Ernest Rutherford

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Ernest Rutherford

Ernest Rutherford, 1. Baron Rutherford of Nelson (* 30. August 1871 in Spring Grove bei Nelson, Neuseeland; † 19. Oktober 1937 in Cambridge, Vereinigtes Königreich), war ein neuseeländischer Physiker. Rutherford gilt als einer der bedeutendsten Experimentalphysiker.

1897 erkannte Rutherford, dass die ionisierende Strahlung von Uran aus mehreren Teilchenarten besteht. 1902 stellte er die Hypothese auf, dass chemische Elemente durch radioaktiven Zerfall in Elemente mit niedrigerer Ordnungszahl übergehen. Er unterschied 1903 die Radioaktivität in Alphastrahlung, Betastrahlung und Gammastrahlung nach ihrem zunehmenden Durchdringungsvermögen[1] und führte den Begriff der Halbwertszeit ein. Diese Arbeit wurde 1908 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Sein bekanntester Beitrag zur Atomphysik ist das Rutherfordsche Atommodell, das er 1911 aus seinen Streuversuchen von Alphateilchen an Goldfolie ableitete. Rutherford erweiterte das Atommodell von Thomson, der von einer gleichmäßigen Masseverteilung ausgegangen war.

Rutherford wies erstmals 1917 experimentell nach, dass durch Bestrahlung mit Alphateilchen ein Atomkern (anhand von Stickstoff) in einen anderen (in seinem Falle in das nächstschwerere Element Sauerstoff) umgewandelt werden kann. Bei diesen Experimenten entdeckte er das Proton. Unter seiner Anleitung „zertrümmerten“ John Cockcroft und Ernest Walton mit künstlich beschleunigten Teilchen einen Atomkern; mit Protonen beschossenes Lithium wandelte sich um in zwei Alphateilchen, also Helium-Kerne. Einem weiteren Wissenschaftler in Cambridge, James Chadwick, gelang es 1932, das Neutron experimentell nachzuweisen, welches Rutherford bereits Jahre vorher theoretisch postuliert hatte.

Leben und Wirken

Herkunft und Ausbildung

Ernest Rutherford war das vierte von zwölf Kindern von James Rutherford (1838–1928) und dessen Frau Martha Thompson (um 1843–1935).[2] Seine Eltern waren im Kindesalter nach Neuseeland immigriert.[3][4] Von Spring Grove zog die Familie 1876 nach Foxhill. Dort besuchte Rutherford ab März 1877 die von Henry Ladley geleitete Primary School. 1883 zog die Familie weiter nach Havelock, wo der Vater am Ruakaka River eine von ihm errichtete Flachsmühle betrieb. Aus wirtschaftlichen Gründen musste die Familie fünf Jahre später noch einmal umziehen, diesmal nach Pungarehu auf der neuseeländischen Nordinsel. Unterstützt durch ein Stipendium des Marlborough Education Boards besuchte Rutherford von 1887 bis 1889 das Nelson College. Dort spielte er unter anderem in der Rugby-Mannschaft und war 1889 Schulsprecher. Sein Interesse für Mathematik und Naturwissenschaften wurde durch seinen Lehrer William Still Littlejohn (1859–1933) gefördert.

Ab Februar 1890 studierte Rutherford am Canterbury College in Christchurch. Dort förderte der Professor für Mathematik und Naturphilosophie Charles Henry Herbert Cook (1843–1910)[5] Rutherfords mathematische Begabung, während der Professor für Chemie Alexander William Bickerton (1842–1929)[6], der ebenfalls Physik unterrichtete, Rutherfords Interesse für die Physik weckte. 1892 bestand Rutherford die Prüfungen für den Bachelor of Arts, 1893 erwarb er den Grad eines Master of Arts und ein Jahr später den Abschluss als Bachelor of Science. Rutherfords erste Forschungsarbeiten beschäftigten sich mit dem Einfluss von hochfrequenten Hertzschen Wellen auf die magnetischen Eigenschaften von Eisen und wurden in den Transactions of the New Zealand Institute veröffentlicht.

