Kausalität und Baruch de Spinoza: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Kausalität''' ([[lat.]] ''causa'' „Ursache“) bezeichnet ganz allgemein die sachlich begründete Verknüpfung von '''Ursache''' und '''Wirkung'''. Das '''Kausalprinzip''' besagt, umgangssprachlich ausgedrückt, dass jedes Ereignis eine Ursache hat bzw. alles [[Werden]] ein Bewirktwerden ist.<ref>Wolfgang Stegmüller: ''Wissenschaftliche Erklärung und Begründung'', Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie Bd. 1, Springer-Verlag, Berlin - Heidelberg - New York 1969, Kap. VII. ''Kausalitätsprobleme: Ursache und Wirkung. Kausalgesetze. Kausale Modalitäten. Kausale Erklärungen. Das allgemeine Kausalprinzip. Determinismus und Indeterminismus'', S. 428–517, hier S. 431.</ref>
[[Datei:Spinoza.jpg|miniatur|Porträt des [[Philosoph|Philosophen]] Baruch de Spinoza, Ölgemälde um 1665, im Besitz der [[Wikipedia:Gemäldesammlung|Gemäldesammlung]] der [[Wikipedia:Herzog August Bibliothek|Herzog August Bibliothek]] in [[Wikipedia:Wolfenbüttel|Wolfenbüttel]]]]
[[Datei:Casa espinoza.jpg|miniatur|Das Haus von Baruch de Spinoza, [[Wikipedia:Rijnsburg|Rijnsburg]] Spinozalaan 29. Heutzutage dient es als Museum, das seine Arbeit würdigt.]]
[[Datei:Estudio espinoza.jpg|miniatur|Das Studienzimmer von Baruch de Spinoza]]


== Akausalität ==
'''Baruch de Spinoza''' ({{heS|ברוך שפינוזה}}, portogiesisch ''Bento de Espinosa'', latinisiert {{lang|la|''Benedictus de Spinoza''}}; * 24. November 1632 in Amsterdam; † 21. Februar 1677 in Den Haag) war ein niederländischer [[Philosoph]] mit [[wikipedia:sephardisch|sephardisch]]en (iberisch-jüdischen) Vorfahren und Muttersprache [[wikipedia:Portugiesische Sprache|Portugiesisch]].<ref>Yves Citton. L'envers de la liberté. L'invention d'un imaginaire spinoziste dans la France des Lumières. Paris: Éditions Amsterdam, 2006, S. 17</ref> Er wird dem [[Rationalismus]] zugeordnet und gilt als einer der Begründer der modernen [[wikipedia:Historisch-kritische Methode|Bibelkritik]]. Spinoza war zudem ein entschiedener Vertreter des [[Pantheismus]], den er in die Kurzformel [[Substanz]]&nbsp;=&nbsp;[[Gott]]&nbsp;=&nbsp;[[Natur]] (''Deus sive natura,'' „Gott oder die Natur“) fasste.


Von '''Akausalität''' spricht man, wenn [[Ereignis]]se [[Zufall|zufällig]], d.h. ohne erkennbare Ursache, eintreten.
== Rudolf Steiner über Spinoza ==
[[Rudolf Steiner]] umreißt Spinozas grundlegende Anschauungen so:


