Kosmologie/Geschichte der Kosmologie von den Anfängen bis heute im Überblick

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Geschichte der Kosmologie von den Anfängen bis heute im Überblick

Das bekannte Sternbild Großer Bär (Ursa Major), wie es dem bloßen Auge erscheinen kann
Der Sternhaufen und Nebel der Plejaden (M45)
Die Himmelsscheibe von Nebra
Heute steht Polaris (kleiner Kreis im Zentrum), der Polarstern, ganz nahe des Himmelsnordpols und weist damit den Weg nach Norden. Um 12.000 v. Chr. spielte Wega (links im Bild) diese Rolle, war aber etwas weiter vom Himmelsnordpol entfernt. Der helle Kreis zeigt die Präzessionsbewegung der Erdachse.
Anfangspunkte der zwölf Tierkreiszeichen. Die Sonne bewegt sich an der gezeigten Position nach rechts.
Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Ich sehe sie beide vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz.
Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 1788. Kapitel 34. Beschluß[1]

Vorgeschichte

In der Frühzeit, als die Menschen erstmals ihr staunendes sinnliches Auge zum tiefschwarzen, von tausenden glitzernden Sternen übersäten nächtlichen Himmel erhoben, der noch nicht vom Steulicht der irdischen Städte verschmutzt war, mag dieser Anblick besonders faszinierend, erhebend und Ehrfurcht gebietend zugleich gewesen sein. Und so empfinden zahlreiche Menschen heute noch. Zeigt er uns doch die Heimat, aus der wir als körperliche und geistige Wesen stammen. Und deutlich spricht auch die moderne Kosmolgie auf ihre Art davon, dass wir Kinder der Sternenwelt sind. Immer wieder regt sie bis heute die Imaginationskraft der Menschen an und inspiriert sie zu künstlerischen und wissenschaftlichen Werken.

Sternbilder

Sternbilder haben die Menschheit seit vielen Jahrtausenden fasziniert. Diese scheinbaren Muster von Sternen am Himmel haben die Menschen dazu inspiriert, Geschichten zu erzählen, die Astrologie und Astronomie, die damals noch nicht voneinander geschieden waren, zu erforschen und die Navigation zu verbessern. Die ersten Aufzeichnungen von Sternbildern stammen aus der prähistorischen Zeit. So zeigen schon die Malereien in der jungpaläolithischen Höhle von Lascaux, die nach jünster Datierung mindestens 19.000 - 20.000 Jahre alt sind, eine Gruppe von sechs Punkten, die als Darstellung des im Sternbild Stier gelegenen Siebengestirns der Plejaden gedeutet werden, das damals ganz in der Nähes des Herbstpunkts stand. Die Plejaden verschwanden damals in der Abenddämmerung nicht wie heute im Frühling, sondern kurz vor Herbstbeginn.[2] Dass es nur sechs und nicht sieben Punkte sind, ist leicht erklärt, denn je nach Sichtbedingungen sind die 6 bis 9 hellsten Hauptsterne der Plejaden mit freiem Auge sichtbar, weshalb sie schon seit alters her bekannt sind. Auf der 1999 in Sachsen-Anhalt nahe der Stadt Nebra aufgefundenen Himmelsscheibe von Nebra, die auf die frühe Bronzezeit Mitteleuropas datiert wird, dürfte ihnen eine Gruppe von sieben eng beieinander liegenden Punkten entsprechen, die zwischen der Vollmondscheibe und der zunehmenden Mondsichel abgebildet ist. Bei dieser Himmelsscheibe dürfte es sich um ein frühes astronomisches Instrument zur Bestimmung der Jahreszeiten, vielleicht sogar um einen Lunisolarkalender gehandelt haben.

Verschiedene Kulturen haben im Laufe der Geschichte ihre eigenen Sternbilder entwickelt. In Mesopotamien, etwa 3.000 v. Chr., entwickelten die Sumerer ihre eigene Sternbildsysteme, die später von den Babyloniern übernommen und weiterentwickelt wurden .[3] Die alten Ägypter verwendeten Sternbilder, um ihre Landwirtschaft und religiösen Zeremonien zu planen. Die Griechen übernahmen viele Sternbilder aus der babylonischen Tradition und fügten ihre eigenen Mythen hinzu.[4] Die chinesische Astronomie entwickelte ebenfalls ein komplexes System von Sternbildern, das für die Kalenderberechnung und astrologische Vorhersagen verwendet wurde.[5]

Die systematische Beobachtung von Sternbildern führte zur Entdeckung der Präzession. Sie halfen auch bei der Identifizierung von Planeten, die sich gegenüber dem Hintergrund der Fixsterne bewegen, und trugen zur Entdeckung neuer Planeten wie Uranus und Neptun bei.[6]

Die Erforschung der Sternbildern führte zur Entwicklung von Instrumenten wie dem Astrolabium und dem Quadranten, die für die präzise Messung von Himmelspositionen und die Bestimmung der geografischen Breite verwendet wurden (King, 1995).[7] Diese Instrumente waren entscheidend für die Navigation auf See und trugen dazu bei, dass die großen Entdeckungsreisen des 15. und 16. Jahrhunderts stattfinden konnten.

Die Sterne als Hilfsmittel zur Orientierung in Raum und Zeit

Die Sterne dienten schon den Menschen der Frühzeit als wichtige Orientierungshilfe. In vielen antiken Kulturen wurden die freiäugig sichtbaren Sterne und Himmelskörper verwendet, um die Himmelsrichtungen und die Zeit zu bestimmen. Durch genaue Beobachtung der Sterne und ihrer Bewegungen entwickelten unsere Vorfahren ein grundlegendes Verständnis für Astronomie und Himmelsmechanik, das ihnen half, sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden und den Lauf der Jahreszeiten vorherzusagen.[8]

Ein bekanntes Beispiel für die Verwendung der Sterne zur Bestimmung von Himmelsrichtungen ist die Nutzung des Polarsterns, auch Polaris genannt, zur Bestimmung der Nordrichtung. Der Polarstern steht nahezu direkt über dem Nordpol der Erde und behält seine Position im Laufe der Nacht bei, während sich andere Sterne um ihn herum bewegen. Dadurch kann man den Polarstern als zuverlässigen Indikator für die Nordrichtung verwenden. Schon in der Antike war dieser Zusammenhang bekannt und wurde von verschiedenen Kulturen für die Navigation genutzt.

Um 12.000 v. Chr. nahm der Stern Wega (Alpha Lyrae), nach Arktur der zweithellste Stern am Nordhimmel, in etwa die Rolle des Polarsterns ein. Wega ist der hellste Stern im Sternbild Leier und einer der hellsten Sterne am Nachthimmel. Allerdings war Wega nicht so nahe am Himmelsnordpol wie der heutige Polarstern, Polaris. Die Orientierung am Himmelsnordpol war zu dieser Zeit also weniger präzise als heute. Aufgrund der Präzession der Erdachse, einem langsam verlaufenden Zyklus, bei dem die Rotationsachse der Erde eine Kreisbewegung vollzieht, ändert sich der Stern, der sich nahe des Himmelsnordpols befindet, im Laufe der Zeit. Die Präzession hat eine Periode von etwa 26.000 Jahren, in der sich die Position des Himmelsnordpols entlang einer Kreisbahn bewegt und verschiedene Sterne die Rolle des Polarsterns einnehmen. Die Verwendung von Wega als Polarstern oder anderer „Polarsterne“ für die Navigation in der Frühzeit ist allerdings nicht belegt!

Ein weiteres Beispiel sind die ägyptischen Pyramiden, deren Ausrichtung auf die Himmelsrichtungen genau abgestimmt ist. Die Ägypter benutzten dabei vermutlich die sogenannten Zirkumpolarsterne, die stets über dem Horizont bleiben und ihre Positionen kaum verändern, um die Nord-Süd-Achse auszurichten. Hierbei waren sie in der Lage, die Pyramiden mit einer beeindruckenden Präzision auszurichten.[9]

Auch in anderen Kulturen, wie zum Beispiel bei den Polynesiern, dienten die Sterne zur Navigation auf See. Die Polynesier waren herausragende Seefahrer und nutzten ihr Wissen über die Sterne, um sich auf ihren langen Reisen über den Pazifischen Ozean zu orientieren.[10]

Insgesamt ist die Nutzung der Sterne und Himmelskörper zur Orientierung und zur Bestimmung der Himmelsrichtungen ein grundlegendes menschliches Verhalten, das in vielen Kulturen der Frühzeit ausgeprägt vorhanden war. Die Kenntnis der Sterne und ihrer Bewegungen war eine der ersten wissenschaftlichen Leistungen der Menschheit und bildete die Grundlage für die Entwicklung der Astronomie und der Navigationstechniken.

Astronavigation - Auch Tiere navigieren nach den Sternen

Rotkehlchen (Erithacus rubecula) navigieren nach den Sternen.
Auch Grüne Meeresschildkröten orientieren sich an den Sternen.

Die Fähigkeit, nach den Sternen zu navigieren, ist nicht nur dem Menschen vorbehalten. Tatsächlich nutzen auch einige Tierarten die Sterne als natürlichen Kompass, um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden.

Eine der bekanntesten Tierarten, die nach den Sternen navigieren können, sind Vögel. Besonders bei nächtlichem Vogelzug ist die Orientierung anhand der Sterne von großer Bedeutung. Eine Studie von Mouritsen et al. (2016) hat gezeigt, dass Rotkehlchen (Erithacus rubecula) in der Lage sind, sich anhand des Sternenhimmels zu orientieren. Die Vögel sind in der Lage, die Himmelsrotation zu erkennen und nutzen diese Information, um ihren Zugrichtungen zu bestimmen.[11]

Auch Insekten sind in der Lage, sich anhand von Himmelskörpern zu orientieren. Die afrikanische Silberschnecke (Laeonereis acuta) beispielsweise kann die Position der Milchstraße nutzen, um ihren Weg zum Meer zu finden. Eine Studie von Dacke et al. (2019) hat gezeigt, dass diese Schnecken in der Lage sind, sich anhand der Himmelsrotation zu orientieren und dadurch effizienter zu ihren Brutplätzen zu gelangen.[12]

Die Fähigkeit der Meeresschildkröten, sich nach den Sternen zu orientieren, wurde erstmals in den 1990er Jahren von Lohmann et al. (1996) untersucht. Die Studie zeigte, dass Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas) in der Lage sind, die Himmelsrotation wahrzunehmen und dadurch ihre Richtung im offenen Ozean zu bestimmen.[13]

In einer weiteren Studie von Lohmann et al. (2001) wurde festgestellt, dass auch Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta) die Himmelskörper zur Navigation nutzen. Diese Studie untersuchte die Orientierung von Schildkröten unter künstlichen Sternenhimmeln und zeigte, dass sie in der Lage sind, sich an der Himmelsrotation zu orientieren.[14]

Die genauen neuronalen Mechanismen und Prozesse, die der Astronavigation bei Meeresschildkröten zugrunde liegen, sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch vermutet, dass die Tiere lichtempfindliche Zellen in ihren Augen besitzen, die es ihnen ermöglichen, die Himmelskörper und deren Rotation wahrzunehmen. Diese Informationen könnten dann mit anderen Orientierungshilfen, wie zum Beispiel dem Magnetfeld der Erde, kombiniert werden, um eine präzise Navigation zu ermöglichen.[15]

In einer Studie von Putman et al. (2011) wurde untersucht, wie Meeresschildkröten Magnetfeld- und Himmelsinformationen nutzen, um ihre Wanderungen durchzuführen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Tiere sowohl die magnetische Karte als auch die Himmelsrotation nutzen, um sich effizient in ihrer Umgebung zurechtzufinden[16] und um Jahre nach dem Schlüpfen erstmals wieder zur Eiablage an den gleichen Strand zurückzukehren. Vermutlich wird die Inklination der Feldlinien des Magnetfelds am Geburtsort durch Prägung dauerhaft gelernt.[17]

Die ersten Kalendersysteme

Die Entstehung von Kalendersystemen ist eng verbunden mit dem Beginn der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft entstand während der neolithischen Revolution vor etwa 10.000 bis 12.000 Jahren.[18] Mit dem Übergang von einer nomadischen Lebensweise zu einer sesshaften Lebensweise wurde die Notwendigkeit, die Zeit zu messen und landwirtschaftliche Aktivitäten wie Aussaat, Bewässerung und Ernte zu planen, immer wichtiger. Die Kenntnis der Jahreszeiten war entscheidend, um die besten Zeiten für die verschiedenen landwirtschaftlichen Tätigkeiten festzulegen. In verschiedenen Kulturen entstanden Kalendersysteme, die auf den lokalen landwirtschaftlichen Bedingungen und astronomischen Beobachtungen basierten. Die frühesten Kalender waren vermutlich lunare oder lunisolare Kalender und basierten auf den Zyklen des Mondes und der Sonne.[19]

Die Anfänge der Kosmologie: Antike und Mittelalter

Die Geschichte der Kosmologie im engeren Sinn reicht von den ersten philosophischen und späteren theologischen Überlegungen über die Natur des Universums bis hin zur heutigen wissenschaftlichen Erforschung der Geheimnisse des Kosmos.

