Bindungsproblem: Unterschied zwischen den Versionen

Aus AnthroWiki
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 3: Zeile 3:
Wenn man etwa einen roten Ball wahrnimmt, der sich von rechts nach links bewegt, so kann man zwar feststellen, dass verschiedene, teils weit voneinander entfernte Gehirnzentren aktiv werden, die auf etwas „Rotes“ reagieren, andere auf etwas „Rundes“ und wieder andere auf etwas, das sich „von rechts nach links bewegt“. Diese Prozesse bleiben völlig unbewusst. Ungeklärt ist, wie daraus der bewusste Gesamteindruck eines „von rechts nach links bewegten roten Balles“ entsteht. Das Bindungsproblem steht damit auch in engem Zusammenhang mit der Frage nach dem [[Neuronales Korrelat des Bewusstseins|neuronalen Korrelat des Bewusstseins]].
Wenn man etwa einen roten Ball wahrnimmt, der sich von rechts nach links bewegt, so kann man zwar feststellen, dass verschiedene, teils weit voneinander entfernte Gehirnzentren aktiv werden, die auf etwas „Rotes“ reagieren, andere auf etwas „Rundes“ und wieder andere auf etwas, das sich „von rechts nach links bewegt“. Diese Prozesse bleiben völlig unbewusst. Ungeklärt ist, wie daraus der bewusste Gesamteindruck eines „von rechts nach links bewegten roten Balles“ entsteht. Das Bindungsproblem steht damit auch in engem Zusammenhang mit der Frage nach dem [[Neuronales Korrelat des Bewusstseins|neuronalen Korrelat des Bewusstseins]].


== Weblinks ==
Das Gehirn ist ein hochgradig verteiltes System, in dem zahlreiche Operationen parallel ausgeführt werden und ein einziges koordinierendes Zentrum fehlt. Einer der Koordinationsmechanismen scheint auf der Synchronisation der neuronaler Aktivität durch selbst erzeugte Netzwerkoszillationen zu beruhen<ref>{{Scholarpedia|Binding by synchrony|[[Wikipedia:Wolf Singer|Wolf Singer]]}}</ref>. Nach theoretischen Vorarbeiten von P. M. Milner<ref>Milner, P. M.: ''A model for visual shape recognition''. Psychological Review. 1974; 81(6), 521-535. </ref> (1974), S. Grossberg<ref>Grossberg, S.: ''Adaptive pattern classification and universal recoding, II: Feedback, expectations, olfaction, and illusions''. Biol. Cybernetics, 187-202.</ref> (1976) und [[Wikipedia:Christoph von der Malsburg|Christoph von der Malsburg]] (1981) gelangen erste experimentelle Bestätigungen im Labor von [[Wikipedia:Wolf Singer|Wolf Singer]]<ref>Gray, C. M. and Singer, W.: ''Stimulus-specific neuronal oscillations in orientation columns of cat visual cortex''. Proc. Natl. Acad. Sci. USA. 1989; 86: 1698-1702.</ref>.


* {{Scholarpedia|Binding by synchrony|[[Wikipedia:Wolf Singer|Wolf Singer]]}}
Ausgehend von der Beobachtung, dass die menschliche [[Kognition|Informationsverarbeitung]] großteils unbewusst abläuft und nur ein Bruchteil der aufgenommenen Informationen tatsächlich ins Bewusstsein gelangt, entwickelte [[Bernard Baars]] in seinem 1986 veröffentlichen Buch ''A cognitive theory of consciousness'' die [[Theorie des globalen Arbeitsraums]] (''Global Workspace Theory''). Demnach zeichnen sich die bewusst gewordenen Informationen dadurch aus, dass sie dem Menschen in einer besonderen Weise zur Verfügung stehen und gezielt mit Gedächtnis- oder Wahrnehmungsinhalten abgeglichen als Grund für motorische oder sprachliche Aktionen dienen können, was bei unbewusst verarbeiteten Informationen nicht der Fall ist. [[Stanislas Dehaene]] hat diesen theoretischen Ansatz aufgegriffen und auf [[Empirie|empirischer]] Basis weiter verfolgt. Er konnte dadurch mehrere neuronale Signaturen bewusster Erlebnisse identifizieren, die sich klar von den neuronalen Korrelaten unbewusster Informationsverarbeitung unterscheiden. Dehaene beschreibt folgende vier verlässliche Signaturen bewussten Erlebens.
 
