Herzdenken

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Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das
Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz [1]

Das Herzdenken ist eine Fähigkeit, über die die Menschen in früheren Zeiten auf unbewusste Art verfügten. Das „Sehen mit dem Herzen“ war mit einem sicheren Wahrheitsgefühl verbunden, das zwar noch nicht in klare, bewusste Konturen gefasst werden konnte, aber doch gewisse Einblicke in die höheren, geistigen Welten ermöglichte. Selbst Aristoteles hat noch das Herz als das Zentralorgan des Denkens angesehen. Er hat aber zugleich mit seiner Logik die sichere Basis für das Verstandesdenken gelegt, das nicht mehr im Herzen, sondern im Kopf zentriert ist. Diese Art des Denkens hat seine Blüte in unserem heutigen Intellekt, der aber zunächst nur die sinnlichen Tatsachen erfassen und in ihrer logischen Ordnung durchschauen kann, und zwar mit vollem, wachen Ich-Bewusstsein. In Zukunft wird sich eine neue Art des Herzdenkens entwickeln, das mit dem vollwachen Ich-Bewusstsein vereinbar ist, und so auf ganz bewusste und besonnene Weise den Einblick in rein geistige Zusammenhänge erlaubt. Es wird sich wesentlich von unserem gegenwärtigen Verstand unterscheiden, indem es kein diskursives, ableitendes Denken ist, sondern die Wahrheit mit einem Blick überschaut.

Das neue Herzdenken, das sich nicht auf das physische, sondern auf das von diesem mittlerweile weitgehend losgelöste Ätherherz stützt, entfaltet sich nicht in einer Kette logisch aneinander gefügter Begriffe, sondern in innerlich erlebten seelischen Sinnbildern, in von Inspirationen durchklungenen Imaginationen, die mit einem Schlag die geistigen Zusammenhänge offenbaren. Paulus spricht in seinem Brief an die Epheser von den «erleuchtete[n] Augen des Herzens» (Eph 1,18 LUT). Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Herzensbildung. Sie äußert sich zivilisatorisch idealerweise in einer Herzenskultur.

„Es ist gewiß wertvoll, wenn der Mensch auch ein Herz hat und nicht bloß Gedanken. Aber das Wertvollste ist, wenn die Gedanken ein Herz haben. Das haben wir jedoch ganz verloren.“ (Lit.:GA 217, S. 21)

Das volle Entfaltung des Herzdenkens erfordert die regelmäßige Ausbildung und Aktivierung des Herzchakras, der 12-blättrigen Lotosblume, die in unmittelbarer Nähe des Herzens als seelisches Organ tätig ist. Sie ist der hauptsächliche Intuitionssinn, durch den unter anderem der Rückblick in frühere Inkarnationen möglich wird. Ausgebildet und aktiviert wird das Herzchakra vor allem durch die von Rudolf Steiner gegebenen sechs Nebenübungen - die keinesfalls nebensächlich, sondern essentiell für jede moderne Geistesschulung sind und stets die meditativen Hauptübungen begleiten müssen.

Die Herzen beginnen, Gedanken zu haben

ansehen im RUDOLF STEINER VERLAG

Der Erzengel Michael hängt eng mit der Entwicklung des Denkens zusammen. Er ist der Verwalter der kosmischen Intelligenz. Seine wesentliche Aufgabe liegt darin, diese kosmische Intelligenz in Form des Denkens dem Menschen zugänglich zu machen. Im letzten Michaelzeitalter vor der Zeitenwende, das etwa vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis 200 v. Chr. währte, leitete er den Übergang von der Mythologie zur Philosophie ein. Er begründete damit das Verstandesdenken, das Kopfdenken, das zugleich die Grundlage für das Ich-Bewusstsein des Menschen schuf. Darin lebt aber ein luziferisches Element - der luziferische Drache, den Michael auf die Erde herabgestoßen hat in die Häupter der Menschen.

„Diejenige geistige Macht, welche - nachdem die Menschheitsentwickelung durchgegangen war durch Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung und die Erdenentwickelung begonnen hatte - das luziferische Wesen in die menschliche Hauptesbildung einorganisiert hat, das ist die Michael-Macht. «Und er stieß seine gegnerischen Geister herunter auf die Erde», das heißt: Durch dieses Herunterwerfen der dem Michael gegnerischen luziferischen Geister wurde der Mensch zunächst durchdrungen mit seiner Vernunft, mit dem, was dem menschlichen Haupte entsprießt.

So ist es Michael, der seine Gegner dem Menschen gesandt hat, damit der Mensch durch die Aufnahme dieses gegnerischen, dieses luziferischen Elementes zunächst seine Vernunft erhalten hat.“ (Lit.:GA 194, S. 40f)

Durch das Verstandesdenken stellen wir uns der Welt gegenüber, wir trennen und von ihr, und stärken dadurch unser Selbstbewusstsein, das aber zunächst ganz auf das Ego gerichtet ist. Das Herzdenken verbindet uns hingegen innig mit der Weltgesetzlichkeit, in der auch unser wahres Ich lebt.

„In der Zukunft wird der Mensch in einem viel intimeren Zusammenhange mit der Weltgesetzlichkeit stehen als gegenwärtig. Und der Geheimschüler nimmt diese Intimität in der Entwickelung voraus. Der Kopf mit dem Gehirn ist nur ein Übergangsorgan der Erkenntnis. Das Organ, welches die eigentlich tiefen und zugleich machtvollen Blicke in die Welt tun wird hat seine Anlage in dem gegenwärtigen Herzen. Aber wohlgemerkt: die Anlage zu diesem Organ ist im heutigen Herzen. Um Erkenntnisorgan zu werden, muß sich das Herz noch in der mannigfaltigsten Weise umbilden. Aber dieses Herz ist der Quell und Born zur Menschheitsstufe der Zukunft. Die Erkenntnis wird dann, wenn das Herz ihr Organ sein wird, warm und innig sein, wie heute nur die Gefühle der Liebe und des Mitleids sind. Aber diese Gefühle werden aus der Dumpfheit und Dunkelheit, in der sie heute nur tasten, sich zu der Helligkeit und Klarheit hindurchringen, welche heute erst die feinsten, logischen Begriffe des Kopfes haben.“ (Lit.:GA 266a, S. 100)

„Indem sich der Mensch als freies Wesen in Michaels Nähe fühlt, ist er auf dem Wege, die Kraft der Intellektualität in seinen «ganzen Menschen» zu tragen; er denkt zwar mit dem Kopfe, aber das Herz fühlt des Denkens Hell oder Dunkel; der Wille strahlt des Menschen Wesen aus, indem er die Gedanken als Absichten in sich strömen hat. Der Mensch wird immer mehr Mensch, indem er Ausdruck der Welt wird; er findet sich, indem er sich nicht sucht, sondern in Liebe sich wollend der Welt verbindet.

Indem der Mensch seine Freiheit entfaltend in Ahrimans Verlockungen fällt, wird er in die Intellektualität hineingezogen, wie in einen geistigen Automatismus, in dem er ein Glied ist, nicht mehr er selbst. All sein Denken wird Erlebnis des Kopfes; allein dieser sondert es vom Eigenherzerleben und eignem Willensleben ab und löscht das Eigensein aus. Der Mensch verliert immer mehr von seinem innerlich wesenhaft-menschlichen Ausdruck, indem er Ausdruck seines Eigenseins wird; er verliert sich, indem er sich sucht; er entzieht sich der Welt, der er die Liebe verweigert; aber der Mensch erlebt sich nur wahrhaft, wenn er die Welt liebt.

Es ist aus dem Geschilderten wohl anschaulich, wie Michael der Führer zu Christus ist. Michael geht mit allem Ernste seines Wesens, seiner Haltung, seines Handelns in Liebe durch die Welt. Wer sich an ihn hält, der pfleget im Verhältnis zur Außenwelt der Liebe. Und Liebe muß im Verhältnis zur Außenwelt sich zunächst entfalten, sonst wird sie Selbstliebe.