{{GZ|In der physischen Welt von «Zufall» sprechen, ist gewiß
<div style="margin-left:20px">
nicht unberechtigt. Und so unbedingt der Satz gilt: «Es gibt
"''Benedict Spinoza'' (1632—1677) frägt sich: Wie muß
keinen Zufall», wenn man alle Welten in Betracht zieht, so
dasjenige gedacht werden, von dem zur Schöpfung eines
unberechtigt wäre es, das Wort «Zufall» auszumerzen, wenn
wahren Weltbildes ausgegangen werden darf? Diesem
bloß von der Verkettung der Dinge in der physischen Welt
Ausgangspunkte liegt zugrunde die Empfindung: Mögen
die Rede ist. Der Zufall in der physischen Welt wird nämlich
sich ungezählte Gedanken als wahr in meiner Seele ankündigen,
dadurch herbeigeführt, daß sich in dieser Welt die Dinge im
ich gebe mich dem hin als Grundstein zu einer
sinnlichen Raume abspielen. Sie müssen, insofern sie sich in
Weltanschauung, dessen Eigenschaften ich erst bestimmen
diesem Raume abspielen, auch den Gesetzen dieses Raumes
muß. Spinoza findet, daß ausgegangen nur werden kann
gehorchen. In diesem Raume aber können äußerlich Dinge zusammentreffen,
von dem, das zu seinem Sein keines andern bedarf. Diesem
die zunächst innerlich nichts miteinander zutun
Sein gibt er den Namen [[Substanz]]. Und er findet, daß
haben.|34|362f}}
es nur eine solche Substanz geben könne, und daß diese
[[Gott]] sei. Wenn man sich die Art ansieht, wie Spinoza zu
diesem Anfang seines Philosophierens kommt, so findet
man seinen Weg dem der [[Mathematik]] nachgebildet. Wie
der Mathematiker von allgemeinen Wahrheiten ausgeht,
die das menschliche Ich sich freischaffend bildet, so verlangt
Spinoza, daß die Weltanschauung von solchen frei
geschaffenen Vorstellungen ausgehe. - Die eine Substanz
ist so, wie das Ich sie denken muß. So gedacht, duldet sie
nichts, was, außer ihr vorhanden, ihr gleich wäre. Denn
dann wäre sie nicht alles; sie hatte zu ihrem Dasein etwas
anderes nötig. Alles andere ist also nur an der Substanz,
als eines ihrer Attribute, wie Spinoza sagt. Zwei solcher
Attribute sind dem Menschen erkennbar. Das eine erblickt
er, wenn er die Außenwelt überschaut; das andere, wenn
er sich nach innen wendet. Das erste ist die Ausdehnung,
das zweite das Denken. Der Mensch trägt in seinem Wesen
die beiden Attribute; in seiner Leiblichkeit die Ausdehnung,
in seiner Seele das Denken. Aber er ist mit beiden
ein Wesen in der einen Substanz. Wenn er denkt,
denkt die göttliche Substanz, wenn er handelt, handelt die
göttliche Substanz. Spinoza erwirbt für das menschliche
[[Ich]] das Dasein, indem er dieses Ich in der allgemeinen,
alles umfassenden göttlichen Substanz verankert. Von unbedingter
[[Freiheit]] des Menschen kann da nicht die Rede
sein. Denn der Mensch ist so wenig selbst dasjenige, das
aus sich handelt und denkt, wie es der Stein ist, der sich
bewegt; es ist in allem die eine Substanz. Von bedingter
Freiheit nur kann beim Menschen dann gesprochen werden,
wenn er sich nicht für ein selbständiges Einzelwesen
hält, sondern wenn er sich eins weiß mit der einen Substanz.
Spinozas Weltanschauung führt in ihrer konsequenten
Ausbildung in einer Persönlichkeit bei dieser zu dem
Bewußtsein: Ich denke über mich im rechten Sinne, wenn
ich mich nicht weiter berücksichtige, sondern in meinem
Erleben mich eins weiß mit dem göttlichen All. Dieses Bewußtsein
gießt dann, im Sinne Spinozas, über die ganze
menschliche Persönlichkeit den Trieb zum Rechten, das
ist gotterfülltes Handeln. Dieses ergibt sich wie selbstverständlich
für denjenigen, in dem die rechte Weltanschauung
volle Wahrheit ist. Daher nennt Spinoza die Schrift,
in der er seine Weltanschauung darstellt, [[Ethik]]. Ihm ist
Ethik, das ist sittliches Verhalten, im höchsten Sinne Ergebnis
des wahren Wissens von dem Wohnen des Menschen
in der einen Substanz. Man möchte sagen, das Privatleben
Spinozas, des Mannes, der erst von Fanatikern
verfolgt wurde, dann nach freiwilliger Hinweggabe seines
Vermögens in Ärmlichkeit als Handwerker sich seinen
Lebensunterhalt suchte, war in seltenster Art der äußere
Ausdruck seiner Philosophenseele, die ihr Ich im göttlichen
All wußte, und alles seelische Erleben, ja alles Erleben
überhaupt von diesem Bewußtsein durchleuchtet empfand.


== Monokausalität und Multikausalität ==
Spinoza baut ein Weltanschauungsbild aus [[Gedanken]]
auf. Diese Gedanken müssen so sein, daß sie aus dem
Selbstbewußtsein heraus ihre Berechtigung zum Aufbau
des Bildes haben. Daher muß ihre Gewißheit stammen.
Was das Selbstbewußtsein so denken darf, wie es die sich
selbst tragenden mathematischen Ideen denkt, das kann
ein Weltbild gestalten, das Ausdruck ist dessen, was in
Wahrheit hinter den Welterscheinungen vorhanden ist." {{Lit|{{G|018|113ff}}}}
</div>


'''Monokausalität''' liegt vor, wenn aus einer einzigen Ursache eine oder mehrere Wirkungen entstehen. Haben diese hingegen mehrere Ursachen, handelt es sich um '''Multikausalität'''.
== Weitere Inkarnationen ==


Wenn für ein bestimmtes Ereignis mehrere von einander unabhängige, gleichzeitig auftretende Ursachen angegeben werden, von denen jede einzelne geeignet ist, das nachfolgende Ereignis ''vollständig'' zu bewirken, spricht man von einer [[Überdeterminierung]]. In der Debatte um das [[Leib-Seele-Problem]] wird das häufig als Argument gegen eine zu den [[physik]]alischen Ursachen hinzukommende [[mentale Verursachung]] angeführt.
Nach [[Rudolf Steiner]] war Spinoza zur Zeitenwende als der jüdisch-hellenistische [[Philosoph]] [[Philon von Alexandria]] (* um 15/10 v. Chr.; † nach 40 n. Chr.) verkörpert und kam später als [[Johann Gottlieb Fichte]] (1762-1814) wieder.