Antike

Die Chaldäer
Die Chaldäische Reihe und die Wochentage

Die ersten kosmologischen Ideen entstanden in der Antike. Insbesonders die Chaldäer, die unter ihrem König Nabopolassar 625 v. Chr. die volle Herrschaft über ganz Babylonien erlangt und das Neubabylonische Reich begründet hatten, verstanden sich ganz besonders auf Kalenderberechnungen und astronomisch-astrologische Beobachtungen und Deutungen, wodurch Babylonien zu einem Zentrum der Sternkunde aufstieg. Schon bald wurde der Name der Chaldäer synonym für «Sternenkundige» aller Art gebraucht, die oft aber auch persischer oder medischer Abkunft waren. Eines der bedeutendsten astronomischen Werke der Chaldäer ist das sogenannte Enūma Anu Enlil, eine Sammlung von mehr als 7.000 Keilschrifttafeln, die sorgfältige Beobachtungen des Himmels und astrologische Omen enthalten.[20] Was die chaldäischen Priesterastronomen ganz besonders auszeichnete, war die hohe Präzesion ihrer Beobachtungen, die bis in die Neuzeit unerreicht blieb, und die Fähigkeit, die gewonnen Daten in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen. So erstellten sie umfangreiche Kataloge, in denen sie Planetenbewegungen, Mondphasen und Sonnen- und Mondfinsternissen verzeichneten und konnten langfristige Vorhersagen über den Himmel und das Wetter machen. Ihre Fähigkeiten in Mathematik und Geometrie nutzten sie, um präzise astronomische Berechnungen durchzuführen und entwickelten detaillierte Ephemeriden, die es ihnen ermöglichten, auch den künftigen Lauf der Planeten und die Perioden der Finsternisse vorherzusagen. Dabei erkannten sie auch, dass die Planeten nicht nur in gleichsinnig fortschreitenden Bahnen über den Himmel wandern, sondern manchmal auch ihre Richtung ändern. Obwohl der Tierkreis von verschiedenen Kulturen entwickelt und genutzt wurde, war der Beitrag der Chaläer der vermutlich wichtigste. Sie teilten dazu die scheinbare Bahn der Sonne, die Ekliptik, in zwölf Abschnitte zu 30°, die sie jeweils einem Sternbild zuordneten. Die Chaldäer waren auch die ersten, die den Tag in 24 Stunden unterteilten, was heute noch die Grundlage unseres Zeitsystems bildet. Auf die Chaldäer geht insbesondere auch die sogenannte Chaldäische Reihe zurück, die im Tetrabiblos des Ptolemäus überliefert wurde, und noch heute die Reihenfolge unserer Wochentage bestimmt. Die Reihung «Saturn (Samstag) - Sonne (Sonntag) - Mond (Montag) - Mars (Dienstag) - Merkur (Mittwoch) - Jupiter (Donnerstag) - Venus (Freitag)» läßt sich ableiten, wenn man die damals bekannten sieben Planeten, beginnend mit dem Saturn, nach abnehmender siderischer Umlaufzeit im Uhrzeigersinn den Spitzen eines Siebensterns zuordnet und dann den Linien, die den Siebenstern bilden, ausgehend vom Saturn folgt.

Die Gestalt der Erde
Das Horizontsystem für die nördliche Erdhalbkugel.
Okeanos umfließt die bewohnte Welt
Rekonstruktion der Weltkarte des Hekataios von Milet.
Schematische Darstellung der Kugelgestalt der Erde von Krates mit bewohnbaren (grün) und unbewohnbaren (grau) Zonen und den sich in rechtem Winkel schneidenden Weltozeanen.
Die gegenüber einer Kugel leicht abgeplattete Form der Erde kann ungefähr durch ein Rotationsellipsoid angenähert werden (zur Verdeutlichung übertriebene Darstellung, die nicht den hier eingetragenen Maßen der Halbachsen a und b nach WGS 84 entspricht)
Visualisierung des Geoids
Flache Erde (Scheibenerde)

Wesentlich verändert haben sich im Laufe der Geschichte auch die Vorstellungen, die man sich von der Gestalt der Erde machte. In vielen frühen Kulturen war die dem unmittelbaren Augenschein entsprechende Idee verbreitet, dass die Erde flach sei und von einem himmlischen Gewölbe überdacht werde, so z. B. im Alten Ägypten und in Mesopotamien. Auf dieser Anschauung beruht auch das heute noch in der Astronomie, Geodäsie und Navigation verwendete Horizontsystem, als das jedem Beobachter vertrauteste astronomische Koordinatensystem, in dessen Ursprung er sich selbst befindet. Die Lage jedes Gestirn wird dabei durch dessen Höhenwinkel (Elevation) und durch den Winkel in der Süd-Richtung über Westen, das Azimut (Südazimut) (von arab. السموت‎, DMG as-sumūt ‚die Wege‘), beschrieben. In der Geodäsie und Navigation und zunehmend auch in der Astronomie wird hingegen zumeist das Nordazimut verwendet, d. h. der Winkel von Norden über Osten. Über den Polarstern kann der Nordpol leicht anvisiert werden.

Auch die alten Griechen stellten die Erde oft als flache Scheibe dar, umflossen vom kosmischen Strom des Okeanos, der vom Meer wohl unterschieden wird. Laut Homer ist er der Ursprung der Götter[21] und aller irdischen Gewässer[22] und bildet die Grenze zur Unterwelt.[23] Im Osten steigt Helios aus ihm empor und taucht im Westen wieder unter, und alle Gestirne baden in ihm. Im äußersten Westen liegt auch Elysion, die „Insel der Seligen“.[24] Mit seiner Gattin, der Meeresgöttin Tethys, die wie er unmittelbar von Gaia und Uranos abstammt, liegt er beständig im Streit. Diese Entzweiung des Götterpaars hat eine deutliche Parallele im Mythos von Apsu und Tiamat im babylonischen Schöpfungsmythos Enûma elîsch.

Auch Hekataios von Milet, der um 500 v. Chr. lebte und einer der ersten bekannten griechischen Autoren ist, der über Geschichte, Geographie und Ethnographie schrieb, stellte die Erde noch als flache Scheibe dar, die vom Okeanos umgeben ist. Er war bemüht, genaue geographische Informationen zu sammeln und zu verwenden und berichtete zum Beispiel über seine Reisen und seine Begegnungen mit verschiedenen Völkern rund um das Mittelmeer und den Schwarzen Meer. Allerdings blieb seine Vorstellung von der Erde grundsätzlich mythisch und spekulativ und wurde von anderen griechischen Philosophen und Geographen überholt, die ein sphärisches Modell der Erde unterstützten.

Sphärische Erde

Pythagoras (um 570-495 v. Chr.) wird oft als der erste Philosoph genannt, der die Erde als Kugel beschrieb. Es gibt allerdings auch andere Quellen, die Parmenides (um 515-450 v. Chr.) als den ersten nennen.[25] Im 3. Jahrhundert v. Chr. machte schließlich der griechische Astronom und Geograph Eratosthenes sein berühmtes Experiment, um den Umfang der Erde zu berechnen. Er nutzte die Unterschiede im Schattenwurf von Stöcken an verschiedenen Orten, um zu schätzen, dass die Erde eine Kugel mit einem Umfang von etwa 39.375 Kilometern ist. Das ist bereits erstaunlich nahe an den modernen Messungen.[26]

Krates von Mallos war ein einflussreicher Grammatiker und Philosoph aus dem antiken Griechenland, bekannt für seine bahnbrechenden Beiträge zur griechischen Literatur und Wissenschaft. Geboren im 2. Jahrhundert v. Chr. in Mallos, einer Stadt in der heutigen Türkei, war er eine zentrale Figur in der hellenistischen Gelehrtenwelt.

Krates beschäftigte sich auch mit der Kugelgestalt der Erde.[27] Seine These von einem viergeteilten Globus prägte die antike und abendländische Vorstellungswelt bis ins ausgehende Mittelalter. Demnach gliedert sich die Erde in fünf Klimazonen, von denen die beiden Polarregionen zu kalt, die Äquatorzone zu heiß für Menschen sind. Bewohnbar seien lediglich die zwei gemäßigte Zonen. Die vier Kontinente entstehen durch die sich in rechtem Winkel schneidenden Weltozeane, von denen der eine sich rings um den Äquator erstreckt, der andere als Meridian die Pole verbindet.[28]

Die bekannte Weltgegend, die damals Europa, Asien und das nördliche Afrika umfasste, bezeichnet Krates als Ökumene und den eventuell über den Atlantik erreichbaren westlichen Kontinent als Periökumene. Die wegen des äquatorialen Hitzegürtels unerreichbaren Weltteile sind die Antökumene und der Antichthonenkontinent. Krates erkannte auch, dass die Jahreszeiten auf der Südhalbkugel denen der Nordhalbkugel entgegensetzt sein müssen.[29]

Ellipsoidale Erde

Mit der Entwicklung von genauen geodätischen Messungen und der Physik im 17. und 18. Jahrhundert begann man zu erkennen, dass die Erde nicht genau eine Kugel ist, sondern eher ein Ellipsoid - etwas abgeflacht an den Polen und ausgedehnt am Äquator. Die darau resultierende Abplattung der Erde macht etwa 21 Kilometer aus. Sie ist auf die Zentrifugalkraft zurückzuführen, die durch die Rotation der Erde erzeugt wird.

Die französische Akademie der Wissenschaften schickte im Jahr 1735 eine Expedition nach Peru (jetzt Ecuador), um den Erdumfang am Äquator zu messen, und eine andere nach Lappland, um ihn an den Polen zu messen. Diese Messungen bestätigten, dass die Erde ein Ellipsoid ist.[30]

Geoid

Das modernste Modell der Erdform ist das Geoid. Ein Geoid ist eine theoretische Erdform, die den mittleren Meeresspiegel über die gesamte Erdoberfläche hinweg verlängert und durch die Schwerkraft bestimmt wird. Dieses Modell stellt die Erde als unregelmäßige Form dar, die von der perfekten Kugel oder dem perfekten Ellipsoid abweicht. Die genaue Form des Geoids wird durch komplexe Messungen der Schwerkraft, der Gezeiten und anderer Kräfte bestimmt.

Im 19. und 20. Jahrhundert ermöglichten Fortschritte in der Geodäsie und der Satellitentechnik eine immer genauere Bestimmung der Geoidform. Mit der Entwicklung von Satelliten wie dem Gravity Recovery and Climate Experiment (GRACE) und dem Gravity field and steady-state Ocean Circulation Explorer (GOCE) konnten Wissenschaftler detaillierte Karten des Geoids erstellen, die Variationen in der Schwerkraft und die daraus resultierenden Variationen in der Erdform darstellen.[31]

Der Stoff aus dem die Welt entsteht: Die griechische Naturphilosophie

Mit dem Erwachen des philosophischen Denkens gaben die Griechen auch der Kosmologie eine neue Wendung, indem sie versuchten, das Universum durch natürliche Gesetze zu erklären und damit das mythologische Denken zunehmend in den Hintergrund drängten.