Ist dann diese Liebe in der Michael-Gesinnung da, dann wird Liebe zum andern auch zurückstrahlen können ins eigene Selbst. Dieses wird lieben können, ohne sich selbst zu lieben. Und auf den Wegen solcher Liebe ist Christus durch die Menschenseele zu finden.“ (Lit.:GA 26, S. 117f)

Ätherisation des Blutes im Herzen

Hauptartikel: Ätherisation des Blutes

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Ätherisation des Blutes. Ausgehend vom Herzen als Zentrum des Blutkreislaufes, werden fortwährend im Wachzustand des Menschen in geringsten Mengen die feinsten physischen Blutbestandteile in ätherische Substanz umgewandelt. Vom Herzen zum Kopf hin steigt ein Strom ätherisierten Blutes auf und umspielt und umleuchtet die Zirbeldrüse. Diese Herzätherkräfte durchdringen das Gehirn und strahlen sogar über den Kopf hinaus aus (bei genügender Stärke erscheint das dem imaginativen Blick in der Kopfaura als Heiligenschein). Nur durch diese Ätherkräfte sind wir überhaupt in der Lage, Gedanken zu fassen, die nicht völlig an die egoistischen Bedürfnisse des Organismus gebunden sind. Aristoteles hat das noch geahnt. Seit auf Golgatha das Blut des Christus vergossen wurde, kann sich die Christuskraft mit diesem Ätherstrom vereinigen. (Lit.:GA 130, S. 89ff)

Das alte Herzdenken und seine Nachwirkung

Das alte Herzdenken hat einen nur halbbewussten Charakter und stützt sich auf das unmittelbare Gefühl. Insbesondere im Alltagsleben wirkt es bis heute noch kräftig nach:

„Die weitaus größte Zahl der Menschen steht heute auf derjenigen Stufe - die daher durchaus in das normale Bewußtsein hineinfällt -, wo ihnen ein unmittelbares, natürliches Gefühl den Dingen gegenüber sagt: Das ist recht, das ist unrecht, das sollst du tun, das sollst du lassen. - Der Mensch läßt sich zumeist leiten von einem solchen unmittelbaren Gefühle in bezug auf das, was er für wahr oder für falsch halten soll.

Fragen Sie einmal in der Gegenwart an, wie viele Menschen sich die Mühe nehmen, wirklich nachzudenken über das, was ihnen die heiligsten Güter sind. Dadurch, daß sie in bestimmte Verhältnisse, in eine bestimmte Gemeinschaft hineingeboren sind, meinetwillen nicht in der Türkei, sondern in Mitteleuropa geboren sind, haben sie ein unmittelbares, ursprüngliches Gefühl anerzogen erhalten, das Christentum für das Richtige zu halten und nicht den Mohammedanismus; sie halten - durch ein gewisses Gefühl - deshalb nicht die mohammedanischen Wahrheiten für richtig, sondern dasjenige, was sie im Christentum haben. So etwas darf man nicht mißverstehen, darüber nachzudenken führt zu wirklicher Lebenserkenntnis. Also wir müssen uns darüber klar sein, daß über dasjenige, was die Menschen für wahr oder falsch halten, bei weitaus den meisten Menschen heute noch ein unmittelbares Gefühl entscheidet. Das ist die eine Entwickelungsstufe.“ (Lit.:GA 119, S. 221)

Dass diese Art des halbbewussten Wahrheitsgefühls für die Zukunft nicht ausreichen wird, erscheint evident.

Michael und Ahriman

In der Folge geriet das ursprünglich noch sehr lebendige Kopfdenken immer stärker unter die Herrschaft Ahrimans und vertrocknete dadurch zu einem gefühllosen toten mechanistischen Denken, das heute allgegenwärtig ist und den Menschen von seinen geistigen Wurzeln abschneidet.

„Die zweite Entwickelungsstufe ist die, auf der der Mensch anfängt nachzudenken. Immer mehr und mehr werden heute diejenigen Menschen, die anfangen herauszugehen aus dem ursprünglichen Gefühl und nachdenken über die Dinge, in die sie hineingeboren sind. Aus diesem Grund sehen wir heute so viel Kritik an uralt-heiligen Überlieferungen und Glaubensbekenntnissen. Das ist die Reaktion des Verstandes und Intellekts gegenüber dem, was man aus dem Gefühl, aus der Empfindung heraus ungeprüft durch den Verstand hingenommen hat. Dieselbe Fähigkeit der menschlichen Seele, die sich da kritisierend über das, was einem anerzogen oder angeboren ist, ergeht, sehen wir herrschen in demjenigen, was wir die Wissenschaft nennen. Wissenschaft im heutigen Sinne ist ja im wesentlichen eine Arbeit derselben Seelenkräfte, welche eben charakterisiert worden sind. Die äußeren Erfahrungen, die äußeren Wahrnehmungen, seien sie nun unmittelbar durch die Sinne oder durch jene Verfeinerungen der Sinne gewonnen, wie sie das Teleskop, das Mikroskop oder dergleichen bieten, sie werden mit Hilfe des Verstandes zu Gesetzen kombiniert, und daraus entsteht die intellektuelle Wissenschaft. Sie sehen also diese zwei Entwickelungsmomente der menschlichen Seele. In bezug auf das Für-Wahrhalten gewisser Dinge steht der Mensch auf einer solchen Stufe, wo ein ursprüngliches, nicht entwickeltes Gefühl spricht, ein Gefühl, das ihm angeboren oder durch Erziehung eigen ist. Auf der zweiten Stufe spricht außer dem Gefühl der Verstand, die Intelligenz. Nun aber weiß jeder, der ein wenig Selbstschau hält in der Seele, daß diese Intelligenz eine ganz bestimmte Eigenschaft hat. Sie muß diese Eigenschaft haben, die ertötend, auslöschend wirkt auf das Gefühl. Wer würde nicht wissen bei einer guten Seelenbeobachtung, daß alle bloße Intelligenztätigkeit, alle bloße Verstandestätigkeit das Gefühl, die Empfindung ertötet.“ (Lit.:GA 119, S. 221f)

Durch den zunehmenden Einfluss Ahrimans ist das Denken blass und willensschwach geworden. Den Gedanken, die nur mehr im Kopf kreisen, ist das sichere Wahrheitsgefühl verlorengegangen und es hat auch nicht die Kraft, den Willen moralisch zu impulsieren.

„Wir sind im Grunde genommen im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts als mitteleuropäische Menschheit nach und nach doch recht willensschwach geworden, willen sschwach in dem Sinne, daß der Gedanke nicht mehr die Kraft gewinnt, den Willen so zu stählen, daß der Mensch, der doch ein Gedankenwesen ist, die Welt aus seinen Gedanken heraus zu gestalten vermag. Wenn davon gesprochen wird, daß die Gedanken blaß sind, sollte man daraus aber nicht den Schluß ziehen, daß man keine Gedanken braucht, um als Mensch zu leben. Die Gedanken sollten nur nicht so schwach sein, daß sie im Kopfe oben sitzen bleiben. Sie sollten so stark sein, daß sie durch das Herz und durch den ganzen Menschen bis in die Füße hinunter strömen; denn es ist wahrhaft besser, wenn statt bloßer roter und weißer Blutkügelchen auch Gedanken unser Blut durchpulsen. Es ist gewiß wertvoll, wenn der Mensch auch ein Herz hat und nicht bloß Gedanken. Aber das Wertvollste ist, wenn die Gedanken ein Herz haben. Das haben wir jedoch ganz verloren. Die Gedanken, welche die letzten vier bis fünf Jahrhunderte gebracht haben, können wir nicht mehr ablegen; aber diese Gedanken müssen auch ein Herz bekommen.“ (Lit.:GA 217, S. 20f)

Im Gegensatz zu Ahriman hat sich Michael die kosmische Intelligenz niemals angeeignet, sondern verwaltet sie nur. Der Kräftezusammenhang mit den geistigen Wesen, aus der sie entspringt, geht dadurch nie verloren. Ahriman hingegen hat sie von ihrem kosmischen Ursprung losgerissen und sich einverleibt, ohne sie seelisch verinnerlichen zu können. Das ahrimanische Kopfdenken bleibt daher kalt und herzlos und kann nicht in die geistige Wirklichkeit eintauschen.

„Michael entfaltete die Intellektualität durch den Kosmos hindurch in der Vergangenheit. Da tat er dieses als Diener der göttlich-geistigen Mächte, die sowohl ihm selbst wie dem Menschen den Ursprung gegeben haben. Und bei diesem Verhältnis zur Intellektualität will er bleiben. Als diese von den göttlich-geistigen Mächten sich loslöste, um den Weg in das Innere des Menschenwesens zu finden, da beschloß er, fortan sich in rechter Art zur Menschheit zu stellen, um in dieser sein Verhältnis zur Intellektualität zu finden. Aber er wollte all dieses nur im Sinne der göttlich-geistigen Mächte auch weiterhin als deren Diener tun, der Mächte, mit denen er von seinem und der Menschen Ursprünge her verbunden ist. So ist seine Absicht, daß in Zukunft die Intellektualität durch die Herzen der Menschen ströme, aber als dieselbe Kraft, die sie ausströmend aus den göttlich-geistigen Mächten schon im Anfange war.