== Abwärtskausalität und Aufwärtskausalität ==
<div style="margin-left:20px">
[[Bild:Putnam-Oppenheim.Scheme2.png|thumb|350|Schema von Oppenheim und Putnam, 1958. Die obere Schicht soll sich vollständig auf die jeweils darunter liegende ''reduzieren'' lassen.]]
"Als Beispiel für eine regelmäßige Entwicklung einer Individualität
können wir betrachten einen Zeitgenossen von Jesus, Philo
von Alexandrien. Seine Individualität kam wieder als Spinoza und
dann als Johann Gottlieb Fichte. Wir haben hier also eine durchgehende
Individualität in drei Persönlichkeiten. Liest man Fichte
ohne Kenntnis dieser Vorgänge, so versteht man ihn nur wenig.
Mit dieser Kenntnis aber findet man, daß seine Worte mit Feuerschrift
geschrieben sind. Alle diese großen Geister haben eine
regelmäßige Entwicklung durchgemacht." {{Lit|{{G|088|184}}}}
</div>


Aus einseitig [[Materialismus|materialistisch]]-[[Reduktionismus|reduktionistischer]] Sicht wird nur die '''Aufwärtskausalität''' ins Auge gefasst, nach der alle kausalen Wirkungen innerhalb eines [[System]]s auschließlich von dessen einzelnen Elementen ([[Atom]]en, [[Elementarteilchen]]) ausgehen. [[Emergenz|Emergente]] Eigenschaften und Verhaltensweisen, die erst auf höheren Systemebenen in Erscheinung treten, werden als bloße [[Epiphänomen]]e betrachtet. Klassisch formuliert wurden die Prinzipien dieses einheitswissenschaftlichen Reduktionismus in dem [[1958]] von [[Paul Oppenheim]] und [[Hilary Putnam]] veröffentlichten Aufsatz ''The Unity of Science as a Working Hypothesis''<ref>[[Paul Oppenheim]], [[Hilary Putnam]]: ''The Unity of Science as a Working Hypothesis'', University of Minnesota Press, Minneapolis 1958 [https://conservancy.umn.edu/handle/11299/184622] [https://mechanism.ucsd.edu/teaching/philsci/openheim.putnam.unity.pdf]</ref>
<div style="margin-left:20px">
 
"Denn dieselbe Individualität
Dem steht die führend von [[Donald T. Campbell]] entwickelte [[Holismus|holistische]] Idee der '''Abwärtskausalität''' gegenüber, wonach das Verhalten der einzelnen Teile durch die Strukturbeziehungen des [[Ganzheit|Ganzen]] kausal bestimmt werden.<ref>[[Donald T. Campbell]]: 'Downward causation' in hierarchically organised biological systems. In Francisco Jose Ayala & Theodosius Dobzhansky (Hrsg.): ''Studies in the philosophy of biology: Reduction and related problems'' (London/Basingstoke: Macmillan, 1974), S. 179–186.</ref><ref>Karl R. Popper: Natural Selection and the Emergence of Mind. ''Dialectica'' '''32''' (1978), S. 339–355.</ref><ref>Donald T. Campbell: Levels of organization, downward causation, and the selection-theory approach to evolutionary epistemology. In G. Greenberg & E. Tobach (Hrsg.): ''Theories of the evolution of knowing'' (Hillsdale, NJ: Lawrence Erlbaum, 1990), S. 1–17.</ref>
ist ja Spinoza und Fichte, wie vielleicht schon einige unserer
 
Freunde wissen." {{Lit|{{G|158|213}}}}
== Die Ursachenlehre des Aristoteles ==
</div>
 
[[Aristoteles]] unterschied vier Arten von ''Ursachen'' ({{ELSalt|αἰτία}}, '''''aitia'''''), die Auskunft darüber geben sollen, „warum“ eine bestimmte [[Tatsache]] gegeben ist (Phys. II 3, 194b23-35):
 
{{Zitat|Nachdem nun dieses festgesetzt ist, ist über die Ursachen
zu handeln, wie beschaffen und wie viele der
Zahl nach sie sind. Denn da das Wissen der natürlichen
Dinge bezweckt wird; etwas zu wissen aber wir
nicht eher glauben, als bis wir sein Warum erfaßt
haben (dieß aber ist die erste Ursache erfassen); so
müssen offenbar wir es auch so halten mit Entstehung
und Untergang und mit allem natürlichen Uebergange;
auf daß wir, kennend ihren Ursprung, auf diesen
alles, was da untersucht wird, zurückzuführen suchen.
Auf eine Weise nun heißt Ursache das, woraus als
aus einem Vorhandenen etwas entsteht; wie z.B. das
Erz Ursache der Bildsäule, und das Silber der Schaale,
und die Gattungen von diesen. Auf andere Art die
Formbestimmung und das Muster; dieß aber ist der
Begriff, der das Was bestimmt, und die Gattungen
von diesem; z.B. für die Octaven das Verhältnis von
zwei zu drei, und überhaupt die Zahl und die durch
den Begriff gegebenen Theile. - Ferner woher der
erste Anfang der Veränderung oder der Ruhe. Auf
diese Art ist, der einen Anschlag faßt, Ursache; und
der Vater Ursache des Kindes, und überhaupt das
Thätige des Gethanen, und das Verändernde des Veränderten.
- Ferner wie das Endziel. Dieß aber ist das,
wegen dessen etwas ist. So ist des Spazierengehens
Ursache die Gesundheit; denn auf die Frage: Warum
geht er spazieren? antworten wir, um gesund zu werden,
und glauben hiemit die Ursache angegeben zu
haben. Hierher gehört auch alles, was zwischen der
ersten bewegenden Ursache und dem Zwecke in der
Mitte liegt; wie, wenn die Gesundheit der Zweck ist,
das Magerwerden, oder die Reinigung, oder die Arzneymittel,
oder die Werkzeuge; denn alles dieß ist des
Zweckes wegen; der Unterschied ist, daß das eine
Werke, das andere Werkzeuge sind.|Aristoteles|''Physik'' II, 3}}
 
