Eigenbewegungssinn: Unterschied zwischen den Versionen

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Der '''Eigenbewegungssinn''' ist einer der zwölf [[physisch]]en [[Sinne]], von denen [[Rudolf Steiner]] in seiner [[Sinneslehre]] gesprochen hat und ermöglicht die Wahrnehmung der eigenen Körperbewegung. In der Medizin wird diese Wahrnehmung heute als [[Wikipedia:Tiefensensibilität|Tiefensensibilität]] bezeichnet, die zusammen mit dem [[Gleichgewichtssinn]] die '''Propriozeption''' oder '''Propriorezeption''' (von [[Latein|lat.]] ''proprius'' „eigen“ und ''recipere'' „aufnehmen“), die Wahrnehmung der eigenen  Körperbewegung und -lage im Raum ermöglicht.<ref>Buser K., e.a.: ''Kurzlehrbuch medizinische Psychologie- medizinische Soziologie'', Urban&FischerVerlag, 2007, S.93, ISBN 3437432117, [http://books.google.de/books?id=6l7mg2TNNloC&pg=PT108&lpg=PT108&dq=Propriozeption+definition&source=bl&ots=Fk3J-M2-QA&sig=kMLLW2Mt23ClgnHtiWlLqu_qoqE&hl=de&ei=6rHjSa78HdOPsAaamZzkCA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=7]</ref> bezeichnet wird. Der Eigenbewegungssinn ist, zusammen mit dem [[Tastsinn]] und/oder dem [[Sehsinn]], maßgeblich an der [[Wahrnehmung]] äußerer [[Form]]en beteiligt.
Der '''Eigenbewegungssinn''' oder '''Muskelsinn'''<ref>Laut einer Notizbucheintragung von Rudolf Steiner; vgl. [[GA 115]], S. 315</ref> ist einer der zwölf [[physisch]]en [[Sinne]], von denen [[Rudolf Steiner]] in seiner [[Sinneslehre]] gesprochen hat und vermittelt die Wahrnehmung der eigenen Körperbewegung.  


Die Tiefensensibilität umfasst:
== Zusammenhang mit Ätherleib, Lebensgeist und Astralleib ==
 
Die Tätigkeit des Eigenbewegungssinns beruht wesentlich darauf, dass der [[Ätherleib]] von dem [[Lebensgeist]] durchdrungen wird. Dadurch tritt ein Gleichgewicht im ätherischen Leib und dann im [[Physischer Leib|physischen Leib]] ein, das auch ein Gleichgewicht im [[Astralleib]] zur Folge hat. Bei jeder [[Bewegung]] des physischen Leibes fließt in entgegengesetzter Richtung ein astralischer Strom zurück. Im inneren Erleben dieses Vorgangs offenbart sich der Eigenbewegungssinn.
 
{{GZ|Als zweiten Sinn haben
wir den Eigenbewegungssinn angeführt. Hier wirkt im [[Ätherleib]]
des Menschen wiederum etwas, was wir heute auch noch nicht bewußt
besitzen. Und wieder können wir das Gleichnis vom Schwamm gebrauchen.
Der Ätherleib wird nämlich auch hier durchtränkt und
durchsetzt wie ein Schwamm vom Wasser, und was ihn jetzt durchsetzt
und durchzieht, das ist der [[Lebensgeist]] oder die [[Budhi]], welche er
einst entwickeln wird aus sich heraus. Heute freilich ist dies erst gleichsam
vorläufig aus der geistigen Welt uns gegeben. Die Budhi oder der
Lebensgeist wirkt anders als der [[Geistesmensch]]. Er wirkt so, daß ein
Gleichgewicht wie in dem in sich ruhenden Wasser im [[Astralleib|astralischen Leibe]] eintritt. Das Gleichgewicht im Ätherleibe und dann im physischen
Leibe haben zur Folge ein Gleichmaß, ein Gleichgewicht im
astralischen Leibe. Wenn dieses Gleichmaß von außen gestört wird, so
sucht es sich von selber wieder auszugleichen. Führen wir eine Bewegung
aus, so stellt sich das, was ins Ungleiche gekommen ist, wieder ins
Gleichgewicht. Strecken wir zum Beispiel die Hand aus, so fließt ein
astralischer Strom zurück in entgegengesetzter Richtung der ausgestreckten
Hand, und so ist es bei allen Bewegungen in unserem Organismus.
Immer wenn in einer physischen Lage eine Veränderung
geschieht, so bewegt sich im Organismus in entgegengesetzter Richtung
ein astralischer Strom. So ist es beim Augenzwinkern, so ist es
beim Bewegen der Beine. In diesem innerlich erlebten Vorgang eines
Ausgleichs im Astralleib offenbart sich der Eigenbewegungssinn.|115|36f}}
 