Ganz anders steht es bei Ahriman. Dieses Wesen hat sich seit lange aus der Entwickelungsströmung losgelöst, der die gekennzeichneten göttlich-geistigen Mächte angehören. Es hat sich in urferner Vergangenheit als selbständige kosmische Macht neben diese hingestellt. - Nun steht es in der Gegenwart zwar räumlich in der Welt darinnen, der der Mensch angehört, aber es entwickelt mit den rechtmäßig dieser Welt angehörenden Wesen keinen Kräftezusammenhang. Nur da die Intellektualität, von den göttlich-geistigen Wesen losgelöst, an diese Welt herankommt, findet Ahriman sich mit dieser Intellektualität so verwandt, daß er sich auf seine Art durch sie mit der Menschheit verbinden kann. Denn er hat, was der Mensch in der Gegenwart wie eine Gabe aus dem Kosmos erhält, schon in urferner Zeit mit sich vereinigt. Ahriman würde, wenn ihm gelänge, was in seiner Absicht liegt, den der Menschheit gegebenen Intellekt ähnlich seinem eigenen machen. -

Nun hat Ahriman sich die Intellektualität in einer Zeit angeeignet, als er sie nicht in sich verinnerlichen konnte. Sie blieb eine Kraft in seinem Wesen, die mit Herz und Seele nichts zu tun hat. Als kalt-frostiger, seelenloser kosmischer Impuls strömt von Ahriman die Intellektualität aus. Und die Menschen, die von diesem Impuls ergriffen werden, entwickeln eine Logik, die in erbarmungs- und liebeloser Art für sich selbst zu sprechen scheint - in Wahrheit spricht eben Ahriman in ihr-, bei der sich nichts zeigt, was rechtes, inneres, herzlich-seelisches Verbundensein des Menschen ist mit dem, was er denkt, spricht, tut. -

Michael hat sich die Intellektualität aber nie angeeignet. Er verwaltet sie als göttlich-geistige Kraft, indem er sich verbunden fühlt mit den göttlich-geistigen Mächten. Dadurch zeigt sich auch, indem er die Intellektualität durchdringt, in dieser die Möglichkeit, ein Ausdruck des Herzens, der Seele ebenso gut zu sein wie ein solcher des Kopfes, des Geistes. Denn Michael trägt in sich alle die Ursprungskräfte seiner Götter und der des Menschen. Dadurch überträgt er auf die Intellektualität nichts Kalt-Frostiges, Seelenloses, sondern er steht bei ihr in warm-inniger, seelenvoller Art.“ (Lit.:GA 26, S. 114f)

Der Weg zum Herzen geht durch den Kopf

Heute stehen wie neuerlich in einem Michaelzeitalters, das 1879 begonnen hat. Dessen zentrale Aufgabe ist es, ein neue Herzdenken zu entwickeln, welches das bloße Kopfdenken ablösen, aber zugleich dessen Früchte weiterentwickeln soll. Das Kopfdenken bildet daher die unverzichtbare Grundlage des zu entwickelnden Herzdenkens. Mit Recht schreibt Rudolf Steiner daher schon in seiner «Philosophie der Freiheit»: „Der Weg zum Herzen geht durch den Kopf.“ (GA 4, S. 25)

„So notwendig es ist - das ist ja schon betont worden - , daß man zuerst durch die Schulung eines guten, vernünftigen Denkens hindurchgeht, wo man erst die Dinge begreifen gelernt hat, bevor man aufsteigt zu höheren Welten, so notwendig ist es, daß man über dieses gewöhnliche Denken sich wiederum erhebt zu einem unmittelbaren Erfassen. Und gerade weil das so notwendig ist, daß man unmittelbar erfassen lernt in der höheren Welt, muß man auf der andern Seite jene logische Grundlegung vornehmen. Man muß sie aus dem Grunde vornehmen, weil man sonst mit seinen Gefühlen und Empfindungen ganz sicher irren würde. Man ist nicht fähig, in der höheren Welt zu urteilen, wenn man das gewöhnliche verstandesmäßige Denken da hinaufträgt; man ist nicht fähig, in der höheren Welt zu urteilen, wenn man nicht erst in der physischen Welt ausgebildet hat das verstandesmäßige Denken. Es finden manche Menschen allerdings vielleicht einen Grund, aus der Eigentümlichkeit des höheren Denkens, des Herzdenkens heraus, sich der gewöhnlichen Logik überhaupt ganz zu entschlagen. Sie sagen, da man die gewöhnliche Logik des physischen Planes doch wieder vergessen müsse, so brauche man sie ja nicht erst zu lernen. - Dabei wird aber außer acht gelassen, daß man ein anderer Mensch wird, wenn man das logische Denken auf dem physischen Plan als Schulung, als Übung durchgemacht hat. Nicht um mit diesem Denken die höheren Welten zu begreifen, macht man es durch, sondern um aus sich selber einen anderen Menschen zu machen. Man erlebt ja auch an dem logischen Denken etwas. Man erlebt an dem logischen Denken vor allen Dingen eine Art von Gewissen. Es gibt eine Art logischen Gewissens, und wenn man dieses ausbildet, dann bekommt man in seiner Seele ein gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber Wahrheit und Unwahrheit, und ohne dieses Verantwortungsgefühl gegenüber Wahrheit und Unwahrheit ist nicht viel anzufangen in den höheren Welten.“ (Lit.:GA 119, S. 220)

„Während also für die äußere physische Welt das Denken unmittelbar notwendig ist - denn wir können keine Maschine konstruieren, keine Brücke bauen ohne die Intelligenz, wir können keine Botanik, keine Zoologie betreiben ohne die Intelligenz, wir können nicht Medizin studieren ohne die Anwendung der Intelligenz an dem unmittelbaren Objekte -, hat für die höhere Entwickelung die Intelligenz etwa die Bedeutung, die das Schreibenlernen in der Jugend hat. Das Schreibenlernen hat erst dann eine Bedeutung, wenn man es überwunden hat. Wenn man darüber hinaus ist, dann blickt man darauf zurück als auf die Voraussetzung des Schreibenkönnens. Solange wir schreiben lernen, können wir noch nicht unsere Gedanken durch die Schrift ausdrücken. Das können wir erst dann, wenn wir das Schreibenlernen überwunden haben. Das Schreibenlernen ist das Üben einer Fähigkeit, das fertig sein muß, wenn das, was man erlernen will, ausgeübt werden soll. So ist es auch mit der Logik. Wer eine Höherentwickelung durchmachen will, muß schon eine gewisse Zeit verwenden auf eine Schulung im logischen Denken; aber er muß das alles wiederum abstreifen können, um dann zu dem Denken des Herzens zu kommen. Es bleibt ihm dann von seiner logischen Schulung zurück die Gewöhnung an Gewissenhaftigkeit in bezug auf das Für-Wahrhalten in den höheren Welten. Wer diese Schulung durchgemacht hat, wird nicht jedes Trugbild, jedes beliebige Sinnbild als eine wirkliche Imagination für wahr halten oder in irgendwelchem Sinne deuten, sondern er wird die innerliche Kraft haben, an die Realität heranzutreten und sie im rechten Sinne zu sehen und zu deuten. Gerade deshalb ist eine so subtile und gute Vorbereitung notwendig, weil man ja wieder zu unmittelbarem Empfinden kommen muß, ein Gefühl dafür haben muß, ob etwas wahr oder falsch ist. Genau gesprochen muß folgendes geschehen. Während man im gewöhnlichen Leben Überlegungen anstellt, muß man seine Seele so geschult haben gegenüber den höheren Dingen, daß man ihnen gegenüber unmittelbar zu entscheiden vermag, was wahr oder falsch ist.“ (Lit.:GA 119, S. 223)

Die Logik des Herzens

Die alte Logik des Herzens, die mit einem in der Wirklichkeit gründenden, sicheren Wahrheitsgefühl und darum auch mit einem unerschütterlichen Glauben verbunden war, ist weitgehend verschwunden und hat dem klaren, aber weitgehend spekulativen Verstandesdenken Platz gemacht. Das neue Herzdenken verbindet die Klarheit des Verstandes mit der Sicherheit des Herzens.

