Ousia

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Ousía (griech. οὐσία) ist ein Terminus der Metaphysik und Ontologie. Es handelt sich um ein vom Partizip seiend abgeleitetes Substantiv und wird ins Deutsche mit Seiendheit am genauesten übersetzt.[1] Häufig wird es aber auch mit das wahrhafte Sein[2], auch die Wirklichkeit, Substanz oder Wesen[3] wiedergegeben. Im alltäglichen Sprachgebrauch bedeutet es auch das Vermögen, das Eigentum, d.h. die Gesamtheit der Dinge, die einem Menschen gehören.

Platon

Bei Platon ist ousia das unwandelbare Sein selbst:

Es genügt also, fuhr ich fort, den ersten und obersten Abschnitt des Erkennens Wissenschaft (epistêmê) zu nennen, den zweiten Verstandeseinsicht (dianoia), den dritten Glauben an die Sinne, den vierten bloßen Schein von Wahrheit, und einerseits die beiden letzten zusammen Meinung (doxa), andererseits die ersten zusammen Vernunfteinsicht (noêsis), dabei bezieht sich Meinung auf das wandelbare Werden, Vernunfteinsicht auf das unwandelbare Sein (ousia), so daß wie Sein zum Werden, so Vernunfteinsicht zu Meinung, und wie Wissenschaft zu Glauben an die Sinne, so Verstandeseinsicht zu Scheinwissen sich verhält.[4]

Ousia ist gleichbleibend, wesenhaft und der „ewigen Wahrheit“ verpflichtet:

Welche von beiden Hauptlebensbedingungen scheinen nun nach deiner Meinung des höheren reinen Seins (ousia) teilhaftiger zu sein: etwa die wie Brot, Trank, Fleisch, überhaupt sämtliche leibliche Nahrung, oder das, was in sich begreift wahre Vorstellung, Wissenschaft, Vernunfteinsicht und überhaupt wiederum jede geistige Stärkung! Bilde aber dein Urteil hier auf folgende Weise: Das an das immer Gleichbleibende, Unsterbliche und an die ewige Wahrheit sich Haltende, das selbst so Beschaffene und in einem solchen Entstehende, ist das ein wesenhafteres Sein als das mit dem niemals sich Gleichbleibenden und Vergänglichen Verwandte, selbst so Beschaffene und auch in einem solchen Entstehendes? - Ein weit wesenhafteres Sein, sagte er, hat das mit dem ewig Gleichbleibenden Verwandte.[5]

Aristoteles

Zu einer ganz anderen zentralen Bedeutung gelangte der Begriff in der aristotelischen Philosophie:

Aristoteles aber bestimmte das Seiende als das sich in den Erscheinungen selbst entwickelnde Wesen. Er verzichtete darauf, etwas von den Erscheinungen selbst Verschiedenes (eine zweite Welt) als ihre Ursache auszudenken, und er lehrte, daß das im Begriff erkannte Sein der Dinge keine andere Wirklichkeit besitze, als die Gesamtheit der Erscheinungen, in denen es sich verwirkliche. So betrachtet, nimmt das Sein (ousia) erst vollständig den Charakter des Wesens (to ti ên einai) an, welches den alleinigen Grund seiner einzelnen Gestaltungen bildet, aber nur in diesen selbst wirklich ist: und alle Erscheinung wird zur Verwirklichung des Wesens.[6]

In der frühen Schrift Kategorien bezeichnet ousía als erste Substanz das selbstständige Einzelding, das hypokeimenon, das Zugrundeliegende, d.h. das Subjekt oder Substrat ('Sokrates') gegenüber seinen zufälligen Eigenschaften, Akzidenzien ('weiß'). Zweite Substanz (οὐσία δευτέρα ousía deutéra) nennt Aristoteles hier das Allgemeine, unter das diese Einzeldinge fallen, ('Mensch').

In den späteren Abhandlungen der Metaphysik treten Einzeldinge der Kategorien weiterhin als Substanzen auf, die zweiten Substanzen nicht mehr. Im Zentrum steht nun die Frage 'Was ist im höchsten Maße wirklich?' im folgenden Sinne: 'Was ist die ousía der Einzeldinge?' Aristoteles' Antwort lautet in Metaphysik Zeta: die Form, das eidos.

Die allgemein übliche Übersetzung von ousia mit Substanz erklärt sich philosophiegeschichtlich damit, dass die Kategorien-Schrift im lateinisch geprägten Mittelalter als logische Lehrschrift einen großen Einfluss auf das philosophische Denken ausübte, während die in ontologischer Hinsicht wesentlich elaboriertere Schrift Metaphysik über Jahrhunderte nicht verfügbar war und erst wesentlich später ins Lateinische übersetzt wurde.

substantia (= das Zugrundeliegende) entspricht der oben dargestellten ontologischen Konzeption der Kategorien. Im Kontext der Metaphysik ist substantia bzw. Substanz jedoch eigentlich eine zu eingeschränkte Übersetzung für ousia, da hier eine differenziertere Theorie des Seienden erörtert wird, in der neben dem Zugrundeliegenden noch andere inhaltliche Bestimmungen der ousia eine Rolle spielen. Der Begriff Substanz hatte sich aber durch die große Verbreitung der Kategorien-Schrift als philosophischer Fachausdruck bereits fest etabliert.

Weitere Philosophen

Nach Boëthius ist ousia die Form. Nach den Stoikern ist ousia als oberste Kategorie die qualitätslose Materie. Nach Plotin ist ousia, was nicht in einem hypokeimenon ist [7], was sich selbst angehört. Das beharrliche Substrat der körperlichen Veränderungen ist die Materie. Als „Potenz der Begriffe“ ist die Seele ousia.[8]

Nach Johannes Scotus Eriugena ist ousia ganz und ungeteilt in den Arten derselben enthalten.[9] Sie ist unkörperlich.[10] Das Allgemeine ist nach Johannes Scotus Eriugena real, als Idee vor den Dingen und als Essenz in den Dingen. Die Dialektik als die Lehre von den allgemeinen Begriffen und Wesenheiten geht von den Gattungen zu den Arten und von diesen wieder zu den Gattungen. Die Kategorien stehen untereinander in Beziehung, wobei die Substanz (ousia) die Grundlage der anderen ist.[11]

Literatur

  • Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Berlin 1904
  • Rudolf Eisler: Philosophen-Lexikon, Berlin 1912
  • Friedrich Kirchner und Carl Michaëlis: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. 5. Aufl., Leipzig 1907
  • Wolfgang Schneider: Ousia und Eudaimonia, Walter de Gruyter, Berlin 2001
  • Wilhelm Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, Tübingen 1912

Einzelnachwesie

  1. Wolfgang Schneider, Ousia und Eudaimonia, Walter de Gruyter 2001, S. 128
  2. Wilhelm Pape: Handwörterbuch der griechischen Sprache. Braunschweig 1914, Band 2, S. 420
  3. So Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 723; Kirchner u.a., Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe, S. 692
  4. Platon, Politeia, Buch VII., 534a
  5. Platon, Politeia, Buch IX., 585b f.
  6. Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, S. 115 f.
  7. Plotin, Enneaden VI, 3, 5
  8. Plotin, Enneaden VI, 2, 5. vgl. VI, 3, 2
  9. Johannes Scotus Eriugena, De divisione naturae, Buch I., 49
  10. Johannes Scotus Eriugena, De divisione naturae, Buch I., 33
  11. Eisler, Philosophen-Lexikon, S. 303
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