== Tiefensensibilität ==
 
In der Medizin wird diese Wahrnehmung heute als '''Tiefensensibilität''' bezeichnet, die zusammen mit dem [[Gleichgewichtssinn]] die '''Propriozeption''' oder '''Propriorezeption''' (von [[Latein|lat.]] ''proprius'' „eigen“ und ''recipere'' „aufnehmen“), die Wahrnehmung der eigenen  Körperbewegung und -lage im Raum, ermöglicht<ref>Buser K., e.a.: ''Kurzlehrbuch medizinische Psychologie- medizinische Soziologie'', Urban&FischerVerlag, 2007, S.93, ISBN 3437432117, [http://books.google.de/books?id=6l7mg2TNNloC&pg=PT108&lpg=PT108&dq=Propriozeption+definition&source=bl&ots=Fk3J-M2-QA&sig=kMLLW2Mt23ClgnHtiWlLqu_qoqE&hl=de&ei=6rHjSa78HdOPsAaamZzkCA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=7]</ref>. '''Propriorezeptoren''' registrieren dazu die [[Muskel]]spannung ([[Wikipedia:Golgi-Sehnenorgan|Golgi-Sehnenorgan]]), den Dehnungsgrad der Muskel bzw. die Muskellänge und deren Veränderungsgeschwindigkeit ([[Wikipedia:Muskelspindel|Muskelspindel]]) sowie die [[Gelenk]]stellung und -bewegung ([[Wikipedia:Ruffini-Körperchen|Ruffini-Körperchen]]); die vorwiegend in der [[Unterhaut]] gelegenen [[Wikipedia:Vater-Pacini-Körperchen|Vater-Pacini-Körperchen]] sind besonders empfänglich für Vibrationsempfindungen.
 
Der Eigenbewegungssinn ist, zusammen mit dem [[Tastsinn]] und/oder dem [[Sehsinn]], maßgeblich an der [[Wahrnehmung]] äußerer [[Form]]en beteiligt.
 