„Ich möchte nun in gewisser Beziehung dabei bleiben, diese Schilderung mehr von innen heraus zu gestalten und deshalb anknüpfen an das, was wir gestern gesagt haben über die Logik des Herzens im Gegensatz zu dem, was man im äußeren Leben kennt als die Logik des Kopfes oder des Verstandes. Wir konnten schon aus dem gestrigen Vortrag entnehmen, daß uns die Logik des Herzens in der menschlichen Entwickelung zweimal entgegentreten kann. Sie kann uns entgegentreten in derjenigen Entwickelungsform, in der das, was das Herz denkt, noch nicht durchzogen ist von der Logik des Verstandes, der Logik des Kopfes. Wir haben darauf hingewiesen, daß es heute noch Menschen gibt, welche durchaus es sogar gerne ablehnen möchten, sich mit der Logik des Verstandes zu beschäftigen und dasjenige, was sie als wahr fühlen und empfinden, umzusetzen in Begriffe und in Ideen. Ganz wird es diesen Zustand der menschlichen Entwickelung in unserer heutigen Gegenwart nicht mehr geben; es kann ihn nicht mehr geben. Denn wo Sie auch Umschau halten würden unter den gegenwärtigen Menschen, Sie werden überall, auch da, wo noch fast ganz aus den unmittelbaren Eindrücken des Herzens heraus geurteilt wird, wenigstens einige Begriffe und Ideen des Verstandes finden. Wenn wir eine Entwickelungsstufe finden wollten, die den Verstand noch ganz ausschließt, dann würden wir schon weit zurückgehen müssen in der Entwickelung der Menschheit und würden dann eine Vorstufe unserer gegenwärtigen menschlichen Entwickelung finden. Es kann also gesagt werden, daß sich aus der Natur des Geschilderten von selbst ergibt, daß unsere heutige Entwickelungsstufe auf eine frühere hinweist, in der aus einem Unterbewußtsein heraus, aus einem noch nicht vom Verstand durchtränkten Bewußtsein heraus das Herz urteilte. Heute leben wir in einer Zeit, in welcher dieses ursprüngliche Urteil des Herzens, diese ursprüngliche Logik des Herzens durchzogen ist von Begriffen und Ideen, kurz von dem, was wir Logik des Verstandes nennen. Und wenn wir alles ins Auge fassen, was wir gestern gesagt haben und bedenken, daß der Mensch sich entwickeln kann, so dürfen wir von unserer gegenwärtigen Entwickelungsstufe aus hinweisen auf eine zukünftige Entwickelungsstufe, welche heute angestrebt wird von einzelnen wenigen, welche aus ihrem gegenwärtigen Bewußtsein heraus die Sehnsucht, den Trieb haben, in einer gewissen Weise die Zukunft vorauszunehmen. Auf einen Zukunftszustand der Menschheit können wir hinblicken, welchen die Menschheit zeigen wird so, daß Logik des Herzens in vollem Umfang wiederum vorhanden sein wird, das heißt, daß der Mensch wiederum imstande sein wird, aus der Unmittelbarkeit seines Fühlens heraus die Wahrheit zu schauen. Aber er wird dann aufgenommen haben die Entwickelungsstufe, die er zwischen diesen beiden durchgemacht hat, die Stufe der Logik, des Verstandes. So daß wir sagen können: Wir gehen jetzt - die gesamte Menschheit - durch die Entwicklungsstufe des Verstandes, des Kopfes hindurch, um auf einer höheren Stufe dasjenige wiederum zu erreichen, was auf einer niederen Stufe schon erreicht war; die Logik des Herzens. - Während auf der niederen Stufe diese Logik des Herzens nicht durchglüht und durchleuchtet war von dem, was der Mensch sich durch seinen Verstand aneignet, wird die Logik des Herzens auf einer höheren Stufe durchtränkt, durchglüht, durchleuchtet sein von dem, was er auf der jetzigen Stufe der Entwickelung durch Begriffe, durch Ideen erworben hat.

So haben wir also drei Entwickelungsstufen des Menschen vor uns: eine vor unserer Gegenwart liegend, eine als die unserer Gegenwart und eine zukünftige Entwickelungsstufe.“ (Lit.:GA 119, S. 236ff)

Das neue Herzdenken und die wiedergefundene Mitte des Menschen

Das neue Herzdenken stützt sich auf die Mitte des Menschen, auf seine Herzregion, die den Widersachermächten nicht zugänglich ist, sondern einzig dem Christus, dem makrokosmischen Ich, das weseneins dem wirklichen Ich des Menschen ist.

„Menschen, die im vorangehenden Erdenleben in inspiriertem Gedankenwesen gestanden haben, also Michaeldiener waren, fühlten sich, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wieder ins Erdenleben gekommen, zu solcher freiwilligen Michaelgemeinschaft gedrängt. Sie betrachteten ihren alten Gedankeninspirator nunmehr als den Weiser im höheren Gedankenwesen.

Wer auf solche Dinge zu achten versteht, der konnte wissen, welch ein Umschwung im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts sich mit Bezug auf das Gedankenleben der Menschen vollzogen hat. Vorher konnte der Mensch nur fühlen, wie aus seinem Wesen heraus die Gedanken sich formten; von dem angedeuteten Zeitabschnitt an kann er sich über sein Wesen erheben; er kann den Sinn ins Geistige lenken; da tritt ihm Michael entgegen, und der erweist sich als altverwandt mit allem Gedankenweben. Der befreit die Gedanken aus dem Bereich des Kopfes; er macht ihnen den Weg zum Herzen frei; er löst die Begeisterung aus dem Gemüte los, so daß der Mensch in seelischer Hingabe leben kann an alles, was sich im Gedankenlicht erfahren läßt. Das Michaelzeitalter ist angebrochen. Die Herzen beginnen, Gedanken zu haben; die Begeisterung entströmt nicht mehr bloß mystischem Dunkel, sondern gedankengetragener Seelenklarheit. Dies verstehen, heißt, Michael in sein Gemüt aufnehmen. Gedanken, die heute nach dem Erfassen des Geistigen trachten, müssen Herzen entstammen, die für Michael als den feurigen Gedankenfürsten des Weltalls schlagen.“ (Lit.:GA 26, S. 61f)

Um das Kopfdenken zum Herzdenken weiterzuentwickeln, muss das rechte Gleichgewicht zwischen den luziferischen und ahrimanischen Kräften hergestellt werden. Dazu ist die Christuskraft notwendig.

„Wir Menschen stehen mit unserem Seelenleben wirklich so, daß dieses Seelenleben wie ein Waagebalken ist, der das Gleichgewicht zunächst suchen muß zwischen dem luziferischen Element auf der einen Seite, dem ahrimanischen Element auf der anderen Seite. Nur daß das luzifferische Element in unserem hellen Kopfe liegt, das ahrimanische Element unten liegt in der Weisheit, die unseren Willen durchzieht. Dazwischen müssen wir das Gleichgewicht suchen in etwas, was eigentlich zunächst uns nicht als von etwas durchzogen erscheint.

Zeichnung aus GA 194, S. 79
Zeichnung aus GA 194, S. 79

Wie kommt Weisheit in diesen mittleren Teil des Menschen hinein? So wie der Mensch zunächst in der Welt steht, wird er seinem Kopfe nach von Luzifer gehalten, wird er seiner Stoffwechsel-Weisheit nach, der Gliedmaßen-Weisheit nach von Ahriman gehalten. Aber dem Herzen nach - denn dasjenige, was da als der mittlere Zustand des Bewußtseins geschildert ist, das ist ebenso abhängig von unserer Herzorganisation mit dem menschlichen Rhythmus, lesen Sie darüber nach in meinem Buche «Von Seelenrätseln», wie unsere Intellektualität mit dem Kopfe zusammenhängt —, in diese Sphäre unseres Daseins muß nach und nach eine ebenso große Ordnung hineinkommen, wie sie in die Kopfweisheit durch die Kopflogik hineingekommen ist, wie sie in alles dasjenige, was wir auf ahrimanische Weise wissen, durch die Mathematik, Geometrie, überhaupt durch diese äußerlich rationelle Naturbeobachtung kommt. Wodurch kommt in diesen mittleren Teil unseres Menschenwesens die innere Logik, die innere Weisheit, Orientierungsfähigkeit hinein? Durch den Christus-Impuls, durch dasjenige, was in die Erdenkultur übergegangen ist durch das Mysterium von Golgatha.

Es gibt eine geisteswissenschaftliche Anatomie, die uns zeigt, was Kopfkultur ist, die uns zeigt, was Stoffwechselkultur ist, die uns auch zeigt, was diejenige Organisationssphäre ist, die zwischen beiden darinnenliegt, und was diese braucht. Es gehört zu unserem Menschenwesen die Durchdringung mit dem Christus-Impuls.“ (Lit.:GA 194, S. 79f)

Michael und Christus

Damit die Erkenntnis vom Ich ganz bewusst ergriffen werden kann, muss sich über die Verstandesseele hinaus noch die Bewusstseinsseele und damit das intellektuelle Selbstdenken entfalten. Dieses arbeitet nicht mit den Naturätherkräften, sondern mit jenen völlig neu durch die Tätigkeit des Ichs geschaffenen Herzätherkräften, die durch die Ätherisation des Blutes im Herzen entstehen und in den Kopf hinaufstrahlen. Dazu musste aber das ptolemäische System zunächst dem kopernikanischen System weichen, dass ganz abstrakt die Sonne in den Mittelpunkt rückt. Die geistigen Inspirationen werden ausgelöscht und weichen zunächst einer bloß äußerlichen Berechnung. Gerade dadurch wird aber die Freiheit im Denken erobert. Und nur wie ein abstrakter Meilenzeiger steht nun die Sonne im Mittelpunkt als noch unverstandener Hinweis auf die sonnenhaften Herz-Michael-Christuskräfte. Nur mit diesem freien Denken kann sich der Michael-Impuls verbinden. Davon hatten die späteren Lehrer der Schule von Chartres, namentlich Bernardus Sylvestris und Alanus ab Insulis, bereits eine deutliche Vorahnung. Rudolf Steiner hat darauf sehr klar hingewiesen. Erst durch die Vereinigung des intellektuellen Selbstdenkens mit der inspirierten Gedankenwahrnehmung der geistigen Außenwelt, also des aristotelischen und des platonischen Elements, kann das eigenständige Geistselbst entfaltet werden. Dazu beizutragen, ist wesentliche Aufgabe der Anthroposophie.

Michael gibt die rechte Orientierung zum Erkennen und Handeln in der äußeren Welt. Der Weg zu Christus kann nur im Inneren gefunden werden und führt zur Erkenntnis der eigenen übersinnlichen Wesenheit des Menschen.