Während dieser Zeit wohnte Rutherford im Haus der verwitweten Mary Kate De Renzy Newton, einer Sekretärin der Woman’s Christian Temperance Union. Dort lernte er ihre Tochter kennen, seine spätere Frau Mary „May“ Georgina Newton (1876–1945).

Rutherford bewarb sich 1894 um den neuseeländischen Platz für ein „1851 Exhibition Scholarship“, ein aus den Überschüssen der Great Exhibition von 1851 in London finanziertes Stipendium. Er unterlag mit seiner Bewerbung dem Chemiker James Scott Maclaurin (1864–1939) vom Auckland University College.[7] Als Maclaurin das mit 150 Pfund Sterling dotierte und für einen Studienaufenthalt in Großbritannien gedachte Stipendium nicht annahm, wurde es Rutherford als zweitem Bewerber zugesprochen.

Am 1. August 1895 verließ Rutherford von Wellington aus mit einem Dampfschiff Neuseeland.[8] Bei einem Zwischenaufenthalt führte er William Henry Bragg an der University of Adelaide seinen Detektor für Hertzsche Wellen vor und erhielt von Bragg ein Empfehlungsschreiben.[9] Im Oktober 1895 begann Rutherford seine Tätigkeit am von Joseph John Thomson geleiteten Cavendish-Laboratorium der University of Cambridge. Zunächst beschäftigte er sich mit der Verbesserung der Empfindlichkeit seines Detektors, mit dem er bald Radiowellen in einer Entfernung von etwa einer halben Meile nachweisen konnte.[10] Thomson, der Rutherfords experimentelles Talent schnell erkannte, lud Rutherford zu Beginn des Oster-Semesters 1896 ein, ihn bei seinen Untersuchungen der elektrischen Leitfähigkeit von Gasen zu unterstützen. Sie benutzten die wenige Monate zuvor entdeckten Röntgenstrahlen, um die Leitfähigkeit in den Gasen auszulösen. Rutherford entwickelte die experimentellen Techniken, um die Rekombinationsrate und die Geschwindigkeiten der unter der Einwirkung der Röntgenstrahlen entstehenden Ionen zu messen. In der Folgezeit setzte Rutherford diese Experimente unter Verwendung von Ultraviolettstrahlung fort.

Nach zwei Jahren in Cambridge erhielt Rutherford 1897 den „B. A. Research Degree“. Durch Thomsons Fürsprache wurde ihm 1898 das auf 250 Pfund pro Jahr dotierte Coutts-Trotter-Fellowship des Trinity College zugesprochen, das es Rutherford ermöglichte, ein weiteres Jahr in Cambridge zu verbringen.[11]

Professor in Montreal, Manchester und Cambridge

Das neu errichtete Physikgebäude der McGill-Universität zählte zu den modernsten Forschungseinrichtungen seiner Zeit.
Ernest Rutherfords Labor im Cavendish-Laboratorium, 1926

1898 erhielt Rutherford einen Ruf an die McGill-Universität in Montreal, wo er bis 1907 arbeitete. Danach begann er an der Universität Manchester in England zu lehren, wo er unter anderem mit späteren Nobelpreisträgern wie Niels Bohr und Patrick Blackett arbeitete.

Im Ersten Weltkrieg reiste Rutherford 1917 zusammen mit Henri Abraham und Charles Fabry in die USA, um die Frage der U-Boot-Abwehr zu diskutieren.[12]

1919 ging Rutherford als Professor nach Cambridge, wo er Direktor des Cavendish-Laboratoriums war. 1921 erschien seine Schrift Nuclear Constitution of Atoms (deutsch: Über die Kernstruktur der Atome). Von 1925 bis 1930 war er Präsident der Royal Society.

1933 unterstützte Rutherford William Henry Beveridge bei der Gründung des Academic Assistance Council (AAC, heute Council for Assisting Refugee Academics), dessen erster Präsident er wurde.[13]

1934 gelang ihm mit Mark Oliphant und Paul Harteck die Entdeckung des Tritiums und die erste gezielte Durchführung einer Kernfusionsreaktion.[14]

Rutherfords Asche wurde in der Westminster Abbey in London nahe dem Grab von Isaac Newton beigesetzt.