Die '''Tiefensensibilität''' umfasst:
*'''Lagesinn''', der Informationen über die Position des Körpers im Raum und die Stellung der Gelenke und des Kopfes liefert
*'''Lagesinn''', der Informationen über die Position des Körpers im Raum und die Stellung der Gelenke und des Kopfes liefert
*'''Kraftsinn''', der Informationen über den Spannungszustand von Muskeln und Sehnen liefert
*'''Kraftsinn''', der Informationen über den Spannungszustand von Muskeln und Sehnen liefert
*'''Bewegungssinn''' (oder '''Kinästhesie''', von [[Altgriechische Sprache|altgriech.]] ''kinein'' ({{lang|grc|κινειν}}) „sich bewegen“ und ''aísthesis'' ({{lang|grc|αίσθεσις}}) „Wahrnehmung“), durch den eine Bewegungsempfindung und das Erkennen der ''Bewegungsrichtung'' ermöglicht wird.
*'''Bewegungssinn''' (oder '''Kinästhesie''', von [[Altgriechische Sprache|altgriech.]] ''kinein'' ({{lang|grc|κινειν}}) „sich bewegen“ und ''aísthesis'' ({{lang|grc|αίσθεσις}}) „Wahrnehmung“), durch den eine Bewegungsempfindung und das Erkennen der ''Bewegungsrichtung'' ermöglicht wird.
== Die sensorische Aufgabe der sogenannten motorischen Nerven ==
Die sogenannten [[Motorische Nerven|motorischen Nerven]], die laut der feststehenden [[Neurowissenschaften|neurowissenschaftlichen]] These der „Steuerung“ der [[Körperbewegung]]en dienen, haben laut [[Rudolf Steiner]] wie alle anderen [[Nerven]] auch eine ausschließlich [[sensorisch]]e Aufgabe und dienen der mehr oder weniger dumpfen [[Wahrnehmung]] der eigenen [[Bewegung]]en. Damit fallen die „motorischen“ Nerven ebenfalls in den Breich des Eigenbewegungssinns.
{{GZ|Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, ebenso
wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrnehmung
der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Vermittelung
des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall.
Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt
er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des
Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der
Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermittelt
nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem
ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem
tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger
Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und
auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr.
Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven,
die sind bloß dasjenige, was die Äußerungen, den Impuls des Willens
wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher
wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen.|303|209}}
Dass die Nerven dabei durchaus unterschiedliche Leitungsrichtungen ([[Efferenz]]en und [[Afferenz]]en) haben ''müssen'', wird von Rudolf Steiner ausdrücklich betont - doch das hat nichts mit dem vorgeblichen Unterschied sensorischer und motorischer Nerven zu tun.
{{GZ|Vernünftige Naturforscher haben daher schon angenommen,
daß jeder Nerv eine Leitung habe nicht nur von der Peripherie
nach innen oder umgekehrt, sondern immer auch eine Leitung
von der Peripherie nach dem Zentrum, beziehungsweise von
dem Zentrum nach der Peripherie. Ebenso würde dann jeder motorisehe
Nerv zwei Leitungen haben ...|312|57f}}
Hier liegt also durchaus der [[Reflexbogen]] als grundlegendes Modell des [[Nervensystem]]s zugrunde, erfährt aber durch Rudolf Steiner eine völlig andere Deutung als die in den [[Neurowissenschaften]] übliche. Die Unterbrechung im Reflexbogen bedeute keineswegs den Übergang vom sensorischen zum motorischen Nerv, vielmehr sei hier das [[Geist]]ig-[[Seele|Seelische]] des [[Mensch]]en in den [[leben]]digen [[Organismus]] eingeschaltet und bilde den Übergang vom physischen zum geistigen Erleben. Das ist eine fundamentale Erkenntnis der [[Geisteswissenschaft]].
{{GZ|Auf eine Vorstellung habe ich öfters hingewiesen, öffentlich nun
auch in meinem Buch «[[Von Seelenrätseln]]»: Es ist eine gangbare naturwissenschaftliche
Vorstellung heute, daß man im Nervensystem - bleiben
wir zunächst beim Menschen, aber in ähnlicher Weise, nur in ähnlicher
Weise ist das auch beim Tiere gültig -, daß man im Nervensystem
unterscheidet zwischen sogenannten sensitiven Nerven, Sinnesnerven,
Wahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Schematisch kann das
nur so dargestellt werden, daß zum Beispiel irgendein Nerv, sagen wir
ein Tastnerv, die Tastempfindung hineinträgt bis zum Zentralorgan,
sagen wir bis zum Rückenmark (gelb), da mündet dasjenige, was da aus
der Peripherie des Leibes geleitet wird, in einem Horn des Rückenmarks.
Und dann geht von einem andern Horn, Vorderhorn, der sogenannte
motorische Nerv aus, da wird wiederum weitergeleitet der
Willensimpuls (siehe Zeichnung S. 12).
[[Datei:GA179 012.gif|center|400px|Zeichnung aus GA 179, S. 12]]
Beim Gehirn ist das nur komplizierter dargestellt, so etwa, wie wenn
die Nerven eine Art Telegraphendrähte wären. Der Sinneseindruck,
der Hauteindruck wird bis zum Zentralorgan geleitet, dort wird gewissermaßen
der Befehl erteilt, daß eine Bewegung ausgeführt werden
soll. Eine Fliege setzt sich irgendwo auf einen Körperteil, das macht
einen Eindruck, das wird geleitet bis zum Zentralorgan; dort wird der
Befehl gegeben, die Hand bis zu der Stirne zu erheben und die Fliege
wird weggejagt. Es ist eine, schematisch angedeutet, sehr gangbare
Vorstellung. Künftigen Zeiten wird diese Vorstellung außerordentlich
komisch erscheinen, denn sie ist ja nur komisch für denjenigen, der die
Tatsache durchschaut. Aber es ist eine Vorstellung, von der heute ein
großer Teil der fachmännischen und fachmännischesten Wissenschaft
beherrscht ist. Sie können das nächstbeste Elementarbuch, das Sie über
solche Dinge unterrichtet, aufschlagen, und Sie werden finden, man
habe zu unterscheiden zwischen Sinneswahrnehmungsnerven und motorischen
Nerven. Und man wird besonders das urkomische Bild von
den Telegraphenleitungen - wie der Eindruck bis zum Zentralorgan
geleitet und dort der Befehl gegeben wird, daß die Bewegung entstehe -
gerade in populären Werken heute noch immer sehr verbreitet finden
können.
Die Wirklichkeit ist allerdings schwieriger zu durchschauen, als die
an die primitivsten Vorstellungen erinnernden Vergleichsvorstellungen
von den Telegraphendrähten. Die Wirklichkeit kann nur durchschaut
werden, wenn sie eben mit Geisteswissenschaft durchschaut wird. Daß
ein Willensimpuls erfolgt, hat mit einem solchen Vorgange, den man in
kindischer Weise so ausdrückt, als ob da irgendwo in einem materiellen
Zentralorgan ein Befehl erteilt würde, wirklich gar nichts zu tun. Die
Nerven sind nur da, um einer einheitlichen Funktion zu dienen, sowohl
diejenigen Nerven, die man heute sensitive Nerven nennt, wie auch
diejenigen, die man motorische Nerven nennt. Und ob nun im Rückenmark
oder im Gehirn der Nervenstrang durchbrochen ist, beides weist
auf dasselbe hin; im Gehirn ist er nur in komplizierterer Weise durchbrochen.
Diese Durchbrechung ist nicht deshalb da, damit durch die eine
Hälfte, wenn ich so sagen darf, von der Außenwelt etwas zum Zentralorgan
geleitet wird und dann, nachdem sie vom Zentralorgan durch
die andere Hälfte in einen Willen umgewandelt worden ist, weitergeleitet
würde. Diese Unterbrechung ist aus einem ganz andern Grunde
da. Daß unser Nervensystem so gebaut und in dieser regelmäßigen
Weise durchbrochen ist, hat seinen Grund darin: An der Stelle, wo
unsere Nerven durchbrochen sind, da liegt im Abbilde im Menschen -
allerdings nur im körperlichen Abbilde einer komplizierten geistigen
Wirklichkeit — die Grenze zwischen physischem und geistigem Erfahren,
physischem und geistigem Erleben. Sie ist allerdings im Menschen
auf eine merkwürdige Weise enthalten. Sie ist so enthalten, daß
der Mensch mit der ihm zunächstliegenden physischen Welt in eine
solche Beziehung tritt, daß mit dieser Beziehung der Teil des Nervenstranges,
der bis zu jener Unterbrechung geht, etwas zu tun hat. Aber
der Mensch muß auch als seelisches Wesen eine Beziehung haben zu
seinem eigenen physischen Leib. Diese Beziehung, die er zu seinem