„Der Christus ist seit dem Mysterium von Golgatha der Menschenseele erreichbar. Und deren Beziehung zu ihm braucht nicht eine unbestimmte, dunkel-gefühls-mystische zu bleiben; sie kann eine völlig konkrete, menschlich tief und klar zu erlebende werden. Dann aber strömt aus dem Zusammenleben mit Christus in die Menschenseele herüber, was diese wissen soll über ihre eigene übersinnliche Wesenheit. Die Glaubens-Offenbarung muß dann so empfunden werden, daß in sie die lebendige Christus-Erfahrung fortwährend einströmt. Es wird das Leben dadurch durchchristet werden können, daß in Christus das Wesen empfunden wird, welches der Menschenseele die Anschauung ihrer eigenen Übersinnlichkeit gibt.

So werden nebeneinanderstehen können: Michael-Erlebnis und Christus-Erlebnis. Durch Michael wird der Mensch gegenüber der äußeren Natur in der rechten Art ins Übersinnliche den Weg finden. Naturanschauung wird, ohne in sich selbst verfälscht zu werden, sich neben eine geistgemäße Anschauung von der Welt und vom Menschen, sofern er ein Weltwesen ist, hinstellen können.

Durch die rechte Stellung zu Christus wird der Mensch dasjenige, was er sonst nur als traditionelle Glaubens-Offenbarung empfangen könnte, im lebendigen Verkehr der Seele mit Christus erfahren. Die innere Welt des seelischen Erlebens wird als eine geistdurchleuchtete erlebt werden können wie die äußere Welt der Natur als eine geistgetragene.“ (Lit.:GA 26, S. 104)

Das Herz und der Heilige Gral

Das Herz ist die geheime Mysterienstätte in der sich das mikrokosmische menschliche Ich mit dem makrokosmischen Christus-Ich verbindet und gerade dadurch erst bewusst zu seinem wirklichen Ich aufsteigt.

„In dem Tempel des menschlichen Leibes befindet sich ein Heiligstes vom Heiligen. Viele Menschen leben in dem Tempel, ohne etwas davon zu wissen. Aber die, welche es ahnen, erhalten dadurch die Kraft, sich so zu läutern, daß sie in dieses Heiligste hineingehen dürfen. Da befindet sich das heilige Gefäß, welches durch Zeitepochen hindurch vorbereitet wurde, auf daß, wenn die Zeit käme, es fähig sein könne, das Christus-Blut, das Christus-Leben in sich zu enthalten. Wenn der Mensch hineingegangen ist, so hat er auch den Weg gefunden zu dem Allerheiligsten in dem großen Erdentempel. Auch da leben viele auf der Erde, ohne davon zu wissen; aber wenn der Mensch in seinem innersten Heiligtum sich gefunden hat, so wird er auch da hineintreten dürfen und finden den Heiligen Gral. Wie aus wunderbar glitzernden Kristallen geschliffen, welche Symbole und Buchstaben formen, wird sich ihm das Gefäß zunächst zeigen, bis er allmählich den heiligen Inhalt empfindet, so daß er für ihn leuchtet im goldenen Glanze. In die Mysterienstätte seines eigenen Herzens steigt ein Mensch hinein, dann geht ein göttliches Wesen aus dieser Stätte hervor und verbindet sich mit dem Gott draußen, mit dem Christus-Wesen. Es lebt in dem geistigen Lichte, welches hineinstrahlt in das Gefäß und dieses dadurch heiligt.“ (Lit.:GA 265, S. 418)

Herzdenken und reines Denken

Das Herzdenken ist zugleich ein sinnlichkeitsfreies, d.h. reines Denken:

„Der Mensch hat ja im gewöhnlichen Leben das Gefühl, daß er mit dem Kopf denkt. Natürlich ist das nur ein bildlicher Ausdruck, man denkt mit den geistigen Organen, die dem Gehirn zugrunde liegen; aber es versteht jeder, was es heißt, mit dem Kopf denken. Ein ganz anderes Gefühl hat man gegenüber jenem Denken, das dann eintritt, wenn man ein wenig weitergekommen ist auf dem Weg der Entwickelung, den wir charakterisiert haben. Man hat wirklich das Gefühl, als ob das, was sonst im Kopf lokalisiert ist, jetzt im Herzen lokalisiert wäre. Es ist allerdings nicht das physische Herz, welches denkt, sondern jenes Organ, das sich als geistiges Organ in der Nähe des Herzens ausbildet, die sogenannte zwölfblätterige Lotosblume. Sie wird eine Art Denkorgan; und dieses Denken, das da auftritt, das unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Denken sehr stark. Beim gewöhnlichen Denken weiß jeder, daß er Überlegung anwenden muß, um zu einer Wahrheit zu kommen. Man muß gehen von Begriff zu Begriff. Man geht von einem Punkt aus, geht dann logisch weiter zu anderen Punkten, und das, wozu man kommt im Lauf der Zeit, indem man logische Erwägungen anstellt, nennt man Wahrheit, Erkenntnis. Das ist eine durch gewöhnliches Denken errungene Erkenntnis. Anders ist das, wenn man die Wahrheit erkennen will gegenüber dem, was beschrieben worden ist als reale, als wirkliche Sinnbilder. Diese wirklichen Sinnbilder hat man vor sich wie äußere Gegenstände, aber das Denken über diese Sinnbilder kann nicht mit dem gewöhnlichen Kopfdenken verwechselt werden. Denn ob etwas wahr oder falsch ist, ob man dieses oder jenes zu sagen hat über ein Ding oder eine Tatsache der höheren Welten, dazu sind nicht Überlegungen notwendig wie beim gewöhnlichen Denken, sondern das ergibt sich unmittelbar. Sobald man die Bilder vor sich hat, weiß man, was man sich selber und anderen darüber zu sagen hat. Dieses Unmittelbare, das ist das Charakteristische des Herzdenkens.“ (Lit.:GA 119, S. 218f)

Aktives und passives Denken

Das gewöhnliche Kopfdenken ist passiv; um mit dem Herzen denken zu können, muss man aktiv werden und das Denken mit dem Willen durchdringen:

„In dem, was ich anthroposophische Geisteswissenschaft nenne, schon in meinem Vorwort zu der «Philosophie der Freiheit», tritt Ihnen etwas entgegen, was Sie nicht erfassen können, wenn Sie sich nur jenem passiven Denken hingeben, das man heute besonders liebt, jenem gottverlassenen Denken, dem sich die meisten Menschen hingeben, und das schon im vorigen Leben gottverlassen war; sondern Sie können es nur erfassen, wenn Sie in Freiheit den inneren Impuls entwickeln, Aktivität in das Denken hineinzubringen. Sie kommen eben mit demjenigen, was in der Geisteswissenschaft lebt, nicht mit, wenn nicht jener Funke, jener Blitz hineinschlägt, durch den das Denken voller Aktivität wird. Durch diese Aktivität müssen wir uns auch wieder die Göttlichkeit des Denkens erobern.

Da ist die anthroposophische Literatur und macht Anspruch darauf, daß man aktiv denken soll. Die meisten können nur passiv denken und meinen, aktiv zu denken sei nicht möglich. Es läßt sich dabei weder schlafen noch intellektualistisch träumen. Man muß mit, man muß das Denken in Bewegung setzen; in dem Augenblicke, wo man das tut, kommt man mit. Da hört auf dasjenige, was ich modernes Hellsehen nennen möchte, etwas Wunderbares zu sein. Daß das immer noch als etwas besonders Wunderbares erscheint, kommt daher, daß die Menschen noch nicht die Energie entwickeln wollen, Aktivität in das Denken hineinzutragen [...]

Viele von Ihnen haben das Denken verachten gelernt, weil es Ihnen nur als passives Denken entgegengetreten ist. Das gilt aber nur vom Kopfdenken, bei dem das Herz des Menschen nicht dabei ist. Aber versuchen Sie es einmal mit einem aktiven Denken, dann werden Sie sehen, wie dabei das Herz engagiert wird. Am intensivsten kommt der Mensch unserer Epoche in die geistige Welt hinein, wenn es ihm gelingt, das aktive Denken zu entwickeln. Denn durch das aktive Denken kommen wir dazu, in den Gedanken wiederum herzhafte Kräfte zu haben.