Alle ''aitiai'' einer Sache zu kennen, bedeutet, dass man volle [[Erkenntnis]] über sie gewonnen hat. Die [[Materialursache]] und die [[Formursache]] beschreiben dabei ihr gegebenes [[Sein]], das aus [[Stoff und Form]] besteht, die [[Wirkursache]] ihr [[Werden]] und die [[Zweckursache]] den eigentlichen [[Grund]] ihres Bestehens.
 
<center>
{| class="wikitable" | width="90%"
! Bezeichnung !! traditionelle Bezeichnung !! Erläuterung !! Beispiel: ''Ursachen eines Hauses''
|-
| Materialursache || ''[[causa materialis]]'' || das, aus dem eine Sache entsteht und dabei in ihr enthalten ist || Holz und Ziegel
|-
| Formursache || ''[[causa formalis]]'' || die [[Form]] bzw. [[Struktur]]; das, was angibt, worin das [[Sein]] einer Sache besteht || Bauplan, Architekt
|-
| Wirk- oder Bewegungsursache || ''[[causa efficiens]]'' || das, woher der erste Anlass von [[Bewegung]] und Ruhe oder einer [[Wirkung]] kommt || Baumeister, Bauarbeiter
|-
| Ziel- oder Zweckursache || ''[[causa finalis]]'' || das [[Ziel]] oder der [[Zweck]], um dessentwillen etwas geschieht || Schutz vor Unwetter
|}
</center>
 
Die [[Scholastik]] übernahm die Ursachenlehre des Aristoteles, fügte aber noch [[Gott]] als [[Erste Ursache]] ([[causa prima]]) hinzu.
 
== Kausalität bei Hume ==
{{Siehe auch|Regularitätstheorie (Philosophie)}}
 
Eine in der neuzeitlichen Philosophie weit verbreitete Auffassung vom Wesen der Ursache und der Kausalität wurde im Wesentlichen von [[David Hume]] (1711–1776) begründet. Hume definiert Ursache als
 
{{Zitat|einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, wobei allen Gegenständen, die dem ersten gleichartig sind, Gegenstände folgen, die dem zweiten gleichartig sind. Oder mit anderen Worten: wobei, wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hätte, der zweite nie ins Dasein getreten wäre.<ref>David Hume: ''Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand''. Übersetzt von Raoul Richter, hrsg. von Jens Kulenkampff. 12. Auflage. Meiner, Hamburg 1993, S. 92f. Hervorhebung im Original.</ref>}}
 
Hume wendet sich entschieden gegen die Vorstellung einer ''notwendigen Verknüpfung'' von Ursache und Wirkung, da er in seiner [[Empirismus|empiristischen]] Erkenntnistheorie keinerlei berechtigten Anlass für eine solche Vorstellung findet. Die Quelle unserer falschen Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung sei die gewohnheitsmäßige Verbindung von Ursache und Wirkung.
 
{{Zitat|Wenn aber viele gleichförmige Beispiele auftreten und demselben Gegenstand immer dasselbe Ereignis folgt, dann beginnen wir den Begriff von Ursache und Verknüpfung zu bilden. Wir ''empfinden'' nun ein neues Gefühl […]; und dieses Gefühl ist das Urbild jener Vorstellung [von notwendiger Verknüpfung], das wir suchen.<ref>David Hume: ''Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand''. Übersetzt von Raoul Richter, hrsg. von Jens Kulenkampff. 12. Auflage. Meiner, Hamburg 1993, S. 95. Hervorhebung im Original.</ref>}}
 
