Marie Eugenie Delle Grazie

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Datei:Grazie.jpg Marie Eugenie Delle Grazie (* 14. August 1864 in Bela Crkva; † 19. Februar 1931 in Wien) war eine Schriftstellerin, Dramatikerin und Dichterin, die aus der K.K. Monarchie Österreich-Ungarn stammt.

Leben

Die Tochter eines Bergbaudirektors entstammt väterlicherseits einem venezianischen Herrschergeschlecht, mütterlicherseits einer bürgerlichen Familie aus dem Banat. Nach dem Tod des Vaters zog sie nach Wien und studierte dort an der Lehrerinnenbildungsanstalt. Seit ihrer frühesten Jugend schrieb sie, und schon mit 19 wurde ihr als Anerkennung ihrer Arbeit ein Stipendium verliehen. Der Theologe und Ethiker Prof. Laurenz Müllner förderte und unterstützte sie. Sie arbeitete als freie Schriftstellerin in Wien. Dort starb sie am 19. Februar 1931 unverheiratet.

Wirken

Gemeinsam mit Marie von Ebner-Eschenbach war delle Grazie um 1900 eine der prominentesten österreichischen Schriftstellerinnen. Schon mit 19 Jahren erhielt sie für ihr Werk "Saul" von der "Schwestern-Fröhlich-Stiftung" ein Stipendium. Sowohl ihr erzählerisches wie ihr lyrisches Werk spricht von persönlicher Reife. Sie schrieb neben Populärliteratur auch gesellschaftskritische Werke, in denen sie für Freiheit und Menschenwürde eintrat. Literarhistorisch wird sie zum Realismus gezählt. Nach dem Tod ihres Mentors Müllner im Jahre 1912 zog sie sich in die Steiermark zurück, wandte sich vom freigeistigen Denken ab und ersetzte es für sich durch den Katholizismus.

Delle Grazie im Leben von Rudolf Steiner

Marie Eugenie delle Grazie

Rudolf Steiner lernte Delle Grazie 1886 kennen, war dann in seiner weiteren Wiener Studentenzeit mit ihr befreundet und brach in Zeitungen mehr als einmal für sie als Schriftstellerin eine Lanze. Er ist sich über ihre künstlerische Zweitrangigkeit im Klaren, bewundert aber ihre menschliche Größe. Obwohl der Kontakt durch seinen Umzug nach Weimar und dann nach Berlin abbrach, blieb sie für ihn eine Freundin, die er in Wien auch später noch suchte. Über seine Lebensbegenung mit ihr schreibt er:

"In derselben Zeit war es, daß ich einmal zu Schröer kam. Er war ganz erfüllt von einem Eindruck, den er eben erhalten hatte. Er war mit den Dichtungen Marie Eugenie delle Grazies bekannt geworden. Es lagen von ihr damals vor: ein Bändchen Gedichte, ein Epos «Herman», ein Drama «Saul» und eine Erzählung «Die Zigeunerin». Schröer sprach mit Enthusiasmus von diesen Dichtungen. «Und das alles hat eine junge Persönlichkeit vor Vollendung ihres sechzehnten Jahres geschrieben», sagte er. Er fügte hinzu: Robert Zimmermann habe gesagt, das sei das einzige wirkliche Genie, das er in seinem Leben kennen gelernt habe.

Schröers Enthusiasmus führte mich dazu, die Dichtungen in einem Zuge nun auch zu lesen. Ich schrieb ein Feuilleton über die Dichterin. Das brachte mir die große Freude, sie besuchen zu können. Bei diesem Besuche konnte ich ein Gespräch mit der Dichterin haben, das mir oft im Leben vor der Seele gestanden hat. Sie hatte sich damals bereits an eine Aufgabe größten Stiles gemacht, an ihr Epos «Robespierre». Sie sprach über die Grundideen dieser Dichtung. Schon damals tönte durch ihre Reden eine pessimistische Grundstimmung durch. Mir erschien ihre Empfindung so, als ob sie in einer Persönlichkeit wie Robespierre die Tragik alles Idealismus darstellen wollte. Ideale entstehen in der Menschenbrust; aber sie haben keine Macht gegenüber dem ideenlosen, grausamen, zerstörenden Wirken der Natur, die allem Idealen ihr unerbittliches «du bist nur Illusion, ein Scheingeschöpf von mir, das ich immer wieder ins Nichts zurückwerfe» entgegenschreit.

Das war ihre Überzeugung. Die Dichterin sprach dann zu mir von einem weiteren dichterischen Plan, einer «Satanide». Sie wollte das Gegenbild Gottes als das Urwesen darstellen, das in der grausamen, ideenlosen, zermalmenden Natur die für den Menschen sich offenbarende Macht ist. Sie sprach mit wahrer Genialität von dieser aus dem Abgrund des Seins herauf dieses Sein beherrschenden Gewalt. Ich ging tief erschüttert von der Dichterin weg. Die Größe, mit der sie gesprochen hatte, stand vor mir; der Inhalt ihrer Ideen war das Gegenbild alles dessen, was mir als Anschauung von der Welt vor dem Geiste stand. Aber ich war niemals geneigt, dem, was mir als groß erschien, meine Bewunderung und mein Interesse zu versagen, auch wenn es mir inhaltlich ganz widerstrebte. Ja, ich sagte mir: solche Gegensätze in der Welt müssen irgendwo doch ihre Harmonie finden. Und das machte mir möglich, verständnisvoll dem Widerstrebenden so zu folgen, als ob es in der Richtung meiner eigenen Seelenverfassung läge.