Wenn Sie nicht den Geist auf dem Gedankenwege suchen, der herzhaft gegangen werden muß, obwohl das schwer ist, wenn Sie nicht auf diesem Wege das Geistesleben suchen, das von Urbeginn durch die Menschheit geflossen ist, so sind Sie wie der Säugling, der glaubt, sich aus sich selbst heraus ernähren zu können und nicht aus der Mutterbrust. Nur dann kommen Sie zu einer inhaltsvollen Bewegung, wenn Sie das Geheimnis finden, eine solche Aktivität in Ihrem Inneren zu entwickeln, daß sie Sie saugen läßt aus dem Weltendasein wiederum wirkliche Geistesnahrung, wirklichen geistigen Trank. Das aber ist zunächst ein Willensproblem, ein gefühlsmäßig zu erlebendes Willensproblem. Ungeheuer viel hängt heute ab von dem guten Willen, von dem energischen Willen, und kein Theoretisches wird dasjenige lösen, was wir heute suchen, sondern einzig und allein der mutige Wille, der starke Wille wird die Lösung bringen.“ (Lit.:GA 217, S. 125ff)

„Wenn ich in meiner «Philosophie der Freiheit» vom reinen Denken spreche, so war diese Bezeichnung für die damaligen Kulturverhältnisse schon deplaciert; denn Eduard von Hartmann sagte mir einmal: «Das gibt es gar nicht; man kann nur an Hand der äußeren Anschauung denken!» Ich konnte ihm darauf nur antworten: «Man muß es probieren; man wird es dann schon lernen und zuletzt auch wirklich können.» - Nehmen Sie also an, Sie könnten Gedanken im reinen Gedankenflusse haben. Dann beginnt für Sie der Moment, wo Sie das Denken bis zu einem Punkte geführt haben, an dem es gar nicht mehr Denken genannt zu werden braucht. Es ist im Handumdrehen - sagen wir im Denkumdrehen - etwas anderes geworden. Es ist nämlich dieses mit Recht «reines Denken» genannte Denken reiner Wille geworden; es ist durch und durch Wollen. Sind Sie im Seelischen so weit gekommen, daß Sie das Denken befreit haben von der äußeren Anschauung, dann ist es damit zugleich reiner Wille geworden. Sie schweben, wenn ich so sagen darf, mit Ihrem Seelischen im reinen Gedankenverlauf. Dieser reine Gedankenverlauf ist ein Willensverlauf. Damit aber beginnt das reine Denken, ja sogar die Anstrengung nach seiner Ausübung, nicht nur eine Denkübung zu sein, sondern eine Willensübung, und zwar eine solche, die bis in das Zentrum des Menschen eingreift. Denn Sie werden die merkwürdige Beobachtung machen: Erst jetzt können Sie davon sprechen, daß das Denken, wie man es im gewöhnlichen Leben hat, eine Kopftätigkeit ist. Sie haben ja vorher gar kein Recht, davon zu sprechen, daß das Denken eine Kopftätigkeit ist, denn das wissen Sie nur äußerlich aus der Physiologie, Anatomie und so weiter. Aber jetzt spüren Sie innerlich, daß Sie nicht mehr so hoch oben denken, sondern daß Sie beginnen, mit der Brust zu denken. Sie verweben tatsächlich Ihr Denken mit dem Atmungsprozesse. Sie regen damit an, was die Jogaübungen künstlich angestrebt haben. Sie merken, indem das Denken immer mehr und mehr eine Willensbetätigung wird, daß es sich zuerst der Menschenbrust und dann dem ganzen Menschenkörper entringt. Es ist, als ob Sie aus der letzten Zellfaser Ihrer großen Zehe dieses Denken hervorziehen würden. Und wenn Sie mit innerlichem Anteile so etwas studieren, was mit allen Unvollkommenheiten in die Welt getreten ist - ich will nicht meine «Philosophie der Freiheit» verteidigen - , wenn Sie so etwas auf sich wirken lassen und fühlen, was dieses reine Denken ist, so fühlen Sie, daß ein neuer innerer Mensch in Ihnen geboren ist, der aus dem Geiste heraus Willensentfaltung bringen kann.“ (Lit.:GA 217, S. 148f)

Bewegliches Denken

Das Herzdenken kann sich nur entwickeln, wenn wir zugleich lernen beweglich zu denken. Man darf nicht auf dem eigenen persönlichen Standpunkt beharren, sondern muss versuchen, sich mit seinem Denken in andere Wesenheiten hineinzuversetzen:

„Das ist etwas, was man sich notwendig erwerben muß: aus sich herausgehen zu können, sozusagen mit den Augen eines andern, von einem anderen Standpunkte aus sehen zu können. Dann erst ergibt sich das, was wirklich zur umfassenden Wahrheit führt. Das ist so, wie wenn man einen Rosenstrauch nicht nur von einer Seite ansieht, sondern sich einmal hierhin, einmal woanders hinstellt und ihn von allen Seiten ansieht oder photographisch aufnimmt. Dadurch schult man sich, um in die Möglichkeit zu kommen, dasjenige auch wirklich zu haben, was man haben muß, sobald man in die höheren Welten hinaufkommt. In der physischen Welt kann man sich so etwas angewöhnen. In den höheren Welten wirkt es verwirrend, wenn man mit einem persönlichen Standpunkt hineinkommt. Man hat dann sofort ein Trugbild statt der Wahrheit vor sich, weil man seine eigene persönliche Meinung hineinträgt.

Um zum Denken des Herzens zu kommen, müssen wir die Kraft haben, aus uns herauszugehen, wirklich uns selber ganz fremd zu werden und von außen auf uns zurückzublicken. Wer im normalen Bewußtsein ist, der steht an einem bestimmten Platz und weiß, wenn er sagt: Das bin ich! -, dann meint er die Summe dessen, was er glaubt, was er vertritt. Wer aber in die höheren Welten hinaufsteigt, muß seine gewöhnliche Persönlichkeit an ihrem Platze stehenlassen können, er muß aus sich selber herausgehen können, auf sich zurückschauen und mit demselben Gefühl zu sich selber sagen können: Das bist du! - Das frühere Ich muß ganz im richtigen Sinne ein Du werden. So wie man zu einem anderen «du» sagt, so muß man zu sich selber «du» sagen können. Das darf keine Theorie sein, sondern muß ein Erlebnis werden. Daß dies durch Schulung zu erreichen ist, haben wir schon gesehen. Es gehört gar nicht so viel dazu, man muß verhältnismäßig einfache Dinge tun; dann erwirbt man sich das Recht, mit dem Herzen denken zu dürfen. Die wahren Darstellungen von den höheren Welten gehen aus solchem Herzdenken hervor. Auch wenn es äußerlich oft so aussieht, als ob sie logische Erörterungen wären, nichts ist in den Darstellungen, die wirklich aus den höheren Welten heruntergetragen werden, darin, was nicht mit dem Herzen gedacht wäre. Was da geschildert wird vom Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft, ist ein mit dem Herzen Erlebtes. Derjenige, der schildern muß, was er mit dem Herzen erlebt, der muß es allerdings umgießen in solche Gedankenformen, daß es für die anderen Menschen verständlich ist.

Das ist der Unterschied von wirklicher Geisteswissenschaft und demjenigen, was subjektiv erlebte Mystik ist. Subjektiv erlebte Mystik kann ein jeder für sich haben; die schließt sich innerhalb der Persönlichkeit ab, die läßt sich nicht einem andern mitteilen, geht einen andern im Grund genommen auch nichts an. Dasjenige aber, was echte, wahre Mystik ist, ist entstanden aus der Möglichkeit, Imaginationen zu haben, Eindrücke in den höheren Welten zu haben und diese Eindrücke klassifizieren, ordnen zu können mit dem Denken des Herzens, so wie man die Dinge der physischen Welt mit dem Verstand ordnet.

Damit ist allerdings das andere verknüpft, daß an den Wahrheiten, die aus den höheren Welten gegeben sind, in der Tat etwas hängt wie Herzblut, daß sie die Färbung haben von dem Denken des Herzens. Mögen sie sich abstrakt ausnehmen und noch so sehr in Gedankenformen gegossen sein, es hängt an ihnen Herzblut, denn sie sind unmittelbar aus der Seele erlebt. Von dem Momente an, wo das Denken des Herzens ausgebildet ist, weiß der Mensch, der in die imaginative Welt kommt: Das, was du vor dir hast und was aussieht wie eine Vision, ist keine Vision, sondern ist Ausdruck eines Geistig-Seelischen, das dahintersteht, ebenso wie die rote Farbe der Rose hier der äußere Ausdruck ist für die materielle Rose. Der geistig Schauende richtet das geistige Auge in die imaginative Welt, er hat den Eindruck des Blauen oder Violetten, oder er hört irgendeinen Ton, oder er hat ein Gefühl von Wärme oder Kälte -, er weiß durch sein Denken des Herzens, daß das nicht bloße Einbildung, nicht bloße Vision ist, sondern Ausdruck eines geistig-seelischen Wesens, wie das Rot der Rose der Ausdruck der materiellen Rose ist. - So lebt man sich in die Wesenheiten hinein; man muß aus sich herausgehen und sich mit den Wesenheiten selber verbinden. Daher ist alles Forschen in der geistigen Welt zu gleicher Zeit mit der Hingabe der eigenen Persönlichkeit verknüpft, in einem viel höheren Grad, als das bei den äußeren Erlebnissen der Fall ist. Man wird intensiver mitgenommen, man steckt ja in den Dingen selber drinnen. Was sie Gutes und Böses, Schönes und Häßliches, Wahres und Falsches haben, muß man in den Wesenheiten erleben. Wo andere Menschen in der physischen Welt einen Irrtum gleichgültig ansehen, muß der Geistesforscher in der imaginativen Welt den Irrtum nicht nur anschauen, er muß ihn mit Schmerz durchleben. Er muß das Häßliche, das Abscheuliche nicht nur anschauen, ob es ihm nichts tut, sondern er muß es innerlich miterleben. Durch die geschilderte Schulung, die der heutigen Menschheit besonders angemessen ist, kommt er dazu, das Gute, das Wahre, das Schöne, aber auch das Böse, das Häßliche, den Irrtum mitzuerleben, ohne davon gefangengenommen zu werden oder sich zu verlieren, denn das durch richtige Vorbereitung erworbene Denken des Herzens führt dazu, daß er durch das unmittelbare Gefühl unterscheiden kann.“ (Lit.:GA 119, S. 231ff)