{{LZ|Obwohl ein
unterschwelliger Reiz tief in den Kortex eindringen kann, wird
diese Gehirnaktivität zunächst erheblich verstärkt, wenn dieser
Reiz die Schwelle der Wahrnehmung überschreitet. Er gelangt
dann in viele zusätzliche Regionen, was zu einer plötzlichen
Zündung parietaler und präfrontaler Schaltkreise führt (Signatur
1). Im Elektroenzephalogramm erscheint bewusster Zugang als
späte, langsame Welle namens P3-Welle (Signatur 2). Dieses
Ereignis tritt erst eine Drittelsekunde nach dem Reiz auf: Unser
Bewusstsein hinkt hinter der Außenwelt her. Verfolgt man die
Gehirnaktivität mit tief ins Gehirn eingepflanzten Elektroden,
können zwei weitere Signaturen beobachtet werden: eine späte
und plötzliche Häufung hochfrequenter Oszillationen (Signatur
3) und eine Synchronisation von Prozessen des
Informationsaustauschs über ferne Gehirnregionen hinweg
(Signatur 4). All diese Ereignisse liefern verlässliche Hinweise
auf bewusste Verarbeitung.|Dehaene, S. 173}}
 
Typisch für das bewusste Erleben scheinen auch weitreichende Rückkopplungsschleifen zu sein.
 
== Literatur ==
 
*Christof Koch, Jorunn Wissmann (Übers.), Monika Niehaus-Osterloh (Übers.): ''Bewusstsein - ein neurobiologisches Rätsel: Mit einem Vorwort von Francis Crick'', Spektrum Akademischer Verlag 2014, ISBN 978-3827431226
* [[Bernard Baars]]: ''A cognitive theory of consciousness'', NY: Cambridge University Press 1988, ISBN 0-521-30133-5, eBook ASIN B005A8CUGO
*[[Stanislas Dehaene]], Helmut Reuter (Übers.): ''Denken: Wie das Gehirn Bewusstsein schafft'', Albrecht Knaus Verlag 2014, ISBN 978-3813504200, eBook ASIN B00KG66INQ
*[[Thomas Metzinger]]: ''Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik'', Piper Taschenbuch 2014, ISBN 978-3492305334, eBook ASIN B00GZL6ZT8
* [[Daniel C. Dennett]]: ''Consciousness Explained'', Little, Brown & Company 1991, ISBN 978-0316180658, eBook ASIN B06XHKQRWV
* David J. Chalmers: ''The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory'', Oxford University Press Inc 1996, ISBN 978-0195105537, eBook ASIN B004SL4KI0
*[[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
 
== Einzelnachweise ==
 
<references />


[[Kategorie:Neurowissenschaften]] [[Kategorie:Philosophie des Geistes]]
[[Kategorie:Neurowissenschaften]] [[Kategorie:Philosophie des Geistes]]

Version vom 29. Mai 2018, 14:21 Uhr

Das Bindungsproblem (eng. binding problem) ist ein zentrales Thema in den Neurowissenschaften und in der Philosophie des Geistes. Es geht dabei um die Frage, durch welche neuronalen Prozesse die Vielzahl der Sinneseindrücke zu einer einheitlichen Wahrnehmung verbunden werden.

Wenn man etwa einen roten Ball wahrnimmt, der sich von rechts nach links bewegt, so kann man zwar feststellen, dass verschiedene, teils weit voneinander entfernte Gehirnzentren aktiv werden, die auf etwas „Rotes“ reagieren, andere auf etwas „Rundes“ und wieder andere auf etwas, das sich „von rechts nach links bewegt“. Diese Prozesse bleiben völlig unbewusst. Ungeklärt ist, wie daraus der bewusste Gesamteindruck eines „von rechts nach links bewegten roten Balles“ entsteht. Das Bindungsproblem steht damit auch in engem Zusammenhang mit der Frage nach dem neuronalen Korrelat des Bewusstseins.

Das Gehirn ist ein hochgradig verteiltes System, in dem zahlreiche Operationen parallel ausgeführt werden und ein einziges koordinierendes Zentrum fehlt. Einer der Koordinationsmechanismen scheint auf der Synchronisation der neuronaler Aktivität durch selbst erzeugte Netzwerkoszillationen zu beruhen[1]. Nach theoretischen Vorarbeiten von P. M. Milner[2] (1974), S. Grossberg[3] (1976) und Christoph von der Malsburg (1981) gelangen erste experimentelle Bestätigungen im Labor von Wolf Singer[4].