Kurz darauf wurde ich eingeladen zu delle Grazie. Sie sollte vor einer Anzahl von Persönlichkeiten, zu denen auch Schröer und seine Frau, sowie eine Freundin des Schröer'sehen Hauses gehörten, aus ihrem «Robespierre» vorlesen. Wir hörten Szenen von hohem dichterischem Schwung, aber in pessimistischem Grundton, von farbenreichem Naturalismus; das Leben von seinen erschütterndsten Seiten gemalt. Vom Schicksal innerlich betrogene Menschengrößen tauchten auf und sanken hinunter in ergreifender Tragik. Das war mein Eindruck. Schröer wurde unwillig. Für ihn durfte die Kunst nicht in solche Untiefen des «Schrecklichen» hinuntersteigen. Die Damen entfernten sich. Sie hatten eine Art von Krämpfen bekommen. Ich konnte mit Schröer nicht übereinstimmen. Denn er schien mir von dem Gefühle ganz durchdrungen, daß zur Dichtung niemals werden dürfe, was schreckliches Erlebnis in der Seele eines Menschen ist, auch wenn dieses Schreckliche ehrlich erlebt ist. Bald darnach erschien von delle Grazie ein Gedicht, in dem die Natur als höchste Macht besungen wird, aber so, daß sie Hohn spricht allem Idealen, das sie nur ins Dasein ruft, um den Menschen zu betören, und das sie ins Nichts zurückwirft, wenn die Betörung erreicht ist.

Ich schrieb in Anknüpfung an dieses Gedicht einen Aufsatz «Die Natur und unsere Ideale», den ich nicht veröffentlichte, sondern in einer geringen Anzahl von Exemplaren drucken ließ. Darin sprach ich von dem Scheine der Berechtigung, welche die Anschauung delle Grazies hat. Ich sagte, daß mir eine Anschauung, die sich nicht verschließt vor dem Feindlichen, das in der Natur gegenüber den menschlichen Idealen liegt, höher stehe als ein «flacher Optimismus», der für die Abgründe des Seins keinen Blick hat. Aber ich sprach auch davon, daß die innere freie Wesenheit des Menschen aus sich erschafft, was dem Leben Sinn und Inhalt gibt, und daß diese Wesenheit sich nicht voll entfalten könnte, wenn ihr von außen, durch eine glückspendende Natur zukäme, was im Innern entstehen soll.

Durch diesen Aufsatz erlebte ich einen großen Schmerz. Als ihn Schröer empfangen hatte, schrieb er mir, daß, wenn ich so über den Pessimismus denke, wir uns nie verstanden hätten. Und wer von der Natur so spreche wie ich in diesem Aufsatze, der zeige damit, daß er Goethes Worte «Erkenne dich und leb' mit der Welt in Frieden» nicht tief genug nehmen könne.

Ich war im tiefsten meiner Seele betroffen, als ich diese Zeilen von der Persönlichkeit empfing, an die ich mit stärkster Anhänglichkeit hingegeben war. Schröer konnte in leidenschaftliche Erregung kommen, wenn er eine Versündigung gegen die als Schönheit wirkende Harmonie in der Kunst wahrnahm. Er wandte sich von delle Grazie ab, als er diese Versündigung nach seiner Auffassung bemerken mußte. Und er betrachtete bei mir die Bewunderung, die ich für die Dichterin behielt, als einen Abfall von ihm und von Goethe zugleich. Er sah in meinem Aufsatze nicht, was ich von dem aus dem eigenen Innern die Hemmnisse der Natur überwindenden Menschengeiste sagte; er war davon verletzt, daß ich von der natürlichen Außenwelt behauptete, sie könne nicht die Schöpferin der wahren inneren Befriedigung des Menschen sein. Ich wollte die Bedeutungslosigkeit des Pessimismus trotz seiner Berechtigung innerhalb gewisser Grenzen darstellen; Schröer sah in jeder Hinneigung zum Pessimismus etwas, was er «die Schlacke ausgebrannter Geister» nannte.

Im Hause Marie Eugenie delle Grazies verlebte ich schöne Stunden meines Lebens. Sie hatte jeden Sonnabend Besuchsabend. Es waren Persönlichkeiten vieler Geistesrichtungen, die sich da einfanden. Die Dichterin bildete den Mittelpunkt. Sie las aus ihren Dichtungen vor; sie sprach im Geiste ihrer Weltauffassung mit entschiedener Wortgeberde; sie beleuchtete mit den Ideen dieser Auffassung das Menschenleben. Es war keine Sonnenbeleuchtung. Eigentlich immer Mondendüsterkeit. Drohender Wolkenhimmel. Aber aus den Wohnungen der Menschen stiegen in die Düsternis Feuerflammen hinauf, wie die Leidenschaften und Illusionen tragend, in denen sich die Menschen verzehren. Alles aber auch menschlich ergreifend, stets fesselnd, das Bittere von dem edlen Zauber einer ganz durchgeistigten Persönlichkeit umflossen." (Lit.: GA 028, S. 91ff)

Werke

Auswahl:

  • Saul
  • Jugend
  • Blauer Falter
  • Liebe (eLib Austria Volltext)
  • Robespierre
  • Der Schatten, Drama (eLib Austria Volltext)
  • Ver Sacrum, Drama
  • Vor dem Sturm (1910)
  • Schlagende Wetter, Drama (eLib Austria Volltext)
  • Stille Geschichte
  • Der Liebe und des Ruhmes Kränze. Ein Roman auf die viola d'amour (1920)
  • Die weißen Schmetterlinge von Clairvoux. Novelle (1925)

Gedichte

Sekundärliteratur:

  • M. Flaschberger: M. E. delle Grazie, eine österreichische Dichterin der Jahrhundertwende. Dissertation, Graz 1978.

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Mein Lebensgang, GA 28 (2000), ISBN 3-7274-0280-6
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks


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