Der Satz des Thales: Rechtwinkeliges Dreieck mit Halbkreis und Mittelpunkt M

Mit Thales von Milet (ca. 624-546 v. Chr.), der als Philosoph, Mathematiker und Astronom tätig war und insbesondere für den nach ihm benannten Satz des Thales über rechtwinkelige Dreiecke weithin bekannt ist, wird gemeinhin der Beginn der griechische Naturphilosophie angesetzt. Als Naturphilosoph sah er das Wasser als Urstoff aller Dinge an und war davon überzeugt, dass alle Dinge aus Wasser entstehen und sich letztendlich wieder in Wasser auflösen.

Anaximenes (ca. 586-526 v. Chr.), der ebenfalls in Milet lebte und wirkte, sah hingegen die Luft als das grundlegende Element an, aus dem alle anderen Stoffe durch Verdichtung oder Verdünnung entstünden.

Heraklit (ca. 535-475 v. Chr.) aus Ephesos, der wegen seiner tiefgründigen und oft schwer verständlichen Aussagen auch der „Dunkle“ genannt wurde, sah das Feuer als das grundlegende Element an und betonte die Rolle des Wandels in der Natur. Er behauptete, dass alle Dinge einem ständigen Prozess des Werdens und Vergehens unterliegen. Später wurde dieser beständige Wandel auf die populäre Kurzformel panta rhei („Alles fließt“) gebracht.

„Wer in dieselben Fluten hinabsteigt, dem strömt stets anderes Wasser zu. Auch die Seelen dünsten aus dem Feuchten hervor.“

Heraklit: Fragmente 12[32]

Besonders beschäftigte Heraklit das Verhältnis von Gegensätzen zueinander, wie etwa von Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, Eintracht und Zwietracht. Die Auseinandersetzung, der Streit, galt ihm als Ursache allen Werdens.

„Das auseinander Strebende vereinigt sich und aus den verschiedenen [Tönen] entsteht die schönste Harmonie und alles entsteht durch den Streit.“

Heraklit: Fragmente 8[33]

Wenig ist über Heraklits Leben bekannt und von seinen Werken sind nur Fragmente erhalten, die von späteren Autoren überliefert wurden. Als gesichert gilt immerhin, dass er sein Werk ursprünglich im Artemistempel von Ephesos hinterlegte[34] und man kann wohl davon ausgehen, dass er in die Mysterien von Ephesos eingeweiht war.

Der Ätna auf Sizilien mit Catania im Vordergrund. In diesem mit rund 3357 m höchsten aktiven Vulkan Europas soll Empedokles freiwillig sein Leben beeendet haben.

Empedokles (ca. 494-434 v. Chr.) aus Akragas, dem heutigen Agrigent auf Sizilien, war der erste, der die Lehre von den vier Elementen - Erde, Wasser, Luft und Feuer - formulierte, die das Weltbild der Antike und des Mittelalters bis in die Neuzeit hinein nachhaltig prägte. Empedokles ging davon aus, dass alle Substanzen aus diesen vier Elementen in verschiedenen Kombinationen bestehen, und dass zwei Kräfte, Liebe und Streit, für ihre Verbindung und Trennung verantwortlich sind. Eine wichtige Rolle in seinem philosophischen System spielten ethische Erwägungen, die sich auf seine Seelenwanderungs- bzw. Reinkarnationslehre stützten und eine strenge Gewaltlosigkeit forderten. Berühmt ist auch die Legende, dass er seinem Leben selbst ein Ende setzte, in dem er sich in den Ätna stürzte.

In moderner Gestalt findet sich die antike Elementelehre in den Aggregatzuständen wieder, die heute in der Physik unterschieden werden. Es gibt die drei klassischen Aggregatzustände fest, flüssig und gasförmig und darüber hinaus weitere nichtklassiche Zustandsformen, insbesondere das Plasma, das oft als vierter Aggregatzustand gezählt wird. Bezüglich ihrer physikalischen Eigenschaften korrespondieren diese vier Aggregatzustände mit den klassischen vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer. Der feste und flüssige Aggregatzustand werden zusammenfassend auch als kondensierte Materie bezeichnet. Die sog. weiche kondensierte Materie lässt sich nicht eindeutig dem festen oder flüssigen Zustand zuordnen. Dazu zählen u.a. Flüssigkristalle, Gele, kolloidale Suspensionen wie beispielsweise Blut, Elastomere, Polymerschmelzen, Polymerlösungen und Polyelektrolyte, zu denen auch viele Biopolymere wie etwa die DNA gehören, und auch Tenside. Viele dieser Substanzen zeigen nichtlineare Materialeigenschaften und neigen zur Bildung komplexer dynamischer Strukturen durch Selbstorganisation und sind eine wesentliche Voraussetzung für die vielfältigen Erscheinungen des Lebens auf Erden - und vielleicht auch auf ähnlich gearteten Exoplaneten.

Leitsterne am Philosophenhimmel: Platon und Aristoteles

Platon (427-347 v. Chr.), bekannt vor allem für seine Ideenlehre, hat seine seine Theorie von der Entstehung und dem Aufbau des Kosmos sowie der Bewegung der Gestirne hauptsächlich in seinem Dialog „Timaios“ dargestellt. Der Kosmos ist seiner Ansicht nach das Produkt eines göttlichen Handwerkers, des Demiurgen, der von Platon als vollkommen gut beschrieben wird. Er formt das Universum nach einem ewigen Modell aus unvergänglichen archetypischen Ideen oder Formen, von denen die physische Welt nur ein vergängliches sinnliches Abbild ist. Ähnlich wie Empedokles und Aristoteles glaubte Platon an die vier grundlegenden Elemente - Erde, Wasser, Luft und Feuer, gab ihnen aber eine geometrische Deutung und wählte dazu die fünf regelmäßigen Polyeder mit der höchstmöglichen Symmetrie aus, die nach ihm benannten Platonischen Körper. Jedes Element wird durch eine bestimmte geometrische Form repräsentiert. Vier dieser Elemente bzw. Formen, die beliebig kombiniert werden können, bilden alle physischen Objekte im Universum, die fünfte Form entspricht dem Kosmos. Auf andere Art sprach auch Aristoteles von einem fünften Element, das er den überirdischen Himmelssphären zuordnete. Aus Platons Timaios ergibt sich folgende Zuordnung:

TetraederFeuer OktaederLuft IkosaederWasser WürfelErde DodekaederKosmos

Platon stellte sich das Universum als eine riesige Kugel vor, die von den Fixsternen begrenzt wird. Innerhalb dieser Sphäre gäbe es kleinere Sphären, die die Planeten, den Mond und die Sonne enthalten. Jede dieser Sphären drehe sich in einer perfekten gleichförmigen Kreisbewegung, was Platons Ansicht entspricht, dass der Kreis die vollkommenste geometrische Form ist. Dies sei der Grund, warum wir die Gestirne in konstanten Bahnen sich um die Erde bewegen sehen. Diese Bewegung werde durch die Weltseele verursacht, die die ganze Welt durchdringe und Leben und Ordnung im Kosmos schaffe.[35][36][37][38]

Aristoteles (384-322 v. Chr.), einer der bedeutensten und bis in die beginnende Neuzeit einflussreichsten Denker der abendländischen Geistesgeschichte, wurde in Stageira in Makedonien als des Nikomachos geboren, der als Leibarzt am Hof des makedonischen König Amyntas II tätig war. Mit 17 Jahren trat er in Akademie Platons in Athen ein und studierte dort 20 Jahre. Von 343 v. Chr. bis 336 v. Chr. unterrichtete er im Auftrag des makedonischen Königs Philipp II. dessen Sohn Alexander den Großen. Danach kehrte er nach Athen zurück und begründete dort seine eigene philosophische Schule, das Lykeion, das später auch wegen des Ortes, an dem der Unterricht stattfand, als Peripatos („Wandelhalle“) bezeichnete wurde und aus der die philosophische Richtung der Peripatetiker hervorging.

In seinem Werk „Über den Himmel“ („De Caelo“) stellte Aristoteles seine Lehre über die Bewegung und die Eigenschaften der Himmelskörper oder Gestirne dar. Er postulierte ein geozentrisches Universum in dessen Mittelpunk die Erde steht, das sich durch seinen überragenden Einfluss auf das abendländische Denken bis zur kopernikanischen Wende im 16. Jahrhundert hielt. Ähnlich wie Platon stellte er sich das Universum als eine Reihe konzentrischer Sphären vor, von denen jede einen Himmelskörper - Sterne, Planeten, Sonne und Mond - beherbergt. Jede dieser Sphären bewege sich in einer perfekten Kreisbewegung, die für Aristoteles ebenso wie für Platon die „natürliche“ Bewegung im Himmel darstellte, denn sie allein läuft ewig kontinuierlich in sich selbst zurück, ohne Anfang und ohne Ende, ohne Entstehen oder Vergehen.[39] Aristoteles war von der prinzipiellen Unveränderlichkeit des Himmels überzeugt. Während sich die sublunare Welt ständig ändert und vergänglich ist, sollte der translunare Bereich ewig, unveränderlich und unvergänglich sein. Um die Bewegung der Himmelskörper zu erklären, postulierte er die Existenz eines fünften Elements, der Quintessenz bzw. des Äthers, aus denen die Sphären geschaffen seien, in denen die Himmelskörper beheimatet sind. Dieses Element sei anders als die vier sublunaren irdischen Elemente (Erde, Wasser, Luft und Feuer) und existierte nur im jenseits des Mondes gelegenen translunaren Bereich. Schließlich postulierte Aristoteles auch im Rahmen seiner Bewegungslehre die Existenz eines „unbewegten Bewegers” als einer ersten, ewigen und unveränderlichen Ursache, die die Bewegung aller Himmelskörper verursache, den spätere Theologen und Philosophen mit Gott identifizierten.

Atomismus

Der griechische Philosoph Leukipp, der im 5. Jahrhundert v. Chr. geboren wurde und zu den Vorsokratikern gezählt wird, gilt gemeinhin als Begründer der Atomlehre. Über sein Leben und Werk ist wenig bekannt, da keine seiner Schriften erhalten geblieben sind. Seine Ideen sind hauptsächlich durch die Schriften seines Schülers Demokrit und späterer Philosophen wie Aristoteles und Epikur bekannt.[40]

Demokrit von Abdera, der im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. lebte, ist besser bekannt und hat die Ideen seines Lehrers weiterentwickelt. Auch von ihm sind keine Schriften erhaltenen, aber sein Werk wurde ausgiebig von späteren Autoren zitiert und diskutiert. Leukipp und Demokrit postulierten, dass das Universum aus zwei grundlegenden Entitäten bestehe, den Atomen und dem Leeren. Atome sind nach ihrer Vorstellung ewige, unveränderliche und unteilbare Teilchen, während das Leere den Raum darstellt, in dem sich die Atome bewegen. Diese Atome, so behaupteten sie, können unterschiedliche Formen, Größen und Gewichte haben, und ihre Kombinationen und Anordnungen erzeugen die Vielfalt der Dinge in der Welt. Ein Stein und ein Baum bestehen beispielsweise aus den gleichen Atomen, aber in unterschiedlichen Anordnungen. Sie behaupteten auch, dass alle Veränderungen in der Welt - wie Geburt, Tod, Wachstum und Zerfall - das Ergebnis der Bewegung und Neuanordnung von Atomen im Leeren sind.