Ausgehend von der Beobachtung, dass die menschliche Informationsverarbeitung großteils unbewusst abläuft und nur ein Bruchteil der aufgenommenen Informationen tatsächlich ins Bewusstsein gelangt, entwickelte Bernard Baars in seinem 1986 veröffentlichen Buch A cognitive theory of consciousness die Theorie des globalen Arbeitsraums (Global Workspace Theory). Demnach zeichnen sich die bewusst gewordenen Informationen dadurch aus, dass sie dem Menschen in einer besonderen Weise zur Verfügung stehen und gezielt mit Gedächtnis- oder Wahrnehmungsinhalten abgeglichen als Grund für motorische oder sprachliche Aktionen dienen können, was bei unbewusst verarbeiteten Informationen nicht der Fall ist. Stanislas Dehaene hat diesen theoretischen Ansatz aufgegriffen und auf empirischer Basis weiter verfolgt. Er konnte dadurch mehrere neuronale Signaturen bewusster Erlebnisse identifizieren, die sich klar von den neuronalen Korrelaten unbewusster Informationsverarbeitung unterscheiden. Dehaene beschreibt folgende vier verlässliche Signaturen bewussten Erlebens.

„Obwohl ein unterschwelliger Reiz tief in den Kortex eindringen kann, wird diese Gehirnaktivität zunächst erheblich verstärkt, wenn dieser Reiz die Schwelle der Wahrnehmung überschreitet. Er gelangt dann in viele zusätzliche Regionen, was zu einer plötzlichen Zündung parietaler und präfrontaler Schaltkreise führt (Signatur 1). Im Elektroenzephalogramm erscheint bewusster Zugang als späte, langsame Welle namens P3-Welle (Signatur 2). Dieses Ereignis tritt erst eine Drittelsekunde nach dem Reiz auf: Unser Bewusstsein hinkt hinter der Außenwelt her. Verfolgt man die Gehirnaktivität mit tief ins Gehirn eingepflanzten Elektroden, können zwei weitere Signaturen beobachtet werden: eine späte und plötzliche Häufung hochfrequenter Oszillationen (Signatur 3) und eine Synchronisation von Prozessen des Informationsaustauschs über ferne Gehirnregionen hinweg (Signatur 4). All diese Ereignisse liefern verlässliche Hinweise auf bewusste Verarbeitung.“ (Lit.: Dehaene, S. 173)

Typisch für das bewusste Erleben scheinen auch weitreichende Rückkopplungsschleifen zu sein.

Literatur

  • Christof Koch, Jorunn Wissmann (Übers.), Monika Niehaus-Osterloh (Übers.): Bewusstsein - ein neurobiologisches Rätsel: Mit einem Vorwort von Francis Crick, Spektrum Akademischer Verlag 2014, ISBN 978-3827431226
  • Bernard Baars: A cognitive theory of consciousness, NY: Cambridge University Press 1988, ISBN 0-521-30133-5, eBook ASIN B005A8CUGO
  • Stanislas Dehaene, Helmut Reuter (Übers.): Denken: Wie das Gehirn Bewusstsein schafft, Albrecht Knaus Verlag 2014, ISBN 978-3813504200, eBook ASIN B00KG66INQ
  • Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel: Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik, Piper Taschenbuch 2014, ISBN 978-3492305334, eBook ASIN B00GZL6ZT8
  • Daniel C. Dennett: Consciousness Explained, Little, Brown & Company 1991, ISBN 978-0316180658, eBook ASIN B06XHKQRWV
  • David J. Chalmers: The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory, Oxford University Press Inc 1996, ISBN 978-0195105537, eBook ASIN B004SL4KI0
  • Peter Heusser: Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin, Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686

Einzelnachweise

  1. [Binding by synchrony Wolf Singer]. In: Scholarpedia. (englisch, inkl. Literaturangaben)
  2. Milner, P. M.: A model for visual shape recognition. Psychological Review. 1974; 81(6), 521-535.
  3. Grossberg, S.: Adaptive pattern classification and universal recoding, II: Feedback, expectations, olfaction, and illusions. Biol. Cybernetics, 187-202.
  4. Gray, C. M. and Singer, W.: Stimulus-specific neuronal oscillations in orientation columns of cat visual cortex. Proc. Natl. Acad. Sci. USA. 1989; 86: 1698-1702.