Erscheinung

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Unter Erscheinung versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch verschiedenen Arten von „Sichtbarem“. Meist wird damit ein (plötzlicher) Auftritt im Sinne einer Veränderung in der betrachteten Szene gemeint, etwa wenn ein Schauspieler im Hintergrund deer Bühne erschein (auftritt) oder ein Zug hinter dem Bergrücken hervorkommt usw.

Religiöse Bedeutung

In der Religion wird das Wort „Erscheinung“ synonym zu „Vision“ im Sinne von Offenbarungen gebraucht. Viele halten solche Erscheinungen für Halluzinationen. Bekanntes Beispiel sind die Marienerscheinungen.

Auch viele Wunder gelten als Erscheinungen.

Eine marxistisch orientierte Interpretation der religiösen Erscheinung sieht Ernst Bloch in der Erscheinung als Vorschein auf eine bessere Welt.

Philosophie

In der Geschichte der Philosophie wird der Begriff „Erscheinung“ von einer Vielzahl von Philosophen gebraucht, oft mit unterschiedlichen Bedeutungen. Er wird oft abgegrenzt gegen ein „Wesen“ oder „Ding an sich“. Er ist aber auch nicht gleichzusetzen mit „Schein“ im Sinne eines falschen, unvollständigen oder irreführenden Bildes.

Der entsprechende Begriff in der griechischen Philosophie ist phainomenon. (Der Begriff Phänomen hat sich entsprechend erhalten.) Ursprünglich nur aufs Sichtbare bezogen, wurde der Begriff auf alles sinnlich Wahrnehmbare ausgeweitet und beschrieb dann alles, was subjektiv in der Anschauung erfahren wird. Schon hier taucht die Unterscheidung zwischen sinnlichen Erscheinungen einerseits und einer „wirklichen“, „wahren“, „objektiven“ Welt dahinter auf. Ihren ersten Höhepunkt erreicht diese Trennung mit Platon, der die sinnlichen Erscheinungen den „Ideen“ klar gegenüberstellt. Bei Platon ist auch eine Wertung zu finden: die Erscheinungen werden den Ideen gegenüber als zweitrangig, minderwertig beschrieben.

„Nur im Höchsten und im Gemeinsten trifft Idee und Erscheinung zusammen; auf allen mittlern Stufen des Betrachtens und Erfahrens trennen sie sich. Das Höchste ist das Anschauen des Verschiednen als identisch; das Gemeinste ist die Tat, das aktive Verbinden des Getrennten zur Identität.“ (Lit.: Goethe: Maximen und Reflexionen[1])

Auch in der Scholastik wird die Erscheinung der Dinge dem wirklichen Sein gegenübergestellt. Hier tritt die Trennung zwischen einer äußeren und inneren Welt hinzu. Erscheinung bezeichnet dann das Sein eines Dinges im Bewusstsein, während die Wirklichkeit außerhalb desselben liegt. Diese Kluft könne nur durch Glauben überwunden werden.

Nach Immanuel Kant gibt es einen Unterschied zwischen dem „Ding an sich“ und dessen „Erscheinung“. "Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung" ( KdrV, Buch I, Erster Teil, §1) Erscheinung ist alles, was mit unseren Sinnen wahrgenommen und mit unseren Kategorien verarbeitet wird. Insofern sind die Erscheinungen den Gesetzen unseres Denkens unterworfen: sie „erscheinen“ in Raum und Zeit, weil wir notwendig in Raum und Zeit denken. Nur diese, unserem Denken unterworfenen Erscheinungen können vom Menschen erfasst werden: das Ding an sich müsse immer unerkannt bleiben. Der Begriff „Erscheinung“ soll hier nicht wertend sein: den Erscheinungen komme durchaus subjektive Wahrheit zu. Als anderes Wort für „Erscheinung“ tritt auch „Vorstellung“ auf.

Die materialistische Dialektik trennt ebenfalls zwischen Erscheinung als Gesamtheit der Eigenschaften und Beziehungen eines Gegenstandes einerseits und dessen „Wesen“ andererseits. Für ihn kann aber auch letzteres erkannt werden. Die Erscheinung enthalte zwar schon wesentliche Merkmale eines Dings, aber auch Unwesentliches. Die Untersuchung müsse das Unwesentliche aussondern und zum Wesentlichen gelangen, was durch dialektisches Denken möglich sei.

Arthur Schopenhauer verbindet die kantische Philosophie mit buddhistischen und altindischen Denkweisen. So gelangt auch er zu einer Möglichkeit, das Wesen hinter der Erscheinung zu erkennen. Das Ding an sich, das Kant für unerkennbar hielt, identifiziert er mit dem „Willen“, den man nicht erkennt, aber innerlich fühlt. Die ganze Welt sei deswegen äußerlich eine „Erscheinung“ und „Vorstellung“, innerlich aber ein blinder, zielloser, irrationaler Wille, der sich in den Erscheinungen, dem „Schleier der Maya“ manifestiere.

Friedrich Nietzsche folgte in seiner frühen Philosophie dem Schopenhauerschen Denken: der Welt zugrunde liege ein tragischer Urschmerz, der sich im Gegensatz von dionysischen Rausch und appolinischer Schönheit äußere. Später lehnte er dieses Denken radikal ab: die Trennung der Welt in eine „wahre“ und eine „scheinbare“ sei verlogen. Es gebe nur die sinnlichen „Erscheinungen“, womit das Wort hinfällig sei; eine weitere, angeblich „wahre“ Welt „dahinter“ sei etwa von Platon, dem Christentum oder Kant nur erfunden worden, um die einzige, nämlich unsere sinnlich wahrnehmbare Welt schlecht zu machen. Ein „Ding an sich“ sei widersinnig, denn nichts könne getrennt von anderem existieren.

Die Phänomenologie bezeichnete mit dem Begriff „Phänomen“ (etwa gleichbedeutend mit Erscheinung) alle Bewusstseinsinhalte. Die Frage, ob es diese auch unabhängig vom Bewusstsein existieren, wird dabei ausgeklammert. Durch phänomenologische Analyse (eidetische Reduktion) könne zu ihrem „Wesen“ vorgedrungen werden. Dieses ist hier also nicht Gegensatz zur Erscheinung, sondern ein zu erkennender Teil des Phänomens.

Literatur

  • Mittelstraß, Jürgen: Erscheinung, in: Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 2. Aufl. [2005], S. 393
  • Pat Cocking: Den Himmel offen sehen. Natürlicher Umgang mit dem Übernatürlichen. Berlin, 2003, ISBN 3-935992-10-6

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Goethe-BA Bd. 18, S. 642


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