Epikur (341-270 v. Chr.), der vor allem für seine Ethik des Hedonismus bekannt ist, entwickelte auch ein umfangreiches physikalisches System, das auf der Atomtheorie basiert, die er von Demokrit übernommen und weiterentwickelt hatte. Die Materie sei ungeschaffen und unvergänglich. Sie bestünde aus letzten unteilbaren Einheiten, den unsichtbaren Atomen, die sich nach Größe, Gestalt und Schwere unterscheiden und sich in der unendlichen Leere des Raumes ihrer Natur gemäß geradlinig im freien Fall bewegen. Nicht nur die Materie, sondern auch die Seele, die im ganzen Körper wirke, aber im Herzen ihren Hauptsitz habe, bestehe aus Atomen. Da das Universum unendlich und unbegrenzt sei, gebe es zwar auch eine unendliche Anzahl von Atomen, doch sei die Zahl ihrer Formen und Kombinationsmöglichkeiten begrenzt. Tatsächliche gebe es eine unendliche Zahl von Welten, die der unseren ähnlich sind, und unendlich viele, die ihr nicht ähnlich sind. Da auch die Zeit unendlich sei, wären alle Kombinationsmöglichkeiten schon unendlich oft dagewesen und würden auch zukünftig unendlich oft wieder erscheinen - was an Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkunft des ewig Gleichen erinnert. In einem wesentlichen Punkt ging Epikur über Leukipp und Demokrit hinaus, in dem er die Idee des sogenannten „Clinamen“ einführte, einer kleinen unvorhersehbaren Abweichung von der geradlinigen Bewgung der Atome, die ihm als Mechanismus für die Interaktion und Kombination der Atomen diente. Dies war ein bedeutender Schritt, denn er ermöglichte es Epikur, den strengen Determinismus abzulehnen und das Konzept des freien Willens in seine Physik einzubeziehen.[41]

Der römischer Dichter und Philosoph Titus Lucretius Carus, bekannt als Lukrez, der im ersten Jahrhundert v. Chr. lebte, gab in seinem Hauptwerk, "De rerum natura" ("Über die Natur der Dinge"), eine umfassende Darstellung der epikureischen Philosophie und Wissenschaft, einschließlich der Atomtheorie. Lukrez' Atomtheorie ist ein bemerkenswertes Beispiel für die Art und Weise, wie die antike Wissenschaft und Philosophie versuchten, die Komplexität der natürlichen Welt zu erklären und zu verstehen. Durch die Vorstellung von Atomen und dem Leeren als grundlegenden Bestandteilen der Realität bot Lukrez ein Modell der physischen Welt, das auf Beobachtung und Rationalität basiert, anstatt auf Mythen oder übernatürlichen Kräften. In einer beeindruckenden Synthese von Poesie und Wissenschaft, von Philosophie und Empirie, veranschaulicht Lukrez das epikureische Streben nach einem klaren Verständnis der Natur, das frei von übernatürlichen Furcht einflößenden Faktoren ist und den Menschen in die Lage versetzt, sein eigenes Leben mit Vernunft und Gelassenheit zu führen. Darüber hinaus legte seine Betonung auf die Ewigkeit der Atome und ihre Fähigkeit, eine Vielzahl von Substanzen und Phänomenen durch ihre verschiedenen Kombinationen und Anordnungen zu erzeugen, einen wichtigen Grundstein für die späteren Entwicklungen in der Physik und Chemie.

Das erste Atomkonzept der indischen Philosophie geht auf den indischen Weisen Kaṇāda zurück, der vermutlich im 2. Jahrhundert v. Chr., vielleicht auch schon im 6. Jahrhundert v. Chr. [42] [43] [44] lebte und der Begründer der indisch-philosphischen Vaisheshika-Schule war. Die Legende erzählt, dass Kaṇāda, der damals noch Kashyapa genannt wurde, als Junge seinen Vater auf einer Pilgerreise zum Ganges begleitete. Er sah die tausenden Pilger, die auf ihrem Weg immer wieder einzelne Reiskörner verloren, doch niemand achtete darauf. Kashyapa aber sammelte jedes Körnchen auf. Als ihn der hochgelehrte Weise Muni Somasharma ob dieses ungewöhnlichen Verhaltens befragte, antwortete Kashyapa, dass die Körner, so klein sie auch sein mögen, doch Teil der Schöpfung seien. Einzeln mögen sie wertlos erscheinen, doch einige hundert von ihnen seien bereits eine Mahlzeit für einen Menschen, viele Mahlzeiten könnten eine Familie ernähren und letzlich die ganze Menschheit, die ja aus vielen Familien bestünde - und darum sei jedes Körnchen so wichtig wie der höchste Reichtum der Welt. Muni Somasharma war tief beeindruckt und sagte voraus, dass Kashyapa einst ein großer Philosoph würde. Von nun an solle er ob seiner Achtsamkeit für die kleinsten Körnchen Kaṇāda (Sanskrit: कणाद; Korn-Esser) heißen. Dieses Erlebnis soll der Keim gewesen sein, aus dem Kaṇāda später seine Atomlehre entwickelte.

Nach Kaṇāda gibt es 4 Atomarten mit jeweils ganz charakteristischen Eigenschaften, die den vier physischen Elemementen Erde (prithivi), Wasser (apa), Feuer (teja) und Luft (vayu) entsprechen. Darüber hinaus nennt Kaṇāda noch als fünftes Element den Äther (akasha), der aber nicht mehr materiell, sondern Träger des Tons (shabda) sei. Alle Atome eines bestimmten Elements gleichen einander dabei aufs Haar. Diese kleinsten dinghaften, noch räumlich fassbaren Einheiten der Materie nannte Kaṇāda Anu (im Sanskrit eine gebräuchliche Vorsilbe mit vielschichtiger Bedeutung [45]: nach, nahe, unter, untergeordnet, immer, leicht, ...; seit Kaṇāda auch im Sinne von Atom gebraucht, als das, was der sichtbaren Materie zugrundeliegt). Kaṇāda geht aber noch weiter, denn eigentlich sind nicht die räumlich fassbaren Anus die kleinsten Einheiten, sondern die sogenannten Paramanus (zusammengesetzt aus param und anu - was soviel bedeutet wie: jenseits des Atoms). Sie entstanden am Anfang der Schöpfung als gestaltlose, punktförmige, nicht-räumliche Ureinheiten. Daraus bildeten sich zunächst Dyaden (dwinuka) aus zwei paramanus oder Tetraden (Chaturanuka) aus 2 Dwinukas oder vier Paramanus - und damit traten erst die räumlich fassbaren anus hervor. Die sind immer noch zu klein, um gesehen werden zu können, aber indem sie sich weiter zu noch größeren Gebilden zusammenlagern, treten sie schließlich in die Sichtbarkeit.

Bewegt werden die Atome durch eine unsichtbare (skrt. अदृष्ट adrishta adj., m. u. n. „unsichtbar, unerwartet“) übersinnliche Kraft, die aus den unsichtbaren Folgen früherer Taten resultiert und zwischen Ursache und Wirkung gemäß dem Gesetz des Karmas (zeitlich versetzt) vermittelt, wodurch sich eine einzigartig neue (skrt. अपूर्व adj., m. u. n. apurva "einzigartig", "einmalig", "wie kein anderer", "wie nie zuvor" oder "beispiellos") Erscheinung auf der physischen Ebene manifestiert - was wiederum an die oben genannte, von Epikur und Lukrez postulierte Idee des Clinamen, der unvorhersehbaren „geringfügigen Abweichung“, erinnert. Adrishta ist ebenso die Ursache für die Folgen einer guten oder schlechten Tat, wie für die Bewegung der Kompassnadel durch den Magnetstein, für das Aufwärtsflammen des Feuers, die Seitwärtsbewegung der Luft und die Bewegungen der Atome am Anfang der Schöpfung. Kaṇāda argumentierte, dass Atome an sich keine qualitativen Eigenschaften haben, sondern erst dadurch entstehen, dass sie durch die unsichtbare Kraft von Adrishta kombiniert und getrennt werden.[46] Adrishta spielt hier eine ähnliche Rolle wie das moderne Konzept der Naturgesetze, das die Wechselwirkungen zwischen Teilchen regelt. Besonders bedeutsam an diesem Konzept der durch Adrishta bedingten Kausalität ist, dass die Wirkung nicht unmittelbar der Ursache folgen muss, sondern durch einen mehr oder weniger langen Zeitraum von dieser getrennt sein kann.

Bemerkenswert ist die die Atomtheorie von Kaṇāda wegen ihrer Ähnlichkeiten zur Atomtheorie, die von den alten griechischen Philosophen und später von den modernen Wissenschaftlern entwickelt wurde und erstaunlich nahe der modernen physikalischen Atomlehre steht, nach der alle Materie letztlich aus punktförmig gedachten, nicht dinghaften Elementarteilchen (Leptonen und Quarks) besteht, deren Verhalten letztlich durch eine Wellengleichung beschrieben wird und aufgrund der Unbestimmtheitsrelation nicht exakt, sondern nur statistisch vorhersehbar ist.

Die heliozentrischen und geozentrischen Weltbilder der Antike
Eudoxos Modell der homozentrischen Sphären, hier realisiert mit zwei Ringen für die Darstellung der Bewegungen der Sonne relativ zur Erde im geozentrischen System.
Der Kreis des Apollonios ist definiert als die Menge aller Punkte , für die das Verhältnis (d.h. der Quotient) der Entfernungen zu zwei gegebenen Punkten A und B einen vorgegebenen konstanten Wert hat. Er wird deshalb gelegentlich auch als Quotientenkreis bezeichnet.
Die Schleifenbahn eines Planeten nach der Epizykeltheorie.
Schematische Darstellung des Ptolemäischen Systems von Deferent und Epizykel. Im Centrum Mundi befindet sich die punktförmige Erde. Um die Exzentrizität des Planeten versetzt befindet sich darüber das Centrum Deferentis. Im gleichen Abstand liegt darüber das Centrum Equantis. Von diesem Punkt aus bewegt sich der Epizykel mit konstanter Winkelgeschwindigkeit auf dem Deferent, was durch die blau gefärbten Flächen symbolisiert wird. Die Überlagerung von Epizykelbewegung und Deferentenbewegung ist als gestrichelte rote Linie zu sehen. Die grüne Linie zeigt den wahren Ort des Planeten auf der Ekliptik. Zusätzlich ist als Verlängerung der Linie der Zentren die sogenannte Aux des Planeten angezeigt, also der Winkel zum Frühlingspunkt der Ekliptik.
Darstellung des geozentrischen Weltbilds des Ptolemäus mit der Erde im Mittelpunkt (1661).

Herakleides Pontikos, Aristarchos von Samos und Seleukos von Seleukia vertraten ein heliozentrische Weltbild, während Gelehrte wie Aristoteles, Hipparch und Ptolemäus Modelle des Universums entwickelten, in denen die Erde im Zentrum stand.

Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass die Gestirne auf kristallenen Sphären fixiert sind und sich mit diesen auf idealen Kreisbahnen mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, was den Griechen als die vollkommenste und dem himmlischen Bereich einzig angemessene Bewegungsform erschien. Doch damit ließ sich weder die zeitweise scheinbar rückläufige Bewegung der Planeten noch ihre wechselnde Helligkeit verstehen, die auf ihre variable Entfernung von der Erde hinzuweisen schien.

Um dieses Problem zu lösen führte bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. der griechische Astronom Eudoxos von Knidos zusätzlichen Sphären mit beweglichen Kreisen ein, um die de facto ungleichmäßig erscheinende Bewegung der Himmelskörper zu erklären. Sein System der homozentrischen Sphären beruht auf konzentrischen Kugelschalen (Sphären), die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und in verschiedenen Richtungen gleichförmig um gegeneinander geneigte Achsen um das gemeinsame Zentrum - also homozentrisch - rotieren, in dem die Erde steht. Dabei handelte es sich um ein rein mathematisches Modell, das keinerlei Anspruch erhob, die physikalische Realität widerzuspiegeln. Sein System konnte allerdings auch nicht alle Unstimmigkeiten beseitigen. Deshalb führte sein Schüler Kallippos von Kyzikos später zusätzliche Sphären ein.

