James Alan Shapiro

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James Alan Shapiro (* 18. Mai 1943) ist ein US-amerikanischer Biologe, Experte für Bakteriengenetik und Professor am Department of Biochemistry and Molecular Biology an der University of Chicago.

Leben und Werk

Shapiro erwarb 1964 seinen Bachelor in Englisch am Harvard College[1]. Angeregt von einem genetischen Kurs wechselte er vom Englischen in die Naturwissenschaften und promovierte 1968 am Corpus Christi College in Cambridge in Genetik. Anschließend forschte er als Postdoc bei Jonathan Beckwith an der Harvard Medical School, wo er dem Team angehörte, das 1969 erstmals ein einzelnes Gen aus einem Organismus isolierte[2]. Über die möglichen gentechnischen Anwendungen seiner Forschung, die „schlimme Konsequenzen haben könnte, die wir nicht kontrollieren können“[3], war Shapiro ebenso wie Beckwith zutiefst beunruhigt[4][5]

Shapiro verbrachte zwei Jahre als Dozent für Genetik in Havanna, Kuba, bevor er für eine weitere Postdoc-Arbeit zu Harlyn Halvorson an die Brandeis University zurückkehrte[1] Seit 1973 arbeitet er als Professor für Mikrobiologie an der University of Chicago und war von Zeit zu Zeit auch Gastprofessor, darunter 1994 als Darwin Prize Visiting Professor an der University of Edinburgh[6].

Von Barbara McClintock, der Entdeckerin der Transposons („springende Gene“), habe er gelernt, die Natur mit einem naiven, unvoreingenommen Blick zu betrachten: „Eine der Sachen, die ich von Barbara gelernt habe, ist, dass es die Aufgabe des Wissenschaftlers ist, die Geheimnisse zu identifizieren, die Probleme der Wissenschaft zu sehen, für die es keine Lösungen gibt.“[1][7]

1979 schlug Shapiro erstmals die „Replikative Transposition“ als Mechanismus der Gen-Mobilität vor[8]. Nach seinem Modell werden Gene wie Retrotransposons von einer DNA-Sequenz auf eine andere übertragen, wobei sich aus den beiden Sequenzen intermediäre „Theta-Komplexe“ („Shapiro intermediates“) bilden[9].

Später zeigte Shapiro, dass Bakterien in Gemeinschaften kooperieren, die ein komplexes Verhalten zeigen, wie z.B. Jagd, Aufbau von Schutzstrukturen und Verbreitung von Sporen, und in denen sich einzelne Bakterien zum Wohle der größeren Gemeinschaft opfern können[10][11][12].

Shapiro untersuchte auch Musterbildungen bei Bakterien, ein Bereich, in dem es seiner Meinung nach neue mathematische Prinzipien zu entdecken gibt, die auch dem Wachstum von Kristallen und den Formen kosmologischer Strukturen zugrunde liegen. Nach einfachen mathematischen Regeln würden so hochkomplexe emergente Formen entstehen[1][13].

Natural genetic engineering

Ab 1992 beschäftigte sich Shapiro, aufbauend auf seinen früheren Arbeiten, in einer Reihe von Veröffentlichungen mit der Evolutionstheorie. Er untersucht vor allem, wie Neuheiten im Verlauf der biologischen Evolution entstehen und stellt das gängige Modell der synthetischen Evolutionstheorie in Frage, das Neuentwicklungen überwiegend auf zufällige Mutationen und natürliche Selektion zurückführt. Shapiro schlug statt dessen eine ganze Klasse zielgerichtet arbeitender natürlicher Prozesse vor, für die er zusammenfassend den Begriff natural genetic engineering (NGE) prägte[14][15][16]: „... es kann argumentiert werden, dass ein Großteil der Genomveränderung in der Evolution aus einem gentechnischen Prozess resultiert, der die biochemischen Systeme zur Mobilisierung und Reorganisation von DNA-Strukturen in lebenden Zellen nutzt.“ (Shapiro 1992: S. 101[17]) Er greift dabei auch das 1958 von Francis Crick formulierte zentrale Dogma der Molekularbiologie[18][19] an, wonach genetische Information nur von Nukleinsäure zu Nukleinsäure oder von Nukleinsäure zu Protein übertragen werden kann, aber nicht umgekehrt vom Protein zur Nukleinsäure. Der genetische Informationsfluss ist damit aber nicht erschöpfend beschrieben, da Proteine (insbesondere Histone) durch epigenetische Prozesse wesentlich an der Regulation der Genexpression beteiligt sind. Shapiro sprich in diesem Zusammenhang von einem „Read-Write-Genom“[20][21].