Rutherford hatte auf junge Experimentalphysiker in England und darüber hinaus zu seiner Zeit einen sehr großen Einfluss. Selbst ein Scherz aus seinem Mund konnte nach P. M. S. Blackett bei ihnen zu einem Dogma werden wie sein Ausspruch Alle Wissenschaft ist entweder Physik oder Briefmarkensammeln (All Science is either Physics or Stamp Collecting), womit auf den Unterschied beschreibender Naturwissenschaften und der die Beobachtungen erklärenden Analyse – für Rutherford letztlich die Physik – angespielt wurde.[15]

Schriften (Auswahl)

Bücher

Englische Originalausgaben

  • Radio-Activity. 1. Auflage, At the University Press, Cambridge 1904 (online); 2. Auflage, 1905 (online).
  • Radioactive Transformations. Archibald Constable & Co., London 1906 (online).
  • Radioactive Substances and Their Radiations. At the University Press, Cambridge 1913 (online).
  • Radiations From Radioactive Substances. University Press, Cambridge 1930 (mit James Chadwick und Charles Drummond Ellis).
  • Artificial Transmutation of the Elements. Being the Thirty-fifth Robert Boyle Lecture. (= Robert Boyle Lecture, Band 35), H. Milford, Oxford University Press 1933
  • The Newer Alchemy. University Press, Cambridge 1937.

Deutsche Übersetzungen

  • Die Radioaktivität. Unter Mitwirkung des Verfassers ergänzte autorisierte Ausgabe von Emil Aschkinass, Julius Springer, Berlin 1907 (online).
  • Radioaktive Umwandlungen. Übersetzt von Max Levin, Friedrich Vieweg und Sohn, Braunschweig 1907 (online).
  • Radioaktive Substanzen und ihre Strahlungen. Übersetzt von Erich Marx, Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig 1913.
  • Über die Kernstruktur der Atome. Baker-Vorlesung. Autorisierte Übersetzung von Else Norst, Hirzel, Leipzig 1921.

Zeitschriftenbeiträge

  • Uranium Radiation and the Electrical Conduction Produced by It. In: Philosophical Magazine. 5. Folge, Band 47, Nummer 284, 1899, S. 109–163 (doi:10.1080/14786449908621245).
  • A Radio-active Substance emitted from Thorium Compounds. In: Philosophical Magazine. 5. Folge, Band 49, Nummer 296, 1900, S. 1–14 (doi:10.1080/14786440009463821).
  • Radioactivity produced in Substances by the Action of Thorium Compounds. In: Philosophical Magazine. 5. Folge, Band 49, Nummer 297, 1900, S. 161–192 (doi:10.1080/14786440009463832).
  • Comparison of the Radiations from Radioactive Substances. In: Philosophical Magazine. 6. Folge, Band 4, Nummer 19, 1902, S. 1–23 (mit Harriet T. Brooks; doi:10.1080/14786440209462814).
  • The Cause and Nature of Radioactivity. – Part I. In: Philosophical Magazine. 6. Folge, Band 4, Nummer 21, 1902, S. 370–396 (mit Frederick Soddy; doi:10.1080/14786440209462856).
  • The Cause and Nature of Radioactivity. – Part II. In: Philosophical Magazine. 6. Folge, Band 4, Nummer 21, 1902, S. 569–585 (mit Frederick Soddy; doi:10.1080/14786440209462881).
  • The Magnetic and Electric Deviation of the Easily Absorbed Rays from Radium. In: Philosophical Magazine. 6. Folge, Band 5, Nummer 25, 1903, S. 177–187 (doi:10.1080/14786440309462912).
  • A Comparative Study of the Radioactivity of Radium and Thorium. In: Philosophical Magazine. 6. Folge, Band 5, Nummer 28, 1903, S. 445–457 (mit Frederick Soddy; doi:10.1080/14786440309462943).
  • Condensation of the Radioactive Emanations. In: Philosophical Magazine. 6. Folge, Band 5, Nummer 29, 1903, S. 561–576 (mit Frederick; doi:10.1080/14786440309462959).
  • Bakerian Lecture. Nuclear Constitution of Atoms. In: Proceedings of the Royal Society of London / A. 97, Nummer 686, 1920, S. 374–400 (doi:10.1098/rspa.1920.0040).