Erst gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. führte der griechischer Mathematiker und Astronom Apollonios von Perge, der für seine Schrift über die Kegelschnitte und den später nach ihm benannten Apolloniuskreis bekannt ist, den Begriff des Epizykels (von griechisch epíkyklos „Neben- oder Aufkreis“, von epi „auf“ und kyklos „Kreis“) ein, eines kleinen Kreises, dessen Mittelpunkt sich entlang eines größeren Kreises, des Deferenten (von lateinisch deferre „wegtragen“, „mitnehmen“), bewegt, in dessen Mittelpunkt die Erde steht, wobei sich beide Kreise annähernd parallel zur Ebene des jährlichen Sonnenumlaufs (d. h. zur Ekliptik) mit konstanter Geschwindigkeit gegen den Uhrzeigersinn bewegen. Auch dieser Ansatz führte noch nicht zu wirklich befriedigenden Ergebnissen. Ein wesentlicher Fortschritt wurde erst erreicht, als spätestens Ptolemäus die Epizykeltheorie mit der bereits im 2. Jahrhundert v. Chr. von Hipparchos von Nicäa eingeführten Exzentertheorie verband, der als erster vorgeschlagen hatte, dass die Erde nicht genau im geometrischen Zentrum des Systems steht, sondern zu einem exzentrisch gelegenen Punkt verschoben ist.

Claudius Ptolemäus, der um das Jahr 100 n. Chr. im ägyptischen Alexandria geboren wurde, war einer der einflussreichsten Gelehrten der griechisch-römischen Antike. Sein bedeutenstes Werk ist die „Mathematike Syntaxis“, besser bekannt unter dem arabischen Titel „Almagest“, das in 13 Büchern die Astronomie behandelt. Das Almagest ist eine systematische Darstellung des damaligen astronomischen Wissens und hat die westliche Astronomie über Jahrhunderte hinweg nachhaltig geprägt. In diesem Werk legte Ptolemäus die Grundlagen für das geozentrische Weltbild dar, das besagt, dass die Erde im Zentrum des Universums steht und die Planeten, Sonne und Sterne sich um die Erde drehen. Die „Mathematike Syntaxis“ enthält wichtige Beiträge zur Trigonometrie, insbesondere zur sphärischen Trigonometrie, die bei der Berechnung von Positionen am Himmel von großer Bedeutung ist. Ptolemäus führte auch die trigonometrische „Tafel“ (heute als "Tafelwerte" oder "Tabellen" bekannt) ein, der als Tabelle von Winkelfunktionen diente und die Berechnung von trigonometrischen Problemen erleichterte. Das Almagest enthält auch eine große Sammlung von Himmelskarten und Tabellen, mit deren Hilfe man den Stand der Planeten zu verschiedenen Zeitpunkten mit relativ hoher Genauigkeit vorhersagen konnte. Seine Berechnungen beruhten auf der Epizykeltheorie, die ein Meilenstein in der Geschichte der Astronomie war und entwickelt wurde, um die scheinbar komplexen Bewegungen der Himmelskörper zu erklären.

Die klassischen sieben Planeten

Im Weltbild der Antike wurden auch Sonne und Mond als „Wandelsterne“ (griech. ἀστήρ πλανήτης ástēr planētēs, von ἀστήρ ástērSternπλανάομαι planáomai „umherirren, umherschweifen“) angesehen, d. h. als Planeten, was aus geozentrischer Sicht durchaus nachvollziehbar ist. Gemeinsam mit den anderen fünf Wandelsternen, die mit freiem Auge sichtbar sind, bildeten sie die klassische Hebdomas (griech. εβδομάς „Siebenheit“) von Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn, die sich um die im Zentrum stehende Erde herumbewegen. Da man in der Antike die Entfernung der Planeten von der Erde noch nicht mit genügender Genauigkeit festellen konnte, blieb ihre Reihenfolge aus irdischer Sicht, insbesondere die von Merkur und Venus, durchaus strittig, wie später noch Nikolaus Kopernikus in De revolutionibus orbium coelestium berichtet:

„Dass die Fixsternsphäre das Höchste von allem Sichtbaren ist, sehe ich Niemanden bezweifeln. Die Reihenfolge der Planeten wollten die alten Philosophen nach ihren Umlaufszeiten bestimmen, indem sie als Grund dafür anführten, dass, wenn mehrere Körper mit gleicher Geschwindigkeit sich bewegen, diejenigen langsamer fortzurücken scheinen, welche weiter entfernt sind, wie dies von Euklid in der Optik[47] bewiesen wird. Deshalb glauben sie, dass der Mond, weil er, als der Erde am nächsten stehend, sich in dem kleinsten Kreise bewegt, seinen Umlauf auch in der kürzesten Zeit vollendet; der Saturn aber, als der höchste, die grösste Bahn in der längsten Zeit durchläuft. Unter diesem steht der Jupiter, darauf folgt der Mars. Ueber Venus aber und Merkur finden sich verschiedene Meinungen, weil sie nicht, wie jene, sich durch alle Grade von der Sonne entfernen. Deshalb stellen Einige dieselben über die Sonne, wie Timäus bei Plato, Andere unter dieselbe, wie Ptolemäus[48] und ein guter Theil der Neueren[49]. Alpetragius[50] setzt die Venus über die Sonne, und den Merkur unter dieselbe. Da nun Diejenigen, welche dem Plato folgen, meinen, dass alle Planeten als sonst dunkle Körper, durch das von der Sonne empfangene Licht leuchten: so müssten jene, wenn sie sich unter der Sonne befänden, wegen ihres eben nicht grossen Abstandes von derselben, halb oder wenigstens nicht völlig rund gesehen werden; denn sie würden das empfangene Licht gewöhnlich seitlich, d. h. nach der Sonne hin, zeigen, wie wir dies beim zu- und abnehmenden Monde sehen. Auch sagen sie, die Sonne müsste durch ihr Dazwischentreten zuweilen verfinstert werden, und das Licht derselben nach Massgabe ihrer Grösse einen Verlust erleiden; da dies nun niemals bemerkt wird, so sind sie der Meinung, dass sie niemals unter der Sonne zu stehen kommen. Dagegen vertheidigen Diejenigen, welche Venus und Merkur unter die Sonne stellen, ihre Ansicht durch die Grösse des Raumes, den sie zwischen Sonne und Mond finden.“

Nikolaus Kopernikus: De Revolutionibus Orbium Coelestium, I. Buch, 10. Capitel [51]

Tatsächlich wurde die Reihenfolge der klassischen sieben Planeten nicht nach ihrer Entfernung, sondern wie von Kopernikus beschrieben nach ihren siderischen Umlaufzeiten festgelegt, von denen man aber annahm, dass sie mit der Entfernung korrespondieren. Damit ergab sich folgende Reihung: Mond (27,3 Tage) – Merkur (88 Tage) – Venus (224,7 Tage) – Sonne (365,25 Tage = 1 Jahr) – Mars (687 Tage) – Jupiter (4332,6 Tage = ca. 12 Jahre) – Saturn (10759,2 Tage = ca. 30 Jahre). Die siderische Umlaufzeit ist dabei jene Zeit, nach der der Planet für die visuelle Beobachtung wieder nahe der selben Fixsterne steht.

Mittelalter

Im Mittelalter setzte sich diese geozentrische Sichtweise fort, die von der christlichen Theologie unterstützt wurde. Die Ideen von Aristoteles und Ptolemäus wurden von Gelehrten wie Thomas von Aquin übernommen und in ein theologisches Weltbild eingebettet.

Der am 1401 in Kues an der Mosel geborene Nikolaus von Kues, auch bekannt als Cusanus, war ein bedeutender Philosoph und Theologe in der Übergangszeit vom Mittelalter zur Renaissance. Sein Werk "De docta ignorantia" wird oft als eines der wichtigsten Werke der Mystik und Philosophie des späten Mittelalters angesehen. In seinen Schriften beschäftigte er sich auch intensiv mit der Kosmologie und entwickelte dabei Konzepte und Theorien, die zum Teil auch heute noch diskutiert werden. Cusanus argumentierte, dass das Universum unendlich groß und unendlich alt sein müsse, da es keinen Raum oder Zeitpunkt geben könne, der das Universum begrenze. Er war damit einer der ersten Philosophen, die die Vorstellung einer unendlichen Welt aufstellten. Diese Idee wurde später von anderen Philosophen und Wissenschaftlern wie Giordano Bruno und Galileo Galilei aufgegriffen und weiterentwickelt.

Ein weiteres wichtiges Konzept seiner Kosmologie ist das der Harmonie. Cusanus glaubte, dass das Universum in einer perfekten Harmonie und Ordnung existiere, die von Gott geschaffen worden sei. Er argumentierte, dass die Ordnung des Universums sich in der Mathematik widerspiegele und dass die Gesetze der Natur mathematisch formulierbar seien. Cusanus war auch ein Pionier der Theorie der Relativität. Er argumentierte, dass es keine absolute Perspektive auf das Universum gebe, sondern dass alles aus einer bestimmten Perspektive betrachtet werde und dass es in einer unendlichen Welt auch keinen eindeutig festgelegten Mittelpunkt geben könne. Diese Idee wurde später von Albert Einstein aufgegriffen und in der Relativitätstheorie weiterentwickelt.

Die kopernikanische Wende und das heliozentrische Modell

Seite aus Kopernikus' Manuskript von De revolutionibus orbium coelestium (1543)
Heliozentrisches Weltbild, Andreas Cellarius: Harmonia Macrocosmica, 1708
Das Tychonische Weltmodell: Im Zentrum der Welt steht die Erde, um die die Sonne und und der Mond kreisen. Die anderen Planeten bewegen sich jedoch um die Sonne.
Handkolorierter Kupferstich der Sternwarte in Stjerneborg von Willem Blaeu (um 1595).
Zwei Fernrohre Galileis
Strahlengang in einem Galilei-Fernrohr
Grafische Veranschaulichung der drei Keplerschen Gesetze:
1. Zwei ellipsenförmige Umlaufbahnen, Brennpunkte ƒ1 und ƒ2 für Planet 1, ƒ1 und ƒ3 für Planet 2. Die Sonne in ƒ1.
2. Die beiden grauen Sektoren A1 und A2, die in derselben Zeit überstrichen werden, haben dieselbe Fläche.
3. Große Halbachsen a1 und a2. Die Gesamtumlaufzeiten der Planeten 1 und 2 verhalten sich wie a13/2 : a23/2.

Im 16. Jahrhundert leitete Nikolaus Kopernikus (1473 - 1543) eine Revolution in der Kosmologie ein, indem er in seinem Hauptwerk De revolutionibus orbium coelestium, das er erst 1543 kurz vor seinem Tod veröffentlichte, ein heliozentrisches Modell des Universums vorschlug, bei dem die Sonne im Zentrum steht und die Erde und die anderen Planeten um sie kreisen. Die rückläufigen Schleifen der Planeten konnte er so durch die Bewegung der Erde erklären. Da er aber wie zuvor schon Ptolemäus von reinen Kreisbahnen ausging, konnte er wie dieser nicht auf das Epizykel-Modell verzichten und seine Berechnungen waren weder einfacher noch genauer und hatten so gesehen keinen überzeugenden praktischen Nutzen. Tatsächlich fand sein Modell zunächst auch wenig Anklang, da es dem unmittelbaren Augenschein widersprach und noch dazu die Erde aus dem Zentrum der Welt rückte und sie, die ewig ruhend scheinende in Bewegung setzte, womit man sich nur schwer abfinden konnte.

