Ägyptische Mysterien

Aus AnthroWiki
Ägyptische Sphinx (Louvre)

Die ägyptischen Mysterien wurden von Thot-Hermes (Trismegistos) eingesetzt, dem legendären Inaugurator und Lehrer der ägyptischen Kultur. Die uralte heilige Weisheit, die er den Ägyptern gebracht hat, soll zurückreichen bis in jene Zeit, die drei Sothis-Perioden zu je 1460 Jahren vor dem Jahr 1322 v.Chr. lag, das den Auszug Israels aus Ägypten bezeichnet, also bis in das 6. vorchristliche Jahrtausend (Lit.: GA 060, S. 369f).

Thot-Hermes

Hauptartikel: Hermes Trismegistos

Hermes Trismegistos (griech. Ἑρμῆς Τρισμέγιστος für „dreimal größter Hermes“), der dreimal große Thot, war nach Rudolf Steiner der Inaugurator und Lehrer der ägyptischen Kultur. Das Licht, zu dem Hermes den Weg gewiesen hat, die wesenhafte geistige Sonne, die einmal die Erde verwandeln sollte, ist der Christus selbst. Auf ihn deutete Hermes hin, als er seine Weisheitslehren gab, die in der Tabula Smaragdina festgehalten sind.

"Den aber, in welchem die Ägypter sozusagen alle ursprüngliche Größe jener alten hellseherischen Weisheit sahen, nannten sie ihren großen Weisen, den alten Hermes. Als dann in einer späteren Zeit wieder ein Erneuerer der altägyptischen Weisheit kam, nannte er sich - wie im Grunde genommen so viele nach einem alten Brauch der ägyptischen Weisen — wieder Hermes. Und seine Bekenner, weil sie sagten, daß des in urferner Vergangenheit lebenden Hermes Weisheit wieder auflebte, nannten jetzt diesen ersten Hermes den Dreimal Großen: Hermes Trismegistos. Doch im Grunde genommen nannte ihn nur der Grieche Hermes, bei den Ägyptern hatte er den Namen Thoth." (Lit.: GA 060, S. 351)

Das Buch des Thot

Rudolf Steiner führt den Ursprung des Tarot auf das legendäre «Buch des Thot» zurück. Schon 1781 hatte Antoine Court de Gébelin die Symbole des Marseiller Tarots als Zeichen der Mysterien der ägyptischen Gottheiten Isis und Thot gedeutete. Beweise aus der Ägyptologie gibt es dafür nicht, weshalb vielfach der ägyptische Ursprung des Tarot bestritten wird.

"Das Buch des Thot bei den Ägyptern bestand aus 78 Karten, die die Weltengeheimnisse enthielten. In der ägyptischen Einweihung kannte man dieses sehr wohl. Die Karten zum Kartenspiel rühren davon her. Die Bezeichnung König, Ritter, Turmwächter, Feldherrn sind okkulte Bezeichnungen. Diejenigen, die eingeweiht waren in die ägyptischen Mysterien, verstanden das Zeichen

Tarok-Zeichen
Tarok-Zeichen

(das Symbol für Tarot) zu lesen. Sie verstanden auch das Buch Thot zu lesen, das aus 78 Kartenblättern bestand, in welchen alle Weltgeschehnisse vom Anfang bis zum Ende, von Alpha bis Omega, verzeichnet waren und die man lesen konnte, wenn man sie in der richtigen Reihenfolge verband und zusammensetzte. Es enthielt in Bildern das Leben, das zum Tode erstirbt und wieder aufsprießt zu neuem Leben. Wer die richtigen Zahlen und die richtigen Bilder miteinander vereinen konnte, der konnte in ihm lesen. Und diese Zahlenweisheit, diese Bilderweisheit, wurde seit Urzeiten gelehrt. Sie spielte auch noch im Mittelalter eine große Rolle, zum Beispiel bei Raimundus Lullus, doch heute ist nicht mehr viel davon vorhanden." (Lit.: GA 265, S. 361f)

Der Initiationsvorgang

Über die ägyptischen Mysterien, wie sie zur Zeit Moses gepflegt wurden, schreibt Friedrich Schiller in seinem Aufsatz über «Die Sendung Moses»:

"Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.

Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder Epopten, weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.

Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.

Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«

Eine vorläufige notwendige Zeremonie vor jeder Einweihung war die Beschneidung, der sich auch Pythagoras vor seiner Aufnahme in die ägyptischen Mysterien unterwerfen mußte. Diese Unterscheidung von andern, die nicht beschnitten waren, sollte eine engere Brüderschaft, ein näheres Verhältnis zu der Gottheit anzeigen, wozu auch Moses sie bei den Hebräern nachher gebrauchte.

In dem Innern des Tempels stellten sich dem Einzuweihenden verschiedene heilige Geräte dar, die einen geheimen Sinn ausdrückten. Unter diesen war eine heilige Lade, welche man den Sarg des Serapis nannte, und die ihrem Ursprung nach vielleicht ein Sinnbild verborgner Weisheit sein sollte, späterhin aber, als das Institut ausartete, der Geheimniskrämerei und elenden Priesterkünsten zum Spiele diente. Diese Lade herumzutragen, war ein Vorrecht der Priester oder einer eignen Klasse von Dienern des Heiligtums, die man deshalb auch Kistophoren nannte. Keinem als dem Hierophanten war es erlaubt, diesen Kasten aufzudecken oder ihn auch nur zu berühren. Von einem, der die Verwegenheit gehabt hatte, ihn zu eröffnen, wird erzählt, daß er plötzlich wahnsinnig geworden sei.