eigenen physischen Leib hat, ist durch den andern Teil vermittelt. Wenn
ich eine Hand bewege, dadurch veranlaßt, daß ein äußerer Sinneseindruck
auf mich gemacht worden ist, dann liegt der Impuls, daß diese
Hand bewegt wird, vereinigt von der Seele mit dem Sinneseindruck,
schematisch dargestellt, schon bereits hier (siehe Zeichnung, a). Und
dasjenige, was geleitet wird, wird auf den ganzen sensitiven Nerven
und den sogenannten motorischen Nerven entlang geleitet von a bis
zu b. Das ist nicht so, daß der Sinneseindruck erst bis zu c geht und dann
von da aus einen Befehl gibt, damit b dazu veranlaßt werde - nein,
wenn ein Willensimpuls stattfindet, lebt das Seelische schon befruchtet
bei a und geht durch den ganzen unterbrochenen Nervenweg durch.
Es ist keine Rede davon, daß solche kindischen Vorstellungen, als
ob die Seele da irgendwo säße zwischen den sensitiven und motorischen
Nerven und wie ein Telegraphist die Eindrücke der Außenwelt empfangen
und dann Befehle aussenden würde, es ist keine Rede davon,
daß diese kindischen Vorstellungen irgendeiner auch wie immer gearteten
Wirklichkeit entsprechen würden. Diese kindische Vorstellung,
die wir immer hören, nimmt sich recht sonderbar komisch aus neben
der Forderung, man soll ja in der Naturwissenschaft nicht anthropomorphistisch
sein! Da fordern nun die Leute, man solle ja nicht anthropomorphistisch
sein und merken nicht, wie anthropomorphistisch sie
sind, wenn sie Worte gebrauchen wie: Ein Eindruck wird empfangen,
ein Befehl wird ausgegeben und so weiter. - Sie reden darauf los, ohne
auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie alles für mythologische
Wesen - wenn sie die Worte ernst nehmen würden - hineinträumen in
den menschlichen Organismus.
Nun entsteht aber die Frage: Warum ist der Nervenstrang unterbrochen?
— Er ist unterbrochen aus dem Grunde, weil wir, wenn er
nicht unterbrochen wäre, nicht eingeschaltet wären in den ganzen Vorgang.
Nur dadurch, daß gewissermaßen der Impuls an der Unterbrechungsstelle
überspringt - der gleiche Impuls, wenn es ein Willensimpuls
ist, geht schon von a aus -, dadurch sind wir selbst drinnen in
der Welt, dadurch sind wir bei diesem Impuls dabei. Würde er einheitlich
sein, würde hier nicht eine Unterbrechung sein, so wäre das ganze
ein Naturvorgang, ohne daß wir dabei wären.
Stellen Sie sich denselben Vorgang, den Sie bei einer sogenannten
Reflexbewegung haben, vor: Eine Fliege setzt sich Ihnen irgendwo hin,
der ganze Vorgang kommt Ihnen gar nicht voll zum Bewußtsein, aber
Sie wehren die Fliege ab. Dieser ganze Vorgang hat sein Analogen,
sein ganz gerechtfertigtes Analogen auf physikalischem Gebiete. Insofern
dieser Vorgang physikalische Erklärung herausfordert, muß diese
Erklärung nur etwas komplizierter sein als ein anderer physikalischer
Vorgang. Nehmen Sie an, Sie haben hier einen Kautschukball, Sie
stoßen hinein, Sie deformieren den Kautschukball: das geht wieder
heraus, richtet sich wieder her. Sie stoßen nochmals hinein; er stößt
wieder heraus. Das ist der einfache physikalische Vorgang: eine Reflexbewegung.
[[Datei:GA179 015.gif|center|300px|Zeichnung aus GA 179, S. 15]]
Nur ist kein Wahrnehmungsorgan eingeschaltet, nichts
Geistiges ist eingeschaltet. Schalten Sie hier etwas Geistiges ein (innerer
Kreis) und unterbrechen Sie hier (Zentrum), dann fühlt sich die Kautschukkugel
als ein Eigenwesen. Die Kautschukkugel müßte dann allerdings,
um sowohl die Welt wie sich zu empfinden, ein Nervensystem
einschalten. Aber das Nervensystem ist immer da, um die Welt in sich
zu empfinden, niemals irgendwie da, um auf der einen Seite des Drahtes
eine Sensation zu leiten und auf der andern Seite des Drahtes einen
motorischen Impuls zu leiten.
Ich deute dieses an aus dem Grunde, weil dies, wenn es weiter verfolgt
wird, auf einen der zahlreichen Punkte hinführt, wo Naturwissenschaft
korrigiert werden muß, wenn sie zu Vorstellungen führen soll,
die einigermaßen der Wirklichkeit gewachsen sind. Die Vorstellungen,
die heute herrschen, sind eben weiter nichts als solche Vorstellungen,
die den Impulsen der Geister der Finsternis dienen. Im Menschen selber
ist die Grenze zwischen dem physischen Erleben und dem geistigen
Erleben.
Dieses Stück des Nervs, das ich rot bezeichnet habe, dient im
wesentlichen dazu, um uns hineinzustellen in die physische Welt, um
uns Empfindung zu vermitteln innerhalb der physischen Welt. Das
andere Stück des Nervs, das ich blau bezeichnet habe, dient im wesentlichen
dazu, um uns selbst uns empfinden zu lassen als Leib. Und
es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir eine Farbe außen bewußt
erleben durch den Strang a-c, oder ob wir innerlich ein Organ oder
eine Organlage oder dergleichen erleben durch den Strang d-b; das ist
im wesentlichen dasselbe. Das eine Mal erleben wir ein Physisches, das
nicht in uns zu sein scheint, das andere Mal erleben wir ein Physisches,
das in uns ist, das heißt innerhalb unserer Haut. Dadurch aber sind wir
eingeschaltet, daß wir bei einem Willensvorgang alles das erleben können,
was nicht nur außen ist, sondern auch was innerlich an uns ist.
Aber die Stärke der Wahrnehmung ist verschieden vermittelt durch
den Strang a-c und durch den Strang d-b. Dasjenige, was eintritt, ist
allerdings eine wesentliche Abschwächung der Intensität. Wenn wir
eine Vorstellung mit einem Willensimpuls zusammen formen in a, so
wird dieser Impuls von a aus weitergeleitet. Indem er von c auf d überspringt,
schwächt sich das Ganze so ab für unser Bewußtsein, für unser
bewußtes Erleben, daß wir das weitere, was wir nun in uns erleben, die
Hebung der Hand und so weiter, nur mit der geringen Intensität des
Bewußtseins erleben, die wir sonst auch im Schlafe haben. Wir sehen
das Wollen erst wiederum, wenn die Hand sich bewegt, wenn wir
wieder von einer andern Seite her eine Sensation haben.|179|11ff}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Dietrich Rapp, Hans-Christian Zehnter: ''Die zwölf Sinne in der seelischen Beobachtung  – Eine Exkursion''. Sentovision, Basel 2019, ISBN 978-3037521083
* Robert F. Schmidt, Hans-Georg Schaible: ''Neuro- und Sinnesphysiologie'', 5. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006, ISBN 978-3540257004, eBook ISBN 978-3540294917
* Albert Soesman: ''Die zwölf Sinne. Tore der Seele.'' Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1995; 6. überarb. A. 2007, ISBN 978-3-7725-2161-4
* [[Karsten Massei]]: ''Zwiegespräche mit der Erde: Ein innerer Erfahrungsweg'', Futurum Verlag, 2014 ISBN 978-3856362461
* Johannes Weinzirl (Hrsg.), [[Peter Heusser]] (Hrsg.): ''Bedeutung und Gefährdung der Sinne im digitalen Zeitalter'', Wittener Kolloquium für Humanismus, Medizin und Philosophie, Band 5, Königshausen u. Neumann 2017, ISBN 978-3826059919
* [[Karl Ballmer]]: ''Briefwechsel über die motorischen Nerven'', erweiterte Neuausgabe, Edition LGC 2013, ISBN 978-3-930 964-22-2
* Peter Wyssling: ''Rudolf Steiners Kampf gegen die motorischen Nerven. Das Schicksal einer Weltanschauungsentscheidung in Karl Ballmer und Gerhard Kienle.'' 3., erweiterte und verbesserte Auflage, Edition LGC 2016, ISBN 978-3-930 964-26-0
* [[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
* [[Rudolf Steiner]]: ''Anthroposophie. Ein Fragment aus dem Jahre 1910'', [[GA 45]] (1980) {{Vorträge|45}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie'', [[GA 115]] (1980) {{Vorträge|115}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Weltwesen und Ichheit'', [[GA 169]] (1963), Berlin, 20. Juni 1916 {{Vorträge|169}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte.'', [[GA 170]] (1978) {{Vorträge|170}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Geschichtliche Notwendigkeit und Freiheit. Schicksalseinwirkungen aus der Welt der Toten'', [[GA 179]] (1993), ISBN 3-7274-1790-0 {{Vorträge|179}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. Eine Einführung in die anthroposophische Pädagogik und Didaktik.'', [[GA 303]] (1978), ISBN 3-7274-3031-1 {{Vorträge|303}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Geisteswissenschaft und Medizin'', [[GA 312]] (1999), ISBN 3-7274-3120-2 {{Vorträge|312}}