„Neue Erkenntnisse über die genetische Erhaltung von Proteinstrukturen und -funktionen über sehr weite Bereiche taxonomischer Grenzen hinweg, die Mosaikstruktur von Genomen und Genloci und die molekularen Mechanismen von genetische Veränderungen deuten alle auf eine Sichtweise der Evolution hin, die die Neuordnung grundlegender genetischer Motive beinhaltet. Eine detaillierte Untersuchung der Umstrukturierung des Genoms durch lebende Zellen zeigt eine Vielzahl von anspruchsvollen Methoden biochemischer Systeme, die auf ausgeklügelte regulatorische Netzwerke reagieren. In einigen Fällen wissen wir, dass Zellen in der Lage sind, eine umfassende Genomreorganisation innerhalb einer oder weniger Zellgenerationen zu erreichen. Die Entstehung bakterieller Antibiotikaresistenz ist ein zeitgemäßes Beispiel für evolutionäre Veränderungen; die molekulare Analyse dieses Phänomens hat gezeigt, dass es durch die Hinzufügung und Neuanordnung von Resistenzdeterminanten und genetische Mobilitätssysteme bewirkt wird und nicht durch allmähliche Veränderung bereits vorhandener zellulärer Genome. Darüber hinaus verfügen Bakterien und andere Organismen über komplizierte Reparatursysteme, um genetische Veränderungen durch sporadische physikalisch-chemische Schäden oder Fehler der Replikationsmaschinen zu verhindern. Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass lebende Zellen biochemische Vorrichtung besitzen (und verwenden), um sich durch einen gentechnischen Prozess zu entwickeln. Die zukünftige Forschung wird zeigen, wie gut die Regulationssysteme die genomische Veränderung in grundlegende Lebensprozesse während der Evolution integrieren.“

James A. Shapiro: Natural genetic engineering in evolution (1992), S. 99[22]

Eine mit vielen Beispielen belegte Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse gibt Shapiro in seinem 2011 veröffentlichten Buch „Evolution: A View from the 21st Century“.

„Die Fähigkeit der lebenden Organismen, ihre eigene Vererbung zu verändern, ist unbestreitbar. Unsere aktuellen Vorstellungen von Evolution müssen diese grundlegende Tatsache des Lebens berücksichtigen.“

Shapiro: Evolution: A View from the 21st Century, S.2[23]

Weil Shapiros Ideen auch von Vertretern des Intelligent Design diskutiert wurden, musste sich Shapiro einige Kritik gefallen lassen, obwohl er sich nachdrücklich von jeder Form des Kreationismus und insbesondere auch vom Intelligent Design distanziert hatte. Kritisiert wird vor allem sein teleologischer Ansatz und sein teilweise als unfair empfundener Angriff auf das zentrale Dogmas der Molekularbiologie.

Shapiro ist daran gelegen, die Debatte zwischen den Fundamentalisten auf beiden Seiten auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen: „Ein Grund, warum der Darwinismus es versäumt hat, Skeptiker zu überzeugen, könnte sein, dass er über 60 Jahre Molekularwissenschaft ignoriert.“[24]:

„Welche Bedeutung hat die entstehende Schnittstelle zwischen Biologie und Informatik für das Denken über die Evolution? Sie eröffnet die Möglichkeit, das von Fundamentalisten auf beiden Seiten der schöpferisch-darwinistischen Debatte so heftig umstrittene zentrale Thema wissenschaftlich und nicht ideologisch anzugehen: Gibt es eine leitende Intelligenz beim Ursprung von Arten, die hervorragende Anpassungen aufweisen, die von der Lambda-Prophephagen-Unterdrückung und dem Krebszyklus durch den mitotischen Apparat, über das Auge, das Immunsystem und die Mimikry bis zur sozialen Organisation reichen?“