Sphinx der Hatschepsut (Metropolitan Museum of Art)

In den ägyptischen Mysterien stieß man ferner auf gewisse hieroglyphische Götterbilder, die aus mehreren Tiergestalten zusammengesetzt waren. Das bekannte Sphinx ist von dieser Art; man wollte dadurch die Eigenschaften bezeichnen, welche sich in dem höchsten Wesen vereinigen, oder auch das Mächtigste aus allen Lebendigen in einen Körper zusammenwerfen. Man nahm etwas von dem mächtigsten Vogel oder dem Adler, von dem mächtigsten wilden Tier oder dem Löwen, von dem mächtigsten zahmen Tier oder dem Stier, und endlich von dem mächtigsten aller Tiere, dem Menschen. Besonders wurde das Sinnbild des Stiers oder des Apis als das Emblem der Stärke gebraucht, um die Allmacht des höchsten Wesens zu bezeichnen; der Stier aber heißt in der Ursprache Cherub.

Die mystischen Gestalten, zu denen niemand als die Epopten den Schlüssel hatten, gaben den Mysterien selbst eine sinnliche Außenseite, die das Volk täuschte und selbst mit dem Götzendienst etwas gemein hatte. Der Aberglaube erhielt also durch das äußerliche Gewand der Mysterien eine immerwährende Nahrung, während daß man im Heiligtum selbst seiner spottete." (Lit.: F. Schiller, Die Sendung Moses)

"Wenn der Schüler so weit war, dann erst wurden die realen Vorgänge mit ihm vorgenommen, dann erst sollte er erfahren, dass er als Mensch nicht nur dazu berufen ist zu erkennen, in die Erkenntnis eingeführt zu werden, sondern dass diese Erkenntnis Leben zu gewinnen hat. Dies ist in einem tiefsinnigen Symbol im Osiris-Mythos und namentlich im Kultus ausgedrückt. Isis und Horus wurden darin dargestellt als Personen, welche auf dem Boden liegend die Hände seitwärts ausstreckten. Darunter legten sie das Kreuz (das kann man nicht weiter nennen). Das war das Symbol für die Wiedererweckung von dem, was dem Staub verfallen war. Im Kreuz haben wir dieselbe Vorstellung, wie wir sie bei der platonischen Philosophie haben, in welcher Gott, der Allgeist gekreuzigt ist. Hier wird es Symbol und zu gleicher Zeit der Erwecker. Durch das Kreuz hindurchgehend, am Sarge des Osiris wird er auferstehen und dann von neuem Herrscher sein. Dieser Vorgang spielte sich jahrhundertelang in den ägyptischen Tempeln ab. Der junge Priester wurde tatsächlich in eine neue Welt eingeführt." (Lit.: Steiner (1901), S 211) [1]

"Die ägyptischen Mysterien und Mysterienpriester haben erreicht ihren Höhepunkt in der Initiation. Der Initiationsprozess gehörte den Kulten der indischen Religion an und wurde auch da vollzogen. Der Prozess hat darin bestanden, dass das grosse Osiris-Drama als Einweihungsprozess an der einzelnen Persönlichkeit vollzogen worden ist. Die einzelne Persönlichkeit musste sich einem Vorgang unterwerfen, wodurch die Sinnlichkeit und das Leibliche so weit gereinigt wurde, dass sie die Welt auf geistige Weise begreifen konnte. Der Prozess wurde vollzogen innerhalb der ägyptischen Priestermysterien so, dass man denjenigen, welchen man für reif hielt, dass man ihn einer Aetherisierung des Leibes unterwerfen konnte, in eine Art höhere Hypnose versetzte, ihn in einen Sarg, in ein Grab legte. Mit ausgereckten Händen lag er da im mystischen Schlaf, aus dem er am dritten Tage erweckt werden sollte; das Erwecken aus dem mystischen Schlaf wurde dadurch vollzogen, dass es durch die aufgehende Morgensonne geschah. Jetzt hat aber dieser ganze Vorgang auf ihn einen so grossen Eindruck gemacht, dass er ein tatsächlich neues Leben führte, wenn er diesen Prozess durchgemacht hatte. Jetzt konnte er verstehen, wenn die ägyptischen und indischen Weltanschauungen behaupten, dass das Irdische ein Nichts ist und dass die Sinnenwelt nichts mehr bedeutet. Goethes Worte dafür waren: «Stirb und werde»." (Lit.: Steiner (1901), S 236) [2]

"Dieser Vorgang bestand tatsächlich darinnen, dass der Mensch den Vorgang der Wiedererweckung auch im Physischen an sich vollziehen liess. Das ist der Akt, zu dem die ägyptischen Priester vorgeschritten sind, und das ist es auch, wodurch sie den tiefsten Eindruck bei ihren Schülern gemacht haben. Sie haben den Schüler in einen dreitägigen Schlaf versetzt. Sie haben völlig freigemacht den Organismus. Der Geist sollte für sich leben und dann von neuem Besitz ergreifen von seinem Körper. Und dann, wenn er von dem Korper wieder Besitz ergriff, hatte er den Körper in einer neuen, vergeistigten Weise. Deshalb bat man den, der die Initiation suchte, dass er sich auf ein Holzkreuz legte oder einfach auf den Boden sich legte und die Arme ausbreitete. In dieser Lage liess man ihn drei Tage verharren. Dass er sich selbst als lebendiges Symbol des WiederauferStehens betrachtete, das wurde dadurch symbolisiert, dass er entgegengetragen wurde der aufgehenden Morgensonne. Die aufgehende Morgensonne erweckte den drei Tage dem Leben Abgestorbenen zu einem neuen Dasein." (Lit.: Steiner (1901), S 212) [3]

