Westliche Welt

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Westliche Welt basierend auf Samuel P. Huntingtons Kampf der Kulturen (1996). Häufig wird dies wegen Einschlusses von beispielsweise Papua-Neuguinea oder Neukaledonien kritisiert.
„Westliche christliche Zivilisation“ (rot) und „östliche christliche Zivilisation“ (braun), laut Samuel P. Huntington. Für Huntington war Lateinamerika ein Teil des Westens bzw. eine mit ihm verbundene Nachkommen-Zivilisation.

Die Begriffe westliche Welt, (der) Westen, westliche Hochkultur oder auch Abendland (Okzident) können je nach Kontext verschiedene Bedeutungen haben. Der Begriff des „Westens“ bzw. des „Abendlandes“ entstand als Gegenüber zum „Morgenland“, das Luther in seiner Bibelübersetzung zuerst gebrauchte, und wurde von Kaspar Hedio 1529 in die deutsche Sprache eingeführt.[1] Während der Begriff ursprünglich die westeuropäische Kultur bezeichnete, wird er heute meistens auf gemeinsame Werte der Nationen in Europa und Nordamerika bezogen, die Bürger- und Menschenrechte garantieren, nach westlichen Werten wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Individualismus und Toleranz leben und die liberale Demokratie praktizieren. Oftmals wird auch der Staat Israel hinzugerechnet.[2] Die Gesellschaftssysteme der westlichen Welt beruhen auf dem Wirtschaftssystem der Marktwirtschaft mit freier Lohnarbeit und sind historisch vom Christentum, später jedoch maßgeblich von der Aufklärung geprägt. Dazu gehören auch die sprachlich und kulturell eng verwandten früheren Kolonien wie Lateinamerika oder Australien, deren ethnische Identität und dominierende Kultur von Europa abgeleitet wurden.

Historische Einteilungen

Um zu definieren, was typisch für die westliche Gesellschaft und Kultur ist, muss man den Kontext verstehen. Die Definitionen von Westen unterscheiden sich je nach Zeit und Kontext. Es ist nicht immer klar, welche Definition benutzt wird.

Hellenisch

Die antiken Griechen übernahmen von den Alten Ägyptern die Unterscheidung in Ordnung und Chaos, machten dies jedoch nicht innerhalb von Reichsgrenzen fest, sondern anhand der Sprache als Gegensatz zwischen Sprecher des Griechischen und den Barbaren. Herodot unterschied die griechischen Poleis und ihre Kolonien von Kreta und besonders dem Alten Ägypten im Süden, den entfernt griechischen Stämmen der Thraker und Makedonen im Norden, unter anderem den Phöniziern im Osten sowie im Westen zahlreiche Völkerschaften, besonders Kelten, jedoch blieb er in seiner Schilderung der Völker im Westen vage.[3] Der Konflikt an der Westgrenze des Perserreiches führte zu einer Frontstellung zwischen der Polis Athen und dem Achämenidenreich. Die Athener betrachteten die Perserkriege des frühen 5. Jahrhunderts v. Chr. nicht als Konflikt zwischen Ost und West, sondern als Konflikt zwischen Demokratie und Despotie.

Römisches Reich

Der Mittelmeerraum wurde von den Römern vereint, aber es blieben Unterschiede zwischen der westlichen Hälfte des Reiches, in der hauptsächlich Latein gesprochen wurde, und der urbanisierten östlichen Hälfte, wo Griechisch die Lingua franca war. Im Jahre 286 teilte der römische Kaiser Diokletian das römische Reich in zwei Regionen auf, von denen jede von einem Augustus und einem Caesar (der Tetrarchie) verwaltet wurden. Die westliche Reichshälfte transformierte sich am Ende des 5. Jahrhunderts zu mehreren germanisch-romanisch Reichen, die die Grundlage für die weitere staatliche Entwicklung Westeuropas wurden. Das heute byzantinisch bezeichnete Kaisertum im Osten hielt sich bis zum Ende des Mittelalters.