Literatur

  • Edward Andrade: Rutherford and the Nature of the Atom. (= Science Study Series. Nummer 29). Heinemann, 1964.
    • Edward Andrade: Rutherford und das Atom. Der Beginn der neuen Physik. Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Klaus Prost, Desch, München 1965.
  • Lawrence Badash (Hrsg.): Rutherford and Boltwood. Letters on Radioactivity. Yale University Press, New Haven 1969.
  • Lawrence Badash: Rutherford Correspondence Catalogue. American Institute of Physics, New York 1974.
  • John Campbell: Rutherford. Scientist Supreme. AAS Publications, Christchurch 1999, ISBN 0-473-05700-X.
  • John Campbell: Rutherford’s Ancestors. AAS Publications, Christchurch 1996, ISBN 0-473-03858-7.
  • James Chadwick (Hrsg.): The Collected Papers of Lord Rutherford of Nelson. 3 Bände, George Allen and Unwin, London 1962–1965.
  • Arthur Eve: Rutherford. Cambridge University Press, Cambridge 1939.
  • Mark Oliphant: Rutherford. Recollections of the Cambridge Days. Elsevier, Amsterdam 1972, ISBN 0-444-40968-8.
  • Richard Reeves: Force of Nature: The Frontier Genius of Ernest Rutherford. W. W. Norton & Company, 2008, ISBN 978-0-393-33369-5.
  • David Wilson: Rutherford. Simple genius. MIT Press, Cambridge 1983, ISBN 0-262-23115-8.

Weblinks

Commons: Ernest Rutherford - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. Thaddeus J. Trenn: Rutherford on the Alpha-Beta-Gamma Classification of Radioactive Rays. In: Isis Bd. 67 (1976) S. 61ff. doi:10.1086/351545.
  2. John Campbell: Rutherford’s Ancestors. 1996, S. 12.
  3. John Campbell: Rutherford’s Ancestors. 1996, S. 20.
  4. John Campbell: Rutherford’s Ancestors. 1996, S. 39.
  5. W. J. Gardner: Cook, Charles Henry Herbert. In: Dictionary of New Zealand Biography, abgerufen am 4. März 2013.
  6. H. N. Parton: Bickerton, Alexander William. In: Dictionary of New Zealand Biography, abgerufen am 4. März 2013.
  7. Brian R. Davis: Maclaurin, James Scott. In: Dictionary of New Zealand Biography, abgerufen am 4. März 2013.
  8. John Campbell: Rutherford. Scientist Supreme. 1999, S. 192.
  9. Arthur Eve: Rutherford. 1939, S. 13.
  10. Sungook Hong: Wireless: From Marconi's Black Box to the Audion. MIT Press, 2001, ISBN 0-262-08298-5, S. 13–16.
  11. John Campbell: Rutherford. Scientist Supreme. 1999, S. 246.
  12. Johannes-Geert Hagmann: Wie sich die Physik Gehör verschaffte – Die amerikanischen Physiker engagierten sich im Ersten Weltkrieg mit "praktischer" Forschung. Physik Journal 14 (2015) Nr. 11, S. 43–46.
  13. History. cara1933.org, archiviert vom Original am 7. Mai 2015; abgerufen am 4. September 2013 (english).
  14. Marcus Laurence Elwin Oliphant, P. Harteck; Ernest Rutherford. Transmutation Effects observed with Heavy Hydrogen. In: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Series A. Band 144, 1934, S. 692–703 (doi:10.1098/rspa.1934.0077).
  15. P. M. S. Blackett: Fundamentale und weniger fundamentale Wissenschaft, abgedruckt in Robert L. Weber, Eric Mendoza: Kabinett physikalischer Raritäten, Vieweg, 1980, S. 131. Nach Blackett, Memories of Rutherford, in: J. B. Birks (Hrsg.), Rutherford in Manchester, London: Heywood 1962. Weitere Quellen seines bekannten Ausspruchs in Quote Investigator.
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