Im späten 16. Jahrhundert entwickelte Tycho Brahe (1546-1601), ein dänischer Adliger und Astronom, das später nach ihm benannte Tychonische Weltmodell als Alternative sowohl zum geozentrischen Ptolemäischen System als auch zum heliozentrischen Kopernikanischen System.[52] Brahe betrieb ein privates Observatorium namens Uraniborg (deutsch: Uranienburg) auf der schwedischen Insel Hven im Öresund. Als er bemerkte, dass sein Observatorium nicht groß genug und der sandige Boden nicht stabil genug für seine empfindlichen Instrumente war, ließ er 1586 in der unmittelbaren Nähe die weitgehend unterirdisch angelegte, unterhalb der Sandschichten auf festem Boden ruhende Sternwarte Stjerneborg (deutsch: Sternenburg) errichten, die durch einen unterirdischen Gang mit Uraniborg verbunden war. Dort führte Brahe eine Vielzahl bislang unerreicht genauer astronomischer Beobachtungen durch und erstellte eine umfangreiche Datensammlung über die Positionen von Sternen und Planeten.[53] Aufgrund von Unstimmigkeiten der seit der Antike überlieferten Daten mit seinen eigenen Beobachtungen kritisierte er gleichermaßen das geozentrische als auch das heliozentrische Modell und kombinierte Elemente beider Systeme, wodurch er eine wesentlich bessere Übereinstimmung mit seinen eigenen hochpräzisen Messungen, die er noch ohne Einsatz eines Fernrohrs gewonnen hatte.

In Brahes System steht die Erde im Zentrum des Universums und wird von der Sonne und dem Mond direkt umkreist, während die anderen damals bekannten Planeten - Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn - die Sonne umrunden. Die Sterne betrachtete Brahe dabei in Übereinstimmung mit dem geozentrischen Modell als feststehend und weit entfernt von der Erde. Sie bilden eine große Sphäre, die das gesamte Planetensystem umgibt. Brahes Modell ermöglichte eine wesentlich genauere Vorhersage der Positionen der Planeten und bot somit einen deutlichen Fortschritt gegenüber den bestehenden Modellen seiner Zeit. Obwohl das Tychonische Weltmodell heute als überholt gilt, lieferte es zur damaligen Zeit einen wichtigen Schritt in Richtung einer besseren Beschreibung des Planetensystems und stellte die starren Annahmen des Ptolemäischen Systems in Frage. Sein Modell beeinflusste später wichtige Astronomen wie Johannes Kepler und Galileo Galilei, die beide Brahes Beobachtungen nutzten, um ihre eigenen Theorien weiterzuentwickeln. Insbesondere waren Brahes präzise Beobachtungen der Bewegungen des Mars entscheidend für die Entdeckung von Keplers Gesetzen der Planetenbewegung.[54] Obwohl Brahes Modell die Erde noch im Zentrum des Universums behielt, stärkte es die Idee, dass die Planeten die Sonne umkreisen. Dies ebnete den Weg für die Akzeptanz des heliozentrischen Systems, das schließlich durch die Arbeiten von Kepler, Galilei und später Isaac Newton endgültig etabliert wurde.

Ein großer Fortschritt in der Himmelsbeobachtung geschah, als 1608 das erste Fernrohr von dem niederländischen Brillenmacher Hans Lippershey (auch bekannt als Johann Lippershey) entwickelt wurde. Seit Urzeiten hatte man bis dahin den Sternenhimmel stets nur mit freiem Auge ohne optische Hilfsmittel betrachtet und war damit zu beachtlichen Erkenntnissen gekommen. Mit der Erfindung des Teleskops wurde nun der sinnlichen Erfahrung ein neues, viel weiteres, bisher verborgenes Feld eröffnet, aus dem sich auch viele neue Erkenntnisse gewinnen ließen. Lippershey beantragte am 2. Oktober 1608 ein Patent für seine Erfindung in den Niederlanden. Obwohl das Patent letztendlich nicht gewährt wurde, wurde die Existenz des Fernrohrs schnell weithin bekannt und hatte großen Einfluss auf die Astronomie und die wissenschaftliche Erforschung des Kosmos.

Galileo Galilei baute kurz nach Lippershey 1609 sein eigenes Fernrohr, verbesserte das Design und verwendete es erstmals, um den Himmel zu beobachten. Das Galilei-Fernrohr besteht aus zwei Linsen: einer konvexen Objektivlinse und einer konkaven Okularlinse. Die Objektivlinse sammelt das einfallende Licht und erzeugt ein verkleinertes, aufrechtes Bild des beobachteten Objekts. Die Okularlinse fungiert als Lupe und vergrößert das erzeugte Bild, sodass der Beobachter eine vergrößerte Ansicht des Objekts erhält. Die Vergrößerung errechnet sich aus dem Verhältnis der Brennweiten der Objektiv- und Okularlinse. Durch den Einsatz von Linsen mit verschiedenen Brennweiten kann die Vergrößerung des Fernrohrs angepasst werden

Galileos Beobachtungen revolutionierten das Verständnis des Sonnensystems und des Universums und legten den Grundstein für die moderne Astronomie. Seine Entdeckung der vier größten Jupitermonde, die er als Sidera Medicea – die „Mediceischen Gestirne“ benannte, aber heute nur als Galileische Monde (Io, Europa, Ganymed und Kallisto) bekannt sind, im Jahr 1610 hatte eine bedeutende Auswirkung auf das Weltbild der Astronomie und die wissenschaftliche Gemeinschaft der damaligen Zeit, in der das geozentrische Modell immer noch die vorherrschende Sichtweise. Die Beobachtung von Monden, die um einen anderen Planeten kreisen, zeigte, dass nicht alle Himmelskörper direkt um die Erde kreisen mussten. Dies stellte das geozentrische Modell in Frage und ebnete den Weg für die Akzeptanz des heliozentrischen Weltbildes.

Das heliozentrische Weltmodell wurde in der Folge auch noch durch die mathematischen Gesetze von Johannes Kepler gestützt und verfeinert. Die drei Keplerschen Gesetze wurden von Kepler zwischen 1609 und 1619 auf der Grundlage der genauen Beobachtungen von Tycho Brahe entwickelt. Anders als Kopernikus ging er nicht mehr von Kreisbahnen aus, auf denen sich die Planeten um die Sonne bewegen. Nach Kepler bewegt sich vielmehr jeder Planet auf einer elliptischen Bahn um die Sonne, wobei die Sonne in einem der beiden Brennpunkte der Ellipse liegt (1. Keplersches Gesetz). Dies bedeutet zugleich, dass die Entfernung zwischen dem Planeten und der Sonne im Verlauf seiner Umlaufbahn variiert. Die Fläche, die von der Linie zwischen der Sonne und einem Planeten (Radialvektor) in einer bestimmten Zeitspanne überstrichen wird, ist dabei konstant (2. Keplersches Gesetz). Dies impliziert, dass ein Planet in Sonnennähe schneller und in Sonnenferne langsamer entlang seiner Bahn um die Sonne zieht. Das 3. Keplersche Gesetz besagt schließlich, dass das Verhältnis der Quadrate der Umlaufzeiten von zwei Planeten proportional ist zum Verhältnis der dritten Potenzen ihrer mittleren Entfernungen zur Sonne. Das ganze Sonnensystem erscheint damit als ein harmonisch geordnetes Ganzes.

Isaac Newton und die Gravitation

Die äquivalenten Anziehungskräfte zweier Massen
Veranschaulichung der quadratischen Abnahme der Gravitation mit der Entfernung nach Martin Wagenschein (Der Mond und seine Bewegung)

Die Keplerschen Gesetze waren ein wichtiger Durchbruch in der Astronomie, da sie eine präzise Beschreibung der Planetenbewegung ermöglichten und im späteren 17. Jahrhundert zur Entwicklung der Gravitationstheorie durch Isaac Newton beitrugen. Er ging damit einen bedeutsamen Schritt weiter, denn seine Gravitationsgesetze beschreiben nicht nur die Bewegungen der Himmelskörper, sondern geben auch deren Ursache an, die er in der wechselseitigen Anziehung der Körper sah, die durch die selben Schwerekräfte bedingt seien, durch die etwa auch ein reifer Apfel vom Baum zur Erde fällt. Damit legte er den Grundstein für das moderne mechanistische Verständnis des Universums.

In seinem bahnbrechenden Werk "Philosophiæ Naturalis Principia Mathematica", das erstmals 1686 erschien, beschrieb Newton die anziehenden Kräfte sphärischer Körper wie folgt: „... wird ein, außerhalb einer sphärischen Oberfläche befindlicher, kleiner Körper durch eine Kraft nach dem Mittelpunkte der Kugel hingezogen, welche Kraft sich umgekehrt wie das Quadrat des Abstandes des kleinen Körpers vom Mittelpunkte verhält.“ (Newton, Principa, S. 192[55])

In moderne Formulierung und mit Einführung der Gravitationskonstante

[56]

beträgt die Kraft zwischen zwei Massepunkten und :

Dass die Anziehungskraft mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, erscheint dadurch anschaulich plausibel, dass sich die Kraft bei doppelter Entfernung der Körper gleichsam auf die vierfache Fläche „verdünnt“ und damit viermal schwächer wird.

In seiner „Principa“ entwickelte Newton nicht nur die Gesetze der klassischen Mechanik und Gravitation, sondern äußerte sich auch zu seinen grundlegende Vorstellungen über Raum und Zeit.

Newtons Vorstellung von Raum basierte auf der Idee eines absoluten Raums, den er als unveränderliche und unabhängige Entität verstand. Laut Newton existiert der Raum unabhängig von den darin enthaltenen Objekten und ist für sich allein real: „Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äußern Gegenstand, stets gleich und unbeweglich.“ (Newton, Principia, S. 25[57]) Diese Auffassung von Raum war eng mit seinem Gravitationsgesetz und der Beschreibung von Bewegung in der klassischen Mechanik verknüpft. Eine besonders interessante Aussage in diesem Zusammenhang ist seine Beschreibung des Raums als "Sensorium Gottes". Sie zeigt, wie eng Newtons physikalisches Weltbild mit seiner tief religiösen unitarischen Überzeugung verknüpft war. Die Idee, den Raum als "Sensorium Gottes" zu bezeichnen, findet sich in einem Brief Newtons an Richard Bentley, einem englischen Theologen und Gelehrten, und im Scholium zu Definitionen in den "Principia". Newton schrieb:

„Es ist sicher, dass der Raum Gott notwendig ist, um die Dinge in ihm zu erfahren. Denn wenn irgendein Teil des Raumes ohne einen Körper ist, der ihn einnimmt (und daher von Gott wahrgenommen wird), so ist dieser Teil des Raums ein bloßer imaginärer Raum und kein Teil des wirklichen Raums. So ist Raum das Sensorium Gottes.“

Isaak Newton: Brief an Bentley, 1692

Parallel zu seiner Vorstellung von Raum, betrachtete Newton auch die Zeit als eine absolute Größe. Für ihn verstrich die Zeit unabhängig von Ereignissen oder Beobachtungen, in einem stetigen und gleichmäßigen Fluss. Die „absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer eigenen Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand“ (Newton, Principia, S. 25[57]).

Newtons Ideen über Raum und Zeit wurden im Laufe der Jahrhunderte von vielen Physikern und Philosophen diskutiert und kritisiert. Eine der bekanntesten Kritiken stammt von Gottfried Wilhelm Leibniz, der Newtons Auffassung von absolutem Raum und Zeit ablehnte und stattdessen eine Relationstheorie vertrat. Leibniz argumentierte, dass Raum und Zeit nur in Bezug auf die Beziehungen zwischen Objekten existieren und keine eigenständige Realität haben.

Mit der Entwicklung der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie durch Albert Einstein im frühen 20. Jahrhundert wurde Newtons Konzept von absolutem Raum und Zeit überwunden. Einsteins Relativitätstheorie beschreibt Raum und Zeit als untrennbare Einheit, die Raumzeit, die in Abhängigkeit von Materie und Energie gekrümmt ist. Dieser neue Ansatz führte zu einer grundlegenden Umgestaltung unseres Verständnisses von Raum, Zeit und Gravitation.

Das Olbersche Paradoxon: Warum ist der Nachthimmel dunkel?