Christentum

Im 4. Jahrhundert war das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich geworden. Im Westen überdauerte die kirchliche Organisation vielerorts den Verfall der staatlichen Organisation in der ausgehenden Spätantike und blieb über die Grenzen der frühmittelalterlichen germanischen Nachfolgestaaten hinweg bestehen. Die Führung dieser Westkirche fiel an den Papst (den Patriarchen von Rom), der sich mit der Kaiserkrönung des fränkischen Königs Karl des Großen endgültig der Kontrolle des Kaisers in Konstantinopel entzog. Die Führung der Ostkirche fiel faktisch an den Patriarchen von Konstantinopel, nachdem die anderen Patriarchate wegen der islamischen Expansion an Bedeutung verloren hatten. Beide Kirchen entwickelten sich im Mittelalter getrennt und missionierten den vorher nicht zum römischen Reich gehörenden Norden Europas, und zwar die Westkirche den Nordwesten und die Ostkirche den Nordosten Europas. 1054 kam es mit dem Großen Schisma zum offiziellen Bruch von West- und Ostkirche, und 1204 eroberten fränkische Kreuzritter Konstantinopel während des Vierten Kreuzzugs und vertieften dadurch diesen Gegensatz.

Atlantische Revolutionen

Kalter Krieg

Bipolare Staatenwelt in der Phase des Kalten Krieges mit der westlichen Welt (blau) und dem Ostblock (rot und orange)

Während des Kalten Krieges entstand eine neue Definition. Die Erde wurde in drei „Welten“ aufgeteilt. Zur Ersten Welt, auch Westen genannt, gehörten die NATO-Mitglieder und andere Verbündete der USA. Die „Zweite Welt“ war der Ostblock unter dem Einfluss der Sowjetunion, zu dem auch die Länder des Warschauer Pakts gehörten. Die Dritte Welt bestand aus den blockfreien Staaten, darunter Indien, Jugoslawien und zeitweise China, obwohl die letzten beiden (Jugoslawien und China) wegen ihrer kommunistischen Ideologie in die Zweite Welt einzuordnen sind.

Es gab einige Staaten, die nicht in dieses Schema passten, darunter die Schweiz, Schweden und Irland, die sich für die Neutralität entschieden. Finnland stand unter dem Einfluss der UdSSR, blieb aber neutral und war weder kommunistisch noch Mitglied des Warschauer Paktes oder des Comecon. Als Österreich 1955 eine unabhängige Republik wurde, geschah dies unter der Bedingung, neutral zu bleiben, aber als ein Staat westlich des Eisernen Vorhangs war es unter dem Einfluss der USA. Die Türkei war Mitglied der NATO, wurde aber nicht als Teil der Ersten oder westlichen Welt angesehen. Spanien trat erst 1982, kurz vor dem Ende des Kalten Krieges und nach dem Tod des autoritären Diktators Franco, der NATO bei. Die westliche Welt wurde bis auf die genannten Ausnahmen zum Synonym für die Erste Welt.

Griechenland und Portugal waren wie die Türkei NATO-Mitglieder, wurden aber erst als Teil des Westens anerkannt, nachdem sie die Demokratie eingeführt und während der 1970er Jahre ihre Wirtschaft an die Standards der Ersten Welt angeglichen hatten. Australien und Neuseeland sowie später Israel und Zypern wurden keine NATO-Mitglieder, aber wegen ihrer Demokratie, des hohen Lebensstandards und der europäischen Kultur Teile der Ersten Welt.

Nach dem Kalten Krieg

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde der Begriff „Zweite Welt“ nicht mehr gebraucht und „Erste Welt“ bezog sich nun auf die demokratisch, finanziell und industriell entwickelten Länder, die zum größten Teil mit den USA verbündet waren. Als „Dritte Welt“ bezeichnete man nun die armen, nicht industrialisierten Entwicklungsländer. Der Begriff „westlich“ verlangt demnach also weniger eine geographische als eine kulturelle und ökonomische Definition.