Eine ausführliche Darstellung des Initiationsvorgangs in den ägyptischen Mysterien gab Charles William Heckethorn in seinem Hauptwerk «Geheime Gesellschaften, Geheimbünde und Geheimlehren». Heckethorn erwähnt hier auch die Feuer-, Wasser- und Luftprobe, die Rudolf Steiner in anderer Weise auch in Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten beschreibt. Auch der Lethetrunk und der Gedächtnistrunk werden genannt:

Cheops-Pyramide

"In Ägypten (wie auch in Indien, Medien, Persien und Mexiko) war die Einweihungsstätte eine über unterirdischen Höhlen errichtete Pyramide. Angesichts ihrer Größe, Form und Stärke können die Pyramiden als künstliche Berge betrachtet werden. Ihre Gestalt versinnbildlichte nicht nur die aufsteigende Flamme, sie hatte einen tieferen Ursprung in der konischen Form - der Urform aller natürlichen Produkte. Und die Große Pyramide - das Grab Osiris' - wurde in solcher Lage und Höhe errichtet, dars während der Tag- und Nachtgleichen des Herbstes und des Frühlings die Sonne genau zu Mittag auf dem Gipfel zu ruhen schien.

Der Einweihungsbewerber wurde von seinem Führer zu einem in der Pyramide angebrachten tiefen, dunkeln Schacht geführt, in den er, mit einer Fackel versehen, auf einer Leiter hinabstieg, die sich an einer Innenwand befand. Unten angelangt, sah er zwei Thüren, deren eine er verriegelt fand, während er die andere leicht öffnen konnte. Die Schwelle überschreitend, hörte er die Thür mit gewaltigem Getöse zufallen und erblickte einen geschlängelten Gang, an dessen Mauern er Inschriften nach Art der folgenden las: „Wer diesen Weg allein zurücklegt, ohne nach rückwärts zu schauen, wird durch Wasser, Feuer und Luft gereinigt werden. Die Todesfurcht überwindend, wird er aus den Eingeweiden der Erde ans Tageslicht emporsteigen, um seine Seele zum Empfang der Isismysterien vorzubereiten.“ Fortschreitend, gelangte der Kandidat zu einem von drei bewaffneten Männern bewachten eisernen Thor; die drei Männer, deren glänzende Helme von sinnbildlichen Tieren überragt waren, entsprechen dem Cerberus des Orpheus. Jetzt bot sich ihm die letzte Gelegenheit zur Umkehr, falls er umkehren wollte. Entschied er sich für die Fortsetzung des Weges, so hatte er zunächst die Feuerprobe zu bestehen, indem er eine Halle durchschreiten mufste, die mit allerlei brennenden Stoffen erfüllt war; den Fussboden bedeckte ein Gitterwerk von rotglühenden Eisenstangen mit engen Zwischenräumen, die der Neuling sorgfältig benutzen musste, wenn er sich nicht die Füsse verbrennen wollte. Nach Überwindung dieses Hindernisses kommt die Wasserprobe an die Reihe. Der Pilger muss, sein Lämpchen auf dem Kopf, einen breiten, dunkeln Kanal, der vom Nil gespeist wird, durchschwimmen. Jenseits erwartet ihn die schwere Luftprobe. Er landet auf einer Terrasse, die zu einer Elfenbeinthüre führt, welche sich zwischen zwei kupfernen Wänden befindet, in deren jede ein ungeheures Kupferrad eingefügt ist. Nach einem vergeblichen Versuch, die Thüre zu öffnen, erspäht er an ihr zwei große Eisenringe; kaum hat er diese ergriffen, versinkt die Terrasse unter seinen Füssen, ein eisiger Windstoß verlöscht sein Lämpchen, die beiden Räder drehen sich mit furchtbarer Geschwindigkeit und betäubendem Lärm, während er an den Ringen über einem tiefen Abgrund hängt. Ehe er jedoch erschöpft ist, kehrt die Terrasse zurück, die Elfenbeinthüre öffnet sich und er erblickt einen herrlichen, glänzend erleuchteten Tempel voll Isispriester mit den geheimnisvollen Abzeichen ihrer Verrichtungen, an der Spitze der Oberpriester. Nunmehr hat er eine lange Reihe von Fasttagen durchzumachen, zuletzt neunmal neun Tage umfassend. Während der garizen Zeit muss er die strengste Schweigsamkeit beobachten; erst nach dem Bestehen dieser letzten Erprobung wird er in die vollen Isismysterien eingeweiht Vor der dreifachen Statue von Isis, Osiris und Horus (Horus bedeutet ebenfalls die Sonne) schwört er, die im Allerheiligsten empfangenen Geheimlehren nicht zu verraten. Dann trinkt er das ihm vom Oberpriester dargereichte Lethewasser, um alles zu vergessen, was er in seinem früheren - ungeheiligten - Zustand jemals gehört. Nachher trinkt er vom Wasser der Mnemosyne (= Gedächtnis), um alle neuen Weisheitslehren gut zu behalten. Ferner wird er in den geheimsten Teil des heiligen Gebäudes geführt, wo ein Priester ihm die Anwendung der daselbst befindlichen Symbole erläutert Endlich verkündet man öffentlich seine erfolgte Einweihung in die Isis-Mysterien, die den ersten Grad der ägyptischen Riten bildeten.