#Rudolf Steiner: ''Anthroposophie. Ein Fragment aus dem Jahre 1910'', [[GA 45]] (1980)
{{GA}}
#Rudolf Steiner: ''Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie'', [[GA 115]] (1980)
#Rudolf Steiner: ''Weltwesen und Ichheit'', [[GA 169]] (1963), Berlin, 20. Juni 1916
#Rudolf Steiner: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte.'', [[GA 170]] (1978)


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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[[Kategorie:Sinne|105]]
[[Kategorie:Sinne|105]]
[[Kategorie:Bewegungssinn]]
[[Kategorie:Bewegungssinn|!]]
[[Kategorie:Die zwölf Sinne|104]]

Aktuelle Version vom 20. Juni 2022, 14:32 Uhr

Der Eigenbewegungssinn oder Muskelsinn[1] ist einer der zwölf physischen Sinne, von denen Rudolf Steiner in seiner Sinneslehre gesprochen hat und vermittelt die Wahrnehmung der eigenen Körperbewegung.

Zusammenhang mit Ätherleib, Lebensgeist und Astralleib

Die Tätigkeit des Eigenbewegungssinns beruht wesentlich darauf, dass der Ätherleib von dem Lebensgeist durchdrungen wird. Dadurch tritt ein Gleichgewicht im ätherischen Leib und dann im physischen Leib ein, das auch ein Gleichgewicht im Astralleib zur Folge hat. Bei jeder Bewegung des physischen Leibes fließt in entgegengesetzter Richtung ein astralischer Strom zurück. Im inneren Erleben dieses Vorgangs offenbart sich der Eigenbewegungssinn.

„Als zweiten Sinn haben wir den Eigenbewegungssinn angeführt. Hier wirkt im Ätherleib des Menschen wiederum etwas, was wir heute auch noch nicht bewußt besitzen. Und wieder können wir das Gleichnis vom Schwamm gebrauchen. Der Ätherleib wird nämlich auch hier durchtränkt und durchsetzt wie ein Schwamm vom Wasser, und was ihn jetzt durchsetzt und durchzieht, das ist der Lebensgeist oder die Budhi, welche er einst entwickeln wird aus sich heraus. Heute freilich ist dies erst gleichsam vorläufig aus der geistigen Welt uns gegeben. Die Budhi oder der Lebensgeist wirkt anders als der Geistesmensch. Er wirkt so, daß ein Gleichgewicht wie in dem in sich ruhenden Wasser im astralischen Leibe eintritt. Das Gleichgewicht im Ätherleibe und dann im physischen Leibe haben zur Folge ein Gleichmaß, ein Gleichgewicht im astralischen Leibe. Wenn dieses Gleichmaß von außen gestört wird, so sucht es sich von selber wieder auszugleichen. Führen wir eine Bewegung aus, so stellt sich das, was ins Ungleiche gekommen ist, wieder ins Gleichgewicht. Strecken wir zum Beispiel die Hand aus, so fließt ein astralischer Strom zurück in entgegengesetzter Richtung der ausgestreckten Hand, und so ist es bei allen Bewegungen in unserem Organismus. Immer wenn in einer physischen Lage eine Veränderung geschieht, so bewegt sich im Organismus in entgegengesetzter Richtung ein astralischer Strom. So ist es beim Augenzwinkern, so ist es beim Bewegen der Beine. In diesem innerlich erlebten Vorgang eines Ausgleichs im Astralleib offenbart sich der Eigenbewegungssinn.“ (Lit.:GA 115, S. 36f)

Tiefensensibilität

In der Medizin wird diese Wahrnehmung heute als Tiefensensibilität bezeichnet, die zusammen mit dem Gleichgewichtssinn die Propriozeption oder Propriorezeption (von lat. proprius „eigen“ und recipere „aufnehmen“), die Wahrnehmung der eigenen Körperbewegung und -lage im Raum, ermöglicht[2]. Propriorezeptoren registrieren dazu die Muskelspannung (Golgi-Sehnenorgan), den Dehnungsgrad der Muskel bzw. die Muskellänge und deren Veränderungsgeschwindigkeit (Muskelspindel) sowie die Gelenkstellung und -bewegung (Ruffini-Körperchen); die vorwiegend in der Unterhaut gelegenen Vater-Pacini-Körperchen sind besonders empfänglich für Vibrationsempfindungen.

Der Eigenbewegungssinn ist, zusammen mit dem Tastsinn und/oder dem Sehsinn, maßgeblich an der Wahrnehmung äußerer Formen beteiligt.

Die Tiefensensibilität umfasst:

  • Lagesinn, der Informationen über die Position des Körpers im Raum und die Stellung der Gelenke und des Kopfes liefert
  • Kraftsinn, der Informationen über den Spannungszustand von Muskeln und Sehnen liefert
  • Bewegungssinn (oder Kinästhesie, von altgriech. kinein (κινειν) „sich bewegen“ und aísthesis (αίσθεσις) „Wahrnehmung“), durch den eine Bewegungsempfindung und das Erkennen der Bewegungsrichtung ermöglicht wird.

Die sensorische Aufgabe der sogenannten motorischen Nerven

Die sogenannten motorischen Nerven, die laut der feststehenden neurowissenschaftlichen These der „Steuerung“ der Körperbewegungen dienen, haben laut Rudolf Steiner wie alle anderen Nerven auch eine ausschließlich sensorische Aufgabe und dienen der mehr oder weniger dumpfen Wahrnehmung der eigenen Bewegungen. Damit fallen die „motorischen“ Nerven ebenfalls in den Breich des Eigenbewegungssinns.

„Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, ebenso wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrnehmung der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Vermittelung des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall. Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermittelt nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr. Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven, die sind bloß dasjenige, was die Äußerungen, den Impuls des Willens wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen.“ (Lit.:GA 303, S. 209)

Dass die Nerven dabei durchaus unterschiedliche Leitungsrichtungen (Efferenzen und Afferenzen) haben müssen, wird von Rudolf Steiner ausdrücklich betont - doch das hat nichts mit dem vorgeblichen Unterschied sensorischer und motorischer Nerven zu tun.

„Vernünftige Naturforscher haben daher schon angenommen, daß jeder Nerv eine Leitung habe nicht nur von der Peripherie nach innen oder umgekehrt, sondern immer auch eine Leitung von der Peripherie nach dem Zentrum, beziehungsweise von dem Zentrum nach der Peripherie. Ebenso würde dann jeder motorisehe Nerv zwei Leitungen haben ...“ (Lit.:GA 312, S. 57f)

Hier liegt also durchaus der Reflexbogen als grundlegendes Modell des Nervensystems zugrunde, erfährt aber durch Rudolf Steiner eine völlig andere Deutung als die in den Neurowissenschaften übliche. Die Unterbrechung im Reflexbogen bedeute keineswegs den Übergang vom sensorischen zum motorischen Nerv, vielmehr sei hier das Geistig-Seelische des Menschen in den lebendigen Organismus eingeschaltet und bilde den Übergang vom physischen zum geistigen Erleben. Das ist eine fundamentale Erkenntnis der Geisteswissenschaft.

„Auf eine Vorstellung habe ich öfters hingewiesen, öffentlich nun auch in meinem Buch «Von Seelenrätseln»: Es ist eine gangbare naturwissenschaftliche Vorstellung heute, daß man im Nervensystem - bleiben wir zunächst beim Menschen, aber in ähnlicher Weise, nur in ähnlicher Weise ist das auch beim Tiere gültig -, daß man im Nervensystem unterscheidet zwischen sogenannten sensitiven Nerven, Sinnesnerven, Wahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Schematisch kann das nur so dargestellt werden, daß zum Beispiel irgendein Nerv, sagen wir ein Tastnerv, die Tastempfindung hineinträgt bis zum Zentralorgan, sagen wir bis zum Rückenmark (gelb), da mündet dasjenige, was da aus der Peripherie des Leibes geleitet wird, in einem Horn des Rückenmarks. Und dann geht von einem andern Horn, Vorderhorn, der sogenannte motorische Nerv aus, da wird wiederum weitergeleitet der Willensimpuls (siehe Zeichnung S. 12).