Um das, was jemand mit dem Herzdenken erlebt hat, mitteilen zu können, muss man es allerdings in die logische Verstandessprache übersetzen. Das ist sehr schwierig und immer nur bruchstückhaft möglich:

„Wer aus dieser geistigen Welt heraus schildert, muß die Sprache des logischen Denkens benutzen. Wenn man dasjenige, was in der geistigen Welt erlebt wird, umgießen will in logische Gedanken, dann fühlt man etwa so, wie wenn man an einen Hügel herantritt, der eine wunderbare Konfiguration von Felsbildungen zeigt, und daraus Steine ausbrechen muß, weil man sie braucht, um Häuser für die Menschen zu bauen. So fühlt man, wenn man die Erlebnisse in der geistigen Welt umformen muß in logische Gedanken des Verstandes. So wie ein Mensch in der gewöhnlichen Welt das, was er in der Seele erlebt, in Worten aussprechen muß, wenn er es anderen Menschen mitteilen will - und wie man nicht verwechseln darf die Worte mit den Gedanken -, so muß der Geistesforscher, wenn er das mit dem Herzen Erlebte mitteilen will, es kleiden in die Sprache des logischen Denkens. Logisches Denken ist nicht die Sache selber, logisches Denken ist nur die Sprache, in der der Geistesforscher mitteilt, was er in den geistigen Welten erlebt hat. Wer sich an der logischen Gedankenform stößt und nicht fühlt, daß mehr dahinterliegt, der ist in derselben Lage wie ein Zuhörer, der nur die Worte eines Redners hört und nicht die darin eingekleideten Gedanken aufnimmt. Das kann die Schuld desjenigen sein, der spricht, wenn jemand angebliche geisteswissenschaftliche Wahrheiten in solche Gedanken kleidet, daß der Zuhörer darin keine Wahrheiten und Erkenntnisse des Herzens findet. Es braucht aber nicht so zu sein, es kann auch die Schuld dessen sein, der zuhört, wenn er nur den Schall der Worte hört und nicht in der Lage ist, zu den dahinter-liegenden Gedanken zu dringen. Aus dieser Forschung des Herzens heraus kann nur das der Menschheit mitgeteilt werden, was in klar formulierte logische Gedanken umgegossen werden kann. Was nicht in logische Gedanken umgegossen werden kann, das ist nicht reif, der Menschheit mitgeteilt zu werden. Das ist der Probierstein, daß es in klare Worte, in klar formulierbare Gedanken umgegossen werden kann, die scharfe Konturen haben. So müssen wir uns gewöhnen, auch wenn wir die tiefsten Wahrheiten des Herzens hören, sie in Gedankenformen zu vernehmen und hinter diesen Formen auf den Inhalt zu schauen.“ (Lit.:GA 119, S. 233f)

Das Herz als Erkenntnisorgan

In ferner Zukunft wird das Herz das Gehirn ganz als Erkenntnisorgan ablösen:

„In der Zukunft wird der Mensch in einem viel intimeren Zusammenhange mit der Weltgesetzlichkeit stehen als gegenwärtig. Und der Geheimschüler nimmt diese Intimität in der Entwickelung voraus. Der Kopf mit dem Gehirn ist nur ein Übergangsorgan der Erkenntnis. Das Organ, welches die eigentlich tiefen und zugleich machtvollen Blicke in die Welt tun wird, hat seine Anlage in dem gegenwärtigen Herzen. Aber wohlgemerkt: die Anlage zu diesem Organ ist im heutigen Herzen: um Erkenntnisorgan zu werden, muß sich das Herz noch in der mannigfaltigsten Weise umbilden. Aber dieses Herz ist der Quell und Born zur Menschheitsstufe der Zukunft. Die Erkenntnis wird dann, wenn das Herz ihr Organ sein wird, warm und innig sein, wie heute nur die Gefühle der Liebe und des Mitleids sind. Aber diese Gefühle werden aus der Dumpfheit und Dunkelheit, in der sie heute nur tasten, sich zu der Helligkeit und Klarheit hindurchringen, welche heute erst die feinsten, logischen Begriffe des Kopfes haben.“ (Lit.:GA 267, S. 90)

Kopfwissen und Herzwissen

Siehe auch: Kopfwissen

„Es ist wirklich so, daß der Mensch während seiner Jugendzeit gewisse Begriffe, gewisse Vorstellungen aufnimmt, die er lernt; aber er lernt sie eben da nur. Sie sind dann Kopfwissen. Das übrige Leben, das langsamer verläuft, ist dazu bestimmt, das Kopfwissen umzuwandeln allmählich in Herzwissen - ich nenne jetzt den andern Menschen nicht den Kopfmenschen, ich nenne ihn den Herzensmenschen -, umzuwandeln das Kopfwissen in Herzenswissen, in Wissen, an dem der ganze Mensch beteiligt ist, nicht nur der Kopf. Um das Kopfwissen in Herzenswissen umzuwandeln, brauchen wir viel länger, als um uns das Kopfwissen anzueignen. Um uns das Kopfwissen anzueignen - wenn es schon ein ganz besonders gescheites Wissen ist, braucht man heute die Zeit bis in die Zwanziger jähre hinein. Nicht wahr, dann wird man ein ganz gescheiter Mensch, akademisch ganz gescheiter Mensch, aber um dieses Wissen wirklich mit dem ganzen Menschen zu vereinigen, muß man beweglich bleiben sein Leben hindurch. Und man braucht, um das Kopfwissen in Herzenswissen umzuwandeln, eben um so viel länger, als man länger lebt als bis zum siebenundzwanzigsten oder sechsundzwanzigsten Jahre. Insofern ist man auch als Mensch eine Zwienatur. Man eignet sich rasch das Kopfwissen an und kann es dann umwandeln im Laufe des Lebens in Herzenswissen.

Zu wissen, was das eigentlich bedeutet, ist nicht ganz leicht. Und ich darf, wir sind ja unter uns, für diese Sache vielleicht eine Erfahrung des Geistesforschers anführen, durch die leichter über diese Dinge etwas gewußt werden kann als durch andere geistesforscherische Arbeiten. Man kann, wenn man sich bekannt macht mit der Sprache, welche die Menschenseelen sprechen, die durch den Tod hindurchgegangen sind, die in der geistigen Welt leben nach dem Tode, man kann, wenn man die Sprache der Toten, der sogenannten Toten einigermaßen versteht, dann die Erfahrung machen, daß die Toten sich über manche Dinge, die im Zusammenhange mit dem Menschenleben stehen, in ganz besonderer Weise ausdrücken. Die Toten haben heute schon eine Sprache, die wir Lebenden noch nicht ganz gut verstehen können. Es gehen die Verständnisse der Toten und der Lebenden heute ziemlich weit auseinander. Der Tote hat durchaus ein Bewußtsein davon, daß der Mensch sich als Kopfmensch rasch entwickelt, als Herzensmensch langsam entwickelt. Und der Tote sagt, wenn er ausdrücken will, was da eigentlich geschieht, wenn sich allmählich das rasch erworbene Kopfwissen in das langsamer verlaufende Herzenswissen einlebt: Das bloße Weisheitswissen wird umgewandelt durch die aus dem Menschen aufsteigende Herzenswärme oder Liebe. Weisheit wird im Menschen von der Liebe befruchtet. - So sagt der Tote.

Und das ist in der Tat ein tiefes, bedeutsames Lebensgesetz. Man kann das Kopfwissen rasch erwerben, man kann ungeheuer viel wissen gerade in unserer Zeit, denn die Naturwissenschaft - nicht die Naturwissenschafter, aber die Naturwissenschaft - ist in unserer Zeit recht sehr fortgeschritten und hat reichen Inhalt. Aber dieser Inhalt ist so, daß er nicht umgewandelt ist in Herzenswissen, daß das Kopfwissen überall geblieben ist; weil die Menschen - ich habe schon gestern darauf aufmerksam gemacht - das andere, was dann anrückt im Leben nach dem siebenundzwanzigsten Jahre, nicht mehr beachten, weil die Menschen nicht verstehen, alt zu werden, beziehungsweise könnte ich auch sagen: jung zu bleiben, indem sie alt werden.