Der zweite Grad waren die Serapis-Mysterien, von denen wir nur wenig wissen. Als Theodosius den Serapis-Tempel zerstörte, wurden. unter der Erde Gänge und in ihnen Vorrichtungen entdeckt, mittels deren die Priester die Einweihungskandidaten erprobten. Geringfügige Anspielungen finden sich bei Apulejus, Porphyrius und Herodot.

Der dritte Grad der ägyptischen Laieneinweihung bestand in den Osiris-Mysterien, in denen die Legende von der Ermordung Osiris durch Typhon dargestellt wurde. Der Kandidat hatte den Gott zu verpersönlichen. (Dieses Verfahren wird von den Freimaurern bei der Verleihung ihres dritten Grades, des Meistergrades, genau nachgeahmt; nur tritt an Osiris' Stelle Hiram Abiff, einer der drei Großmeister beim Bau des Tempels Salomonis.) Der vollkommen eingeweihte Novize hieß „Al-om-dschak“ und die Lehre von der Einheit Gottes bildete das hauptsächlichste der ihm anvertrauten Geheimnisse. Wie groß und gefährlich dieses Geheimnis war, lässt sich an dem Umstand ermessen, dass nach Ablauf von mehreren Jahrhunderten seit Einführung der Mysterien Sokrates die Verkündigung derselben Lehre mit dem Tode büßte. Nach Jamblichus starben die in die höchsten Geheimlehren Eingeweihten für ihr eigenes Ich gleichsam ab; sie gingen in der Gottheit auf und wurden verklärt. Weder Feuer noch Eisen konnte ihnen etwas anhaben, kein Naturhindernis hemmte ihren Schritt, der Hauch des göttlichen Geistes umwehte sie. Wir haben es bei diesen heidnischen Einbildungen offenbar mit den vermeintlichen Vorrechten der späteren christlichen Mystiker und den angeblichen Verzückungen der römisch-katholischen Heiligen zu thun." (Lit.: Heckethorn, S 37ff)

Edouard Schuré beschrieb die ägyptische Einweihung, zu der der Adept erst nach jahrelangen Prüfungen, die er zu bestehen hatte, zugelassen wurde, so:

„In der Dämmerung begleiteten Priester des Osiris, Fackeln haltend, den neuen Adepten in eine niedrige Krypta, die vier von Sphinxen getragene Pfeiler stützten. In einem Winkel befand sich ein marmorner Sarkophag. »Kein Mensch«, sagte der Hierophant, »entgeht dem Tod, und jede lebendige Seele ist zur Auferstehung bestimmt. Der Adept schreitet lebendig durch das Grab, um in diesem Leben schon einzutreten in das Licht des Osiris. Lege dich also hin in diesen Sarg und erwarte das Licht. Diese Nacht wirst du durch das Tor des Schreckens schreiten und die Schwelle der Meisterschaft erreichen.« Der Adept legte sich in den offenen Sarkophag, der Hierophant streckte seine Hand aus, um ihn zu segnen, und der Zug der Eingeweihten entfernte sich schweigend aus dem Grabgewölbe. Eine kleine auf die Erde gestellte Lampe erhellte noch mit ihrem trüben Licht die vier Sphinxe, welche die gedrungenen Säulen der Krypta tragen. Ein Chor tiefer Stimmen wird hörbar, gedämpft und verschleiert. Von wo kommt er? Es ist der Totengesang!... Er verhallt, die Lampe flackert noch einmal auf und verlischt dann ganz. Der Adept ist allein in der Finsternis, der Frost des Grabes fällt auf ihn, seine Glieder erstarren. Er schreitet allmählich durch die schmerzvollen Empfindungen des Todes und verfällt in Lethargie. Sein Leben entrollt sich vor ihm in aufeinanderfolgenden Bildern wie etwas Unwirkliches und sein irdisches Bewußtsein wird immer trüber und unbestimmter.

Doch während er allmählich seinen Körper sich auflösen fühlt, befreit sich der ätherische, fluidische Teil seines Wesens. Er tritt in Ekstase...

Welch strahlender Punkt erscheint, kaum merkbar in der Ferne, auf dem schwarzen Untergrund der Finsternis? Er nähert sich, er wächst, er wird zu einem Stern mit fünf Zacken, dessen Strahlen alle Farben des Regenbogens haben und der in die Finsternis hinein Ströme magnetischen Lichtes ergießt. Jetzt ist er eine Sonne, die ihn in die blendende Weiße ihres Mittelpunktes hineinzieht. –

Ist es die Magie der Meister, die diese Vision hervorruft? Ist es das Unsichtbare, welches sichtbar wird? Ist es die Vorbedeutung der himmlischen Wahrheit, der funkelnde Stern der Hoffnung und der Unsterblichkeit? – Er verschwindet; und an seiner Stelle öffnet sich in der Nacht eine Blütenknospe, eine Blume, nicht körperlich, doch sinnlich wahrnehmbar und seelenbegabt. Denn sie öffnet sich vor ihm wie eine weiße Rose; sie entfaltet ihre Blütenkrone; er sieht, wie ihre lebendigen Blätter erzittern und ihr funkelnder Kelch sich rötet. – Ist es die Blume der Isis, die mystische Rose der Weisheit, welche die Liebe in ihrem Herzen einschließt? – Doch schon löst sie sich auf wie eine Wolke von Wohlgerüchen. Da fühlt sich der Verzückte von einem warmen liebkosenden Hauch umflossen. Nachdem sie verschiedene phantastische Formen angenommen, verdichtet sich die Wolke und wird zur menschlichen Gestalt. Es ist diejenige einer Frau, die Isis des okkulten Heiligtums, aber jünger, lächelnder und strahlender. Ein durchsichtiger Schleier schlingt sich spiralenförmig um sie und läßt ihren Leib durchschimmern. In ihrer Hand hält sie eine Papyrusrolle. Sie nähert sich sanft, sie beugt sich über den im Sarge liegenden Initiierten und sagt ihm: »Ich bin deine unsichtbare Schwester, ich bin deine göttliche Seele, und dieses ist das Buch deines Lebens. Es enthält die vollen Seiten deiner vergangenen und die weißen Seiten deiner künftigen Existenzen. Eines Tages werde ich sie alle vor dir entrollen. Du kennst mich jetzt. Ruf mich und ich werde kommen!« Und während sie spricht, leuchtet ein Strahl der Zärtlichkeit in ihren Augen ... O Gegenwart eines engelhaften Doppelwesens, unsagbares Versprechen des Göttlichen, wunderbare Verschmelzung im unberührbaren Jenseits!

Aber alles zerstiebt, die Vision verlischt. Ein entsetzlicher Riß; und der Adept fühlt sich zurückgestürzt in seinen Körper wie in einen Leichnam. Er kehrt wieder in den Zustand bewußter Lethargie zurück; eiserne Ringe umspannen seine Glieder; ein furchtbares Gewicht lastet auf seinem Schädel; er wacht auf ... und vor ihm steht der Hierophant, umgeben von den Magiern. Man umgibt ihn, man reicht ihm einen Stärkungstrunk, er steht auf.

»Nun bist du wieder auferstanden«, sagt der Prophet, »komm mit uns zur Feier des Liebesmahls der Eingeweihten und erzähle uns deine Reise im Licht des Osiris. Denn du bist jetzt einer der unseren.«“ (Lit.: Schuré, S. 130ff)

Der mystische Weg ins Innere des Menschen

Thot-Hermes

Der Weg der ägyptischen Einweihung führte den Geistesschüler vorbei an dem kleinen Hüter der Schwelle ins eigene Innere des Menschen. Gefahrlos konnte das nur geschehen, wenn der Geistesschüler seinen Astralleib zuvor in hohem Grad geläutert hatte.

"Schon in den ägyptischen Mysterien konnte nur der eingeweiht werden, der seinen ganzen Astralleib durchgearbeitet hatte, so daß der Astralleib vollständig von dem Ich aus geleitet werden konnte. Ein solcher Mensch stand so vor dem Einweihungspriester: er hatte keinen Einfluß auf den physischen Leib und auch keinen auf den Ätherleib; aber sein Astralleib war sein eigenes Geschöpf. Nun wurde ihm gezeigt, wie er auf den Äther- und auf den physischen Leib einwirken kann. Der physische Leib wurde in einen lethargischen Zustand versetzt - drei Tage und drei Nächte mußte er in diesem Zustand bleiben -, und während dieser Zeit war der Ätherleib herausgehoben. Und da der Einzuweihende mächtig geworden war in bezug auf den Astralleib, so konnte er nun die Macht gewinnen, auf den Ätherleib einzuwirken. Was er im Astralischen hatte, konnte er lernen in den Ätherleib hineinwirken zu lassen. Das waren die drei Tage der Grablegung und Auferstehung in einem Ätherleib, der ganz und gar durchsetzt ist von dem, was man den Heiligen Geist nennt. Man nannte einen solchen Eingeweihten einen mit dem Logos, dem «Wort» begabten Menschen. Dieses «Wort» ist nichts anderes als die Weisheit, Manas, das in den Astralleib hineingearbeitet ist. Niemals kann die Weisheit in den Ätherleib kommen, wenn nicht vorher der Astralleib damit durchdrungen ist." (Lit.: GA 093, S. 178)

"In den alten Einweihungen war es so, daß der Astralleib nur die Kraft hatte auf den Ätherleib zu wirken dann, wenn der Ätherleib herausgehoben war aus dem physischen Leibe. Das geschah deswegen, weil in dieser Zeit der Ätherleib, verbunden mit dem physischen Leibe, zu großen Widerstand geleistet hätte, als daß in ihn sich eingeprägt hätte dasjenige, was der Astralleib in sich gebildet hatte. Daher wurde in den alten Einweihungen durch einen Zeitraum von dreieinhalb Tagen der Einzuweihende in einen todähnlichen Zustand versetzt, in dem der physische Leib vom Ätherleib verlassen war, und der Ätherleib, befreit vom physischen Leibe, sich mit dem Astralleib verband. Und dieser prägte nun dem Ätherleibe dasjenige ein, was ihm selbst eingeprägt worden war durch die Übungen. Wenn dann der Hierophant den Einzuweihenden wiedererweckte, dann war dieser ein Erleuchteter, dann wußte er, was in der geistigen Welt vorgeht, denn er hatte während der dreieinhalb Tage einen merkwürdigen Gang getan. Er war durch die Gefilde der geistigen Welt geführt worden, er hatte gesehen, was da vorgeht, er hatte durch die Erfahrung erlebt, was ein anderer Mensch nur durch die Offenbarung erfahren kann. So daß ein solcher, der eingeweiht worden war, aus seinen eigenen Erlebnissen heraus Kunde geben konnte von den Wesen, die in der geistigen Welt, jenseits des physischen Planes waren." (Lit.: GA 106, S. 144f)