Die Kausalität wird also als eine zuverlässig, regelmäßig zusammen auftretende bivariate Kovariation von Ereignissen definiert. Von dem gemeinsamen Auftreten wird nicht zurückgeschlossen auf eine vorher schon dagewesene Kausalität. Dass in der Vergangenheit ein Ereignis A zwar immer gefolgt war von einem Ereignis B und wir das als gesichert annehmen, muss nicht mit Bestimmtheit heißen, dass es auch für alle Zukunft so sein wird, dass dem Ereignis A auch immer Ereignis B folgen würde. Aus diesem Grunde kann man nach Hume keine Naturgesetze definieren, denn von Gesetzen als einem allgemeinen Zusammenhang zu sprechen, lässt sich rational nicht begründen. Es wäre lediglich gewohnheitsmäßig wahrgenommenes, gemeinsames Aufeinandertreffen von Ereignissen. Auch von der objektiven Welt als solcher zu sprechen ergibt nach Hume keinen großen Sinn, denn die Welt jenseits unserer eigenen Vorstellungen gibt es nicht als solche, die wir erfahren könnten. Wir haben bloß sensorische Eindrücke von einer Welt und diese sensorischen Eindrücke würden sich verändern. Wir haben nur sensorische Eindrücke der Welt und haben Schwierigkeiten, gesicherte Annahmen und Kenntnisse der Welt als solche zu formen. Und selbst über uns können wir nicht als Subjekte reden, denn jeder von uns ist in seiner eigenen Erfahrung nicht als Subjekt direkt gegeben. Wir haben zwar eigene Gedanken, aber von diesen auch nur die Eindrücke, wir haben zwar eine Ahnung unserer Bewegung, aber auch von diesen auch nur die eigenen Eindrücke. Deshalb sind wir wie Bündel unserer eigenen Impressionen über uns selber. Hume hat sich mit seiner Arbeit deshalb weg von der Frage, was Kausalität ist, bewegt und hat eigentlich durch die Zweifel an der Existenz der Kausalität eher den Fokus auf die Frage, warum wir Kausalität als solche überhaupt behaupten, gelenkt.
 
Nach Hume ist es also problematisch von mehreren Beobachtungen auf die Gültigkeit eines induktiven Schließens folgern zu wollen. Das, was wir als Regelmäßigkeit wahrnehmen, seien keine Gesetzmäßigkeiten über wirkliche Zusammenhänge. (siehe [[Skeptizismus#Renaissance|Skeptizismus David Humes]])
 
Im Zusammenhang mit einer bloßen [[Wahrscheinlichkeit]] der Kausalität spricht man von einer ''Regularitätstheorie der Kausalität''. Nach derartigen Theorien ist sie nur durch [[Statistik|statistische]] Untersuchungen bestimmbar, nicht durch logische Schlüsse. Demnach lassen sich grundsätzlich keine sicheren [[Prognose]]n aufstellen. David Hume zufolge müssen folgende [[notwendige und hinreichende Bedingung]]en erfüllt sein, um eine Ereignisfolge als Ursache-Wirkung-Beziehung einordnen zu können:
 
* e<sub>1</sub> liegt [[zeit]]lich unmittelbar vor e<sub>2</sub>.
* e<sub>1</sub> liegt [[Raum (Physik)|räumlich]] unmittelbar neben e<sub>2</sub>.
* Immer wenn ein [[Token und Type|Vorkommnis]] vom Typ e<sub>1</sub> auftritt, lässt sich ein Vorkommnis vom Typ e<sub>2</sub> beobachten.
 
Die Auffassung, dass es keine notwendigen kausalen Verbindungen in der Welt gibt, weil lediglich räumlich benachbarte Ereignisse in zeitlicher Abfolge beobachtet werden können, wird in der modernen [[Wissenschaftstheorie]] als ''Humesche Metaphysik'' bezeichnet.<ref>Andreas Bartels, Manfred Stöckler (Hrsg.): ''Wissenschaftstheorie'', mentis Verlag, Paderborn 2009, Kapitel 4: Kausalität, S.&nbsp;89&nbsp;ff.</ref>
 
== Kausalität bei Kant ==
 
[[Immanuel Kant]] unterschied von der „Kausalität nach Gesetzen der [[Natur]]“ eine „Kausalität durch [[Freiheit]]:“
 
{{Zitat|Wenn ich jetzt (zum Beispiel) völlig frei und ohne den notwendig bestimmenden Einfluss der Naturursachen von meinem Stuhle aufstehe, so fängt in dieser Begebenheit samt deren natürlichen Folgen ins Unendliche eine neue Reihe schlechthin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur eine Fortsetzung der vorhergehenden Reihe ist. Denn diese Entschließung und Tat liegt gar nicht in der Abfolge bloßer Naturwirkungen und ist nicht eine bloße Fortsetzung derselben; sondern die bestimmenden Naturursachen hören oberhalb derselben in Ansehung dieses Ereignisses ganz auf, das zwar auf jene folgt, aber daraus nicht erfolgt und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Ansehung der Kausalität ein schlechthin erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen genannt werden muss.|ref=<ref>KrV B 478, [http://korpora.org/Kant/aa03/312.html Akademie-Ausgabe: Die Antinomie der reinen Vernunft: Anmerkung zur dritten Antinomie]</ref>}}
 