  • Afrikanische Historiker können von westlichen Einflüssen durch europäische Staaten, die im Norden liegen, und dem westlichen Staat Südafrika im äußersten Süden sprechen.
  • Australien und Neuseeland sind englischsprachige, westliche Staaten, die südlich von Ostasien liegen.
  • Internationale Firmen aus den USA können als fremde Einflüsse in Europa betrachtet werden, aber als westlich bezeichnet werden, wenn ihre Präsenz in Asien gesehen (und manchmal kritisiert) wird.
  • Ökonomisch können die in Ostasien gelegenen Staaten Japan, Südkorea, Republik China (Taiwan) und Singapur sowie das Gebiet Hongkong als westlich oder Erste Welt angesehen werden, obwohl sie kulturell nicht-westlich bleiben.
  • Die ehemaligen Ostblock- und blockfreien Staaten in Europa (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien sowie die ehemaligen blockfreien jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien) haben sich durch ihre kulturellen und geschichtlichen Wurzeln sowie durch ihre heutige Außenpolitik den westlichen Ländern durch Beitritte zur NATO und/oder der EU angeschlossen.

Heute unterscheiden sich die Menschen in ihren Definitionen der westlichen Welt und die verschiedenen Definitionen überlappen sich nur teilweise. Es gibt nicht-westliche Industrieländer, nicht alle westlichen Länder sind NATO-Mitglieder usw.

Weitere Definitionen und Kritik am Begriff

„Erste Welt“ und OECD

Da der Begriff „westliche Welt“ keine verbindliche internationale Definition besitzt, benutzen Regierungen für internationale Verträge andere Definitionen.

„Westliche Welt“ ist oft gleichbedeutend mit „Erste Welt“, um den Unterschied zu den Entwicklungsländern der Dritten Welt zu betonen. Der Ausdruck „der Norden“ hat in einigen Kontexten den Begriff „der Westen“ ersetzt, vor allem wenn es um Kritik und eine stärkere Abgrenzung zwischen West und Ost geht. Der Norden liefert einige geographische Hinweise für die Lage reicher Staaten, von denen die meisten in der nördlichen Hemisphäre liegen. Da aber allgemein die meisten Länder in dieser Region liegen, wurde diese Unterscheidung von einigen als unbrauchbar betrachtet.

Die 38 Staaten in der OECD, zu denen 22 der 27 Mitgliedsstaaten der EU, Norwegen, Island, die Schweiz, das Vereinigte Königreich, Kanada, die Vereinigten Staaten, Mexiko, Australien, Neuseeland, die Türkei, Südkorea, Japan, Israel, Chile, Kolumbien und Costa Rica gehören, sind in etwa mit der „Ersten Welt“ identisch.

Die Existenz von „der Norden“ impliziert die Existenz von „der Süden“ und die sozio-ökonomische Grenze zwischen Norden und Süden. Obwohl Zypern, Malta und Taiwan keine OECD-Mitglieder sind, könnten sie auch als westliche oder nördliche Staaten betrachtet werden, da ihre Lebensstandards sowie die sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen denen der OECD ähnlich sind.

Westliche Kultur

In akademischen Artikeln wird der Begriff „westliche Welt“ nur im Kontext von Gebieten und Zeiten benutzt, die unter dem direkten Einfluss des Weströmischen Reiches standen. Der Begriff wird außerdem von den Kritikern des westlichen Einflusses und der Geschichte des Imperialismus und Kolonialismus pejorativ benutzt.