Weil die Menschen die innerliche Lebendigkeit sich nicht erhalten, da erkaltet ihr Herz; es strömt die Herzenswärme nicht nach dem Kopfe hinauf, es befruchtet die Liebe, die aus dem übrigen Organismus kommt, den Kopf nicht. Das Kopfwissen bleibt kalte Theorie. Aber es braucht nicht kalte Theorie zu bleiben, es kann alles Kopfwissen umgewandelt werden in Herzenswissen. Und das ist gerade die Aufgabe der Zukunft, daß das Kopfwissen allmählich in Herzenswissen umgewandelt wird. Da wird ein wirkliches Wunder geschehen, wenn das Kopfwissen in Herzenswissen umgewandelt wird.

Man hat vollständig Recht, wenn man heute nach allen Noten die materialistische Naturwissenschaft oder namentlich die materialistische Naturphilosophie abkanzelt. Man hat vollständig Recht, aber trotzdem ist noch etwas anderes wahr: diese Naturwissenschaft, die in Haeckel, in Spencer, in Huxley und so weiter bloßes Kopfwissen geblieben ist und daher Materialismus ist, die wird, wenn sie Herzenswissenschaft werden wird, wenn sie aufgenommen werden wird vom ganzen Menschen, wenn die Menschheit verstehen wird, älter zu werden oder jünger zu werden im Ältersein, wie ich das gestern gemeint habe, dann wird diese, gerade diese Wissenschaft der Gegenwart der reinste Spiritualismus werden, die reinste Bekräftigung für den Geist und sein Dasein werden. Es gibt keine bessere Grundlage als die Naturwissenschaft der Gegenwart, wenn sie sich umwandelt in dasjenige, was dem Kopf des Menschen zufließen kann aus dem übrigen Organismus, aber jetzt aus dem geistigen Teil des übrigen Organismus. Das Wunder wird sich vollziehen, indem die Menschen lernen werden, die Verjüngung ihres Ätherleibes auch zu fühlen, so daß die materialistische Naturwissenschaft der Gegenwart Spiritualismus werden wird. Sie wird um so eher Spiritualismus werden, je mehr Leute sich finden werden, ihr ihren gegenwärtigen Materialismus, ihre materialistische Torheit vorzuhalten.“ (Lit.:GA 180, S. 237ff)

„Wir brauchen nur etwas zurückzugehen und werden sehen, wie seit vier Jahrhunderten das ganze menschliche Denken sich geändert hat. Das ganze menschliche Denken, das sich so geändert hat, ist allmählich bis zum 20. Jahrhundert dazu gekommen, immer abstraktere Begriffe auszubilden. Es sind immer mehr Kopfbegriffe gekommen. Wenn wir die vollsaftigen Begriffe der Menschen im 13., im 14. Jahrhundert nehmen, wenn wir die Naturwissenschaft dieser Jahrhunderte ansehen: Es ist ein grandioser Unterschied gegenüber dem Abstrakten, gegenüber der trockenen Gesetzmäßigkeit der heutigen Naturwissenschaft! [...]

Jene alte Zeit war in bezug auf die Beschreibung und die Auffassung der Natur durchdrungen von dem, was aus dem ganzen Menschen kommt. Heute ist es Kopfwissen. Dadurch ist es auf der einen Seite abstrakt, trocken und füllt den Menschen nicht sein ganzes Leben hindurch aus; und auf der andern Seite ist es doch sehr geistig. Wir stehen vor dieser Zwienatur, daß wir das Geistigste eigentlich heute erzeugen; diese abstrakten Begriffe sind das Geistigste, was es geben kann, aber sie sind unfähig, den Geist zu begreifen. Es ist ungeheuer leicht einzusehen, in welchen Zwiespalt der Mensch hineinkommt durch jene geistigen Begriffe, die er sich ausgebildet hat. Er ist gerade in diesen geistigen Begriffen merkwürdigerweise Materialist geworden. Aber wenn die Begriffe richtig sind, würde nie der Materialismus aus ihnen entstehen. Einfach das Vorhandensein der abstrakten Begriffe ist schon die erste Widerlegung des Materialismus. In diesem Zwiespalte leben wir drinnen. Wir haben uns seit vier Jahrhunderten ungeheuer vergeistigt, und wir müssen in diesem Geistigen, das wir nur abstrakt haben, wieder das lebendige Geistige finden. Wir sind dazu aufgestiegen, nur gegenständliche Begriffe zu haben, aber wir müssen wieder zur Imagination, zur Inspiration, zur Intuition kommen. [...]

Man kann nicht wirklich fruchtbar nach dem Geist streben, wenn man nicht in innerer Wahrhaftigkeit strebt, und man wird niemals fehl gehen, wenn man sich durch Lebenserfahrung die Erkenntnis erwirbt, daß eine richtige Harmonie zwischen Kopfwissen und Herzenswissen nur möglich ist, wenn man sich wahrhaftig in das Leben hineinstellt. Denn deshalb wollen gerade die Menschen der Gegenwart das Kopfwissen nicht in Herzenswissen überführen, weil das Herzenswissen nicht nur länger braucht, sondern weil es auch gegen das Kopfwissen reagiert, es zurückstößt, wenn es unwahr ist. Der übrige Mensch macht sich dann als eine Art Gewissen bemerkbar. Davor fürchtet sich die nur für den Kopf geneigte Menschheit der Gegenwart. [...]

Geisteswissenschaft kann auch nur gedeihen, wenn man mit ihr Ernst macht in der Wahrhaftigkeit; denn sie muß ja an tiefste Bedürfnisse der Menschheit gerade in der Gegenwart herangehen. Sie muß sich jenen Gewissensqualen aussetzen, die sehr leicht entstehen können, wenn das Herz zum Kopfe Nein sagt. Denn immer sagt das Herz zum Kopfe Nein, wenn nicht Geistiges gesucht wird, oder wenn Wissen nur angestrebt wird aus einem bloßen Egoismus, aus Begierde, Ehrgeiz und so weiter.“ (Lit.:GA 181, S. 43ff)

Das ätherische Herz als Geistorgan

Nach den Angaben Rudolf Steiners hat sich seit dem Jahre 1721 der natürliche Zusammenhang zwischen dem physischen und dem ätherischen Herzen gelockert. Bis etwa 2100 wird sich der Ätherteil vollständig vom physischen Herzen gelöst haben. Es wird dadurch zu einem Geistorgan, das den Geistessucher in richtiger Weise mit der geistigen Welt verbindet.

Der Zusammenhang zwischen physischem und ätherischem Herzen

„Im großen und ganzen ist der Mensch ein physischer Leib, der in einen Ätherleib eingebettet ist; das andere brauchen wir heute nicht zu berücksichtigen. Aber die Innigkeit der Verbindung - ich meine jetzt nicht das räumliche Sich-Decken, aber das Dynamische in der Verbindung -, das ändert sich im Laufe der Erdenentwickelung, und die innigen Beziehungen zwischen dem Ätherkopfe und dem menschlichen physischen Kopf, die bestanden haben zum Beispiel in den Jahrhunderten, von denen man hauptsächlich spricht, wenn man von griechischer Kultur spricht, diese Beziehungen bestehen schon seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert nicht mehr. Seit dem 3. vorchristlichen Jahrhundert ist schon der alte Innigkeitszusammenhang zwischen dem Ätherkopf des Menschen und dem physischen Kopf verlorengegangen. Aber es ist doch immer aufrechterhalten geblieben ein recht inniger Zusammenhang zwischen dem menschlichen physischen Herzen und dem menschlichen Ätherherzen. Aber seit dem Jahre 1721 lockert sich merkwürdigerweise immer mehr und mehr der Zusammenhang zwischen dem menschlichen physischen Herzen und dem Ätherherzen. Wenn ich so sagen darf: Wenn das physische Herz da ist und das Ätherherz da (siehe Zeichnung) so war das früher mehr ein Ganzes, jetzt kann das Ätherherz geschüttelt werden ätherisch, es ist nicht mehr innerlich so dynamisch verbunden wie früher. Später werden noch andere Organe des Menschen sich vom Ätherischen lösen. Das aber, daß das Herz nach und nach sich löst von seinem Ätherteil, und bis in das 3. Jahrtausend hinein, bis man 2100 ungefähr schreiben wird, sich ganz gelöst haben wird, das macht auch in bezug auf die menschliche Entwickelung etwas sehr Bedeutsames aus. Was es ausmacht, das kann man in der folgenden Weise charakterisieren. Man muß sagen: Das macht das aus, daß die Menschen nötig haben, etwas, was ihnen früher von selbst kam durch den natürlichen Zusammenhang zwischen physischem Herzen und Ätherherzen, auf einem anderen Wege zu suchen, auf dem Wege des spirituellen Lebens. Dieses vom physischen Herzen losgetrennte Ätherherz, das wird seine richtige Beziehung zur geistigen Welt nur gewinnen, wenn der Mensch sucht spirituelles Wissen, wenn der Mensch sucht anthroposophisch orientierte geistige Gedanken. Das muß immer mehr und mehr gesucht werden.“ (Lit.:GA 190, S. 121ff)

Zitate

"Denk mit dem Herzen und fühl mit dem Verstand..." (Theodor Fontane)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks