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Anamnese
Die Anamnese (von griech. ἀνάμνησις, anámnēsis, „Erinnerung“), die Befragung des Patienten oder allenfalls dritter Personen (Fremdanamnese) durch den Arzt oder Heilkundigen, dient der Diagnose und Therapiefindung. Neben mehr äußeren Faktoren wie Beruf, Lebensweise, Risikofaktoren, Vorerkrankungen, Allergien usw. und nach subjektiv empfundenen Beschwerden, können geeignete Fragen zusammen mit einer aufmerksamen Betrachtung des gesamten Erscheinungsbildes des Patienten auch Anhaltspunkte über das Zusammenspiel der Wesensglieder geben und damit den Weg zu einem tieferen Verständnis der Krankheitsursachen und der Therapiemöglichkeiten eröffnen. Rudolf Steiner gibt dazu u.a. folgende Anregungen:
„Man sollte immer genau ins Auge fassen, wie der betreffende Patient eigentlich gewachsen ist, ob er kurz und gedrungen oder lang und aufgeschossen ist, und es ist von einer großen Bedeutung, schon aus diesem, dem Kurz- und Gedrungensein und dem Lang- und Aufgeschossensein, zu entnehmen, welche Kräfte dasjenige hat, was wir den Ätherleib im Menschen nennen. Es läßt sich — ich habe viel darüber nachgedacht — nicht vermeiden, und Sie werden es wahrscheinlich auch gar nicht wünschen, diese Ausdrücke, die nun schon einmal zur Realität des Menschen gehören, diese Ausdrücke «Ätherleib » und so weiter zu gebrauchen. Man könnte sie ja durch solche, die bei Nichtanthroposophen beliebter sind, ersetzen; allein, das werden wir vielleicht am Schlüsse können. Jetzt wollen wir zur besseren Verständigung daran festhalten, wo es nötig ist, doch solche Ausdrücke zu gebrauchen. Den Ätherleib also in seiner, ich möchte sagen, Intensität des Wirkens kann man daraus beurteilen, wie gewachsen der betreffende Mensch ist. Aber man sollte sich auch womöglich — wie gesagt, ich will alles anführen; es ist nicht immer möglich, alles zu berücksichtigen, da man einfach die Daten nicht bekommt, aber es ist gut, von allem zu wissen — vor allen Dingen erkundigen, ob im Jugendalter der Betreffende langsam oder schnell gewachsen ist, das heißt, ob er lange klein geblieben ist oder ob er in verhältnismäßig jungen Jahren schon hoch aufgeschossen war und später dann mit dem Wachsen zurückgeblieben ist. Alle diese Dinge weisen auf dasjenige hin, was man nennen könnte Verhalten des ätherischen Leibes, also sagen wir der funktionellen Äußerungen des Menschen zu seinem physischen Leibe. Und das muß berücksichtigt werden, wenn man ein Verhältnis erkennen will zwischen dem Menschen und seinen Heilmitteln.
Ferner ist es auch notwendig, das Verhältnis des physischen und des ätherischen Leibes zu den höheren Gliedern der menschlichen Wesenheit zu erkennen, zu dem, was wir den astralischen Leib, also das eigentlich Seelische, und das Ich, das eigentlich Geistige, nennen. Es ist notwendig, daß man das von dem Patienten herausbekommt. So zum Beispiel sollte man nicht vermeiden, die Frage an ihn zu stellen, ob er viel oder wenig Traumleben hat. Wenn ein Patient viel Traumleben hat, so ist das für seine ganze Konstitution außerordentlich bedeutend, denn es bezeugt, daß der astralische Leib und das Ich eine Tendenz haben, eine eigene Tätigkeit zu entfalten, also sich nicht allzu stark und nicht allzu eingehend mit dem physischen Leibe beschäftigen wollen, daß also die eigentlich menschlich-seelischen Biidungskräfte nicht in das Organsystem des Menschen einfließen.
Ferner sollte man sich, wenn das vielleicht auch unbehaglich ist, erkundigen darüber, ob der betreffende Mensch beweglich, fleißig ist oder ob er zur Trägheit neigt. Denn Persönlichkeiten, welche zur Trägheit neigen, haben eine starke innere Beweglichkeit des astralischen Leibes und des Ich. Es kann das paradox erscheinen, aber diese Beweglichkeit wird ja nicht bewußt, sie ist unbewußt. Und daher, weil sie unbewußt ist, ist der betreffende Mensch dann nicht etwa irgendwie im Bewußtsein fleißig, sondern er ist im Ganzen träge. Denn das, was ich hier als das Gegenteil von Trägheit bezeichne, ist die organische Fähigkeit, mit seinem höheren Menschen in den niederen Menschen einzugreifen, also von seinem astralischen Leibe und von seinem Ich aus wirklich die Tätigkeit überzuleiten auf den physischen Leib und den Ätherleib. Und diese Fähigkeit ist beim Trägen eine sehr geringe. Der Träge ist eigentlich, geisteswissenschaftlich genommen, ein schlafender Mensch.
Dann sollte man sich erkundigen darüber, ob der betreffende Mensch kurzsichtig oder weitsichtig ist. Kurzsichtige Menschen sind solche, welche ebenfalls eine gewisse Zurückhaltung ihres Ich und ihres astralischen Leibes haben gegenüber dem physischen Leib, und die Kurzsichtigkeit ist gerade eines der wichtigsten Zeichen dafür, daß man es mit einem Menschen, dessen Geistig-Seelisches nicht in das Leiblich-Physische eingreifen will, zu tun hat.
Dann möchte ich auf etwas hinweisen, was vielleicht einmal ausführbar sein könnte, was außerordentlich wichtig wäre für die Krankenbehandlung und was, wie ich glaube, dann, wenn mehr soziales Gefühl auch in die einzelnen Berufsstände einziehen würde, schon irgendeine praktische Bedeutung gewinnen könnte. Das ist: Es wäre außerordentlich wichtig, wenn Zahnärzte ihre Kenntnis vom Zahnsystem, Verdauungssystem und alledem, was damit zusammenhängt, in der Weise ausnützen würden — natürlich muß man die betreffenden Patienten dafür gewinnen, aber wie gesagt, bei einigem sozialem Gefühle ließe sich das vielleicht erreichen —, daß sie gewissermaßen eine Art Schema ihren Patienten bei jeder Behandlung mitgeben, in dem sie notifizieren, wie sie die Wirksamkeit alles dessen, was mit dem Zahnwuchs zusammenhängt, befunden haben, ob frühe Neigung zu Zahnkaries vorhanden ist und dergleichen, ob die Zahne sich bis in ein späteres Alter gut erhalten. Das ist, wie wir in den nächsten Tagen sehen werden, außerordentlich bedeutsam für die Beurteilung der Gesamtorganisation des Menschen. Und würde der Arzt, der einen einzelnen Krankheitsfall zu behandeln hat, solch eine Signatur, ich möchte sagen, Gesundheitssignatur des Menschen aus dem Zahnbefund bekommen, so würde ihm das ein außerordentlich wichtiger Anhaltspunkt sein können.
Dann wäre es außerordentlich wichtig, bei den Patienten, wenn ich so sagen darf, ihre physischen Sympathien und Antipathien kennenzulernen. Besonders bedeutsam ist es, zu konstatieren, ob irgendein Mensch, den man zu behandeln hat, zum Beispiel gierig ist auf Salz oder gierig ist auf irgend etwas anderes. Man müßte herausbekommen, nach welchen Nahrungsmitteln der Betreffende besonders gierig ist. Ist er gierig auf alles Salzartige, dann hat man es mit einem Menschen zu tun, bei dem eine zu starke Verbindung des Ich und des astralischen Leibes mit dem physischen Leib und dem Ätherleib vorhanden ist, bei dem gewissermaßen eine zu starke Affinität des Geistig-Seelischen mit dem Physisch-Leiblichen vorliegt. Ebenso sprechen für eine solche starke Affinität die durch äußere mechanische Vorgänge, zum Beispiel durch schnelles Drehen des Körpers, hervorgerufenen Schwindelanfalle. Man sollte sich also überzeugen, ob der Mensch leicht Schwindelanfälle bekommt, wenn er mechanische Bewegungen seines Körpers ausführt.
Ferner sollte man sich immer unterrichten, und das ist ja wohl ziemlich allgemein bekannt, über die Störungen der Absonderung, über die gesamte Drüsentätigkeit des Menschen, denn wo Störungen der Absonderungen vorliegen, liegt immer auch eine Störung in dem Zusammenhalt des Ich und astralischen Leibes mit dem Ätherleib und physischen Leib vor.“ (Lit.: GA 312, S. 97ff)
Siehe auch
Literatur
- Rudolf Steiner: Geisteswissenschaft und Medizin, GA 312 (1999), ISBN 3-7274-3120-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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