Graphische Veranschaulichung zum Olbersschen Paradoxon

Das Olbersche Paradoxon ist ein astronomisches Rätsel, das in den 1820er Jahren vom deutschen Astronomen Heinrich Wilhelm Olbers formuliert wurde. Es beschäftigte sich mit der Frage, warum der Nachthimmel dunkel ist, wenn das Universum, wie damals angenommen, unendlich alt und unendlich groß ist und mit unendlich vielen gleichmäßig verteilten Sternen erfüllt ist.[58] Wenn dies der Fall wäre, müsste jeder Blick in den Nachthimmel auf einen Stern treffen, und der Himmel sollte strahlend hell erleuchtet sein. Das Olbersche Paradoxon hat Astronomen und Astrophysiker über Generationen hinweg fasziniert. Durch den Fortschritt in der Erforschung des Universums und der Entdeckung neuer Erkenntnisse wie dem Urknall, der Expansion des Universums und der Absorption von Licht durch interstellare Materie sind wir jedoch in der Lage, dieses Rätsel zu lösen. Die Kombination dieser Faktoren erklärt, warum der Nachthimmel dunkel bleibt, trotz der unzähligen Sterne, die unser Universum bevölkern.

Die erste mögliche Lösung für das Olbersche Paradoxon liegt in der Annahme, dass das Universum nicht unendlich alt ist. Tatsächlich hat der Urknall, der vor etwa 13,8 Milliarden Jahren stattfand, den Beginn des Universums markiert.[59] Dies bedeutet, dass das Licht von sehr weit entfernten Sternen möglicherweise noch nicht die Erde erreicht hat, wodurch der Nachthimmel dunkel bleibt.

Die Expansion des Universums (→ siehe unten) trägt ebenfalls zur Lösung des Olberschen Paradoxons bei. Laut der Inflationstheorie und der kosmischen Hintergrundstrahlung dehnt sich das Universum seit dem Urknall aus (Guth, 1981).[60] Aufgrund dieser Expansion entfernen sich Sterne und Galaxien voneinander, wodurch das Licht, das sie aussenden, rotverschoben wird und in vielen Fällen unsichtbar für das menschliche Auge wird.

Ein weiterer Faktor, der zum dunklen Nachthimmel beiträgt, ist die Absorption und Streuung von Licht durch interstellaren Staub und Gas. Sterne, die hinter solchen Wolken liegen, sind vom irdischen Beobachter aus schwieriger zu sehen, was ebenfalls dazu führt, dass der Nachthimmel dunkel bleibt.[61]

Die Spektralanalyse und die materielle Konstitution des Kosmos

Die wichtigsten Fraunhoferlinien (Absorbtionslinien) im Spektrum der Sonne.
Historisches Sonnen-Spektroskop mit 6 Prismen (John Browning, um 1890, World Museum Liverpool)
Beugung einer Welle an einer Öffnung, die viermal so breit ist, wie die Wellenlänge.
Beugung am Einfachspalt – Licht längerer Wellenlänge (grün) wird stärker gebeugt als das kürzerer Wellenlänge (z. B. blau), das Beugungsbild ist weiter aufgefächert.
Beugung des Sonnenlichts an einer engen kreisförmigen Lochblende - je kürzer die Wellenlänge, desto geringer werden die entsprechenden Farbanteile gebeugt
Newtonsche Ringe - Interferenzfarben bei einem dünnen Ölfilm auf Wasser

Die Geschichte der Spektroskopie beginnt im 17. Jahrhundert, als Isaac Newton erstmals Licht durch einen engen Spalt durch ein Prisma leitete und entdeckte, dass dabei verschiedenen Farben in Erscheinung traten. Dieses Phänomen wurde später als Spektrum bezeichnet und legte den Grundstein für die Erforschung der Spektroskopie. In seinen 1704 veröffentlichten „Opticks“[62] postulierte Newton auch die Teilchennatur des Lichts. Er stützte sich dabei auf Experimente, bei denen er Licht durch Linsen und Prismen schickte und beobachtete, wie es sich aufspaltete und in verschiedenen Farben sichtbar wurde. Er kam dadurch zu der Ansicht, dass das Licht aus einer Vielzahl winziger Teilchen bestehen müsse, die sich geradlinig und mit konstanter Geschwindigkeit durch den Raum bewegen und unterschiedliche Farben und Eigenschaften haben.

Newtons Theorie stimmte alledings nicht mit den Experimenten und Theorien zur Wellennatur des Lichts überein. Insbesondere konnte Newtons Theorie das Phänomen der Beugung und der Interferenz von Licht nicht erklären, bei dem sich Lichtwellen gegenseitig verstärken oder auslöschen können, wenn sie aufeinander treffen. Die Beugung oder Diffraktion ist ein Phänomen, das entsteht, wenn beliebige physikalische Wellen (z.B. Wasserwellen oder Schallwellen) auf ein Hindernis treffen. Die an den verschiedenen Punkten des Hindernisses sekundär erregten Wellen können sich dabei überlagen. Die dadurch bedingte rhythmisch wechselnde Verstärkung oder Auslöschung der Wellen erzeugt dabei die charakteristischen Interferenzerscheinungen, wie sie etwa in dem zuerst von Robert Hooke 1665 in seiner Micrographia beschrieben und nach Newton benannten Phänomen der Newtonschen Ringe anschaulich wird, das man an jeder Pfütze beobachten kann, auf der ein dünner Ölfilm schwimmt.

Schon 1690 hatte Christiaan Huygens in seiner Schrift "Traité de la Lumière"[63] (Abhandlung über das Licht[64]) die Theorie aufgestellt, dass das Licht eine Wellennatur habe, ähnlich wie Schallwellen oder Wasserwellen. Huygens argumentierte, dass das Licht aus winzigen "Elementarwellen" bestehe, die sich in alle Richtungen ausbreiten und sich überlagern können, um ein Interferenzmuster zu erzeugen (→ Huygenssches Prinzip). Er zeigte auch, wie sich diese Wellenbrechung und Interferenz auf Phänomene wie Reflexion und Brechung von Licht an Oberflächen auswirken kann. Erwähnensswert ist, dass Huygens Theorie auch auf den Grundsätzen der damals neu entstehenden mathematischen Disziplin der Analysis basierte, deren Grundlagen von Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz unabhängig voneinander entwickelt worden waren.

Weiteren Auftrieb erhielt die Wellentheorie des Lichts durch Thomas Young, der im Jahr 1801 ein Experiment durchführte, das heute als "Doppelspaltexperiment" bekannt ist und das Licht ebenfalls als Welle beschreibt. Young beobachtete, dass, wenn Licht durch zwei schmale Spalten geschickt wurde, es auf einem Schirm dahinter ein Interferenzmuster erzeugte. Dieses Muster bestand aus hellen und dunklen Streifen, die darauf hinwiesen, dass sich die Lichtwellen gegenseitig verstärken oder auslöschen können, wenn sie auf den Schirm treffen. Young schloss daraus, dass das Licht eine Wellennatur haben muss. Youngs Experiment war ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der Physik und ebnete den Weg für weitere Entdeckungen und Theorien, die auf der Wellennatur des Lichts basieren, wie z.B. die elektromagnetische Theorie von James Clerk Maxwell und die Quantentheorie des Lichts, die Albert Einstein 1905 zur Erklärung des photoelektrischen Effekts verfassste. Im selben Jahr veröffentlichte Einstein übrigens auch seine Arbeit zur speziellen Relativitätstheorie, die Newtons Konzept des absoluten Raums und der absoluten Zeit über den Haufen warf, und seinen Artikel über die Brownsche Molekularbewegung, der die bis dahin immer noch strittige Existenz der Atome und Moleküle nachhaltig untermauerte. Damit waren auch wesentliche Meilensteine für die moderne Kosmologie gesetzt.

Eine ganz besondere Bedeutung für die Aufklärung der konkreten materiellen Konstitution des Kosmos hatte die Entdeckung der Spektrallinien. Im Jahr 1802 entdeckte der britische Chemiker und Physiker William Hyde Wollaston erstmals dunkle Linien im Spektrum des Sonnenlichts, als er das Licht durch ein Prisma leitete. Wollaston konnte allerdings nicht erklären, warum diese Linien existierten oder welche Bedeutung sie hatten.

Die Erforschung dieser Linien wurde 1814 von Joseph von Fraunhofer, einem deutschen Physiker und Optiker, fortgesetzt. Fraunhofer verbesserte die Qualität der Prismen und entwickelte präzisere Instrumente, um das Sonnenspektrum zu untersuchen. Er entdeckte und katalogisierte Hunderte von dunklen Linien, die später als Fraunhoferlinien bekannt wurden. Fraunhofer bemerkte auch, dass diese Linien in verschiedenen Spektren identisch waren, unabhängig von der Lichtquelle, die sie erzeugte.

Die Bedeutung der Fraunhoferlinien und ihre Verbindung zur chemischen Zusammensetzung der Sonne wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstanden, als Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen die Grundlagen der Spektralanalyse entwickelten. Sie entdeckten, dass jedes chemische Element ein charakteristisches Spektrum hat, das aus hellen oder dunklen Linien besteht, die mit den absorbierten oder emittierten Wellenlängen des Lichts korrespondieren. Kirchhoff und Bunsen erklärten die Fraunhoferlinien als Absorptionslinien, die durch die Anwesenheit bestimmter Elemente in der Sonnenatmosphäre verursacht wurden.

Die Spektralanalyse revolutionierte die Astrophysik, da sie es ermöglichte, die chemische Zusammensetzung von Himmelskörpern wie der Sonne und anderen Sternen zu bestimmen, ohne diese direkt zu berühren oder Proben zu nehmen. Diese Methode erlaubt es auch, die physikalischen Eigenschaften wie Temperatur, Druck, Dichte, Magnetfelder zu bestimmen. Die Analyse der Rot- und Blauverschiebung ermöglicht es, die Entfernungen und Geschwindigkeiten von Himmelskörpern und Galaxien zu bestimmen. Die Spektralanalyse hat zu zahlreichen Entdeckungen in der Astrophysik geführt, wie beispielsweise der Entdeckung der interstellaren Materie. Darüber hinaus ist sie ein wichtiges Werkzeug, um die Entstehung und Entwicklung von Sternen und Planeten sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen zu untersuchen. Durch die Analyse der Atmosphärenzusammensetzung unterstützt sie die Suche nach erdähnlichen Exoplaneten und potenziell bewohnbaren Welten und hilft, die Entstehung und Evolution von chemischen Verbindungen bzw. Molekülen im interstellaren Medium und in protoplanetaren Scheiben zu erforschen, um unsere Vorstellung von chemischen Prozessen im Universum und der Entstehung des Lebens zu erweitern.

Die Spektroskopie entwickelt sich ständig weiter, und zukünftige Fortschritte in Technologie und Methodik könnten unser Verständnis der Astrophysik und Astrochemie und damit auch der Kosmologie in näherer Zukunft weiter vertiefen. Zu nennen sind sind insbesondere folgende Punkte:

  • Neue und leistungsfähigere Teleskope, wie das James Webb Space Telescope (JWST), sollen es ermöglichen, noch detailliertere Spektren von fernen Himmelskörpern und Exoplanetenatmosphären zu erfassen und so unser Wissen über die Chemie des Universums zu erweitern.
  • Verbesserungen in der Spektroskopie im infraroten, ultravioletten und Röntgenbereich sollen dazu beitragen, bisher noch unerforschte Aspekte der Astrophysik und Astrochemie zu untersuchen.
  • Fortschritte in der Theorie und Modellierung von Spektren sollten es ermöglichen, genauere Rückschlüsse auf die physikalischen Eigenschaften von Himmelskörpern und interstellaren Wolken zu ziehen.
  • Die fortschreitende Zusammenarbeit zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, wie Astronomie, Physik, Chemie und Biologie, kann dazu beitragen, ein umfassenderes Verständnis der chemischen Prozesse im Universum und ihrer Bedeutung für die Entstehung der materiellen Grundlage des Leben zu erlangen.

