissenschaftlich gesehen steht Fontanes Effi Briest auch in der speziellen Tradition des Liebes- oder Verführungsromans, vergleichbar mit Madame Bovary von Gustave Flaubert oder Anna Karenina von Leo Tolstoi.[26] Der Name „Effi Briest“ stellt eine Allusion auf den Namen der Protagonistin Euphemia „Effie“ Deans in Walter Scotts 1818 erstmals veröffentlichtem Roman The Heart of Midlothian dar.

Rezeption

Bernd W. Seiler beschreibt die Reaktionen von Oberstufenschülern auf Fontanes Roman um 2000: „Siebzehnjährige Schülerinnen und Schüler, gegen den Jugendcharme Effis weitgehend immun, finden sie leicht ein bisschen skrupellos: schon in der Art, wie sie sich zu verheiraten bereit ist – Hauptsache, der Mann ist von Adel, hat eine gute Stellung und sieht gut aus, selbst der vormalige Verehrer der Mutter darf es dann sein –, dann aber auch, wie sie sich auf Crampas einlässt und raffiniert genug ist, das Verhältnis vor ihrem Mann vollständig zu verbergen. Jungen nehmen hier, wenn sie die Zusammenhänge erst einmal realisiert haben, notwendig einen Abgrund von Tücke wahr, sodass Fontanes Mitleid mit ihr doch so ganz nicht gerechtfertigt erscheint. Und wie soll man sich zu ihrer Großmut stellen, mit der sie am Ende von Innstetten sagt, er sei ‚so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist‘? Wann – für wen – empfindet sie selbst die ‚rechte Liebe‘? Für Rollo, ihren Hund, so ließe sich böse feststellen, und es fällt schwer zu begreifen, warum Fontane der ‚armen Effi‘ nicht wenigstens an dieser Stelle ins Wort fällt.“[27]

Bühnenfassungen

Effi Briest wurde von Rainer Behrend zum Theaterstück umgearbeitet und stand vom 9. Februar 2009 (Premiere) bis zum 26. Juni 2013 auf dem Spielplan der Vaganten Bühne in Berlin. Eine weitere Bühnenbearbeitung von Peter Hailer und Bernd Schmidt wurde am 28. Mai 2011 im Staatstheater Darmstadt uraufgeführt.

Zu den Verfilmungen siehe auch

DVD-Veröffentlichungen

  • Effi Briest. Fernsehspielfilm nach dem gleichnamigen Roman von Theodor Fontane. DDR 1968–1970, DEFA 125 Minuten, Farbe, Regie: Wolfgang Luderer. DVDplus (mit Materialien in klassischen Computer-Formaten). Matthias-Film Stuttgart (ca. 2011)

Textausgaben

  • Theodor Fontane: Effi Briest. Roman. [Vorabdruck] In: Deutsche Rundschau. Band 81, Oktober bis Dezember 1894, S. 1–32, 161–191, 321–354, Band 82, Januar bis März 1895, S. 1–35, 161–196, 321–359.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Roman. Fontane, Berlin 1896. (Digitalisat und Volltext)
  • Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Mit einem Nachwort von Kurt Wölfel. Reclam, Stuttgart 1969/1991, ISBN 3-15-006961-0.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Mit Materialien. Ausgewählt und eingeleitet von Hanns-Peter Reisner und Rainer Siegle. Klett, Stuttgart/Düsseldorf/Berlin/Leipzig 1984, ISBN 3-12-351810-8.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Roman. Hrsg. von Christine Hehle. Berlin 1998 (Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 15), ISBN 3-351-03127-0.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Text, Kommentar und Materialien. Hrsg. von Helmut Nobis. Oldenbourg, München 2008, ISBN 978-3-637-00591-4. (Oldenbourg Textausgaben für Schüler und Lehrer).
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Mit einem Nachwort von Julia Franck. Ullstein, Berlin 2009, ISBN 978-3-548-26979-5.

