Stamm (Biologie)

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Hierarchie der taxo­no­mischen Stufen (ohne Zwischen­stufen)

Der Stamm ist in der biologischen Systematik eine hierarchische Rangstufe der Taxonomie. Ein Stamm in diesem Sinne wird auch Phylum genannt. Bei Eukaryoten (Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern haben) ist jeder Stamm einem Reich untergeordnet. Dagegen werden Prokaryoten (Bakterien und Archaeen) nicht in Reiche aufgeteilt, sondern unmittelbar in Stämme.

Bei den Prokaryoten wird „Stamm“ auch in einer abweichenden, nicht-taxonomischen Bedeutung verwendet, da auch verschiedene Abstammungslinien innerhalb einer Art als Stämme bezeichnet werden.

Stamm als taxonomische Rangstufe bei Eukaryoten

In der Domäne der Eukaryoten (Eukaryota) liegt der Stamm als hierarchische Stufe zwischen Reich und Klasse. Jedes beschriebene Lebewesen soll einem Stamm zugeordnet werden, der Stamm gehört also zu den kategorischen Rangstufen. Er wird manchmal weiter aufgeteilt in Unterstämme (Subphyla, Einzahl: Subphylum). Beispiel: Die Wirbeltiere sind ein Unterstamm im Stamm der Chordatiere. Mehrere Stämme werden in manchen Fällen zu einem Überstamm oder Superphylum zusammengefasst.

Botanik

In der Botanik und der Mykologie wird neben dem Stamm auch das Synonym Abteilung (divisio) zugelassen. Die Namensendung ist in der Botanik und der Mykologie standardisiert, die Namen enden in der Botanik auf -phyta, in der Mykologie auf -mycota. Traditionell werden neun Stämme der Algen, acht der höheren Pflanzen (Embryophyta) und vier der Pilze unterschieden, diese Einteilung ist nach neueren Erkenntnissen zu großen Teilen überholt, wird aber vielfach weiter verwendet.

Zoologie

Der Begründer der modernen Taxonomie, Carl von Linné, unterteilte das Reich (regnum) der Tiere (Animalia) hierarchisch in Klassen (classis), Ordnungen (ordo), Gattungen (genus) und Arten (species). Der französische Anatom und Naturforscher Georges Cuvier sah im Tierreich vier höchstrangige Abteilungen vor, die er embranchements nannte und die etwa Linnés Klassen entsprechen: Vertébrés (Wirbeltiere), Mollusques (Weichtiere), Articulés (Gliedertiere) und Radiaires („Strahlentiere“); erst darunter folgen bei Cuvier die classes.

Der Begriff Stamm (phylum) als höchste Rangstufe und seine Bezeichnung wurde zuerst von dem deutschen Zoologen Ernst Haeckel eingeführt.[1] Haeckel nennt fünf Stämme: Coelenteraten, Echinodermen, Articulaten, Mollusken, Vertebraten. Die Schwämme (Spongiae) wurden von ihm erkannt, aber nicht dem Tierreich, sondern den Protisten zugerechnet. Für Haeckel waren Stämme grundlegend verschiedene Organisationstypen, die jeweils auf eine gemeinsame Stammart zurückgeführt werden können.

Durch die Erkenntnisfortschritte in der Zoologie werden gegenwärtig etwa dreißig Stämme unterschieden (vgl. Systematik der Vielzelligen Tiere), die Anzahl ist je nach wissenschaftlicher Auffassung aber etwas verschieden.[2] Schwierig ist die Einteilung der Protisten. Traditionell als ein einziger Stamm aufgefasst, werden sie gegenwärtig in eine Vielzahl Stämme gegliedert. Beispielsweise unterschied Thomas Cavalier-Smith 18 Stämme von Protisten und fasste sie als Reich unter der Bezeichnung Protozoa zusammen.[3]