Der „Westen“ kann auch auf die kulturellen und sozialen Bedingungen der westlichen Gesellschaft bezogen werden. In diesem Zusammenhang könnte man weite Teile Südamerikas wegen der Hochkultur und Literatur als Teil des Westens auffassen. Ausgenommen davon sind die hochländischen Regionen der Andengemeinschaft, welche sich eine ausgeprägte indigene Kultur bewahrt haben.

Die ehemaligen Kronländer Österreich-Ungarns (Tschechien, Slowakei, Slowenien, Kroatien und Ungarn) werden ebenfalls zur westlichen Welt gezählt. Diese Staaten wurden sehr stark durch die mitteleuropäische Kultur geprägt. Dies spiegelt sich heute noch im alltäglichen Leben der Gesellschaft und Geschichte dieser Länder wider, obwohl Ungarn, Tschechien und die Slowakei von 1945 bis 1990 Teil des Ostblocks, sowie Slowenien und Kroatien Bestandteil von Jugoslawien, und damit Teil der blockfreien Bewegung waren.

Ethnologische Definitionen beziehen sich auf die westliche Kultur. Der britische Schriftsteller Rudyard Kipling schrieb über diesen Kontrast: „Osten ist Osten und Westen ist Westen, und die beiden sollen sich niemals treffen.“ („East is East and West is West and never the twain shall meet.“) Damit deutete er an, dass jemand aus dem Westen die asiatische Kultur nicht verstehen kann, weil die Unterschiede zu groß sind. Tatsächlich sind zum Beispiel „Freiheit“[4] und die Achtung auch individueller Menschenrechte[5] jedoch keine Ideale, die nur im Westen angestrebt werden.

In Vorder- und Südasien (beide relativ zum westlich gelegenen Europa) ist die Unterscheidung zwischen West- und Osteuropa weniger bedeutend; Länder, die Westeuropäer als Teil von Osteuropa ansehen (z. B. Russland), zählen dort als westlich in dem Sinne, dass sie sowohl europäisch als auch christlich sind.

Siehe auch

Literatur

  • Ralph Bollmann: Lob des Imperiums: Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens. Wjs, Berlin 2006, ISBN 3-937989-21-8.
  • Stuart Hall: Der Westen und der Rest: Diskurs und Macht. In: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Argument Verlag, 1994, S. 137–179.
  • Alfred Schlicht: Die Araber und Europa: 2000 Jahre gemeinsamer Geschichte. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-019906-4.
  • Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. 4 Bände. Beck, München 2009–2015:
  • Heinrich August Winkler: Werte und Mächte. Eine Geschichte der westlichen Welt. Beck, München 2019.

Einzelnachweise

  1.  Paul Kreiner: Kreuzzug der Worte - Das Abendland ist eine Fiktion. In: Der Tagesspiegel Online. 11. Januar 2015, ISSN 1865-2263 (https://www.tagesspiegel.de/kultur/kulturgeschichte-von-orient-und-okzident-kreuzzug-der-worte-das-abendland-ist-eine-fiktion/11209464.html).
  2. Konrad-Adenauer-Stiftung: Kosmopolitisch und eigensinnig. Abgerufen am 12. August 2022.
  3. Reinhold Bichler: Herodots Welt. Der Aufbau der Historie am Bild der fremden Länder und Völker, ihrer Zivilisation und ihrer Geschichte. Gruyter, Berlin 2014, S. 73.
  4. David Kelly (Hrsg.), Anthony Reid (Hrsg.): Asian Freedoms – The Idea of Freedom in East and Southeast Asia. Cambridge Univ. Press, Cambridge 1998, ISBN 0-521-62035-X, ISBN 0-521-63757-0.
  5. Gregor Paul, Caroline Y. Robertson-Wensauer (Hrsg.): Traditionelle chinesische Kultur und Menschenrechtsfrage. 2. Aufl., Nomos, Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5482-8 (Schriften des Instituts für Angewandte Kulturwissenschaft der Universität Karlsruhe (TH), 3, Nomos-Universitätsschriften: Kulturwissenschaft).
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