Was ist Licht und wie schnell bewegt es sich?

Goethes Farbenlehre - Eine Einführung

Wenn wir die Natur des Lichts ergründen wollen, so stehen wir vor einem merkwürdigen Paradoxon. Denn streng genommen können wir Licht sinnlich gar nicht direkt sehen. Was wir tatsächlich wahrnehmen, sind nur die Wirkungen des Lichts, das von leuchtenden Objekten emittiert oder von anderen reflektiert wird und anschließend auf unsere Augen trifft. In Wahrheit sehen wir nur Leuchtendes oder Beleuchtetes, aber nicht das Licht selbst. Zurecht beschreibt Goethe im Vorwort „Zur Farbenlehre“ die Farben, die wir sehen als Taten und Leiden des Lichts:

„Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfasste wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.

Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genausten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken: denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will.“

Johann Wolfgang von Goethe: Zur Farbenlehre, S. 9[65]

Licht und Sehen

Verschaffen wir uns zunächst einen kurzen Überblick darüber, wie Sehen und Licht miteinander zusammenhängen, welche Theorien darüber im Lauf der Zeit entworfen wurden und zu welcher Einschätzung man dabei bezüglich der Lichtgeschwindigkeit kam.

Bezüglich des Sehens standen seit der Antike einander zwei gegensätzliche Theorien gegenüber:

Die Emissionstheorie, auch Extramissionstheorie genannt, ging davon aus, dass das Sehen dadurch zustande kommt, dass Sehstrahlen von den Augen ausgehen und auf die Objekte treffen und diese gleichsam abtasten, so wie etwa ein Blinder die Gegenstände mit seinem Blindenstock abtastet. Vielfach ging man davon aus, dass das Auge selbst Licht bzw. Feuer aussendet und dadurch die Gegenstände sichtbar macht. Diese Theorie wurde von vielen antiken Philosophen vertreten, darunter Platon (427-347 v. Chr.)[66][67][68] und Euklid (ca. 300 v. Chr.)[69]. Selbst noch in der Renaissance wurden die Prinzipen der Perspektive teils von dieser Theorie abgeleitet. Darin liegt auch etwas durchaus Berechtigtes, den die Form der Gegenstände erkennen wir tatsächlich nur dadurch, dass wir unseren Blick auf diese fokusieren und sie, ohne dass uns das bewusst wird, durch unsere Blickbewegungen abtasten und so gleichsam nachzeichnen.

Die Intromissionstheorie besagt hingegen, dass das Sehen aufgrund von Strahlen (Lichtstrahlen) zustande kommt, die von den Objekten ausgehen und auf die Augen treffen. Diese Theorie wurde namentlich von Aristoteles (384-322 v. Chr.) und seinen Schülern entwickelt und kommt der heute akzeptierten wissenschaftlichen Vorstellung vom Sehen schon ziemlich nahe und war sehr einflussreich. Er agumentierte auch, dass Licht eine unendliche Geschwindigkeit haben müsse, da wir die Gegenstände sofort ohne die geringste Verzögerung sehen, wenn sie beleuchtet werden.[70]

Zuvor schon hatte der griechische Philosoph Empedokles (ca. 490-430 v. Chr.)[71] behauptet, dass Licht aus kleinen Partikeln bestehe, die er "Effluvien" nannte. Diese Effluvien, so meinte er, breiten sich mit hoher Geschwindigkeit im Raum aus und treffen auf das menschliche Auge. Obwohl er keine genaue Geschwindigkeit für das Licht angab, legen seine Ideen nahe, dass er die Lichtgeschwindigkeit für endlich hielt.[72] Nach Empedokles besteht das Auge aus allen vier klassischen Elementen (Erde, Wasser, Luft und Feuer), wobei Feuer die entscheidende Rolle spielt. Er glaubte, dass im Auge ein inneres Feuer oder Licht existiert, das er als „Augenfeuer“ bezeichnete. Dieses Augenfeuer interagiere mit den Effluvien und ermögliche so das Sehen. Auf diese Weise kombinierte Empedokles die Emissionstheorie mit der Intromissionstheorie.[73] Empedokles Theorie des Lichts und des Sehens war zu seiner Zeit revolutionär, da sie sowohl die Natur des Lichts bzw. Feuers als auch die Rolle des Auges im Sehvorgang berücksichtigte. Platon griff später diese Theorie auf und integrierte sie in sein philosophsches System.[74]

Der christliche Philosoph Johannes Philoponos (490-570) widersprach der Ansicht von Aristoteles, dass Licht eine unendliche Geschwindigkeit habe. Er argumentierte, dass die Geschwindigkeit des Lichts endlich, jedoch so groß sei, dass sie für menschliche Beobachter von einer unendlichen Geschwindigkeit nicht zu unterscheiden wäre.[75]

Aufbauend auf Aristoteles entwickelte der arabische Gelehrte Alhazen (965-1040), mit vollem Namen Abu Ali al-Hasan Ibn al-Haitham (arab. أبو علي الحسن بن الهيثم‎) genannt, in seinem Buch "Kitab al-Manazir" (Buch der Optik) eine detaillierte Theorie des Sehens, in der er davon ausging, dass Licht von Objekten reflektiert und von den Augen wahrgenommen wird. Anders als Aristoteles sah er allerdings die Lichtgeschwindigkeit als endlich an.[76]

Johannes Kepler (1571-1630) beschreibt in seinem Werk „Astronomia nova“ (1609)[77], dass Licht, das von der Sonne abstrahlt, sich in Form von Wellen oder "Pulsen" ausbreite, ähnlich wie die Schallwellen in der Luft, und erwähnt dabei beiläufig, dass das Licht eine endliche Geschwindigkeit haben könnte. Sein Werk trug dazu bei, die Idee einer endlichen Lichtgeschwindigkeit in wissenschaftlichen Kreisen zu etablieren. Diese Idee wurde später von Galileo Galilei und schließlich von Ole Rømer weiterverfolgt, der die erste erfolgreiche Messung der Lichtgeschwindigkeit vornahm.

René Descartes (1596-1650) vertrat in seinem Werk „La Dioptrique“ (1637)[78] die Ansicht, dass Licht sich in geraden Linien ausbreitet und dass diese Strahlen von Korpuskeln getragen werden, die keine Zeit benötigen, um von einem Punkt zum anderen zu gelangen und mithin die Lichtgeschwindigkeit unendlich sei.

Die Messung der Lichtgeschwindigkeit

Verfinsterung beim Umlauf des Mondes Io um den Jupiter.
Abberation des Lichts: Bewegt sich der Beobachter (links) oder der beobachtete Stern (rechts), so muss das Fernrohr leicht gekippt werden, damit der Lichtstrahl die Objektiv-Mitte und später das Okular trifft (Kippwinkel in der Skizze stark übertrieben).

Der erste bekannte Versuch, die Lichtgeschwindigkeit zu messen, wurde um 1600 von dem italienischen Astronomen, Physiker und Philosophen Galileo Galilei (1564-1642) unternommen.[79] Er positionierte sich dazu mit einer Signallampe versehen auf einem Hügel und seinen Assistenten, ebenfalls mit einer Signallampe bewaffnet, auf einem zweiten Hügel, dessen Entfernung vom ersten Hügel genau vermessen war. Dann sandte er seinem Assistenten ein Signal, das dieser umgehend mit einem weiteren Signal beantworten sollte. Daraus sollte sich die Lichtgeschwindigkeit grob abschätzen lassen, wie es Galilei schon bei der Ermittlung der Schallgeschwindigkeit gelungen war. Beim Licht hingen war das Ergebnis enttäuschend, da abzüglich der unvermeidlichen Reaktionszeit des Assistenten keine signifikante und reproduzierbare Zeitdifferenz übrigblieb. Galilei zog daraus den Schluss, dass Licht sich entweder mit einer sehr hohen Geschwindigkeit oder unendlich schnell ausbreiten müsse.

Ole Rømer (1644-1710), ein dänischer Astronom, war der erste Wissenschaftler, der eine erfolgreiche Messung der Lichtgeschwindigkeit durchführte. Rømer stützte seine Messung auf Beobachtungen der Bewegung des Jupitermondes Io, einem der vier Galileischen Monde, die Galilei 1610 erstmals mit dem von ihm gebauten Teleskop beobachten konnte. Rømer bemerkte, dass die Zeiten, zu denen Io hinter Jupiter verschwand (sogenannte Okkultationen) und wieder auftauchte, abhängig von der Position der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne variierten. Wenn die Erde sich von Jupiter wegbewegte, schienen die Okkultationen länger zu dauern, während sie kürzer zu sein schienen, wenn die Erde sich auf Jupiter zubewegte. Rømer ermittelte dabei eine maximale Differenz von 22 Minuten (= 1320 s), die genau der Lichtlaufzeit entspricht, die das Licht benötigt, um den ganzen Erdbahndurchmesser zu durchqueren (die Strecke von E nach H in der nebenstehenden Zeichnung).[80]

Rømers Deutung von der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit wurde schon bald von Isaac Newton, John Flamsteed, Edmond Halley und Christiaan Huygens akzeptiert. Nachdem Rømer seine Arbeit 1676 veröffentlicht hatte, berechnete daraus Huygens 1678 die Lichtgeschwindigkeit zu etwa 212.000 km/s, was dem heute anerkannten Wert von 299.792,458 km/s angesichts der technischen Einschränkungen seiner Zeit schon bemerkenswert nahe kommt.[81] In dieser Arbeit entwickelte Huygens auch seine Theorie, die auf der Idee beruht, dass Licht aus Wellen besteht, die sich in einem ätherischen Medium ausbreiten.

Obwohl Rømers Arbeit heute als bahnbrechend angesehen wird, stieß sie aber zunächst auch auf einige Skepsis und Kritik. Einige Wissenschaftler seiner Zeit, wie der italienische Astronom Giovanni Domenico Cassini (1625 -1712), bezweifelten Rømers Ergebnisse und hielten weiterhin an der Idee einer unendlichen Lichtgeschwindigkeit fest.[82] Cassini warf Rømer vor, das er versäumt hätte, die Beobachtung der drei anderen damals bekannten Jupitermonde als Beleg für seine These herangezogen zu haben und argumentierte, dass die Variationen in den Beobachtungen von Io auf andere Faktoren wie atmosphärische Refraktion zurückzuführen sein könnten.

Erst nachdem James Bradley (1693 - 1762) die Aberration des Lichts 1729 entdeckt und begründet hatte[83], wurde die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit allgemein anerkannt.[84] Die Aberration des Lichts tritt auf, weil das Licht, das von einem Stern emittiert wird, eine endliche Zeit benötigt, um die Erde zu erreichen. Während dieser Zeit bewegt sich die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne. Diese kombinierten Effekte führen dazu, dass der Beobachter auf der Erde den Stern in einer leicht verschobenen Position wahrnimmt. Die Größe dieser Verschiebung hängt von der Winkelgeschwindigkeit der Erde und der Lichtgeschwindigkeit ab. Die Aberration des Lichts kann in zwei Hauptkomponenten unterteilt werden: die jährliche Aberration und die tägliche Aberration. Die jährliche Aberration ist auf die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne zurückzuführen und führt zu einer elliptischen Verschiebung der scheinbaren Position der Sterne. Die tägliche Aberration ist auf die tägliche Rotation der Erde um ihre Achse zurückzuführen und führt zu einer kleineren, kreisförmigen Verschiebung. Da die Aberration bei allen Himmelskörpern auftritt, zeigte Bradley nicht nur, dass die Lichtgeschwindigkeit konstant und unabhängig von der jeweiligen Lichtquelle und deren Richtung und Entfernung ist, sondern er lieferte damit zugleich auch die erste handfeste Bestätigung, dass sich die Erde tatsächlich um die Sonne bewegt, wie es das heliozentrische Weltbild von Kopernikus fordert.

Einzelnachweise

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