Siehe auch

Literatur

  • Josef Peter Stern: Effi Briest – Madame Bovary – Anna Karenina. In: Modern Language Review 52 (1957), S. 363–375.
  • Peter Demetz: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. Hanser, München 1964.
  • Dietrich Weber: „Effi Briest“: „Auch wie ein Schicksal“. Über den Andeutungsstil bei Fontane. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts NF, 1966, S. 457–474.
  • Richard Brinkmann: Theodor Fontane. Über die Verbindlichkeit des Unverbindlichen. Piper, München 1967.
  • Ingrid Mittenzwei: Die Sprache als Thema. Untersuchungen zu Fontanes Gesellschaftsromanen. Gehlen, Bad Homburg 1970.
  • Walter Schafarschik (Hrsg.): Theodor Fontane. Effi Briest. Erläuterungen und Dokumente. Reclam, Stuttgart 1972, ISBN 3-15-008119-X.
  • Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973.
  • Carl Liesenhoff: Fontane und das literarische Leben seiner Zeit. Bouvier, Bonn 1976.
  • Anselm Salzer, Eduard v. Tunk: Theodor Fontane. In: Dies.: Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur. Band 4 (Vom Realismus zum Naturalismus), Naumann & Göbel, Köln 1984, ISBN 3-625-10421-0, S. 227–232.
  • Horst Budjuhn: Fontane nannte sie „Effi Briest“: das Leben der Elisabeth von Ardenne. Ullstein/Quadriga, Berlin 1985.
  • Bernd W. Seiler: „Effi, du bist verloren!“ Vom fragwürdigen Liebreiz der Fontaneschen Effi Briest. In: Diskussion Deutsch 19 (1988), S. 586–605. Online: [1]
  • Manfred Franke: Leben und Roman der Elisabeth von Ardenne, Fontanes „Effi Briest“. Droste, Düsseldorf 1994 (DNB: http://d-nb.info/94361838X)
  • Elsbeth Hamann: Theodor Fontane, Effi Briest. Interpretation. 4. Auflage, Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-88602-9.
  • Norbert Berger: Stundenblätter Fontane „Effi Briest“. Klett, Stuttgart 2004, ISBN 3-12-927473-1.
  • Jörg Ulrich Meyer-Bothling: Klausurtraining Effi Briest. Klett, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-12-352445-5.
  • Manfred Mitter: Theodor Fontane, Effi Briest, Interpretationsimpulse. Merkur, Rinteln. Textheft: ISBN 978-3-8120-0849-5, CD-ROM: ISBN 978-3-8120-2849-3.
  • Heide Rohse: „Arme Effi!“ Widersprüche geschlechtlicher Identität in Fontanes „Effi Briest“. In dies.: Unsichtbare Tränen. Effi Briest – Oblomow – Anton Reiser – Passion Christi. Psychoanalytische Literaturinterpretationen zu Theodor Fontane, Iwan A. Gontscharow, Karl Philipp Moritz und Neuem Testament. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 17–31, ISBN 3-8260-1879-6.
  • Thomas Brand: Theodor Fontane: Effi Briest. Königs Erläuterungen: Textanalyse und Interpretation, 253. C. Bange Verlag, Hollfeld 2011, ISBN 978-3-8044-1951-3.
  • Petra Lihocky: Lektürehilfe „Effi Briest“. Medienkombination, Fach Deutsch, Niveau Abitur. Hörbuch und Booklet, beides eine Interpretation. Stimmen: Thomas Wedekind, Michelle Tischer, Marcus Michalski. Pons Lektürehilfe, Stuttgart 2011, 5. Aufl.; Booklet 60 Seiten, dialogisches Fachgespräch auf der CD 93 Min.
  • Denise Roth: Das literarische Werk erklärt sich selbst. Theodor Fontanes „Effi Briest“ und Gabriele Reuters „Aus guter Familie“ poetologisch entschlüsselt. Wissenschaftlicher Verlag Berlin WVB, Berlin 2012, ISBN 978-3-86573-679-6.
  • Clemens Freiherr Raitz von Frentz: Die Geschichte der wahren Effi Briest. In: Deutsches Adelsblatt. 52 (2013), 7, S. 10–13
  • Magdalena Kißling: Effi Briest zwischen Handlungsfähigkeit und Ohnmacht. Fontane, Fassbinder und Huntgeburth im intermedialen Vergleich. In: Michael Eggers/Christof Hamann (Hrsg.): Komparatistik und Didaktik. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-8498-1164-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Anselm Salzer, Eduard von Tunk: Theodor Fontane. In: Dies.: Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur. Band 4 (Vom Realismus zum Naturalismus), S. 227 f.
  2. Gordon A. Craig: Deutsche Geschichte 1866–1945. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber, 2. Aufl., Beck, München 1999, ISBN 3-406-42106-7, S. 236.
  3. Beide Eigenschaften Gieshüblers, nämlich für Effi sowohl die Rolle des „Arztes“ und fürsorglichen Freundes als auch die des „Zeitungsredakteurs“ zu übernehmen, erinnern an den Autor Theodor Fontane selbst, der ja ebenfalls Apotheker und Journalist war und sich, laut eigenen Aussagen, in seinen Romanen wiederholt mit Hilfe mancher, meist älterer, weiser und menschenfreundlicher Figuren ein Sprachrohr seiner eigenen Überzeugungen zu schaffen verstand.
  4. Gleichzeitig verabsäumt es Effi allerdings aufgrund ihrer Jugend und Unreife, die Zügel in die Hand zu nehmen und die von ihr erhoffte Rolle als Gattin Innstettens zu erfüllen. Sowohl der Welt draußen, die von ihr gesellschaftlichen Umgang und gastliche Verpflichtungen erwartet, als auch der Welt innen, die von ihr als Frau des Hauses Innstetten aktive Gestaltung erfordern würden, bleibt sie nach anfänglichen Unsicherheiten passiv gegenüber. Stattdessen akzeptiert Effi in Kessin ihre Rolle als kindliche Ehegattin. Wie so häufig bei Fontane, sind es auch in Effi Briest Monotonie und Langeweile, die den Stein des Unglücks ins Rollen bringen. Dabei steht für Effi schon vor der Ehe fest, dass die Vermeidung von Langeweile durch Zerstreuung zu den unabdingbaren Zutaten einer „Musterehe“ (29) gehört: Liebe kommt zuerst, aber gleich dahinter kommt [sic] Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung – ja Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile. (30)
  5. Das Phänomen wird von dem Mineralogen Walter A. Franke genauer beschrieben. In: Walter A. Franke: Was ist Treibsand? Abschnitt „Quicksand“
  6. Fontane spielt hier an auf die Redewendung „aus dem Nähkästchen plaudern“, eine modernere Form der Redewendung „aus der Schule plaudern“ (= „von Dingen reden, die eigentlich Geheimnisse eines bestimmten Kreises sind“, s. Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Herder, Freiburg 1973, S. 898). Er verwendet also eine bereits existierende sprachliche Form, die schon vor Effi Briest üblich war, und kreiert sie nicht erst.
  7. Dieser Zufall wird bezeichnenderweise dadurch ausgelöst, dass sich die kleine Tochter Annie beim Spiel eine blutende Stirnwunde zuzieht, für die nun schnellstens ein Verband gesucht werden muss, der sich dann auch (un)glücklich in jenem verschlossenen Nähkästchen findet: nicht nur eine sehr verräterische Koinzidenz (vgl. dazu den obigen Abschnitt „Symbolische Motive“), sondern auch ein Beweis dafür, dass ihr Vater recht hat, wenn er bei ihr eine ursprünglich sehr große Ähnlichkeit mit ihrer temperamentvollen Mutter feststellt („Du bist so wild, Annie, das hast du von der Mama. Immer wie ein Wirbelwind“, 273), und ein vielsagender Hinweis darauf, wie massiv Innstetten später seine Tochter zum stillen und braven Püppchen umerzieht, das sich nur noch verlegen bewegt und mechanisch wiederholt, was man ihr eingetrichtert hat (265f.).
  8. Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966, S. 287; aber auch – teils als „weites“, teils als „zu weites Feld“ – auf den Seiten 35, 38 und 40 sowie auf Seite 116, wo diese Redensart gleich zweimal zitiert wird.
  9. Kurt Wölfel: Nachwort. Zu: Theodor Fontane: Effi Briest. Reclam, Stuttgart 1991, S. 340.
  10. Vgl. zu Fontanes Omissionsstil auch die Arbeit von Dietrich Weber: „Effi Briest“: „Auch wie ein Schicksal“. Über den Andeutungsstil bei Fontane. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts NF, 1966, S. 457–474.
  11. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 340.
  12. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 340.
  13. Peter Demetz: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. Hanser, München 1964, S. 215.
  14. So Fontane in seinem Brief an Josef Viktor Widmann vom 19. November 1895. Zitiert nach: Theodor Fontane: Effi Briest. Mit Materialien. Ausgewählt und eingeleitet von Hanns-Peter Reisner und Rainer Siegle. Reclam, Stuttgart 1994, S. 347.
  15. Allerdings belässt es Innstetten verräterischerweise nicht bei der bloßen Feststellung, dass die „ganze Stadt aus solchen Fremden bestehe“ (S. 43), sondern deutet bereits vor der Ankunft in Kessin wiederholt an, dass dort „alles unsicher sei“ und man sich vor den Kessinern „vorsehen müsse“ (S. 43).
  16. Crampas, der Innstetten und dessen Vorliebe für „Gruselgeschichten“ von früher her gut kennt, spricht diesen Verdacht offen aus. (S. 129)
  17. Kokett klagt sie ihre Mutter an: „‚Du bist schuld […] Warum machst du keine Dame aus mir?‘“; Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966, S. 7
  18. „‚Er Innstetten will mir ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, dass ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht, dass es irgendwo reißen oder brechen oder ich niederstürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten.‘“; Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966, S. 32
  19. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 126.
  20. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 127.
  21. Hierbei handelt es sich um das 1814 entstandene Gedicht „Draus bei Schleswig vor der Pforte“ von Clemens Brentano. Das bald vertonte Gedicht fand u. a. Eingang in die seit 1836 bei Bertelsmann erscheinende „Kleine Missionsharfe im Kirchen- und Volkston für festliche und außerfestliche Kreise“, die im 19. Jahrhundert über zwei Millionen Mal verkauft wurde. Vgl. Wolf-Rüdiger Wagner: Effi Briest und ihr Wunsch nach einem japanischen Bettschirm. Ein Blick auf die Medien- und Kommunikationskultur in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. München: kopaed 2016, S. 128
  22. Roswitha selbst thematisiert dies, als sie zum ersten Mal von Rollo hört: „Rollo; das ist sonderbar […] Ich habe auch einen sonderbaren Namen […] Ich heiße Roswitha.“ (108).
    Macbeth erblickt Banquos Geist (von Théodore Chassériau)
  23. Rollo ist zunächst ausschließlich Innstettens Tier, das ihn liebt. Es wird aber auch Effi lieben (45) und später ganz zu „ihrem“ Hund werden. Und Roswitha wird diejenige sein, die den Brief an Innstetten schreibt (278), um für die verstoßene Effi darum zu bitten, ihr den alten Rollo als Mittel gegen Furcht und Einsamkeit zu schicken.
  24. Eine Funktion, die ihm Innstetten von vornherein zuteilt: „solange du den [Rollo] um dich hast, so lange bist du sicher und kann nichts an dich heran, kein Lebendiger und kein Toter.“ (45)
  25. Die Ähnlichkeit dieser Figur mit William Shakespeares Macbeth ist nicht zu übersehen. Dieser hatte bekanntlich seinen Rivalen Banquo heimlich ermorden und heuchlerisch gleichzeitig ein großes Bankett für ihn ausrichten lassen, auf dem ihm dann Banquos blutiger Geist als entlarvendes Menetekel erschien.
  26. Einen Vergleich der drei Romane bietet Josef Peter Stern: Effi Briest – Madame BovaryAnna Karenina. In: Modern Language Review 52 (1957), S. 363–375.
  27. Bernd W. Seiler: Beliebt, doch nicht ganz einwandfrei: Fontanes Effi Briest (1894). In: (K) ein Kanon. 30 Schulklassiker neu gelesen. Hrsg. von K.-M. Bogdal und C. Kammler. München 2000. S. 84 f.


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