Zeichnung aus GA 179, S. 12
Zeichnung aus GA 179, S. 12

Beim Gehirn ist das nur komplizierter dargestellt, so etwa, wie wenn die Nerven eine Art Telegraphendrähte wären. Der Sinneseindruck, der Hauteindruck wird bis zum Zentralorgan geleitet, dort wird gewissermaßen der Befehl erteilt, daß eine Bewegung ausgeführt werden soll. Eine Fliege setzt sich irgendwo auf einen Körperteil, das macht einen Eindruck, das wird geleitet bis zum Zentralorgan; dort wird der Befehl gegeben, die Hand bis zu der Stirne zu erheben und die Fliege wird weggejagt. Es ist eine, schematisch angedeutet, sehr gangbare Vorstellung. Künftigen Zeiten wird diese Vorstellung außerordentlich komisch erscheinen, denn sie ist ja nur komisch für denjenigen, der die Tatsache durchschaut. Aber es ist eine Vorstellung, von der heute ein großer Teil der fachmännischen und fachmännischesten Wissenschaft beherrscht ist. Sie können das nächstbeste Elementarbuch, das Sie über solche Dinge unterrichtet, aufschlagen, und Sie werden finden, man habe zu unterscheiden zwischen Sinneswahrnehmungsnerven und motorischen Nerven. Und man wird besonders das urkomische Bild von den Telegraphenleitungen - wie der Eindruck bis zum Zentralorgan geleitet und dort der Befehl gegeben wird, daß die Bewegung entstehe - gerade in populären Werken heute noch immer sehr verbreitet finden können.

Die Wirklichkeit ist allerdings schwieriger zu durchschauen, als die an die primitivsten Vorstellungen erinnernden Vergleichsvorstellungen von den Telegraphendrähten. Die Wirklichkeit kann nur durchschaut werden, wenn sie eben mit Geisteswissenschaft durchschaut wird. Daß ein Willensimpuls erfolgt, hat mit einem solchen Vorgange, den man in kindischer Weise so ausdrückt, als ob da irgendwo in einem materiellen Zentralorgan ein Befehl erteilt würde, wirklich gar nichts zu tun. Die Nerven sind nur da, um einer einheitlichen Funktion zu dienen, sowohl diejenigen Nerven, die man heute sensitive Nerven nennt, wie auch diejenigen, die man motorische Nerven nennt. Und ob nun im Rückenmark oder im Gehirn der Nervenstrang durchbrochen ist, beides weist auf dasselbe hin; im Gehirn ist er nur in komplizierterer Weise durchbrochen.

Diese Durchbrechung ist nicht deshalb da, damit durch die eine Hälfte, wenn ich so sagen darf, von der Außenwelt etwas zum Zentralorgan geleitet wird und dann, nachdem sie vom Zentralorgan durch die andere Hälfte in einen Willen umgewandelt worden ist, weitergeleitet würde. Diese Unterbrechung ist aus einem ganz andern Grunde da. Daß unser Nervensystem so gebaut und in dieser regelmäßigen Weise durchbrochen ist, hat seinen Grund darin: An der Stelle, wo unsere Nerven durchbrochen sind, da liegt im Abbilde im Menschen - allerdings nur im körperlichen Abbilde einer komplizierten geistigen Wirklichkeit — die Grenze zwischen physischem und geistigem Erfahren, physischem und geistigem Erleben. Sie ist allerdings im Menschen auf eine merkwürdige Weise enthalten. Sie ist so enthalten, daß der Mensch mit der ihm zunächstliegenden physischen Welt in eine solche Beziehung tritt, daß mit dieser Beziehung der Teil des Nervenstranges, der bis zu jener Unterbrechung geht, etwas zu tun hat. Aber der Mensch muß auch als seelisches Wesen eine Beziehung haben zu seinem eigenen physischen Leib. Diese Beziehung, die er zu seinem eigenen physischen Leib hat, ist durch den andern Teil vermittelt. Wenn ich eine Hand bewege, dadurch veranlaßt, daß ein äußerer Sinneseindruck auf mich gemacht worden ist, dann liegt der Impuls, daß diese Hand bewegt wird, vereinigt von der Seele mit dem Sinneseindruck, schematisch dargestellt, schon bereits hier (siehe Zeichnung, a). Und dasjenige, was geleitet wird, wird auf den ganzen sensitiven Nerven und den sogenannten motorischen Nerven entlang geleitet von a bis zu b. Das ist nicht so, daß der Sinneseindruck erst bis zu c geht und dann von da aus einen Befehl gibt, damit b dazu veranlaßt werde - nein, wenn ein Willensimpuls stattfindet, lebt das Seelische schon befruchtet bei a und geht durch den ganzen unterbrochenen Nervenweg durch.

Es ist keine Rede davon, daß solche kindischen Vorstellungen, als ob die Seele da irgendwo säße zwischen den sensitiven und motorischen Nerven und wie ein Telegraphist die Eindrücke der Außenwelt empfangen und dann Befehle aussenden würde, es ist keine Rede davon, daß diese kindischen Vorstellungen irgendeiner auch wie immer gearteten Wirklichkeit entsprechen würden. Diese kindische Vorstellung, die wir immer hören, nimmt sich recht sonderbar komisch aus neben der Forderung, man soll ja in der Naturwissenschaft nicht anthropomorphistisch sein! Da fordern nun die Leute, man solle ja nicht anthropomorphistisch sein und merken nicht, wie anthropomorphistisch sie sind, wenn sie Worte gebrauchen wie: Ein Eindruck wird empfangen, ein Befehl wird ausgegeben und so weiter. - Sie reden darauf los, ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, was sie alles für mythologische Wesen - wenn sie die Worte ernst nehmen würden - hineinträumen in den menschlichen Organismus.