Im Gegensatz zu Hume sieht Kant die Kausalität als Notwendigkeit an. Er argumentiert, dass der Kausalgedanke zur inneren Struktur der Erkenntnis gehöre, wenn jede besondere Kausalregel aus der Erfahrung stammt, weil man sonst die Welt gar nicht verstehen könne. Für Kant liegt der Beweis für die Notwendigkeit der Kausalität in der zugleich logischen wie chronologischen Abfolge der Zeit. Er verdeutlicht dies in der Kritik der reinen Vernunft an dem Beispiel der Beobachtung einer Kugel und einer Einbuchtung in einem Kissen. Hier gebe es nur einen logischen Schluss von der Kugel als Ursache zur Einbuchtung als Wirkung. Der umgekehrte Schluss wäre absurd. (Beispiel aus der 2. Analogie der Erfahrung: Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Causalität)<ref>KrV B 248-248 [http://korpora.org/Kant/aa03/176.html Akademie-Ausgabe]</ref> „Die Physik hat die Kantsche Definition der Kausalität weitgehend bestätigt und als Postulat in ihre wichtigsten Theorien aufgenommen.“ In der speziellen Relativitätstheorie von [[Albert Einstein|Einstein]], die zwar eine [[Zeitdilatation]], nicht jedoch eine Zeitumkehr zulässt, bleibt die Kausalität im Sinne der zeitlichen Folge erhalten. Ebenso wird das Zufallskonzept der [[Quantenphysik|Quantentheorie]] nicht verletzt.<ref>Zitate aus: Michel Serres und Nayla Farouki (Hrsg.), Thesaurus der exakten Wissenschaften, ZWEITAUSENDEINS, ISBN 3-86150-620-3</ref>
 
Zum einen muss man von seinen eigenen Gedanken eine Gewissheit haben, dass sie in dem eigenen Geiste vorhanden sind (Selbstbewusstsein). Zum anderen können nicht alle Begriffe des eigenen Geistes aus der reinen Erfahrung stammen, da man die Eindrücke, die man erhält, ansonsten nicht kategorisieren könne. Man muss also schon Begriffe voraussetzen, um Ideen aus sensorischen Eindrücken bilden zu können. Und zu diesen schon a priori vorhandenen Begriffen zählte Kant auch den Begriff der Kausalität. Damit ist Kausalität nicht ein aus Impressionen gebildeter erst im Nachhinein konstruierter Denkinhalt, sondern die Möglichkeit überhaupt Erfahrung zu sammeln setzt den Begriff der Kausalität schon voraus, ist also notwendig um Erfahrung überhaupt erst machen zu können. Wir würden ansonsten bloß sensorische Eindrücke gewinnen und nicht die Fähigkeit besitzen, diese zu Sinn stiftenden und kategorialen Erfahrungszusammenhängen zu konstruieren. Wie ein Kleinkind, das in ein Kaleidoskop blickt, würden wir die Welt nicht zusammenfügen können und würden nur das Spiel des Lichtes im Kaleidoskop staunend betrachten und ehrfürchtig vom Spiel des Lichtes gebannt bleiben.
 
Diese objektive Welt kann durch die Naturwissenschaften erforscht werden, und wir nehmen auch a priori an, dass gewisse Gesetzmäßigkeiten darin gelten, worunter auch das Kausalitätsgesetz zu fallen scheint. Die Dinge für sich bleiben uns jedoch verborgen, denn sie liegen außerhalb unserer menschlich erfahrbaren Welt. Über sie können wir lediglich vernünftige Vermutungen anstellen, da sie der Erscheinungswelt auf unerkennbare Weise zugrunde liegen. Darunter fallen nach Kant z.&nbsp;B. die Idee von Gott, die Idee der Freiheit und die der unsterblichen Seele. Dort sei die Grenze unserer nach Vernunft möglichen Erkenntnis erreicht.
 
== Kausalität und Freiheit ==
 
Die durchgehende Kausalität wird in den [[Wissenschaft]]en vielfach als dogmatisches Argument gegen die [[Freiheit]] gebraucht, worauf auch [[Rudolf Steiner]] deutlich hingewiesen hat:
 
{{GZ|In jeder sittlichen Handlung kann sich der Mensch seiner Freiheit
bewußt sein. Und geradeso, wie wir Rot oder Weiß erleben, so
erleben wir eigentlich als Menschen wirklich die Freiheit. Aber wir
leugnen sie. Wir leugnen sie unter der Autorität der gegenwärtigen
Wissenschaft. Warum? Weil die gegenwärtige Wissenschaft nur auf
das Mechanische hinschauen will, wo immer das Frühere die Ursache
des Späteren ist. Und da diktiert dogmatisch diese Wissenschaft: Alles
muß seine Ursache haben. Die Kausalität diktiert sie dogmatisch,
und weil die Kausalität richtig sein muß, weil man auf die Kausalität
dogmatisch schwören will, deshalb betäubt man sich über das Gefühl
der Freiheit. Die Wirklichkeit wird in Nacht getaucht, um das Dogma
aufrechtzuerhalten, in diesem Falle das Dogma der äußeren, eine so
starke Autorität ausübenden Wissenschaft.|225|179f}}


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kausalität}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Spinoza}}
* {{Eisler|Causalität}}
* {{WikipediaDE|Baruch de Spinoza}}
* {{Kirchner|Causalität}}
* {{UTB-Philosophie|Herbert Wiesen|473|Kausalität}}
* [[Wirkung (Physik)]]
* [[Korrelation]]


