Gottesfurcht

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Als Gottesfurcht oder Eusebie (von griech. εὐσέβεια eusebeia „Gottesfurcht, Frömmigkeit“; eng. Fear of God) wird ganz allgemein die Ehrfurcht vor Gott bzw. vor den Göttern bezeichnet.

Altes Testament

Im Alten Testament wir die Furcht (hebr. יראה jir'A; auch פחד pAchad[1]) vor Gott erstmals im 1. Buch Mose erwähnt, nachdem der HERR Abraham befohlen hatte, seinen Sohn Isaak zu opfern und im letzten Moment durch den Engel des HERRN davon abgehalten wird:

„11 Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten.“

1 Mose 22,11-12 EU

Im Buch Kohelet, auch Prediger bzw. Prediger Salomo und in der der Septuaginta Ekklesiastes (griech. Ἐκκλησιαστής) genannt, heißt es:

„13 Hast du alles gehört, so lautet der Schluss: Fürchte Gott und achte auf seine Gebote! Das allein hat jeder Mensch nötig.“

Prediger 12,13 EU

Nach Rudolf Steiner ist Kohelet auch die hebräische Bezeichnung für den Lebensgeist (Buddhi) des Menschen, insbesonders für den Lebensgeist des Salomo, bei dem alle 7 Wesensglieder bereits sehr vollkommen veranlagt waren. In der jüdischen Kabbala wird dafür der Ausdruck Chaja (hebr. ‎חיה, Leben) verwendet; Chaja ist zentriert in der Sephira Chochmah (Weisheit) und lässt uns die göttliche Lebenskraft erkennen bzw. ihrer teilhaftig werden.

„Und was als Buddhi oder Lebensgeist hineinwirkte in diesen Vorfahren, wovon sie sagten: In diesem Vorfahren muß ein solcher Lebensgeist wirken, daß er wie ein Lehrer des ganzen Volkes wirken kann, damit sich ausgießen kann, was dieser Lebensgeist enthält, auf das ganze Volk - , das bezeichneten sie als «Kohelet».“ (Lit.:GA 116, S. 83)

Neues Testament

Im Neuen Testament wird die Gottesfurcht mit dem griechischen Wort φόβος (phobos, „Furcht, panische Angst“) ausgedrückt, außer in 1 Timotheus 2,10 EU, wo Paulus die "Frauen, die gottesfürchtig sein wollen" (griech. γυναιξὶν ἐπαγγελλομέναις θεοσέβειαν, gynaixin epangellomenais theosebeian) erwähnt und hier die Gottesfurcht mit dem Wort θεοσέβεια (theosebeia) charakterisiert, was wörtlich „gottesfürchtig“ bedeutet.

Grundsätzlich kann der Begriff Gottesfurcht die Furcht vor dem Gericht Gottes bedeuten. Theologisch gesehen umfasst er aber noch weit mehr. So sagt etwa Robert B. Strimple: "Es ist das Zusammentreffen von Ehrfurcht, Ehrerbietung, Anbetung, Ehre, Verehrung, Vertrauen, Dankbarkeit, Liebe und, ja, Furcht."[2] Im Magnificat des Lukasevangeliums ruft Maria aus: „Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten.“ (Lukas 1,50 LUT) Im Gleichnis vom ungerechten Richter beschreibt der Christus den Richter als jemanden „der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.“

In der römisch-katholischen Kirche zählt die Gottesfurcht zu den Sieben Gaben des Heiligen Geistes. Bei der Generalaudienz am 11. Juni 2014 auf dem Petersplatz sagte dazu Papst Franziskus:

„Wir wissen, dass Gott der Vater ist und dass er uns liebt und unser Heil will und stets vergibt; daher gibt es keinen Grund, vor ihm Angst zu haben! Die Gottesfurcht ist vielmehr die Gabe des Geistes, die uns daran erinnert, wie klein wir sind vor Gott und vor seiner Liebe, und dass unser Wohl darin besteht, uns mit Demut, mit Hochachtung und mit Vertrauen in seine Hände hinzugeben. Das ist die Gottesfurcht: die Hingabe an die Güte unseres Vaters, der uns so sehr liebt...

Aber Achtung: Die Gabe Gottes, die Gabe der Gottesfurcht ist auch ein »Alarm« vor der Hartnäckigkeit der Sünde. Wenn ein Mensch im Bösen lebt, wenn er Gott lästert, wenn er die anderen ausbeutet, wenn er sie tyrannisiert, wenn er nur für das Geld, für die Eitelkeit oder die Macht oder den Stolz lebt, dann versetzt uns die heilige Gottesfurcht in Alarmbereitschaft: Achtung! Mit all dieser Macht, mit all diesem Geld, mit all deinem Stolz, mit all deiner Eitelkeit wirst du nicht glücklich sein.“

Papst Franziskus: Generalaudienz, 11. Juni 2014[3]

Der lutherische Theologe Rudolf Otto (1869 - 1937) prägte den Begriff numinos, um die spezifisch Art von Angst zu charakterisieren, die man vor Gott haben kann. Genauer bezeichnet er mit diesem Begriff die Anwesenheit eines absolut transzendenten, „gestaltlos Göttlichen“, das entweder als mysterium tremendum (Schauder, Furcht) oder mysterium fascinans (Anziehung) erlebt werden kann. Tatsächlich ist dieses dramatische Erlebnis nicht auf das höchste Göttliche beschränkt, sondern tritt auch bei der geistigen Begegnung mit jedem dem Menschen übergeordneten Engelwesen auf, weshalb in der Bibel auch in diesem Fall die Phrase „Fürchte dich nicht!“ auftritt.