Nun entsteht aber die Frage: Warum ist der Nervenstrang unterbrochen? — Er ist unterbrochen aus dem Grunde, weil wir, wenn er nicht unterbrochen wäre, nicht eingeschaltet wären in den ganzen Vorgang. Nur dadurch, daß gewissermaßen der Impuls an der Unterbrechungsstelle überspringt - der gleiche Impuls, wenn es ein Willensimpuls ist, geht schon von a aus -, dadurch sind wir selbst drinnen in der Welt, dadurch sind wir bei diesem Impuls dabei. Würde er einheitlich sein, würde hier nicht eine Unterbrechung sein, so wäre das ganze ein Naturvorgang, ohne daß wir dabei wären.

Stellen Sie sich denselben Vorgang, den Sie bei einer sogenannten Reflexbewegung haben, vor: Eine Fliege setzt sich Ihnen irgendwo hin, der ganze Vorgang kommt Ihnen gar nicht voll zum Bewußtsein, aber Sie wehren die Fliege ab. Dieser ganze Vorgang hat sein Analogen, sein ganz gerechtfertigtes Analogen auf physikalischem Gebiete. Insofern dieser Vorgang physikalische Erklärung herausfordert, muß diese Erklärung nur etwas komplizierter sein als ein anderer physikalischer Vorgang. Nehmen Sie an, Sie haben hier einen Kautschukball, Sie stoßen hinein, Sie deformieren den Kautschukball: das geht wieder heraus, richtet sich wieder her. Sie stoßen nochmals hinein; er stößt wieder heraus. Das ist der einfache physikalische Vorgang: eine Reflexbewegung.

Zeichnung aus GA 179, S. 15
Zeichnung aus GA 179, S. 15

Nur ist kein Wahrnehmungsorgan eingeschaltet, nichts Geistiges ist eingeschaltet. Schalten Sie hier etwas Geistiges ein (innerer Kreis) und unterbrechen Sie hier (Zentrum), dann fühlt sich die Kautschukkugel als ein Eigenwesen. Die Kautschukkugel müßte dann allerdings, um sowohl die Welt wie sich zu empfinden, ein Nervensystem einschalten. Aber das Nervensystem ist immer da, um die Welt in sich zu empfinden, niemals irgendwie da, um auf der einen Seite des Drahtes eine Sensation zu leiten und auf der andern Seite des Drahtes einen motorischen Impuls zu leiten.

Ich deute dieses an aus dem Grunde, weil dies, wenn es weiter verfolgt wird, auf einen der zahlreichen Punkte hinführt, wo Naturwissenschaft korrigiert werden muß, wenn sie zu Vorstellungen führen soll, die einigermaßen der Wirklichkeit gewachsen sind. Die Vorstellungen, die heute herrschen, sind eben weiter nichts als solche Vorstellungen, die den Impulsen der Geister der Finsternis dienen. Im Menschen selber ist die Grenze zwischen dem physischen Erleben und dem geistigen Erleben.

Dieses Stück des Nervs, das ich rot bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns hineinzustellen in die physische Welt, um uns Empfindung zu vermitteln innerhalb der physischen Welt. Das andere Stück des Nervs, das ich blau bezeichnet habe, dient im wesentlichen dazu, um uns selbst uns empfinden zu lassen als Leib. Und es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir eine Farbe außen bewußt erleben durch den Strang a-c, oder ob wir innerlich ein Organ oder eine Organlage oder dergleichen erleben durch den Strang d-b; das ist im wesentlichen dasselbe. Das eine Mal erleben wir ein Physisches, das nicht in uns zu sein scheint, das andere Mal erleben wir ein Physisches, das in uns ist, das heißt innerhalb unserer Haut. Dadurch aber sind wir eingeschaltet, daß wir bei einem Willensvorgang alles das erleben können, was nicht nur außen ist, sondern auch was innerlich an uns ist. Aber die Stärke der Wahrnehmung ist verschieden vermittelt durch den Strang a-c und durch den Strang d-b. Dasjenige, was eintritt, ist allerdings eine wesentliche Abschwächung der Intensität. Wenn wir eine Vorstellung mit einem Willensimpuls zusammen formen in a, so wird dieser Impuls von a aus weitergeleitet. Indem er von c auf d überspringt, schwächt sich das Ganze so ab für unser Bewußtsein, für unser bewußtes Erleben, daß wir das weitere, was wir nun in uns erleben, die Hebung der Hand und so weiter, nur mit der geringen Intensität des Bewußtseins erleben, die wir sonst auch im Schlafe haben. Wir sehen das Wollen erst wiederum, wenn die Hand sich bewegt, wenn wir wieder von einer andern Seite her eine Sensation haben.“ (Lit.:GA 179, S. 11ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Laut einer Notizbucheintragung von Rudolf Steiner; vgl. GA 115, S. 315
  2. Buser K., e.a.: Kurzlehrbuch medizinische Psychologie- medizinische Soziologie, Urban&FischerVerlag, 2007, S.93, ISBN 3437432117, [1]