James A. Shapiro: A Third Way[25]

Nach Shapiros Ansich ist diese „leitende Intelligenz“ nicht in einem transzendenten, der empirischen Forschung unzugänglichen Bereich zu suchen, sondern unmittelbar in den Zellen selbst als „kognitive handelnde Intelligenz“. Kognitive Handlungen definiert Shapiro als solche, die „wissensbasiert sind und Entscheidungen beinhalten, die der gewonnenen Information entsprechen“[26], und ist der Ansicht, dass Zellen diese Kriterien erfüllen.

„Die molekulare Zellbiologie hat anspruchsvolle Netzwerke in allen Organismen entdeckt. Sie beschaffen sich Informationen über äußere und innere Zustände, übertragen und verarbeiten diese Informationen innerhalb der Zelle, berechnen die geeignete biochemische oder biomechanische Reaktion und aktivieren die Moleküle, die für die Ausführung dieser Reaktion erforderlich sind Diese Informationsverarbeitungsnetzwerke sind zentral für die systembiologische Perspektive des neuen Jahrhunderts. Insgesamt haben wir eine radikal andere konzeptionelle Perspektive auf lebende Organismen als unsere Vorgänger. Als Ergebnis müssen wir uns fragen, wie diese neue Perspektive unser Verständnis des evolutionären Prozesses im 21. Jahrhunderts beeinflusst.“

James A. Shapiro: Mobile DNA and evolution in the 21st century, 2010, S. 2[27]

Bücher

  • James A. Shapiro: Evolution: A View from the 21st Century, Financial Times Prentice Hall 2011, ISBN 978-0133435535