Herabstimmung des Ich-Gefühls

"Wenn der Mensch sich dazumal nicht mit seinem ganzen Ich dem Führer unterworfen hätte, dann hatte er niemals diese Wege gehen können, die jetzt beschrieben worden sind, sondern er wäre in sein Inneres hineingestiegen und hätte die allerschlimmsten Seiten seines Inneren kennengelernt. Er hätte das kennengelernt, was er durch sein selbstsüchtiges Ich aus sich gemacht hat." (Lit.: GA 119, S. 147)

"Gerade aus diesem Grunde mußte in der alten Einweihung die Stärke des Ich-Gefühls und des Ich-Bewußtseins ganz herabgestimmt werden, und es mußte das Ich sozusagen übertragen werden auf den geistigen Führer, wie wir es gestern beschrieben haben. Diese Herabstimmung des Ich wurde zunächst so bewirkt, daß durch die Kraft, welche ausging von dem geistigen Führer, das Ich-Bewußtsein des Betreffenden, der da eingeweiht werden sollte, auf ein Drittel der gewöhnlichen Stärke heruntergestimmt wurde. Das ist schon sehr, sehr viel, denn wir können sagen, daß unser Bewußtsein im Schlafzustande, wenn nicht ganz tiefer Schlaf vorhanden ist, ungefähr auf ein Drittel herabgestimmt ist. In den alten ägyptischen Mysterien wurde diese Herabstimmung noch weiter getrieben. Es wurde jenes Drittel des Bewußtseins nochmals auf ein Viertel reduziert, also auf ein Zwölftel des gewöhnlichen Bewußtseins herabgestimmt, so daß der betreffende Mensch zuletzt wirklich in einem todesähnlichen Zustande war. Vollständig ähnlich einem Toten war er für die äußere Beobachtung.

Worauf ich aber hinweisen möchte, das ist, daß diese elf Zwölftel des Bewußtseins nicht etwa ins Nichts verschwanden. Das war durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil, man konnte dann erst durch geistige Wahrnehmung sehen, wie intensiv der menschliche Egoismus ist, denn mit jedem Zwölftel des menschlichen Ich-Bewußtseins kam aus dem Menschen geistig etwas heraus, was ein kräftiges Stück seines Egoismus war. Und so sonderbar es Ihnen klingen mag, es war aber doch so: Um diese aus dem Menschen herausströmenden Egoismen im Zaume zu halten, gleichsam um den Menschen geistig zu halten, wenn er sein Ich heruntergestimmt bekam, waren für den Führer zwölf Gehilfen notwendig. Das ist eines der Geheimnisse der höheren Einweihung des Altertums. Es soll hier nur angeführt werden, um zu zeigen, was der Mensch findet, wenn er in sein Inneres hinuntersteigt. Der Mensch würde, wenn er sich selbst überlassen ohne weiteres in sein Inneres hineingeführt würde, sich in der Tat so gebärden, daß er Eigenschaften bekommen würde, welche zwölfmal schlechter wären als diejenigen, die er im gewöhnlichen Leben hat. Diese Eigenschaften des Menschen, die im gewöhnlichen Leben niedergehalten oder verdeckt werden durch Konvention, durch Sitten, Gewohnheiten oder Gesetze, wurden bei der Einweihung in den alten ägyptischen Mysterien im Zaume gehalten durch die Gehilfen des Hermespriesters." (Lit.: GA 119, S. 151f)

Die ägyptische Naturlehre

Die Erde als Spiegel des Kosmos

"Wenn Sie manche Mysterienszene in einem gewissen Zeitalter der ägyptischen Entwickelung, in dem Zeitalter, in welchem das Mumifizieren der Leichen in besonderer Blüte stand, hätten belauschen können, dann würden Sie das Folgende erfahren haben. Der lehrende Mysterienpriester versuchte seinen Zöglingen zunächst klarzumachen, wie im menschlichen Haupte eigentlich alle Geheimnisse der Welt verborgen liegen. Aber auf eine ganz besondere Art seien sie verborgen, so würde er gesagt haben. Er würde gesagt haben: Schauet die Erde an; so, wie sie der Wohnplatz der Menschen ist, ist sie eigentlich ein Spiegel, ein Reflex des ganzen Kosmos. Sie finden in der Tat alles, was Sie im Kosmos finden, auch in der Erde selbst. Sie brauchen nur auf das Folgende hinzublicken. Sie wissen, wenn wir hinausschauen in die Sternenwelt, so ist der Mond zunächst unser Erdennachbar unter den Himmelsgebilden. Wenn wir uns das als Erde vorstellen, hier den Mond kreisend um die Erde (siehe Zeichnung), so können wir uns die Bahn vorstellen, in der sich der Mond herumbewegt um die Erde, und wir können dann das, was sich zwischen der Erde und der Mondesbahn befindet, etwa mit dieser roten Fläche bezeichnen. Wer nun richtig die Erscheinungen zu deuten versteht, die ihm da entgegentreten, wenn er in die Erde hineingräbt, der muß in der Tat

Die Erde als Spiegel des Kosmos
Die Erde als Spiegel des Kosmos

sich sagen: Das, was da in der Umgebung ist, findet sich abgespiegelt, aber nur verdichtet, in einer äußeren Schicht der Erde selbst.

Gehen wir jetzt zu dem nächsten Planeten, der mit der Erde um die Sonne kreist, so können wir uns schematisch - es ist natürlich hier ungenau - diesen Planeten, die Venus, in ihrer Bahn vorstellen und können das, was in dem Raum auf eine luftförmige, ätherische, feinere Art eingeschlossen ist, wiederum in dieser Weise bezeichnen (gelb), und wir müßten, wenn wir die nächste Schicht der Erde zeichnen, diese Schicht wieder als eine Spiegelung dessen zeichnen, was da draußen ist (gelb). Und so würden wir die ganze Erde bekommen als ein Spiegelbild des Universums, nur daß wir immer das, was draußen in ätherischer Verdünnung, in ätherischer Flüchtigkeit ist, zusammengedrückt, verdichtet finden würden, wenn wir in die Erde hineingraben. Und wenn wir dann zu dem äußersten Umkreis des Weltenalls kämen, so würde dieser äußerste Umkreis des Weltenalls im Mittelpunkte der Erde ganz verdichtet in einem einzigen Punkte sein. Was ich Ihnen jetzt ganz skizzenhaft auseinandergesetzt habe, von dem sprach auch der ägyptische Eingeweihte zu seinen Schülern in der Zeit, die ich jetzt meine. Aber er sagte ihnen: Wenn man wiederum verstehen will, wie das Universum, der Kosmos, und sein Spiegelbild, die Erde, gegenseitig aufeinander wirken, dann schaue man den menschlichen Kopf, das menschliche Haupt an. - Das menschliche Haupt wird in der Tat im Leibe der Mutter gebildet durch das Zusammenwirken des ganzen Universums und der Erde. Aber - so sagte dieser Eingeweihte weiter zu seinen Schülern - durch keine Betrachtung des menschlichen Kopfes kann man das verstehen, was da eigentlich vorliegt, denn das menschliche Haupt enthüllt in sich selber nicht seine Geheimnisse. - [...]

Was der menschliche Kopf tut, das könnt ihr nur dann betrachten - so würde dieser Eingeweihte zu seinen Schülern gesprochen haben - , wenn ihr genau alles das kennt, was im menschlichen physischen Leibe vor sich geht.

Die Ägypter wußten das, aber sie mußten, weil sie nicht mehr die Mittel der alten Zeit hatten, zu andern Mitteln greifen als zum Beispiel die urpersischen oder die urindischen Eingeweihten. Die urindischen Eingeweihten haben ihre Schüler Jogaübungen machen lassen; sie haben sie in einer bestimmten Weise atmen lassen. Dadurch, daß die Schüler den Atmungsvorgang zu einem Sinnesvorgang gemacht haben, haben sie den menschlichen physischen Leib kennengelernt." (Lit.: GA 216, S. 86ff)

Die Kunst der Mumifizierung

Hauptartikel: Mumie

"Nun habe ich Ihnen schon die letzten Male klargemacht, daß diese Art der Hellseherkunst eben in einer bestimmten Epoche des ägyptischen Zeitalters verlorengegangen war, daß die Ägypter zu andern Mitteln greifen mußten. Und so führten die Eingeweihten dieses ägyptischen Zeitalters ihren Schülern die Mumie vor, lehrten sie auch, den menschlichen Organismus zu mumifizieren, und lehrten sie durch diese Anschauung das, was früher auf eine innerliche Weise durch das Verfolgen des Atmungsprozesses gelernt worden war.

Aber ich habe Ihnen auch gesagt, wenn diese ägyptischen Schüler der Eingeweihten auch nicht mehr die geistigen Vorgänge innerlich verfolgen konnten - denn auf die kam es an - , die sich als Taten des Gehirnes am menschlichen Organismus enthüllen, so kamen den alten ägyptischen Eingeweihten, wenn sie mit ihren Schülern sprachen, die geistigen Wesenheiten zu Hilfe, die mit dem Monde, mit der Mondensphäre zusammenhängen. Und diese geistigen Wesenheiten, die eben sonst obdachlos herumgeirrt wären auf Erden, die fanden ihr Obdach, ihr Haus, ihre Wohnung in den Mumien. Die waren es dann, welche man noch beobachten konnte, deren Sprache man sogar noch verstand in diesem Zeitalter der ägyptischen Entwickelung und von denen man die erste Naturwissenschaft lernte, indem man das, was der Jogaschüler noch auf innere Weise durch den kultivierten Atmungsprozeß wahrgenommen hat, so lehrte, daß man sagte: Sieh dir das menschliche Haupt an! Es ist eigentüch in einem fortwährenden Vergehen. - Das menschliche Haupt ist im Grunde genommen in einem fortwährenden Sterben, und in jeder Nacht muß sich der menschliche Organismus bemühen, gegen dieses Sterben des menschlichen Kopfes zu arbeiten. Aber was er während dieses Sterbens zwischen Geburt und Tod ausführt, das ist ein Neubeleben der übrigen Körperorgane, so daß diese, indem sie ihre Kräfte - natürlich nicht ihre Materie, sondern ihre Kräfte - durch die Zwischenzeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in die Zukunft hineinschicken, Haupt werden, Kopf werden in der nächsten Erdenorganisation. Aber - so sagte der Eingeweihte zu seinen Schülern - ihr müßt verstehen, was in den Formen der Organe liegt. - Deshalb suchte man so sorgfältig die Mumie zu bewahren, damit einem an den Formen der Organe der Mumie die eben angeführten Mondengeister erzählen konnten, welches die Geheimnisse dieser Organe sind, wie sie im Zusammenhange stehen mit dem menschlichen Haupte, wie sie in sich die Keimkräfte tragen, um selbst im nächsten Erdenleben Haupt zu werden. Diesen Unterricht gab der ägyptische Eingeweihte seinen Schülern an der Mumie." (Lit.: GA 216, S. 86ff)

Isis und Osiris

Hauptartikel: Isis- und Osiriskult
Die heilige Familie Osiris (Mitte), Isis und Horus.

Eine spätere Form der ägyptischen Mysterien war der Isis- und Osiriskult, der dann vor allem im spätantiken römischen Reich ein weit verbreiteter Mysterienkult war und von den römischen Legionären bis nach Germanien und Britannien getragen wurde.

"Da spricht zum Beispiel die ägyptische Legende von dem Götterpaare Osiris und Isis, und die ägyptische Legende nennt Hermes den weisen Ratgeber des Osiris. In Osiris sieht die Legende ein Wesen, das in grauer Vorzeit auf dem Gebiete gelebt habe, auf dem nunmehr die Menschen leben. Dieser Osiris, der von der Legende dargestellt wird als der Wohltäter der Menschheit, unter dessen weisem Einfluß Hermes oder Thoth den Ägyptern ihre alte Kultur gegeben hat bis in das materielle Wesen dieser Kultur hinein, dieser Osiris hatte einen Feind. Denselben nannte der Grieche dann Typhon. Dieser Feind stellte dem Osiris nach, tötete ihn, zerstückelte den Leichnam, verbarg ihn in einem Sarg und warf ihn ins Meer. Die Schwester und Gattin Isis suchte den Osiris, suchte lange nach dem Gatten, der ihr durch Typhon oder Seth entrissen worden war, und als sie ihn endlich fand, sammelte sie die Stücke, in die ihn Typhon oder Seth zerstückelt hatte, begrub ihn an verschiedenen Orten des Landes, wo dann Tempel errichtet wurden und gebar wie ein nachgeborenes höheres Wesen den Homs, der also erst entstanden war nach dem Tode des Osiris - nur durch einen geistigen Einfluß, der von dem mittlerweile in eine andere Welt gegangenen Osiris auf die Isis übergegangen war. Und Horus ist nun dazu berufen, Typhon zu besiegen und in einer gewissen Weise die Herrschaft jenes Lebens wieder einzuführen, das - von Osiris ausgehend - in die Menschheit einströmen sollte." (Lit.: GA 060, S. 353f)

"... da sagt sich der Mensch: Ich trage ein besseres Selbst in mir, aber durch das, was ich im physischen Leibe bin, tritt zunächst dieses bessere Selbst zurück, wird zunächst nicht ganz offenbar. Mir liegt eine Osiris-, eine Isis-Natur zugrunde, aber die gehört den Ursprungswelten, den alten goldenen, heiligen Zeiten an. Für den gegenwärtigen Menschen ist sie durch die Kräfte überwunden worden, die das äußere Physische zum Menschenleib geballt haben und die Osiris- und Isis-Kräfte in den Leib eingekerkert haben, der verweslich ist und der Zerstörung unterliegt wie die äußeren Naturkräfte.

So sehen wir die Legende von Osiris und Isis in Empfindungen umgesetzt. Osiris, des Menschen höhere Kraft, die im Weltenraume ausgebreitet ist, wird von denjenigen Kräften überwunden, welche der Zerstörung in der Menschennatur unterliegen. Von Typhon wird eingekerkert, was als Osiris-Kraft im Menschen lebt. Typhon hängt sogar sprachlich mit dem Worte «auflösen, verwesen» zusammen. Sie wird eingekerkert in das, was wie ein Sarg des geistigen Menschenteiles geformt wird, in welchem - unsichtbar für die äußere Welt - der Osiris-Teil des Menschen verschwindet. Aber es bleibt als ein Geheimnisvolles für die Vorstellungen des alten Ägypters die Seelennatur darin, die für den Menschen die geheimnisvolle Isis-Natur ist. Sie bleibt, um in der Zukunft - und zwar mit Durchdringung der intellektuellen Kraft - das wieder zu erreichen, aus dem der Mensch hervorgegangen ist. So strebt also etwas in dem Menschen Verborgenes darnach, den Osiris wieder zu beleben. Die Isis-Kraft ist in der menschlichen Seele, um den Menschen aus dem, was er gegenwärtig ist, nach und nach wieder zum Osiris hinzuführen. Und diese Isis-Kraft macht es, daß der Mensch, allerdings nicht, solange er physischer Mensch bleibt, sich von der physisch-sinnlichen Natur absondern kann, aber sie macht es, daß der Mensch, ob er zwar ein äußerer, physischer Mensch bleibt und voll in der äußeren, physischen Welt steht, doch in seinem Inneren immerfort den Aufblick hat zu einem höheren Ich, das nach der Anschauung aller bedeutendsten Geister der Menschheit tief verborgen allen menschlichen Kräften zugrunde liegt. Dieser Mensch, der nicht der äußere, physische Mensch ist, sondern der Mensch, der zum geistigen Licht aufzustreben immerfort den Ansporn hat, immer von den verborgenen Isis-Kräften getrieben wird, ist es, der wie der irdische Sohn des nicht in der irdischen Welt aufgegangenen, sondern in den geistigen Welten verborgen gebliebenen Osiris erscheint. Dieser unsichtbare Mensch, der Mensch des Strebens nach dem höheren Selbst, wurde von der ägyptischen Seele als Horus empfunden, als der nachgeborene Sohn des Osiris." (Lit.: GA 060, S. 359ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.