C. S. Lewis, der einer der einflussreichsten christlichen Apologeten des 20. Jahrhunderts war und heute vor allem für seine mittlerweile auch verfilmte Kinderbuchserie Die Chroniken von Narnia bekannt ist, bezieht sich in vielen seiner Schriften auf den Begriff des Numinosen, insbesondere seinem Buch Das Problem des Schmerzes, wo er schreibt:

„In allen entwickelten Religionen finden wir drei Stränge oder Elemente, und im Christentum ein weiteres. Das erste dieser Elemente ist das, was Professor Otto die Erfahrung des Numinosen nennt. Diejenigen, die diesen Begriff noch nicht kennen, können ihn mit dem folgenden Kunstgriff kennen lernen. Angenommen, man würde Ihnen sagen, dass sich im Nebenzimmer ein Tiger befindet: Sie wüssten, dass Sie in Gefahr sind, und würden wahrscheinlich Angst empfinden. Wenn man Ihnen aber sagen würde: "Im Zimmer nebenan ist ein Gespenst", und Sie würden es glauben, würden Sie in der Tat das empfinden, was man oft als Angst bezeichnet, aber von einer anderen Art. Sie würde nicht auf dem Wissen um die Gefahr beruhen, denn niemand hat in erster Linie Angst davor, was ein Gespenst ihm antun könnte, sondern vor der bloßen Tatsache, dass es ein Gespenst ist. Es ist eher "unheimlich" als gefährlich, und die besondere Art der Angst, die es auslöst, kann man als Furcht bezeichnen. Mit dem Unheimlichen ist man am Rande des Numinosen angelangt. Nehmen wir nun an, man würde Ihnen einfach sagen: "Es ist ein mächtiger Geist im Raum", und Sie würden es glauben. Ihre Gefühle wären dann noch weniger wie die bloße Angst vor der Gefahr: aber die Beunruhigung wäre tiefgreifend. Sie würden Verwunderung und ein gewisses Zurückschrecken empfinden - ein Gefühl der Unzulänglichkeit, um mit einem solchen Besucher fertig zu werden, und der Niederwerfung vor ihm - ein Gefühl, das in Shakespeares Worten ausgedrückt werden könnte: "Unter ihm beugt sich mein Genius scheu"[4]. Dieses Gefühl kann als Ehrfurcht bezeichnet werden und das Objekt, das es hervorruft, als das Numinose.“

C. S. Lewis: The Problem of Pain, S. 6-7[5]

Islam

Hauptartikel: Taqwā

Im Islam ist Taqwā (arab. تقوى, DMG Taqwā ‚Gottesfurcht‘) ein zentraler Begriff, der die Bedeutung von Gehorsam gegenüber Gott und das Streben nach moralischer Vollkommenheit hervorhebt. Allgemeinen wird Taqwā als „Gottesfurcht“ oder „Gottesbewusstsein“ übersetzt. Es bezieht sich auf die Befolgung der göttlichen Gebote und die Vermeidung von Verhaltensweisen, die als Sünde angesehen werden.

Im Qur'an wird Taqwā oft als eine Tugend bezeichnet, die gläubige Muslime entwickeln sollten. Es wird gesagt, dass Taqwā ihnen helfen kann, auf dem geraden Weg zu bleiben und sich vor Sünde und Versuchung zu schützen. Taqwā wird auch als Voraussetzung für den Erhalt von Gottes Gnade und Barmherzigkeit angesehen.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Furcht“, in: Wörterbuch Hebräisch-Deutsch und Deutsch-Hebräisch
  2. Robert B. Strimple: The Fear of the Lord auf opc.org, abgefrufen am 10. März 2023
  3. Die Gaben des Heiligen Geistes: 7. Die Gottesfurcht, Generaudienz von Papst Franziskus, Petersplatz 11. Juni 2014, abgerufen auf vatican.va am 10. März 2023
  4. William Shakespeare. Macbeth 3. Akt, 1. Szene zeno.org
  5. „In all developed religion we find three strands or elements, and in Christianity one more. The first of these is what Professor Otto calls the experience of the Numinous. Those who have not met this term may be introduced to it by the following device. Suppose you were told there was a tiger in the next room: you would know that you were in danger and would probably feel fear. But if you were told ‘There is a ghost in the next room’, and believed it, you would feel, indeed, what is often called fear, but of a different kind. It would not be based on the knowledge of danger, for no one is primarily afraid of what a ghost may do to him, but of the mere fact that it is a ghost. It is ‘uncanny’ rather than dangerous, and the special kind of fear it excites may be called Dread. With the Uncanny one has reached the fringes of the Numinous. Now suppose that you were told simply ‘There is a mighty spirit in the room’, and believed it. Your feelings would then be even less like the mere fear of danger: but the disturbance would be profound. You would feel wonder and a certain shrinking—a sense of inadequacy to cope with such a visitant and of prostration before it—an emotion which might be expressed in Shakespeare’s words ‘Under it my genius is rebuked’. This feeling may be described as awe, and the object which excites it as the Numinous.“
    C. S. Lewis: The Problem of Pain, Grapevine India Publishers 2022, ISBN 978-9356612365; eBook HarperOne 2009 ASIN B002BD2USY