In der Wissenschaft sind gegenwärtig nebeneinander zwei Klassifikationsschemata in Gebrauch. Neben die klassische, auf Linné zurückgehende Systematik ist die von Willi Hennig begründete phylogenetische Systematik oder Kladistik getreten. Im phylogenetischen System sollen alle Einheiten auf Abstammungsgemeinschaft beruhen und alle Nachfahren einer gemeinsamen Stammart umfassen (holophyletische Einheiten). Durch die aufeinander folgenden Aufspaltungen ergibt sich eine Baumstruktur. Gruppierungen, die auch auf eine gemeinsame Stammart zurückgehen (also monophyletisch sind), aber nicht alle deren Nachkommen umfassen, werden von ihm paraphyletisch genannt. Paraphyletische Einheiten sind in der klassischen Systematik, nicht aber in der phylogenetischen Systematik erlaubt. Durch diese Reform ist der Aspekt der gemeinsamen Gestalt und Organisation, der dem klassischen Begriff des Phylums zugrunde lag, in den Hintergrund getreten. Die meisten der morphologisch begründeten Stämme erwiesen sich zwar als holophyletisch. Aber: Der gemeinsame Bauplan ist nach diesem System für die systematische Einteilung nicht mehr grundlegend, entsprechend definierte Einheiten müssen aufgegeben werden, wenn sie nicht holophyletisch sind, auch wenn die so zusammengefassten Taxa durch ihren gemeinsamen Bauplan gut als zusammengehörig erkennbar wären.

Generell werden die klassischen Tierstämme im phylogenetischen System als Organisationseinheiten meist weiterverwendet, sie entsprechen aber nicht mehr wie im klassischen System einem bestimmten, definierten Rang, müssen also auch nicht zwingend gleichrangig sein. Einige Systematiker ziehen daraus den Schluss, dass Stämme, wie alle anderen Rangstufen der klassischen Systematik, rein willkürliche Einheiten seien, die zugunsten eines reinen Schwestergruppen-Verhältnisses aufgegeben werden sollten.[4][5] Die meisten Systematiker verwenden allerdings Stämme, wie auch die anderen Ränge der klassischen Systematik, weiter. Daraus ergibt sich kein Widerspruch zur phylogenetischen Systematik, sofern man die (nicht notwendige) Bedingung fallenlässt, das die Schwestergruppen zwingend gleichrangig sein müssen. Die Weiterverwendung besitzt den Vorteil, dass mit einer abgekürzten Notation weitaus mehr Informationen weitergegeben werden können als bei dem völlig unaunschaulichen rein auf Schwestergruppen aufgebautem System mit seiner endlosen Abfolge von Zwischengruppen. Außerdem werden Vergleiche, zum Beispiel der Artenzahlen, erleichtert.[6]

Diese Verwendung des Begriffs soll allerdings nur die Kommunikation über die Organismen erleichtern. Wenn nachgewiesen werden kann, dass eine Artengruppe, die bisher als Stamm aufgefasst wurde, eine Untergruppe eines anderen als Stamm aufgefassten Taxons bildet, wird aufgehört, diese als Stamm zu bezeichnen, um Missverständnisse zu vermeiden. Ein jüngeres Beispiel sind die Bartwürmer: Früher galten sie als Stamm Pogonophora, nun als die Familie Siboglinidae im Stamm der Ringelwürmer (Annelida).

Als Stamm oder Phylum wird gegenwärtig gewöhnlich eine Gruppe von Organismen mit ähnlicher Gestalt bzw. ähnlichem „Bauplan“ zusammengefasst, wenn dieser so unähnlich zu demjenigen der Angehörigen anderer Stämme ist, dass nicht beide auf ein ihnen gemeinsames Grundmuster zusammengeführt werden können.[7][8] Die heutigen Stämme lassen sich mit wenigen Ausnahmen anhand von Fossilfunden bis ins Kambrium zurückverfolgen.

Taxa im Rang eines Stammes (und alle anderen Taxa oberhalb der Überfamilie) unterliegen nicht den Regeln des ICZN. Das bedeutet, dass die im Code festgeschriebenen Regeln auf die Namen von Stämmen nicht angewendet werden müssen. Das betrifft insbesondere die Regeln zur Validität (Verfügbarkeit) von Namen und das Prinzip der Priorität, nach dem der zuerst vorgeschlagene/älteste Name verwendet werden soll, wenn mehrere Namen für dieselbe Gruppe verfügbar sind. Namen von Stämmen werden deshalb mehr oder weniger durch den Konsens der beteiligten Fachleute festgeschrieben, die einen bestimmten Namen verwenden – oder eben nicht. In der Praxis achten die meisten Wissenschaftler auch bei den Stämmen die Priorität und verwenden die traditionellen Namen auch dann, wenn sie die beteiligten Taxa etwas umdefinieren, z. B. Taxa aus ihnen herausgliedern oder andere hinzufügen. Abweichungen kommen vor allem bei Anhängern des PhyloCode vor. Dieses neu vorgeschlagene Regelwerk wird aber von den meisten Wissenschaftlern ignoriert.

Stamm als taxonomische Rangstufe bei Prokaryoten

Bei den Domänen Bakterien (Bacteria) und Archaeen (Archaea) liegt die Rangstufe Stamm (Phylum) direkt unter der der Domäne, diese beiden Domänen werden also in Stämme (Phyla) unterteilt. Die Anzahl der Stämme ist im Fluss und innerhalb der Wissenschaft umstritten; in den vergangenen Jahren hat sich ihre Anzahl merklich erhöht. Gegenwärtig wird von mindestens 35 Bakterienstämmen und 18 Stämmen der Archaeen ausgegangen.[9]

Stämme innerhalb einer prokaryotischen Art und bei Viren

Keine taxonomische Rangstufe sind die als Stämme (engl.: strains) bezeichneten Abstammungslinien von Prokaryoten und Viren. Diese Kulturstämme (Reinkultur) werden unter anderem als nomenklatorischer Typus zur Definition von Arten und Unterarten (Typstamm) sowie in der Biotechnik eingesetzt. Ein Stamm in diesem Sinn besteht aus einem Klon, da es sich um eine durch ungeschlechtliche Vermehrung erzeugte Population handelt.

Ein Beispiel für einen Stamm in diesem Sinn ist der Bakterienstamm Rhodococcus jostii RHA1 innerhalb der Bakterienart Rhodococcus jostii. Diese Art wird in der Systematik der Bakterien wie folgt eingeordnet:

Das heißt, innerhalb der Art Rhodococcus jostii gibt es den „Stamm“ Rhodococcus jostii RHA1; die Art Rhodococcus jostii gehört ihrerseits zum „Stamm“ (zur Abteilung) der Actinobakterien. Das Beispiel verdeutlicht die Zweideutigkeit des Begriffs Stamm beziehungsweise Bakterienstamm. Zur Bezeichnung des Rangs direkt unterhalb der Domäne kann man bei Bakterien auf mehrere Synonyme ausweichen: lateinisch Phylum oder auch gleichbedeutend Abteilung (lateinisch Divisio).

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Ernst Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen: allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformirte Descendenz-Theorie. G. Reimer Verlag, Berlin 1866, S. 408: Die Stämme des Thierreichs.
  2. Zum Beispiel Zhi-Qiang Zhang (2011): Animal biodiversity: An outline of higher-level classification and survey of taxonomic richness. Zootaxa 3148, S. 9–11.
  3. T. Cavalier-Smith: Kingdom Protozoa and Its 18 Phyla. In: Microbiological Reviews. Vol. 57, No. 4, 1993, S. 953–994.
  4. Peter Ax: Das Phylogenetische System. Systematisierung der lebenden Natur aufgrund ihrer Phylogenesee. Gustav Fischer Verlag, 1984. ISBN 978 3 4373 0450 7.
  5. Markus Lambertz, Steven F. Perry (2015): Chordate phylogeny and the meaning of categorial ranks in modern evolutionary biology. Proceedings of the Royal Society B 282, 1807. doi:10.1098/rspb.2014.2327
  6. Gonzalo Giribet, Gustavo Hormiga, Gregory D. Edgecombe (2016): The meaning of categorical ranks in evolutionary biology. Organisms Diversity & Evolution 16(3): 613-639. doi:10.1007/s13127-016-0263-9
  7. James W. Valentine: On the Origin of Phyla. University of Chicago Press, Chicago 2004. ISBN 978-0-226-84549-4
  8. André Adoutte, Guillaume Balavoine, Nicolas Lartillot, Renaud de Rosa: Animal evolution: the end of the intermediate taxa?. In: Trends in Genetics. Volume 15, Issue 3, 1999, S. 104–108.
  9. Philip Hugenholtz (2002): Exploring prokaryotic diversity in the genomic era. Genome Biology Vol. 3, No. 2 (online).


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