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Gina Kolata: The Biologist Who Saw a Pattern, Artikel in The New York Times, 13. Oktober 1992
  2. Robert Reinhold: Scientists Isolate Single Gene in Step to Heredity Control, Artikel in The New York Times, 23. November 1969
  3. Playing With Biological Fire, Artikel in The New York Times, 8. Dezember 1969
  4. Jonathan R. Beckwith: Making genes, making waves: a social activist in science, Harvard University Press 2002, ISBN 978-0-674-00928-8
  5. Richard Knox: (January 20, 1970), "Harvard Geneticist Turns to Social Ills", Artikel in The Boston Globe, 20. Januar 1970
  6. Curriculum Vitae, James A. Shapiro, University of Chicago.
  7. James A. Shapiro: The Special Character of Barbara McClintock's Nobel Prize Address, Department of Biochemistry and Molecular Biology, University of Chicago [
  8. J. A. Shapiro: Molecular model for the transposition and replication of bacteriophage Mu and other transposable elements, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 76 (4), 1979, pp. 1933–1937, doi:10.1073/pnas.76.4.1933 PMC 383507, PMID 287033. pdf
  9. Frederic Bushman: Lateral DNA transfer: mechanisms and consequences, CSHL Press 2002, p. 46, ISBN 978-0-87969-621-4 google
  10. Malcolm W. Browne: Some Thoughts on Self Sacrifice, Artikel in The New York Times, 5. Juli 1988
  11. Gina Kolata: Bacteria Are Found to Thrive on a Rich Social Life, Artikel in The New York Times, 13. Oktober 1992
  12. Sandra Guy: Scientist uncovers secret lives of bacteria, Artikel in Chicago Sun-Times, 15. Dezember 2004
  13. Making the complex simple, Artikel in The Economist, 25. Januar 2001
  14. James A. Shapiro: Natural genetic engineering in evolution , in: Genetica, 86 (1–3), 1992, pp. 99–111, doi:10.1007/BF00133714 PMID 1334920 pdf
  15. James A. Shapiro: Genome organization, natural genetic engineering and adaptive mutation, in: Trends in Genetics, 13 (3), 1997, pp. 98–104, doi:10.1016/S0168-9525(97)01058-5 pdf
  16. James A. Shapiro: A 21st century view of evolution: genome system architecture, repetitive DNA, and natural genetic engineering, in: Gene 345 (1), January 2005, pp. 91–100, doi:10.1016/j.gene.2004.11.020
  17. „... it can be argued that much of genome change in evolution results from a genetic engineering process utilizing the biochemical systems for mobilizing and reorganizing DNA structures present in living cells.“ Shapiro 1992, S. 101
  18. Francis Crick: Central Dogma of Molecular Biology. Nature 227, 561–563 (1970). PMID 4913914. doi:10.1038/227561a0 pdf
  19. James A. Shapiro: Revisiting the central dogma in the 21st Century, in: Ann NY Acad Sci 1178, 2009 pp. 6-28 doi:10.1111/j.1749-6632.2009.04990.x pdf
  20. James A. Shapiro: How life changes itself: The Read–Write (RW) genome, in: Physics of Life Reviews, Volume 10, Issue 3, September 2013, pp. 287-323 doi:doi.org/10.1016/j.plrev.2013.07.001 pdf
  21. James A. Shapiro: Implications of the Read–Write Genome view, in: Physics of Life Reviews 10 (2013), pp. 347–350 doi:10.1016/j.plrev.2013.07.013 pdf
  22. „New findings about the genetic conservation of protein structure and function across very broad taxonomic boundaries, the mosaic structure of genomes and genetic loci, and the molecular mechanisms of genetic change all point to a view of evolution as involving the rearrangement of basic genetic motifs. A more detailed examination of how living cells restructure their genomes reveals a wide variety of sophisticated biochemical systems responsive to elaborate regulatory networks. In some cases, we know that cells are able to accomplish extensive genome reorganization within one or a few cell generations. The emergence of bacterial antibiotic resistance is a contemporary example of evolutionary change; molecular analysis of this phenomenon has shown that it occurs by the addition and rearrangement of resistance determinants and genetic mobility systems rather than by gradual modification of pre-existing cellular genomes. In addition, bacteria and other organisms have intricate repair systems to prevent genetic change by sporadic physicochemical damage or errors of the replication machinery. In their ensemble, these results show that living cells have (and use) the biochemical apparatus to evolve by a genetic engineering process. Future research will reveal how well the regulatory systems integrate genomic change into basic life processes during evolution.“
    Shapiro 1992, p. 99
  23. „The capcity of living organisms to alter their own heredity is undeniable. Our current ideas about evolution have to incorporate this basic fact of life.“ Shapiro 2011, p. 2
  24. „One reason Darwinism has failed to convince skeptics may be that it ignores over 60 years of molecular science.“ James A. Shapiro: What Is the Best Way to Deal With Supernaturalists in Science and Evolution?, Artikel in der [[w:Huffington Post|]]t, 16, April 2012
  25. „What significance does an emerging interface between biology and information science hold for thinking about evolution? It opens up the possibility of addressing scientifically rather than ideologically the central issue so hotly contested by fundamentalists on both sides of the Creationist-Darwinist debate: Is there any guiding intelligence at work in the origin of species displaying exquisite adaptations that range from lambda prophage repression and the Krebs cycle through the mitotic apparatus and the eye to the immune system, mimicry, and social organization?“
    James Shapiro: A Third Way, Artikel in Boston Review February–March 1997
  26. „knowledge-based and involve decisions appropriate to acquired information“ James A. Shapiro: Cell Cognition and Cell Decision-Making, Artikel in der Huffington Post, 19. März 2012
  27. „Molecular cell biology has uncovered sophisticated networks in all organisms. They acquire information about external and internal conditions, transmit and process that information inside the cell, compute the appropriate biochemical or biomechanical response, and activate the molecules needed to execute that response. These information-processing networks are central to the systems biology perspective of the new century. Altogether, we have a radically different conceptual perspective on living organisms than our predecessors. As aresult, we need to ask how this new perspective affects our 21st century understanding of the evolutionary process.“
    James A. Shapiro: Mobile DNA and evolution in the 21st century, 2010, p. 2 pdf