== Literatur ==
==Literatur==
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X; Tb 610/11, ISBN 978-3-7274-6105-7 {{Schriften|018}}
* [[Herbert Witzenmann]]: ''Ein Dreigestirn am Horizont unserer Epoche.'' (Descartes, Spinoza, Leibniz), Gideon Spicker Verlag, 2. Aufl. 1984, ISBN 3857041943
* [[Rudolf Steiner]]: ''Faust und Hamlet'', Erstveröffentlichung in: Das Goetheanum, I. Jahrgang, Nr. 34, 2. April 1921 ([[GA 36]], S. 125-128) ''(Goethes Verhältnis zu Linné, Spinoza, und Shakespeare)''
* [[Rudolf Steiner]]: ''Über die astrale Welt und das Devachan'', [[GA 88]] (1999), ISBN 3-7274-0880-4
* [[Rudolf Steiner]]: ''Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt'', [[GA 158]] (1993), ISBN 3-7274-1580-0 {{Vorträge|158}}


* [[Rudolf Steiner]]: ''Lucifer – Gnosis'', [[GA 34]] (1987), ISBN 3-7274-0340-3 {{Vorträge|034}}
{{GA}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Vor dem Tore der Theosophie'', [[GA 95]] (1990), ISBN 3-7274-0952-5 {{Vorträge|095}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis'', [[GA 191]] (1989), ISBN 3-7274-1910-5 {{Vorträge|191}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Drei Perspektiven der Anthroposophie. Kulturphänomene, geisteswissenschaftlich betrachtet.'', [[GA 225]] (1990), ISBN 3-7274-2252-1 {{Vorträge|225}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule von 1904 bis 1914'', [[GA 265]] (1987), ISBN 3-7274-2650-0 {{Vorträge|265}}
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_kausalgesetz.pdf Das Kauslagesetz in der Geschichte der Philosophie] PDF


{{GA}}
== Weblinnks ==
* {{Eisler-1912|Spinoza, Benedictus de}}
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/philosophie6d.html Projekt Neospinozismus] Website


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>


<references />
{{wikipedia}}
 
[[Kategorie:Naturwissenschaften]]
[[Kategorie:Denken]]
[[Kategorie:Kausales Denken]]
[[Kategorie:Freiheit]]
[[Kategorie:Handlungstheorie (Philosophie)]]
[[Kategorie:Quantenphysik]]
[[Kategorie:Physik]]
[[Kategorie:Klassische Mechanik]]
[[Kategorie:Naturphilosophie]]
[[Kategorie:Quantenphilosophie]]
[[Kategorie:Metaphysik]]
[[Kategorie:Ontologie]]
[[Kategorie:Relation|103]]
[[Kategorie:Determinismus]]
[[Kategorie:Kausalität|!]]


{{Wikipedia}}
{{DEFAULTSORT:Spinoza, Baruch de}}
[[Kategorie:Philosoph (Barock)]]
[[Kategorie:Philosophie und Anthroposophie]]
[[Kategorie:Rationalist]]
[[Kategorie:Vertreter der Evidenztheorie der Wahrheit]]
[[Kategorie:Objektiver Idealist]]
[[Kategorie:Freiheitsphilosoph]]
[[Kategorie:Moralphilosoph]]
[[Kategorie:Ingenieur]]
[[Kategorie:Bergbauingenieur]]
[[Kategorie:Niederländer]]
[[Kategorie:Geboren 1632]]
[[Kategorie:Gestorben 1677]]
[[Kategorie:Mann]]

Version vom 26. August 2018, 02:51 Uhr

Porträt des Philosophen Baruch de Spinoza, Ölgemälde um 1665, im Besitz der Gemäldesammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel
Das Haus von Baruch de Spinoza, Rijnsburg Spinozalaan 29. Heutzutage dient es als Museum, das seine Arbeit würdigt.
Das Studienzimmer von Baruch de Spinoza

Baruch de Spinoza (hebr. ברוך שפינוזה, portogiesisch Bento de Espinosa, latinisiert Benedictus de Spinoza; * 24. November 1632 in Amsterdam; † 21. Februar 1677 in Den Haag) war ein niederländischer Philosoph mit sephardischen (iberisch-jüdischen) Vorfahren und Muttersprache Portugiesisch.[1] Er wird dem Rationalismus zugeordnet und gilt als einer der Begründer der modernen Bibelkritik. Spinoza war zudem ein entschiedener Vertreter des Pantheismus, den er in die Kurzformel Substanz = Gott = Natur (Deus sive natura, „Gott oder die Natur“) fasste.

Rudolf Steiner über Spinoza

Rudolf Steiner umreißt Spinozas grundlegende Anschauungen so:

"Benedict Spinoza (1632—1677) frägt sich: Wie muß dasjenige gedacht werden, von dem zur Schöpfung eines wahren Weltbildes ausgegangen werden darf? Diesem Ausgangspunkte liegt zugrunde die Empfindung: Mögen sich ungezählte Gedanken als wahr in meiner Seele ankündigen, ich gebe mich dem hin als Grundstein zu einer Weltanschauung, dessen Eigenschaften ich erst bestimmen muß. Spinoza findet, daß ausgegangen nur werden kann von dem, das zu seinem Sein keines andern bedarf. Diesem Sein gibt er den Namen Substanz. Und er findet, daß es nur eine solche Substanz geben könne, und daß diese Gott sei. Wenn man sich die Art ansieht, wie Spinoza zu diesem Anfang seines Philosophierens kommt, so findet man seinen Weg dem der Mathematik nachgebildet. Wie der Mathematiker von allgemeinen Wahrheiten ausgeht, die das menschliche Ich sich freischaffend bildet, so verlangt Spinoza, daß die Weltanschauung von solchen frei geschaffenen Vorstellungen ausgehe. - Die eine Substanz ist so, wie das Ich sie denken muß. So gedacht, duldet sie nichts, was, außer ihr vorhanden, ihr gleich wäre. Denn dann wäre sie nicht alles; sie hatte zu ihrem Dasein etwas anderes nötig. Alles andere ist also nur an der Substanz, als eines ihrer Attribute, wie Spinoza sagt. Zwei solcher Attribute sind dem Menschen erkennbar. Das eine erblickt er, wenn er die Außenwelt überschaut; das andere, wenn er sich nach innen wendet. Das erste ist die Ausdehnung, das zweite das Denken. Der Mensch trägt in seinem Wesen die beiden Attribute; in seiner Leiblichkeit die Ausdehnung, in seiner Seele das Denken. Aber er ist mit beiden ein Wesen in der einen Substanz. Wenn er denkt, denkt die göttliche Substanz, wenn er handelt, handelt die göttliche Substanz. Spinoza erwirbt für das menschliche Ich das Dasein, indem er dieses Ich in der allgemeinen, alles umfassenden göttlichen Substanz verankert. Von unbedingter Freiheit des Menschen kann da nicht die Rede sein. Denn der Mensch ist so wenig selbst dasjenige, das aus sich handelt und denkt, wie es der Stein ist, der sich bewegt; es ist in allem die eine Substanz. Von bedingter Freiheit nur kann beim Menschen dann gesprochen werden, wenn er sich nicht für ein selbständiges Einzelwesen hält, sondern wenn er sich eins weiß mit der einen Substanz. Spinozas Weltanschauung führt in ihrer konsequenten Ausbildung in einer Persönlichkeit bei dieser zu dem Bewußtsein: Ich denke über mich im rechten Sinne, wenn ich mich nicht weiter berücksichtige, sondern in meinem Erleben mich eins weiß mit dem göttlichen All. Dieses Bewußtsein gießt dann, im Sinne Spinozas, über die ganze menschliche Persönlichkeit den Trieb zum Rechten, das ist gotterfülltes Handeln. Dieses ergibt sich wie selbstverständlich für denjenigen, in dem die rechte Weltanschauung volle Wahrheit ist. Daher nennt Spinoza die Schrift, in der er seine Weltanschauung darstellt, Ethik. Ihm ist Ethik, das ist sittliches Verhalten, im höchsten Sinne Ergebnis des wahren Wissens von dem Wohnen des Menschen in der einen Substanz. Man möchte sagen, das Privatleben Spinozas, des Mannes, der erst von Fanatikern verfolgt wurde, dann nach freiwilliger Hinweggabe seines Vermögens in Ärmlichkeit als Handwerker sich seinen Lebensunterhalt suchte, war in seltenster Art der äußere Ausdruck seiner Philosophenseele, die ihr Ich im göttlichen All wußte, und alles seelische Erleben, ja alles Erleben überhaupt von diesem Bewußtsein durchleuchtet empfand.

Spinoza baut ein Weltanschauungsbild aus Gedanken auf. Diese Gedanken müssen so sein, daß sie aus dem Selbstbewußtsein heraus ihre Berechtigung zum Aufbau des Bildes haben. Daher muß ihre Gewißheit stammen. Was das Selbstbewußtsein so denken darf, wie es die sich selbst tragenden mathematischen Ideen denkt, das kann ein Weltbild gestalten, das Ausdruck ist dessen, was in Wahrheit hinter den Welterscheinungen vorhanden ist." (Lit.: GA 018, S. 113ff)

Weitere Inkarnationen

Nach Rudolf Steiner war Spinoza zur Zeitenwende als der jüdisch-hellenistische Philosoph Philon von Alexandria (* um 15/10 v. Chr.; † nach 40 n. Chr.) verkörpert und kam später als Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) wieder.

"Als Beispiel für eine regelmäßige Entwicklung einer Individualität können wir betrachten einen Zeitgenossen von Jesus, Philo von Alexandrien. Seine Individualität kam wieder als Spinoza und dann als Johann Gottlieb Fichte. Wir haben hier also eine durchgehende Individualität in drei Persönlichkeiten. Liest man Fichte ohne Kenntnis dieser Vorgänge, so versteht man ihn nur wenig. Mit dieser Kenntnis aber findet man, daß seine Worte mit Feuerschrift geschrieben sind. Alle diese großen Geister haben eine regelmäßige Entwicklung durchgemacht." (Lit.: GA 088, S. 184)

"Denn dieselbe Individualität ist ja Spinoza und Fichte, wie vielleicht schon einige unserer Freunde wissen." (Lit.: GA 158, S. 213)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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Einzelnachweise

  1. Yves Citton. L'envers de la liberté. L'invention d'un imaginaire spinoziste dans la France des Lumières. Paris: Éditions Amsterdam, 2006, S. 17


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